„Wovon sollen wir leben?“
WENDEKREIS, Nr. 10, Oktober 2007
„Bio“diesel aus Palmöl – Gefahr für Menschen und Tropenwald Indonesiens
Marianne Klute
Nuzuls Blick schweift über endlose Reihen von jungen Ölpalmsetzlingen. „Hier war unser Land und unser Wald. Vor ein paar Monaten fand ich alle Pflanzen ausgerissen und unsere Gummibäume abgehackt. Wir haben unser Land verloren.“ Nuzul stammt aus dem Dorf Aruk in West-Kalimantan, einer Provinz auf der Insel Borneo, nahe der indonesisch-malaysischen Grenze. Hier entstehen großflächige Plantagen für die Produktion von Agrotreibstoff („Bio- Diesel“) aus Palmöl. West-Kalimantan ist eines von vielen Gebieten, in denen die bäuerliche Bevölkerung und die Indigenen mächtigen Palmölunternehmen gegenüberstehen. Die Menschen müssen den ehrgeizigen Plänen der Regierung, Indonesien zum bedeutendsten Exporteur von Palmöl zu machen, weichen.
Neuer Boom beim Palmöl
400.000 Hektar Ölpalmplantagen gibt es schon in der Provinz. Zehnmal so viel sollen es nach dem Willen des Gouverneurs werden. In ganz Indonesien sind 20 Millionen Hektar Ölpalmplantagen geplant, eine Fläche fünfmal so gross wie die Schweiz. Damit reagiert Indonesien auf die Nachfrage Europas und Chinas nach nachwachsenden Rohstoffen für die Erzeugung von Strom, Wärme und Treibstoff. Der Grund: Klimaveränderung und Verknappung von Erdöl führen zu einer Umorientierung der Energiepolitik. Die EU-Kommission hat zum Beispiel beschlossen, bis 2020 den Anteil von Agrodiesel im Dieseltreibstoff auf 10 Prozent zu erhöhen. Europa hat aber nicht genug Ackerflächen, um ausreichend Raps Pflanzen anzubauen.
Die wichtigsten Erzeugerländer liegen daher im globalen Süden. Indonesien ist bereits führender Produzent des preiswerten, aus den roten Früchten der Ölpalme gepressten Palmöls. Malaysia und Indonesien beherrschen mit zusammen 85 Prozent den globalen Palmölmarkt. Hauptabnehmer waren bisher die Lebensmittel- und Kosmetikindustrien. Nun bewirkt die Neuausrichtung von Energie- und Klimapolitik dem indonesischen Palmölsektor einen neuen Boom. Indonesische Politiker spekulieren, die arabischen Staaten als Öllieferanten abzulösen zu können. Dafür müssen neue Flächen „erschlossen“ werden. Umfangreiche Abkommen mit multinationalen Unternehmen sind bereits unter Dach und Fach. Dazu gehören Planungen von Plantagen riesigen Ausmasses in Kalimantan, entlang der 1800 km langen Grenze zu Malaysia, wo auch das Dorf Aruk liegt.Negative Klimabilanz
Unter Klimaexperten ist Kalimantan ein Begriff. Hier wüten während der Trockenzeit die verheerendsten Waldbrände Indonesiens. Dabei werden ungeheure Mengen an Treibhausgasen frei, mit der Folge, dass Indonesien nach den USA und China für den höchsten Ausstoss an Kohlendioxid verantwortlich ist. Die Rauchwolken sind bis in die Nachbarstaaten Malaysia und Singapur zu spüren. Sie führen zu Atemproblemen, legen den Flugverkehr lahm und fügen den Nationalökonomien schweren Schaden zu.
Brandstifter sind in drei Viertel aller Fälle die Palmölunternehmen. Damit schaffen sie „degradiertes“ Land, auf dem sie viel einfacher die Lizenz für Plantagen erhalten. Zu den CO2-Emissionen aus den Waldbränden kommen die aus den an der Luft oxidierenden Torfböden hinzu. Fachleute stufen daher die Klimabilanz von Agrartreibstaoff aus Palmöl negativ ein. Kaum erforscht ist, inwieweit die „grünen Wüsten“, die endlosen Ölpalmmonokulturen, das Klima belasten und die globale Erwärmung noch weiter anheizen.Ohne Arbeit, ohne Land
Kalimantan war vor einer Generation noch von dichtem Tropenwald bedeckt. Die indigene Bevölkerung, bekannt als Dayak, lebt im und vom Wald. Dann kamen die Holzbarone. Inzwischen ist die Hälfte des Waldes abgeholzt, und für die Dayak wird es schwer zu überleben. In wenigen Jahren nur wird der Tieflandregenwald verschwunden sein, wenn dem Holzeinschlag nicht sofort Einhalt geboten wird. Zusammenhängende Waldgebiete findet man nur noch in den Bergregionen; hier sollen die neuen Plantagen entstehen. Wald, der keinen monetären Profit erwirtschaftet, wird als „unproduktiv“ eingestuft. Er soll „produktiven“ Formen weichen, ebenso wie der „unproduktive“ Subsistenz-Ackerbau der industriellen Agrarwirtschaft weichen soll.
Nur wenige Menschen haben die Chance, in den Plantagen Arbeit zu finden oder als Kleinbauern von Ölpalmen leben zu können. Zwar erhofft die Regierung, dass fünf Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. Doch in Indonesien sind 45 Millionen Menschen direkt und vollständig vom Wald abhängig. Erschwerend kommt hinzu, dass Arbeitskräfte häufig von anderen Inseln umgesiedelt werden. Die Menschen vor Ort, besonders indigene Völker wie die Dayak in Kalimantan, haben daher nicht nur Angst um den Verlust ihrer Existenz. Sie befürchten auch, zur Minderheit im eigenen Land zu werden.
Die Umwandlung von Wald und traditionellem Ackerbau in industrielle Landwirtschaft, die für den Energiebedarf der Industriestaaten produziert, verändert mit dem Agrarwesen die Besitzverhältnisse radikal. Internationale Multis teilen das Land unter sich auf, ohne sich um traditionelle Landrechte zu scheren. Die Folge ist, dass allein in West-Kalimantan fünfzig Konflikte zwischen Bevölkerung und Unternehmen lodern. Die um ihr Land betrogenen Menschen rebellieren, zerstören Setzlinge und zünden Gebäude der Unternehmen an.„Wovon sollen wir leben?“
Nuzul und seine Familie müssen Mund und Nase mit Mullmasken schützen. Die Augen tränen, und die Kinder können nicht zur Schule gehen. Die Waldbrände machen den Menschen und Tieren das Leben zur Hölle. Und sie spüren die ökologischen Veränderung am eigenen Leib. In Aruk ist es trockener geworden, seit der Wald als Wasserspeicher fehlt. Trinkwasser ist knapp, denn die Ölpalmsetzlinge sind durstig, und der Fluss ist mit Pestiziden verseucht. „Wovon sollen wir leben?“ fragt Herlina, Nuzuls Frau. Sie verabscheut Gewalt. „Doch seit die Ölpalmunternehmen da sind, kennen wir nur noch Konflikte, Umweltzerstörung und Armut“, sagt sie.
Marianne Klute ist dipomierte Chemikerin und arbeitet als Verantwortliche für den Bereich Umwelt bei Watch Indonesia!, einer Arbeitsgruppe für Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz in Indonesien und Osttimor.