Information und Analyse

Indonesischer Menschenrechtspreis für zwei engagierte Frauen

Watch Indonesia!, 10. Dezember 2001

Preisträgerinnen des alljährlich zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember verliehenen Yap Thiam Hien Award sind in diesem Jahr Suraiya Kamaruzzaman aus Banda Aceh und Ester Yusuf Purba aus Jakarta. Der Direktor des Menschenrechtsinstituts YAPUSHAM, Todung Mulya Lubis, begründete die Entscheidung des Preiskomitees am Freitag mit der Feststellung, die beiden Aktivistinnen hätten ihr Leben der Verteidigung der Menschenrechte von Frauen verschrieben.

Suraiya Kamaruzzaman arbeitet für die Organisation FLOWER ACEH, die sich konsequent und zum Teil unter hohen Risiken für die Rechte von Frauen in der Krisenregion Aceh einsetzt. FLOWER  ACEH betreut Kriegswitwen und Frauen in Flüchtlingslagern, verteidigt die Rechte von Frauen gegen zunehmend patriarchale Tendenzen und leistet Unterstützung bei einkommensfördernden Projekten für Frauen auf den Dörfern. Suraiya setzt sich vehement für eine Beteiligung der Zivilgesellschaft und hier insbesondere der Frauen an den Friedensverhandlungen zwischen Regierung  und der Unabhängigkeitsbewegung GAM ein, „weil die Mehrzahl der Leidtragenden dieses Konfliktes Frauen sind.“

Das Engagement von Ester Jusuf Purba gilt der Überwindung der Diskriminierung von Minderheiten, insbesondere der ethnischen Chinesen. Zusammen mit ihrem kürzlich verstorbenen Mann baute sie die Organisation SOLIDARITAS NUSA BANGSA (SNB) auf. SNB untersucht die Ursachen rassistischer Gewalt wie beispielsweise die Massenvergewaltigungen an ethnischen Chinesinnen im Mai 1998. Darüber hinaus publiziert SNB eine Schriftenreihe, die der indonesischen Gesellschaft in verständlicher Form Vergleichsmöglichkeiten zu Formen der Diskriminierung in anderen Teilen der Welt, wie bspw. die Judenverfolgung im Dritten Reich oder das Apartheidsregime in Südafrika, näher zu bringen versucht. SNB erarbeitete auch den Entwurf für ein indonesisches Anti-Diskriminierungsgesetz, der zurzeit im Parlament beraten wird. Daneben ist Ester Yusuf Purba in Zusammenarbeit mit der Operorganisation YPKP an der Aufklärung und Beweissicherung der Massenmorde beteiligt, denen 1965/66 nach der Machtübernahme Suhartos schätzungsweise eine Mio. Menschen zum Opfer fielen.

Watch Indonesia! gratulierte Suraiya Kamaruzzaman und Ester Yusuf Purba in einem Glückwunschschreiben zum Empfang dieses angesehensten indonesischen Menschenrechtspreises. Beide Preisträgerinnen stehen in gutem Kontakt mit Watch Indonesia!. Suraiya besuchte uns 1999, Ester Jusuf Purba im Jahr 2000 in Berlin und es fanden mehrere Gegenbesuche in Indonesien statt.

Anlässlich des Besuches von Suraiya Kamaruzzaman in Berlin entstand der nachfolgende Artikel im Wiener Standard.

Alex Flor
Watch Indonesia!


DER STANDARD, Samstag/Sonntag, 12./13. Februar 2000

Das Schweigen ist gebrochen

Aceh im Nordwesten Indonesiens will endlich frei sein: Eine Aktivistin berichtet. Gehört hatte Suraiya Kamaruzzaman davon, dass in Aceh immer wieder Menschen gewaltsam zu Tode kamen. Doch niemand wollte offen darüber reden, und so blieben diese Vorkommnisse fern ihrer eigenen Lebensrealität. Bis zu jenem Tag im Jahre 1991, als sie, damals Studentin der technischen Chemie und Praktikantin bei Mobil Oil, wie jeden Freitag im Bus nach Hause fuhr. Plötzlich sah sie da am Straßenrand ein paar Leichen liegen. Sie waren ganz offenkundig keine Unfallopfer. Wer aber waren sie? Was konnte passiert sein?

Suraiya bedrängte ihre Freunde: Dahinter stünden Soldaten von außerhalb Acehs, die von Jakarta hierher in den Nordwesten der indonesischen Insel Sumatra geschickt werden, um Widerstandskämpfer zu jagen, erzählten die Kommilitonen schließlich und forderten von Suraiya tausend Schwüre, dass sie mit niemand darüber reden würde. Die Freunde gestanden ihr, sie selbst hätten Angst, nach Hause zu fahren in ihre Dörfer in Nordaceh, wo solche Vorfälle häufig waren.

Bis zu jenem Tag, erzählt Suraiya, „war mein Wissen geprägt von dem, was in der Zeitung stand. Bisweilen habe sie von „Rebellen“ gelesen, deren Festnahme das Militär als Erfolg wertete. Doch dass Aceh wegen einer bewaffneten Widerstandsbewegung seit Ende der 80er Jahre unter Militärverwaltung („Dom“) stand, war ihr nicht bewusst. „Der Begriff wurde in den Medien nicht erwähnt.“ Aceh, das war bis dato einfach eine Provinz Indonesiens gewesen, wie jede andere auch. Keiner sprach offen über die einst versprochene, nie gewährte Autonomie, die Ausbeutung der reichen Ressourcen ohne adäquate Entschädigung oder die Unabhängigkeitsforderungen der bewaffneten „Bewegung für ein Freies Aceh“ (Gam).  Nun wusste Suraiya mehr, war aufgenommen in einen Kreis von Studenten, die Informationen hatten. Doch was tun mit dem Wissen? Natürlich wollten sie und ihre Freunde etwas unternehmen, doch wie, wenn klar war: Namen nennen, ob von Dörfern oder Personen, kam nicht in Frage. Nur im muslimischen Studentenverband begann ein kleiner Kreis „ganz primitive Todeslisten aufzustellen, mit den Namen der Personen, deren Herkunftsdorf, Geburts- und Todesdatum“. Dass sie gewaltsam umgekommen waren, durfte nicht vermerkt werden. „Die Listen entsprachen keinen Standards, davon hatten wir keine Ahnung, auch nicht davon, wer außerhalb Acehs sich dafür interessieren könnte. Die NGOs in der Provinz, auch Suraiyas eigene „Flower Aceh“, die einkommensfördernde Projekte für Frauen betreut, ließen aus Angst die Finger von allem, was politisch heikel war.“ Dennoch: Die Studenten wollten in einige Dörfer, wo es schlimm zugehen sollte. Am einfachsten war es stets, sich offen als Studenten erkennen zu geben, die sich sozial engagieren wollten. Da wurde man vom Bürgermeister meist gut aufgenommen, was auch diesmal im ersten Dorf der Fall war. Doch über der Gastfreundschaft lag die Angst. „Tragt bloß nichts nach außen, was ihr hier mitkriegt, das bekommen wir doppelt zurück.“

Ins nächste Dorf zu gelangen, war schon komplizierter, denn auf dem Weg lag ein Militärcamp, wie Suraiya heute weiß, eines der größten in der Region. Jeder Schritt wurde da registriert. Es galt, einen Umweg zu machen. In der Gegend gab es aber auch eine Basis des Widerstands, da soll man ebenfalls nicht zu nahe hin. Die Studenten entschieden sich diesmal für die Tarnung als Ausflügler auf dem Weg zu einem Stausee, wo sie durch das zweite Dorf mussten. Doch, erzählt Suraiya: „Vergiss die Kontaktaufnahme. Die Menschen verkrochen sich in ihre Häuser und verriegelten die Türen“.

Zwei Monate später – der nächste Versuch: Wieder war es unmöglich, in ein Haus zu kommen. „Das gelang erst über Privatkontakte. Zufällig hatte eine Studentin eine Großmutter in dem Dorf.“ Aber über harte politische Themen reden? Diese Mauer des Schweigens, die verschlossenen Türen, die Dörfer, in denen jeder Fremde meidet – das, sagt Suraiya, ist nicht Teil der Kultur von Aceh. Das gibt es nur dort, wo das Militär wütet.

Mit dem Druck für politische Reformen im Land, der im Mai 1998 Langzeitdiktator Suharto zum Rücktritt veranlasste, ist auch in Aceh manches in Bewegung geraten. Der militärische Ausnahmezustand wurde aufgehoben, Untersuchungskommissionen eingerichtet und Massengräber ausgehoben, „und die Leute möchten jetzt, dass die Dinge öffentlich werden.“ Doch die Armee wurde nicht abgezogen, ein Ende der militärischen Gewalt ist nicht absehbar. An Stelle des von den Acehnesen geforderten Referendums über eine Unabhängigkeit will Jakarta nur ein Votum über Autonomie und die Einführung strengen islamischen Rechts zulassen. „Eine eigene islamische Gesetzgebung hat niemand in Aceh gefordert. Damit wird nur vom echten Problem abgelenkt“, sagt Suraiya. „Ja, die Menschen in Aceh sind streng muslimisch, aber das hat nichts mit Fundamentalismus zu tun. Wir wollen einfach frei sein.“

Brigitte Voykowitsch []


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