Der lange Schatten des langen Kampfes
DOTG Newsletter, 2/2011, 24. Dezember 2011
http://www.osttimor.de/images/stories/pdfs/Newsletter/Newsletter_2011-2.pdf
Ein Ausblick auf das Wahljahr 2012
von Henri Myrttinen
In der ersten Jahreshälfte 2012 stehen in Osttimor wieder Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. Bei den Wahlen wird das dritte Parlament seit der Unabhängigkeit und zum dritten Mal der Präsident gekürt. Obwohl das Wahldatum noch nicht feststeht (voraussichtlich werden die Präsidentschaftswahlen im April-Mai stattfinden, die Parlamentswahlen im Juni), hat der Wahlkampf schon inoffiziell 2010 angefangen.
Verdeckte Karten
Gerüchte über mögliche Kandidaturen und Koalitionen machen zumindest in Dili munter die Runde, während sich Präsident José Ramos-Horta und Premierminister Xanana Gusmão, die wie kein anderes Duo die Politik Osttimors bestimmt haben, noch bedeckt halten. Ramos-Horta hat zwar schon mehrmals angedeutet, eigentlich nicht kandieren zu wollen, aber sich noch umstimmen zu lassen, falls das Volk es so will. Ähnlichen Argumentationen ist er bereits bei vorherigen Wahlen gefolgt. Auch Xanana hat sich von seinem ursprünglich geäußerten Plan, einfacher Kürbisfarmer und Dichter statt Politiker zu werden, längst verabschiedet.
Offen um die Präsidentschaft kandidiert inzwischen der ehemalige Armeechef Taur Matan Ruak (bürgerlich José Maria Vasconcelos), der im September 2011 von seinem Posten zu Gunsten einer Kandidatur zurücktrat. Auch der ehemalige Innenminister Rogerio Lobato hat sein Interesse an einer Kandidatur bekundet. Dass der Untersuchungsbericht der UN zur politischen Krise 2006 vor allem Lobato, aber auch in geringerem Maße Taur Matan Ruak gegenüber schwere Vorwürfe erhebt, wird im Vorwahlkampf bisher nicht thematisiert.
Als weitere mögliche Bewerber gelten Parlamentspräsident Fernando „Lasama“ de Araújo von der Partidu Demokratiku (PD) und Francisco „Lu Olo“ Guterres von der Fretilin, die bereits 2007 erfolglos für das Amt kandidiert hatten. Drei Urgesteine der politischen Szene Osttimors, die sich jedoch mit wenig Aussicht auf Erfolg noch am Rennen beteiligen könnten, sind Francisco Xavier do Amaral (ASDT), Manuel Tilman (KOTA) und Abílio Araújo (PNT). Es wird in Dili auch über eine mögliche Kandidatur der wegen Korruptionsvorwürfen nicht unumstrittenen Justizministerin Lúcia Lobato gemunkelt. Um die Mitte 2011 angekündigte Kandidatur und Parteigründung von Angelita Pires, der ehemaligen Geliebten des meuternden Majors Alfredo Reinado, ist es jedoch still geworden.
So lange sich Ramos-Horta und Gusmãos Partei CNRT nicht auf eine Kandidatur des ersteren mit Unterstützung des Zweiten einigen, bleibt das Rennen vorerst offen. Obwohl Taur Matan Ruak sicherlich viel Unterstützung genießt, sind weder er noch die von ihm maßgeblich geprägte Armee ganz frei von Widerspruch, wie es oft beschworen wird, insbesondere was ihre Rolle in der Krise 2006 betrifft, in der Taur Matan Ruak von manchen aus den Westteilen des Landes als Scharfmacher gesehen wurde. Falls Taur Matan Ruak als Präsident und Xanana Gusmão als Premierminister das Rennen machen, wären damit auch zwei ex-Guerrillaführer aus dem bewaffneten Widerstand an der Spitze des Staates. Aus ihrer Widerstandszeit verfügen beide weiterhin über starke Seilschaften innerhalb und außerhalb der Sicherheitskräfte, was sich nachträglich auf eine transparente Übersicht dieses Sektors auswirken könnte.
Altherrenklub
Ein Thema, das öfters im Zusammenhang mit den Wahlen thematisiert worden ist, ist der Generationenwechsel. Wird die „Generation 74/75“ weiterhin die Geschicke des Landes führen, wie schon seit dem Ende der portugiesischen Kolonialmacht 1974-75? Oder ist es Zeit für Jüngere, wie zum Beispiel Lasama, der mit 48 Jahren jedoch auch schon fast dreimal so alt ist wie die/der DurchschnittsosttimoreIn? In einer Reihe von Treffen die der Bischof von Baucau, Basílio do Nascimento organisierte, waren die „historischen Führer“ der Nation Gusmão, Ramos-Horta, Mari Alkatiri, Mario Carrascalão, José Luis Guterres, Taur Matan Ruak, Lu Olo und Fransisco Xavier do Amaral eingeladen, um über die Wahlen und die Zukunft des Landes zu diskutieren. Außenvor blieben jüngere Politiker und Frauen, was in Osttimor erst einmal als ein schlechtes Omen für einen Generationenwechsel ausgelegt wurde.
Bei den Parlamentswahlen wird voraussichtlich ein Zweikampf zwischen Gusmãos CNRT und der oppositionellen Fretilin im Mittelpunkt stehen, wobei in Dili auch schon über eine mögliche Zusammenarbeit zwischen Gusmão und seiner ehemaligen politischen Heimat gemunkelt worden ist. Fretilin wird versuchen, ihre Stammgebiete im Osten des Landes zu halten und in anderen Landesteilen wieder Fuß zu fassen. Die CNRT wird absehbarerweise auf ihr Zugpferd Xanana setzen, der seinen Amtsbonus einzusetzen weiß. Obwohl sich beide Seiten während der letzten viereinhalb Jahre im Parlament politisch wenig geschenkt haben, ist ein radikaler Kurswechsel auch bei einem Sieg der Fretilin nicht zu erwarten. Auch wenn die Fretilin Teile der Wirtschafts- oder Erinnerungspolitik der AMP kritisiert, hat sie sich jedoch nicht konkret für eine Änderung dieser Politik ausgesprochen.
Schwierig kann es für die kleineren Parteien von Gusmãos AMP-Koalition werden. Der Premierminister ist während der vergangenen Legislaturperiode nicht gerade zimperlich mit mehreren ihrer Führungspersönlichkeiten umgegangen. Einige von ihnen, so zum Beispiel Zacharias da Costa, Mario Carrascalão oder José Luis Guterres, wurden von Xanana sehr öffentlich demontiert. Mit Interesse wird sicherlich auch die Entwicklung der PD betrachtet werden. Sie visiert eine Übernahme des 2007 von Fretilin gewonnenen Distrikts Suai (Covalima) an, während die Fretilin die PD Hochburg Ermera einnehmen möchte. Fernanda Borges’ PUN wird wahrscheinlich versuchen, sich vor allem bei jüngeren, urbanen und gebildeten Wählerschichten zu etablieren. Neu an den Start geht die Frenti Mudansa, welche sich von der Fretilin abgespalten hat und sich als deren Reformflügel präsentiert.
Der Lange Schatten der Vergangenheit
In der sich schnell verändernden politischen Debattenkultur Osttimors ist es immer schwer vorauszusagen, welche Themen im Zentrum des Wahlkampfes stehen werden. Was jedoch absehbar ist, ist eine politische Mobilisierung der Erinnerung an den Unabhängigkeitskampf. Einen Vorgeschmack darauf gab Taur Matan Ruak, der seine Kandidatur an einem äußerst symbolträchtigen Ort bekannt gab – am Grab seines Vorgängers als Falintil-Kommandeur, Nino Konis Santana. In seiner Ansprache beschwor er unter anderem die Einigkeit des Landes und die Erinnerung an den Widerstandskampf. Unter den voraussichtlichen BewerberInnen auf das Präsidentenamt kann er neben Lu Olo als einziger auf eine langjährige Guerrillaerfahrung verweisen und sieht sowohl seine Armeekarriere als auch die Präsidentschaftskandidatur als eine Fortsetzung diese „Kampfes für das Volk“ an. Er zielt dabei unter anderem auf die zunehmend einflussreichen Veteranen im Lande, baut aber auch Brücken zu den von ihm entlassenen Petitionären von 2006. Ihren ehemaligen Anführer, Gastão Salsinha, hat er explizit als seinen „Freund aus dem Widerstand“ bezeichnet. Die Beschwörung des Widerstandes, an dem auch Xanana sich oft beteiligt, kann einerseits als eine Legitimierungsstrategie, andererseits als Mobilisierungsstrategie betrachtet werden. Die Teilnahme am Widerstand prädestiniert die „Generation 74/75“ quasi zur Führung des Staates, eine Aufgabe, der, so wird es oft impliziert, die „Jungen“ noch nicht gerecht werden. Es werden über diesen Diskurs jedoch nicht nur die Jüngeren ausgegrenzt, sondern auch jene, die nicht aktiv im Widerstand waren. Dazu gehören leider teilweise die meisten Opfer des Krieges und der Okkupation. Einflussreiche Veteranen im Parlament blockieren dort eine Gesetzesvorlage über Reparationen für Opfer bevor 75 % aller Veteranen finanziell kompensiert worden sind – was bei über 200.000 Anträgen von vermeintlichen Veteranen mindestens mehrere Jahre dauern wird. Andererseits bieten die Veteranenverbände ein großes Potential an Wählern für diejenigen, die sie zu mobilisieren wissen. „Niemand,“ meinte ein Oppositionspolitiker Mitte des Jahres in einem vertraulichem Gespräch, „kann es sich derzeit leisten Politik gegen die vermeintlichen Interessen der Veteranen zu machen.“ <>Maaf, halaman ini tidak ada dalam bahasa Indonesia.
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