Herbsttagung des Doktorandennetzwerks Indonesien 2010
Asien, Nr. 118, Januar 2010
Humboldt/Freie Universität, Berlin, 05. – 07. November 2010
Die diesjährige Tagung des Doktorandennetzwerks Indonesien (organisiert von Mechthild von Vacano, Boryano Rickum und Thomas Stodulka) nahm ihren Auftakt mit einer Podiumsdiskussion zum Thema Indonesien in den Fängen antidemokratischer Kräfte. Demokratiegefährdende Kräfte haben in Indonesien Hochkonjunktur. Immer mehr islamistische, aber auch christlich-fundamentalistische Tendenzen finden sich in vielen Teilen des Landes auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Politik und Zivilgesellschaft besinnen sich wieder altbekannter ultranationalistischer Werte aus den Tagen der „Alten“ und „Neuen Ordnung“. Die Stigmatisierung von Andersgläubigen, Homosexuellen sowie von politisch Linksstehenden ist längst wieder gesellschaftlich und politisch legitim geworden. Strukturell sichtbar werden diese Entwicklungen etwa bei demokratisch im höchsten Maße bedenklichen Gesetzgebungsverfahren (Stichwort: Pornoaksi), der Entstehung von Parteien und Organisationen mit fundamentalistischen oder faschistischen Zügen, der staatlich verordneten Verbrennung von Büchern, oder etwa der Einführung der Scharia auf kommunaler Ebene, auch außerhalb von Aceh. Greifbar werden diese Tendenzen zudem auch an konkreten Fällen wie der Verhinderung der ILGA-Asia-Konferenz (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) sowie der Schließung der Synagoge in Surabaya. Ist Indonesien zivilgesellschaftlich, politisch oder religiös wirklich auf dem Wege der Radikalisierung oder handelt es sich hierbei um eine eurozentristische Zuschreibung, gar um ein „othering“ nichtwestlicher Lebenswelten? Befindet sich Indonesien derzeit lediglich auf der Spitze einer immer wiederkehrenden Welle landestypischer gesellschaftlicher Entwicklungen? Nach einer kurzen Filmvorführung über den Überfall auf das schwul-lesbische Filmfest Q!fest Jakarta, wurden diese Fragen vom, mit über 40 Gästen sehr gut besuchten, Plenum gemeinsam mit den Referentinnen Alex Flor von Watch Indonesia!, Christine Holike von der Philipps-Universität Marburg, Katerina Valdivia Bruch, Freie Kuratorin und Pipit R. Kartawidjaja von Watch. Indonesia! rege diskutiert.
Am folgenden Tag eröffnete Eric A. Heuser, nach einer Vorstellungsrunde, bei der die Neuzugänge Ronja Eberle, Silke Schwarz und Timo Duile, begrüßt wurden, die Herbsttagung 2010 mit einem sehr offenen, kritischen und selbstreflexiven Erfahrungsbericht. Gegenstand seines Vortrages Friendship in Java. Culture, Social Context and Relatedness – Ein Diss-Projekt und Erfahrungsbericht waren folgende Themen: „Warum überhaupt promovieren?“, „Institutsfindung“, „Themenfindung“, „Anerkennung/Zulassung“, und „Finanzierung“. Abschließend thematisierte Eric A. Heuser seine Ideen, das Promotionssystem für Promovierende „fairer“ zu gestalten: Anstellungsverhältnisse statt Stipendien, bessere Übergänge innerhalb der Ausbildungshierarchie, ein weniger personalisiertes System, und eine Gewerkschaft bzw. Vertretung für/von Doktoranden. Aufgrund oftmals schwieriger Promotionserfahrungen auch weiterer Anwesender, wurde eine lebendige Diskussion entfacht, die letztlich dazu führte, dass sich das Doktorandennetzwerk Indonesien geschlossen den Forderungen des Templiner Manifests der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft anschließt (www.gew.de).
Kristina Großmanns Vortrag Rechts-Hybridität: Syariat Islam als Zukunftsmodell in Aceh? – Handlungsspielraum von Aktivistinnen in der Schaffung islamischen Rechts gab einen interessanten Einblick in das gegenwärtige Rechtssystem Acehs und diskutierte die provokante Frage, ob Aktivistinnen in diskursiver Weise nicht auch an der Rechtfertigung, Erhaltung bzw. Schaffung von ultra-orthodoxen Rechtssystemen beteiligt seien. Das interkulturelle Vergleichsprojekt zu Vergangenheitsarbeit in Sierra Leone und Timor Leste von Eva Ottendörfer widmete sich der komplexen Verquickung universaler Konzepte von Wiedergutmachung und Versöhnung und ihrer lokalen Anwendung. Ronja Eberles Vortrag zu Leitkulturdebatten auf Indonesisch — Nationale Identitätskonstruktionen in indonesischen Mediendebatten zum Gesetzesentwurf gegen Pornograße und pornografisches Handeln. Eine Diskursanalyse rhetorischer Modi löste eine sehr inspirierende Diskussion zum „Leitkulturbegriff“ und sozialwissenschaftlicher Methodik aus, bevor Silke Schwarz mit ihrer interdisziplinären Studie Subjektive Rekonstruktionen von Gender-Beziehungen im Prozess auf dem ländlichen Java eine weitere Facette sozialwissenschaftlicher Methodik und interdisziplinärer Epistemologie zur Diskussion stellte, und einen sehr aufschlussreichen und unterhaltsamen Teil der Herbsttagung abrundete. Im Zentrum des letzten Tages stand zunächst Organisatorisches, bevor Eva Streifeneder den Teilnehmerinnen mit ihrem Vortrag Von der Dissertation zur Publikation – Wege und Wissenswertes einen fundierten Einblick in wissenschaftliches Publizieren vermittelte. Aus aktuellem Anlass wurde abschließend ein Spendenaufruf für die Opfer des Ausbruchs des Vulkans Merapi nördlich von Yogyakarta ins Leben gerufen und die Arbeit in Kleingruppen zu den Themen „Gender“ und „Interdisziplinarität – Pro und Contra“ kurzfristig bis auf weiteres verschoben. Neben der sehr gut besuchten Podiumsdiskussion am ersten Abend und vielen interessanten Promotionsvorhaben zu Indonesien ist im Besonderen eine Tendenz zu zunehmender Interdisziplinarität und der aktiven Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse festzustellen und zu begrüßen. Die Teilnehmerinnen bestätigten noch einmal den „Werkstattcharakter“ der Tagung, der es allen Beteiligten ermöglicht, Ergebnisse, Fragen und Methodik in allen Stadien der Dissertation zu diskutieren. Die Herbsttagung des Doktorandennetzwerkes 2011 findet voraussichtlich in Hamburg statt, und wird von Vera Altmeyer und Gunnar Stange organisiert. <>
Thomas Stodulka