Munirs mutmaßlicher Mörder frei gesprochen
05. Oktober 2006
von Alex Flor
Der Oberste Gerichtshof (Mahkamah Agung) reduzierte gestern das Urteil gegen Pollycarpus Budihari Priyanto, dem bislang einzigen in Zusammenhang mit dem Mord an Indonesiens prominentestem Menschenrechtsanwalt Verurteilten, auf zwei Jahre Haft. Munir war am 7. September 2004 auf einem Flug der indonesischen Airline Garuda nach Amsterdam mit einer Überdosis Arsen vergiftet worden. Pollycarpus war anschließend vom Landgericht Jakarta für schuldig befunden worden, die Tat ausgeführt zu haben. Das Landgericht verurteilte ihn daraufhin zu 14 Jahren Haft.
Mit gefälschten Auftragspapieren hatte sich Pollycarpus, der eigentlich als Pilot bei Garuda arbeitete, auf der Teilstrecke Jakarta-Singapur Zugang zur Kabine verschafft und sich dort als Steward betätigt. Bereits Tage zuvor hatte er sich unter einem Vorwand per Telefon bei Munir gemeldet, um sich über dessen Buchungsdaten zu vergewissern. Beim scheinbar zufälligen Wiedersehen in der Kabine konnte er Munir überreden, seinen Sitz in der Economy Class gegen einen freien Sitz in der Business Class zu wechseln. Nach Auffassung des Landgerichtes Jakarta, wurde ihm dort durch den Sitzplatzservice die tödliche Dosis Arsen in einem Orangensaft gereicht.
Pollycarpus’ zentrale Rolle bei der Ausführung der Tat darf als erwiesen angesehen werden. Die Annahme, er könnte als Einzeltäter gehandelt haben, erscheint dagegen aufgrund zahlreicher Indizien sowie eines mangelnden Tatmotivs als absurd.
Ein eigens von Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono eingesetztes Untersuchungsteam, dem auch Freunde und ehemalige Kollegen Munirs angehörten, förderte zahlreiche Fakten zu Tage. Die Überprüfung der von Pollycarpus über sein Mobiltelefon hergestellten Verbindungen ergab, dass rund um den Tatzeitpunkt eine Vielzahl von Gesprächen zwischen ihm und Muchdi Purwoprajoyo, dem stellvertretenden Leiter des Geheimdienstes BIN (Badan Intelijen Negara), geführt worden waren. In einem Büro fand die Untersuchungskommission außerdem Pläne über verschiedene mögliche Alternativen, Munir zu ermorden – eine davon, das später in die Tat umgesetzte Szenario der Vergiftung an Bord eines Flugzeuges. Und nicht zuletzt zeigte sich, dass Teile des damaligen Managements der Fluglinie Garuda offenbar vom Geheimdienst durchsetzt waren und an der Fälschung von Pollycarpus’ Papieren mitgewirkt hatten.
Erst kürzlich reichte Suciwati, die Witwe des Ermordeten, eine Zivilklage ein, in welcher sie von Garuda Indonesia die Zahlung von umgerechnet ca. 1,5 Mio Dollar fordert. Die Strafverfolgungsbehörden ignorierten bislang sämtliche Hinweise in Richtung Garuda bzw. des Geheimdienstes BIN. General A.M. Hendropriyono, seinerzeit Chef des Geheimdienstes, widersetzte sich folgenlos sämtlichen Ersuchen der Untersuchungskommission um ein Gespräch und reichte stattdessen seinerseits Klage wegen übler Nachrede gegen zwei Mitglieder der Kommission, Rachland Nashidik und Usman Hamid, beides ehemalige Kollegen Munirs, ein.
Kolleginnen und Kollegen von Menschenrechtsorganisationen in Jakarta zeigten sich gestern entsetzt über das Urteil des Obersten Gerichtshofes im Revisionsverfahren. Das Gericht bemängelte das vorinstanzliche Verfahren gegen den Angeklagten vor dem Landgericht. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes konnte dort nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass Pollycarpus dem Opfer die tödliche Arsendosis verabreicht hatte. Somit hat nur der Vorwurf der Urkundenfälschung weiterhin Bestand, wegen dessen das Gericht eine Teilstrafe von zwei Jahren Haft bestätigte.
Eine Leiche ohne Mörder? Die Einzeltätertheorie war im vorliegenden Fall noch nie überzeugend. Das gestrige Urteil sollte Anlass genug sein, den Druck auf Indonesiens Justiz zu verstärken, um endlich das Verfahren neu aufzurollen und die wahren Täter sowie deren Hintermänner ans Licht zu bringen und zur Verantwortung zu ziehen. <>