Putsch ohne Panzer

Jungle World, 01. August 2001

 

Der Machtwechsel in Indonesien stärkt das Militär und die Kräfte der Suharto-Diktatur  –
doch Wirtschaftsvertreter und westliche Staaten unterstützen die neue Präsidentin Megawati.

Von Alex Flor

Jungle WorldEinhellig wird der Machtwechsel in Jakarta als Erfolg des Militärs und der alten politischen Elite der Ära unter Diktator Suharto gewertet. Während Kritiker die Ablösung von Präsident Abdurrahman Wahid durch die bisherige Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri am Montag vergangener Woche als „kalten Putsch“ verurteilen, zeigt sich das bürgerliche Lager froh darüber, dass der Regierungswechsel von keinerlei gewaltsamen Zwischenfällen begleitet war. Megawati Sukarnoputri, die schweigsame und oft als unpolitisch bezeichnete, aber in der Bevölkerung beliebte Symbolfigur der Reformbewegung, erfüllt in idealer Weise die Rolle eines demokratischen Deckmäntelchens, hinter dem sich das konsolidierte Lager der alten Suharto-Kräfte verstecken kann, um wirklichen Reformen Einhalt zu gebieten. Während Präsident Wahid – wenngleich erfolglos – immerhin versuchte, das Militär an die Kandare zu nehmen und eine friedliche Lösung der eskalierenden regionalen Konflikte zu suchen, steht Megawati für einen streng nationalistischen Kurs, der dem Militär freie Hand lässt. Die Lage in den Provinzen Aceh und Irian Jaya (Papua) hat sich in den vergangenen Wochen bereits extrem verschärft. Vergeblich wartete man in Megawatis Antrittsrede auf Stichworte wie Demokratisierung und Achtung der Menschenrechte. Eine juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit ist in weite Ferne gerückt. Doch der Machtwechsel war unvermeidlich, nachdem die Regierung Wahid in 20 Monaten keine Erfolge im Kampf gegen die drängenden Probleme wie schwächelnde Wirtschaft, zunehmende Verarmung, Schuldenkrise, Separationsbewegungen, regionale Unruhen und mangelnde Rechtssicherheit aufweisen konnte. Wahids Partei PKB hatte bei den Wahlen 1999 nur 12 Prozent der Stimmen gewonnen. Um sich dennoch auf Mehrheiten stützen zu können, holte er Politiker aller Fraktionen an den Kabinettstisch – und machte sich damit erst recht handlungsunfähig. Wahids Gegner – allen voran der Präsident der Beratenden Volksversammlung (MPR), Amien Rais, ließen keine Gelegenheit aus, seine Politik zu torpedieren. Die wenigen politischen Entscheidungen traf der Präsident oft gegen den Willen der Parlamentsmehrheit, was ihm den Ruf einbrachte, sich als autoritärer Herrscher zu gebärden. Die Regierung verlor zunehmend an Sympathie. Einst reformfreudige Studenten schlugen sich auf Seiten seiner Gegner, in der Bevölkerung begann man sich nach der „guten alten Zeit“ unter Diktator Suharto zu sehnen, als Reis billig und die Straßen sicher waren. Seit über einem Jahr sägten die Gegner Wahids an seinem Stuhl. Äußere Anlässe waren seine angebliche Verwicklung in zwei Korruptionsskandale, gefolgt von der umstrittenen Entlassung zweier Minister. Für ersteres fanden sich keinerlei Anhaltspunkte, letzteres geriet schlicht in Vergessenheit. Dennoch wurde am Amtsenthebungsverfahrens festgehalten. „Diese beiden Fälle sind nicht mehr der Punkt. Wir werden unsere Position nicht ändern, da wir uns nun mehr auf politische Angelegenheiten wie Führungsqualität und Kompetenz konzentrieren,“ erklärte der Abgeordnete Alvin Lie von Amien Rais´ Partei PAN. Wahid drohte mehrfach mit der Verhängung des Ausnahmezustandes. Rais erklärte, umgehend das Amtsenthebungsverfahren durch eine vorgezogene Sondersitzung der MPR zu beschleunigen, falls Wahid diese Drohung wie angekündigt am 20. Juli wahr machen sollte. Die an jenem Tag verkündete Verschiebung des Ausnahmezustandes hinderte Rais freilich nicht daran, seinen Plan gleich am nächsten Tag umzusetzen. Die Begründung für die Sondersitzung war nun die Vereidigung eines umstrittenen neuen Polizeichefs durch Wahid am Vortag. Wahid und die PKB  bezeichneten die Sitzung als „illegal“, da es allein darum gehe, den Präsidenten um jeden Preis abzusetzen. Wahids Weigerung, sich vor der MPR zu rechtfertigen, ließ seine Amtsenthebung und die Wahl Megawatis zur reinen Formsache werden. Das in letzter Minute doch noch erlassene Dekret zur Verhängung des Ausnahmezustandes, der Auflösung des Parlamentes und der ehemaligen Regierungspartei Suhartos, Golkar, wurde schlicht ignoriert. Somit blieb die befürchtete Verfassungskrise aus. Mit Ausnahme Wahids und der PKB beeilten sich alle relevanten Kräfte im In- und Ausland, Megawati anzuerkennen, um die Lage zu stabilisieren. Die Ernennung Megawatis zur Präsidentin „klärt die politische Situation in Jakarta“, heißt es in einer vom belgischen Außenminister Louis Michel verlesenen EU-Stellungnahme. Devisenhändler belohnten Megawatis Wahl mit einem Kursanstieg der Rupiah von mehr als 10 Prozent. Ein Trend zu weiteren Kurssteigerungen zeichnet sich jedoch zunächst nicht ab, die Finanzmärkte warten auf die Regierungsbildung. Spannender als die Wahl Megawatis war die darauf folgende Kür des neuen Vizepräsidenten. Für dieses Amt standen immerhin fünf Kandidaten zur Wahl. Keiner von ihnen ist ein progressiver Reformer, alle blicken auf Erfahrungen als Minister unter Suharto, dessen Nachfolger B.J. Habibie und Wahid zurück. Die unterlegenen Kandidaten werden ausnahmslos als potenzielle Mitglieder des Kabinetts gehandelt, dessen Bildung für diese Woche erwartet wird. Während Wirtschaftsvertreter auf professionelle Technokraten hoffen, deutet vieles darauf hin, dass Megawati den Fehler Wahids wiederholen und die Posten nach Proporz an alle Parlamentsfraktionen verteilen wird. Im letzten Wahlgang siegte der Vorsitzende der islamisch-konservativen Vereinigten Entwicklungspartei (PPP), Hamzah Haz, über den Golkar-Fraktionsvorsitzenden Akbar Tandjung. Susilo Bambang Yudhoyono war bereits im zweiten Wahlgang ausgeschieden, obwohl er Meinungsumfragen zufolge weitaus beliebter als Haz und Tandjung ist. Ein Sieg Tandjungs hätte wohl die Gemüter erhitzt, gilt er doch am offenkundigsten als Repräsentant des Suharto-Regimes. Hamzah Haz sitzt seit 1971 für die PPP, eine ehemalige Blockpartei der Suharto-Diktatur, im Parlament. Er und seine Partei waren 1999 maßgeblich für die Kampagne verantwortlich, die mit der Begründung, eine Frau könne nicht Präsidentin eines islamischen Staates werden, die Präsidentschaft Megawatis verhinderte und stattdessen Wahid ins Amt hievte. Man darf gespannt sein, wie Megawati und ihr Vize zusammenarbeiten können. Nach den monatelangen Schmähungen der Regierung Wahid in den Medien blieb die Begeisterung nach dem Machtwechsel aus. Selbst in Megawatis Hochburgen wie Bali gab es keine Siegesfeiern. Ebenso verhalten blieben die Solidaritätsbekundungen der Wahid-Anhänger, die ihr Idol vom Palast abholten um ihn zum Flughafen zu begleiten. Nachdem er zuvor angekündigt hatte, den Palast nicht zu räumen, flog Wahid am vergangenen Donnerstag zu einem Gesundheitscheck in die USA und versuchte so, sein Gesicht zu wahren. Die relative Ruhe in der Bevölkerung ist nicht, wie viele Kommentatoren glauben, Beweis für die Verfassungskonformität des Machtwechsels und eine funktionierende Demokratie, sondern vielmehr Ausdruck der zunehmenden Politikverdrossenheit. Die meisten Indonesier glauben nicht mehr daran, dass die politischen Ränkespiele etwas mit ihnen zu tun haben könnten.   <>


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