Nach den Wahlen:
Perspektiven des Landes im internationalen Horizont

Evangelisches Missionswerk in Südwestdeutschland, Informationsbrief 2/2004

Indonesien – „Demokratie im zweiten Anlauf“
Tagung des EMS-Indonesienreferats und der Evangelischen Akademie Arnoldshain, 09. – 11. Juli 2004

von Alex Flor

emsAlex Flor ist Sprecher der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia! mit Sitz in Berlin. Er nahm in seinem Vortrag die euphorische Einschätzung des westlichen Auslands, Indonesien sei das erfolgreiche Modell einer jungen Demokratie und ein Beweis dafür, dass islamische Bevölkerungsmehrheit und funktionierende Demokratie sich nicht widersprechen, kritisch unter die Lupe.

Nationalismus und Verschwörungstheorien

Als ich in Vorbereitung auf diesen Vortrag darüber nachdachte, was ich zum Thema „Internationale Beziehungen“ in Zusammenhang mit den Wahlen in Indonesien beitragen könnte, kam mir unerwartet General Wiranto, der von den Wählerinnen und Wählern auf den dritten Platz verwiesene Präsidentschaftskandidat von der früheren Regierungspartei Golkar zu Hilfe.

Dessen Wahlkampfbüro machte durch eine bemerkenswerte Erklärung auf sich aufmerksam: Die internationalen Wahlbeobachter, namentlich die von den US-amerikanischen Organisationen Carter Center und dem National Democracy Institute for International Affairs NDI entsandten Kräfte, trügen einen Teil der Schuld am schlechten Abschneiden Wirantos, hieß es da. Es wurden Parallelen gezogen zur Rolle der UN-Mission UNAMET beim Referendum in Osttimor im Jahre 1999. Diese Erklärung ist so bizarr wie aufschlussreich und in gewisser Weise – nicht nur für Wiranto – typisch:

  • auf indirekte Weise ist die Erklärung das Eingeständnis der Niederlage, obgleich das offizielle Ergebnis der Stimmauszählung noch aussteht,
  • die Erklärung ist gesichtswahrend, denn Schuld an der Niederlage war ihr zufolge nicht Wiranto, sondern ausländische „oknum“ – der in Indonesien häufig benutzte Begriff für nicht näher definierte Drahtzieher,
  • nähere Erläuterungen, wie denn genau die Einflussnahme der Wahlbeobachter vonstatten gegangen sein soll, werden nicht gemacht. Es genügt, ein „isu“ – ein Gerücht – in die Welt zu setzen,
  • der Verweis auf Osttimor zementiert die Geschichtsklitterung seitens des nationalistischen Lagers und ist u.a. als Reaktion auf den von der Staatsanwaltschaft in Osttimor gegen Wiranto erlassenen Haftbefehl zu werten,
  • Schuld an allem Übel in Indonesien sind immer interessengeleitete Kräfte von außerhalb. Bei kommunalen Konflikten sind diese Kräfte in einer anderen Region Indonesiens zu suchen; falls es sich jedoch um ein Problem von nationaler Bedeutung handelt, so sind dessen Urheber zweifelsohne im (meist westlichen) Ausland zu suchen.

Vor dem Hintergrund dieser für die in Indonesien weit verbreiteten und populären Verschwörungstheorien typischen Merkmale mag man erahnen, wie unglücklich der Zeitpunkt des Haftbefehles gegen Wiranto gewählt war. Dieser Haftbefehl war notwendig und begründet – auch meine Organisation hat sich seit Jahren dafür eingesetzt, die verantwortlichen Täter von Osttimor vor Gericht zu bringen. Wenn aber dieser Haftbefehl fast zeitgleich mit der Bekanntgabe der Kandidatur Wirantos für das Amt des Präsidenten erlassen wird, drängt sich der Verdacht geradezu auf, dass hier das Ausland in innenpolitische Angelegenheiten Indonesiens einzugreifen versucht.

Es ist daher kein Wunder, dass sich die Regierung Osttimors, die in höchstem Maße von ihrem übermächtigen Nachbarn abhängig ist, mit allen Mitteln bemühte, den Haftbefehl zu kassieren und auf ein konfliktfreies Verhältnis mit Indonesien bedacht ist. Die Erinnerung an die Konflikte der Vergangenheit droht somit realpolitischen Abwägungen zum Opfer zu fallen. Die Schuld der Täter bleibt ungesühnt, die Opfer erfahren keine Gerechtigkeit. „Isu-isu“ – Gerüchte und Verschwörungstheorien – erfreuen sich in Indonesien größter Beliebtheit und zwar, wie ich ausdrücklich betonen möchte, auf ALLEN Seiten. Das in Verkehr Bringen unbelegter Behauptungen ist eine weit verbreitete Unsitte. Sie ist jedoch äußerst wirksam, wenn sie als Mittel der Politik eingesetzt wird. Das kritische Hinterfragen solcher Gerüchte oder die Suche nach Belegen zählen nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen der meisten Indonesier. Schuldzuweisungen an Ausländer gehören zum Standardrepertoire solcher Verschwörungstheorien. Ihr besonderer Reiz liegt darin, dass sie ein einigendes Moment für breite Teile der Gesellschaft darstellen, denn das Misstrauen gegenüber Ausländern vereint auf diffuse Art und Weise die imperialismuskritische Anhängerschaft des Republikgründers und ersten Präsidenten Sukarno mit dem vor einer Verwestlichung der Werte warnenden islamischen Lager. Kaum ein Problem, das nicht mit Verweis auf ausländische Interessen klein geredet werden könnte. Kein regionaler Konflikt, ob in Osttimor, auf den Molukken, in Aceh oder Papua, der nicht in Zusammenhang mit dem vermeintlichen Interesse des Auslandes, Indonesien durch territoriale Abspaltungen zu schwächen, in Verbindung gebracht würde.

Einige Auswüchse dieser Geisteshaltung in den letzten Monaten waren die von Armeechef Ryamizard Ryacudu gemachte Äußerung, Indonesien sei von mindestens 60.000 (!) ausländischen Agenten infiltriert (Detik. com, December 25, 2003) sowie die seit dem Frühjahr geltenden verschärften Bedingungen für die Vergabe von Touristenvisa und die im Juni erfolgte Ausweisung von Sidney Jones, der Länderdirektorin des renommierten Instituts für politische Analysen, International Crisis Group, ICG.

Als ob er den Beweis für die Inhalte meines Vortrages erbringen wollte, schrieb Entwicklungsminister Kwiek Kian Gie, Mitglied der von Präsidentin Megawati Sukarnoputri geführten Demokratischen Partei PDI-P, am 9. Juli 2004 – dem ersten Tag unseres Seminars in Arnoldshain – in der Tageszeitung Kompas einen Leitartikel unter dem Titel „Pihak Asing Campuri Pemilihan Presiden“ (Ausländer mischen sich in Präsidentenwahl ein). In ähnlicher Weise wie zwei Tage zuvor Wiranto beschuldigt auch Minister Kwiek ausländische Wahlbeobachter der Einflussnahme auf das Wahlergebnis. Auch Kwiek bleibt selbstredend jeglichen Hinweis darauf schuldig, in welcher Weise sich diese Einflussnahme manifestiert haben soll. Kwieks Artikel löste dennoch eine heftige Debatte in verschiedenen indonesischen Medien und Diskussionsforen im Internet aus. In der Mehrzahl der Beiträge wurde Kwieks Position verteidigt. Lediglich die an ausländische Leser gerichtete, englischsprachige Jakarta Post hatte in ihrer Ausgabe vom 12.7.04 den Mut, diese Position in Frage zu stellen (Jakarta Post, Editorial: Xenophobia, A Dangerous Road, 12.7.04).

Internationale Beziehungen

Die internationalen Beziehungen zu Indonesien, gleich auf welcher Ebene, müssen vor dem Hintergrund des beschriebenen Hangs zu nationalistisch gefärbten Verschwörungstheorien gesehen werden. Dies betrifft sowohl die Beziehungen zwischen Staaten und Regierungen wie auch die Beziehungen zwischen Nichtregierungsorganisationen und Kirchen oder die wirtschaftlichen Beziehungen. Manche internationalen Akteure verkennen die indonesische Gemütslage und tendieren daher zu einem Verhalten wie der berühmte „Elefant im Porzellanladen“. Andere dagegen zeigen sich übervorsichtig und ständig von der Paranoia gehemmt, unbeabsichtigt irgendwo verborgene Tretminen auszulösen. Wieder andere sehen den goldenen Mittelweg darin, zu bestimmten Themen beherzt Stellung zu beziehen, ohne jedoch die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen bzw. auch nur über die dafür erforderlichen Mittel zu verfügen.

Oftmals scheint es, dass die Handlungen internationaler Akteure mehr auf die Imagepflege zu Hause als auf die Verbesserung der Situation in Indonesien abgerichtet sind. Werfen wir hierzu beispielhaft einen Blick auf die bereits erwähnten internationalen Wahlbeobachter. Wahlbeobachter wurden unter anderem von der EU und dem amerikanischen Carter Center entsandt. Letzteres feierte damit ein Jubiläum, denn die indonesische Präsidentschaftswahl war die 50. internationale Wahlbeobachtungsmission, an der sich das Carter Center beteiligte. Zur Parlamentswahl im April entsandte die EU 231 Beobachter, zur Präsidentschaftswahl liegt mir keine genaue Zahl vor. Das Carter Center erklärte im Mai, es werde 10 Langzeitbeobachter und 26 bis 50 Kurzzeitbeobachter entsenden. Die Zahl der Wahllokale in ganz Indonesien betrug ca. 600.000. Ein Beobachter des Carter Centers erklärte: „Meine Beobachtungen waren auf das Stadtgebiet von Jayapura in Westpapua beschränkt, das geographische Äquivalent zu einer Beobachtung der Wahlen im gesamten Staat Kalifornien basierend auf dem Besuch einiger Wahllokale in Sacramento“ (RFK Memorial Center for Human Rights; The West Papua Report; June/July 2004). In der unter zivilem Notstand befindlichen Krisenregion Aceh wurden internationale Beobachter nur in den größeren Städten zugelassen, auf den Molukken war ihre Tätigkeit auf die nordmolukkische Insel Ternate beschränkt.

Natürlich kann eine internationale Wahlbeobachtung nur stichprobenartig erfolgen. Und selbstverständlich ist die Wahlbeobachtung eine wichtige Aufgabe. Sie fördert Transparenz und motiviert zu einer ordnungsgemäßen Durchführung der Wahlen. Kritisch zu sehen ist jedoch, wenn das Ergebnis der Kurzzeitbeobachtung, die in der Regel lediglich den Abstimmungsvorgang sowie die erste Auszählung der Stimmen im Wahllokal umfasst, in den Medien so dargestellt wird, dass dies einer amtlichen Prüfplakette für vorbildhafte Demokratie gleichkommt. Es darf angenommen werden, dass das westliche Ausland Indonesien genau so sehen möchte: als erfolgreiches Modell einer jungen Demokratie und als Beweis dafür, dass eine islamische Bevölkerungsmehrheit und funktionierende Demokratie sich nicht widersprechen. Als ich diese Zeilen vortrug, kannte ich noch nicht das Zitat von Jimmy Carter, welches fünf Tage später in der International Herald Tribune gedruckt werden sollte: „A milestone for us, this election also was a significant step forward for democracy worldwide. The people of Indonesia are providing a dramatic example of peaceful political change, and firmly negating the claim that Muslim societies are anti-democratic.“ (Jimmy Carter, International Herald Tribune; July 15, 2004).

Die Erteilung einer „amtliche Prüfplakette“ für die indonesische Demokratie, wie sie durch Jimmy Carter, die EU und andere aufgrund von Kurzzeitbeobachtungen erfolgte, ist nicht zu rechtfertigen. Denn viele zur Beurteilung einer demokratischen Wahl wichtige Aspekte entgehen den Wahlbeobachtern:

1. Mängel im Wahl- und Parteiengesetz, z.B.

  • diskriminierende Regelungen gegenüber ehemaligen Mitgliedern verbotener Parteien
  • hohe Schwellen, um als Partei zu den Wahlen zugelassen zu werden: zugelassen werden nur Parteien, die in mindestens zwei Dritteln der Provinzen und dort wiederum in zwei Dritteln der Distrikte Vertretungen nachweisen können und außerdem über eine bestimmte Mindestanzahl von Mitgliedern verfügen. Diese Regel stellt nicht nur höchste Ansprüche an Organisationsgrad und Finanzkraft einer neuen Partei, sondern verhindert auch die Bildung regionaler Parteien. Nicht einmal an Kommunalwahlen können unabhängige Kandidaten oder Wählergemeinschaften teilnehmen, da die genannte Regelung sich auf sämtliche administrativen Ebenen erstreckt.
  • hohe Schwellen, um als Präsidentschaftskandidat nominiert werden zu können: für die Wahlen 2004 gilt eine Ausnahmeregelung, aufgrund derer Parteien oder Parteibündnisse, die bei der Parlamentswahl 3 % der Sitze oder 5 % der Stimmen gewonnen haben, einen Präsidentschaftskandidaten vorzuschlagen. Bei künftigen Wahlen wird diese Schwelle bei 15 % der Sitze bzw. 20 % der Stimmen liegen. Hätte diese Regelung schon 2004 Anwendung gefunden, hätte der derzeitige Favorit Bambang Susilo Yudhoyono keine Chance auf eine Nominierung gehabt; seine Partei PD verfügt lediglich ca. 8 % der Stimmen.
  • zu erfüllende Voraussetzungen, um als Kandidat zugelassen zu werden: wohl überall auf der Welt ist die Kandidatur für hohe Staatsämter an bestimmte Bedingungen wie Mindestalter u.dgl. geknüpft, wogegen schwerlich etwas einzuwenden ist. Die Diskussion um die Festlegung der Kriterien für die Kandidatur als Staatspräsident zielte in Indonesien jedoch derart offensichtlich auf den Ausschluss bestimmter Personen ab, dass hier nur schwerlich von einem demokratischen Gesetzgebungsprozess die Rede sein kann. In Diskussion waren Voraussetzungen wie ein bestimmter Ausbildungsgrad, den Megawati Sukarnoputri verfehlt hätte, ein Maximum an Vorstrafen, das den damaligen Favoriten von Golkar, Akbar Tandjung, ausgeschlossen hätte, und die Bedingung körperlicher und geistiger Gesundheit, welche schließlich den fast erblindeten ehemaligen Präsidenten Abdurrahman Wahid von der Kandidatur ausschloss. Die Kriterien, die Megawati bzw. Akbar Tandjung zum Verhängnis geworden wären, wurden mit von PDI-P und Golkar angeführten Mehrheiten im Parlament entsprechend gelockert. Wahids relativ kleine Partei PKB hatte jedoch nicht genügend Gewicht, um das ihn betreffende Ausschlusskriterium ebenfalls zu Fall zu bringen.
  • die vielfach umjubelte Frauenquote von 30 %: diese Quote, die für die Aufstellung der Kandidatenlisten galt, stellte sich in der Praxis als Mogelpackung heraus. Im Ergebnis werden trotz dieser Quote nur ca. 11 % Frauen im neu zu bildenden Parlament sitzen – weniger als in den Legislaturperioden 1987-1992 (13 %) und 1992-1997 (12,5 %) unter der Diktatur Suharto (Jakarta Post, May 8, 2004; Defeated Women Politicians Keep Fighting).

2. Wahlbeobachter können sich in aller Regel keinen Einblick in die sog. „money politics“ verschaffen. Sie können nicht beurteilen, ob ein Kandidat sich einen sicheren Listenplatz erkaufen musste und dergleichen.

3. Internationalen Wahlbeobachtern entgehen schmutzige Wahlkampftricks, bzw. sie entziehen sich deren Beurteilung: bspw. gab es wenige Tage vor der Wahl eine kettenbriefartig organisierte Kampagne, mittels derer per SMS verbreitet wurde, der muslimische Kandidat Susilo Bambang Yudhoyono sei in Wirklichkeit ein verkappter Christ, da seine Frau Kristiani heiße. Solche Gerüchte funktionieren nach oben beschriebenem Schema der Verschwörungstheorien. Es ist in aller Rege nicht feststellbar, wer solche Gerüchte in die Welt setzt und inwieweit deren Verbreitung auf einem vorgefertigten Plan basiert oder nach kurzem Anlauf zum Selbstläufer wird. Letztlich stellten die internationalen Wahlbeobachter ungeachtet ihres sehr beschränkten Einblicks den Wahlen 2004 hervorragende Noten aus. Die lobende Anerkennung unter Ausblendung diverser Mängel mag unter Umständen der Festigung der Demokratie in Indonesien sogar dienlich sein. Vor allem aber können sich die Entsendestaaten und -organisationen in ihre Jahresberichte schreiben, mit wie viel Geld und Manpower sie den Demokratisierungsprozess in Indonesien aktiv unterstützt haben.

Für die eigene Imagepflege werden erhebliche Summen ausgegeben, deren Nutzen oft zweifelhaft ist. Die von internationalen Gebern zur Verfügung gestellten Geldtöpfe wecken Begehrlichkeiten. Ministerien des Empfängerlandes wollen an der Verteilung dieser Gelder beteiligt werden, um einen Teil in die eigenen Taschen umzulenken.

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden neu gegründet und bestehende verändern ihre inhaltlichen Schwerpunkte, sobald es für bestimmte Programme internationale Gelder gibt. NGOs, die sich um Straßenkinder kümmern, schossen in Indonesien wie die Pilze aus dem Boden, nachdem bekannt wurde, dass es hierfür bestimmte Fonds gibt. Übernachtungseinrichtungen für Straßenkinder entstanden sogar dort, wo es gar keine Straßenkinder gibt (was keineswegs heißen soll, dass die Tausende von Kindern, die tatsächlich auf der Straße leben überversorgt sind). NGOs, die sich der Korruptionsbekämpfung verschrieben haben, machen Wahlbeobachtung und Frauenrechtlerinnen betreiben Wähleraufklärung, wenn es dafür Sponsoren gibt. Indonesische NGOs sind flexibel. Die Erfolgskontrolle seitens der Geber ist oftmals unzureichend. Und nicht selten werden Projekte sogar wider besseren Wissens weiter gefördert, weil es scheinbar dem eigenen Image nützt.

Mitunter ist die Politik internationaler Partner auch inkonsequent. Beispiele hierfür sind der Dezentralisierungsprozesses in Indonesien sowie die Sonderautonomie für Papua. Diese Programme werden von Deutschland politisch und zum Teil durch entwicklungspolitische Maßnahmen auch direkt unterstützt. Auf die logische Folge dieser Prozesse, dass nämlich bestimmte Entscheidungskompetenzen von der Zentralregierung auf die regionale Ebene verlegt werden, zeigt man sich in Berlin und Bonn unvorbereitet. Wenn plötzlich die Zuständigkeit für ein bestimmtes Entwicklungsprojekt nicht mehr beim Ministerium in Jakarta, sondern bei einer kommunalen Verwaltung liegt, wird die Frage gestellt, ob denn diese lokale Verwaltung wohl auch in der Lage sei, die Garantie für die in Anspruch genommenen Gelder und Leistungen zu übernehmen. Der Anspruch der Papua, künftig selbst mit bilateralen Partnern in Kontakt treten zu dürfen, ist Teil des von Berlin befürworteten Autonomieprogrammes. Nur, wenn es zur Nagelprobe kommt, gilt weiterhin der Grundsatz, dass der offizielle Ansprechpartner in den bilateralen Beziehungen die Regierung in Jakarta ist.

Wie wird sich die Außenpolitik Indonesiens nach den Wahlen verändern?

Die indonesische Außenpolitik ist gleichermaßen von den bereits genannten Empfindlichkeiten wie in mindestens gleichem Maße von Pragmatismus gekennzeichnet. Erwartungen des Auslandes werden erfüllt, wenn sie mit genügend Nachdruck vorgetragen werden. Das gilt auch dann, wenn die Sprachregelung für den internen Gebrauch anderes vermuten lässt. Ein Beispiel ist der Kampf gegen den Terrorismus. Innenpolitisch überwiegen das Desinteresse an diesem Thema, eine latent anti-amerikanische Grundeinstellung gepaart mit einer islamisch-nationalistischen Abwehrhaltung. Die zum Thema Anti-Terrorkampf geübte Rhetorik unterscheidet sich fundamental von der des Amerika freundlichen Nachbarlandes Philippinnen. Gleichwohl erwies sich Indonesien als zuverlässiger Partner im Kampf gegen den Terror, dessen Fahndungserfolge weltweit gelobt werden. Wenn nur das Lob des Westens nicht zu laut ausfällt… Da die Präsidentschaftskandidaten und ihre Programme weitgehend austauschbar sind, wie wir aus Herrn Schreiners Einführungsvortrag gelernt haben, ist mit wesentlichen Änderungen in der Außenpolitik Indonesiens nicht zu rechnen. Auch in Indonesien gilt die (unausgesprochene) Maxime, dass bei einem Regierungswechsel die Kontinuität in der Außenpolitik zu wahren ist. Veränderungen werden sich auf eher symbolische Details beschränken. Susilo Bambang Yudhoyono tritt forscher und mutiger auf als Megawati Sukarnoputri, die Konflikten gerne aus dem Wege geht. So ließ sich – um beim Thema Terrorismus zu bleiben – Präsidentin Megawati beispielsweise bei den Gedenkfeierlichkeiten zum ersten Jahrestag des Bali- Attentates durch ihren damaligen Koordinationsminister für Sicherheit und Politik, Susilo Bambang Yudhoyono, vertreten, da sie einem direkten Zusammentreffen mit dem australischen Premierminister John Howard ausweichen wollte, der sich zu den Feierlichkeiten angesagt hatte.

Es ist fraglich, ob Megawati durch ihr Fernbleiben bei Australien kritisch gegenüberstehenden Bevölkerungsteilen Punkte gemacht oder ob sie nicht vielmehr einen spektakulären Auftritt in einer ihrer größten Wählerhochburgen versäumt hat. Ihr späterer Konkurrent Bambang Yudhoyono konnte jedenfalls durch sein Auftreten und seine deutlichen Äußerungen gegen den der Jemaah Islamiyah zugeschriebenen Terror die Sympathie der Australier und Amerikaner für seine Person festigen.

Susilo Bambang Yudhoyono gilt als Mann der Tat, obgleich noch fraglich ist, ob er im Falle seiner Wahl auch die Macht haben wird, seine Worte tatsächlich in die Tat umzusetzen. Dennoch ruhen die Hoffnungen auf ihm, denn fünf weitere Jahre Megawati bedeuteten fünf weitere Jahre der Unentschlossenheit und des Weiterwurstelns. Aber auch damit würde sich das Ausland zu arrangieren wissen, wenn es das Ergebnis des indonesischen Wählerwillens wäre. Oberstes Interesse des Auslandes ist eine reibungslose Zusammenarbeit und die Vermeidung neuer Probleme. An zweiter Stelle steht die Wahrnehmung eigener Interessen durch die Außen- und Entwicklungspolitik. Diese liegen in erster Linie im Bereich der Sicherheitspolitik sowie in den wirtschaftlichen Beziehungen.

Sicherheitspolitische Interessen in Indonesien haben maßgeblich die USA und Australien, die eine engere militärische Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror anstreben. Deutschland wird dieser Richtung schon deshalb folgen müssen, um nicht völlig den Anschluss und damit einher gehend sämtliche Einflussmöglichkeiten zu verlieren. In den wirtschaftlichen Beziehungen stehen ebenfalls keine dramatischen Veränderungen an. Derzeit sind allenfalls die Handelsbeziehungen von Interesse: die gegenüber dem Euro immer noch niedrig bewertete Rupiah sorgt für günstige Importe aus Indonesien, während gleichzeitig der Konsum der oberen Mittelklasse Indonesiens den Export begünstigt. Ausländische Investitionen in Indonesien werden dagegen nur noch in Ausnahmefällen getätigt. Bevorzugte Investitionsziele sind derzeit andere asiatische Länder wie China und Vietnam. Selbst unter verbesserten Rahmenbedingungen ist in absehbarer Zeit nicht mit einem gesteigerten deutschen Interesse an Indonesien zu rechnen. Die deutsche Wirtschaft ist nicht als Pionier bekannt, sondern neigt eher dazu auf fahrende Züge aufzuspringen. Und die Lokomotive dieses Zuges muss aus der Region kommen, vorzugsweise in Form von Investitionen aus Indonesien selbst. Solange auch die indonesischen Unternehmer ihr Geld lieber im benachbarten Ausland anlegen, ist nicht mit einer verstärkten Investitionstätigkeit deutscher oder anderer ausländischer Unternehmer zu rechnen. Die indonesischen Unternehmer – oftmals dem chinesisch-stämmigen Geldadel angehörend – haben seit 1998 ihre Privilegien als Cronies von Diktator Suharto verloren, während sie gleichzeitig unter mangelnder Rechtssicherheit leiden und sich noch immer vor einer Neuauflage der anti-chinesischen Pogrome von 1998 ängstigen. Dies zu ändern und die Lokomotive zum Fahren zu bringen ist wohl eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Regierung.

Ausblick

Wo sich möglicherweise etwas ändern könnte ist in der Konstellation von Kabinett und Parlament. Einige Anzeichen sprechen dafür, dass die künftige Regierung nicht mehr aus einem Regenbogenkabinett bestehen wird, in dem sämtliche im Parlament vertretenen Kräfte vertreten sind. Das würde bedeuten, dass die Opposition nicht länger mit am Kabinettstisch sitzt und dort nach Belieben alle Gesetzgebungsvorlagen blockieren kann. Vielmehr würde die Oppositionsarbeit in Zukunft verstärkt im Parlament stattfinden, das dadurch eine Aufwertung erführe. Ergebnis dieser Entwicklung wäre ein handlungsfähiges Kabinett und ein Parlament, das seine Kontrollfunktion ausübt. Dadurch ergäben sich auch neue Einflussmöglichkeiten für NGOs, Religionsgemeinschaften und andere zivilgesellschaftliche Kräfte, einschließlich ihrer internationalen Partner: wo die Regierung nicht mit sich reden lässt, kann man versuchen, das Thema durch die Opposition auf die Tagesordnung zu bringen. Als destruktiv und destabilisierend könnte sich allerdings eine Variante dieses Szenarios erweisen, die immer näher in den Bereich des Möglichen rückt: Bambang Susilo Yudhoyono gewinnt die Mehrheit der Wählerstimmen und wird Präsident. Er verfügt aber über keinerlei Rückhalt im Parlament, wo sich eine starke Opposition aus PDI-P, Golkar, PPP und weiteren Parteien gegen ihn verbündet. Diese Konstellation würde zu völliger politischer Handlungsunfähigkeit führen. Sie wäre allerdings auch kaum von Bestand. Womit das nächste Thema geboren wäre, das Indonesien von gestaltender Politik abhält: die Diskussion um die Frage „Was kommt als nächstes?“ <>

(Die komplettte Tagungsbroschüre finden Sie hier, PDF, 2 MB)


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