Aceh
Bundeszentrale für politische Bildung, 07. Januar 2014
http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54777/aceh
Dossier
Innerstaatliche Konflikte
von Patrick Ziegenhain
Der Friedensprozess in der indonesischen Provinz Aceh ist eine Erfolgsgeschichte. Seit einigen Jahren verstärken sich jedoch neue Formen politisch motivierter Gewalt. Sie sind nicht mehr gegen die indonesische Zentralregierung gerichtet, sondern Ausdruck von Machtkämpfen im Umfeld der dominierenden Partai Aceh.
Die gegenwärtige Situation
Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der indonesischen Provinz Aceh sind nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der acehnesischen Befreiungsbewegung GAM (Gerakan Aceh Merdeka, Bewegung für ein Freies Aceh) und der indonesischen Zentralregierung im August 2005 deutlich zurückgegangen. Es gibt viele Anzeichen für einen dauerhaften und stabilen Frieden zwischen den früheren Konfliktparteien. Die vertraglich fixierte Einigung zum Gewaltverzicht wurde auch in der Praxis weitgehend eingehalten. In den über 30 Jahren davor war das Leben in Aceh geprägt vom Guerilla-Krieg der GAM gegen die indonesische Armee, der zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen und Morden auf beiden Seiten führte.
Die Wahlen zu den wichtigen politischen Ämtern des Provinzgouverneurs, des Provinzparlaments (DPRA) und der Distriktchefs (Bupati) im Dezember 2006 und April 2009 waren insgesamt ein Erfolg, da sie weitgehend frei und fair verliefen und relativ gemäßigte Kräfte politische Verantwortung erhielten. Wichtig bei der Wahl des Gouverneurs und des Provinzparlaments war das Zugeständnis der indonesischen Zentralregierung, anders als in allen anderen Provinzen Indonesiens, zu den regionalen Wahlen in Aceh auch lokale Parteien und unabhängige Kandidaten zuzulassen.
So erhielt die Aceh-Partei (Partai Aceh), die sich als politische Nachfolgeorganisation der GAM versteht, bei den Provinzparlamentswahlen im April 2009 knapp unter 50% der Stimmen und damit eine sehr starke Position. Diese hat sie in den letzten Jahren jedoch für einen zunehmend autoritären Führungsstil genutzt. Erster Gouverneur des autonomen Aceh wurde im Jahr 2006 mit Yusuf Irwandi ein früherer GAM-Aktivist, der sich jedoch bald mit der Partei Aceh überwarf und einen unabhängigen Regierungsstil pflegte. Markant an seiner Regierungszeit waren der Widerstand gegen eine weitere Islamisierung Acehs sowie die Einführung einer flächendeckenden Gesundheitsversicherungskarte.
Da Yusuf Irwandi bei den ursprünglich für November 2011 angesetzten Gouverneurswahlen wieder antreten wollte, drohte die Partai Aceh, die inzwischen mit Zaini Abdullah einen neuen Kandidaten aufgestellt hatte, mit Wahlboykott. Im Umfeld des Protests der Partai Aceh gegen den unabhängigen Kandidaten Yusuf Irwandi kam es zu politisch-motivierten Gewalttaten gegen dessen Anhänger, bei denen über 10 Menschen ermordet wurden. Dreimal wurde die Wahl verschoben, bis am 12. April 2012 Zaini Abdullah mit knapp 56% der Stimmen (1,3 Mio.) zum neuen Gouverneur Acehs gewählt wurde. Die Partai Aceh hat inzwischen ein Machtmonopol mit klientelistischen Strukturen entwickelt und kontrolliert das politische und wirtschaftliche Leben Acehs. Auch die Qualität der lokalen Demokratie in Aceh verharrt auf einem niedrigen Niveau.
Sehr bedenklich erscheint auch die Politik der Partai Aceh auf nationaler Ebene. So hat sie Rückendeckung für den Schwiegersohn des ehemaligen indonesischen Diktators Suharto und Ex-General, Prabowo Subianto, angekündigt, der als aussichtsreicher Kandidat bei den nächsten indonesischen Präsidentschaftswahlen Mitte 2014 antreten will.
Für einige Verstimmung in der indonesischen Hauptstadt sorgte im März 2013 ein Lokalgesetz des von der Partai Aceh dominierten Provinzparlaments, die Flagge der inzwischen aufgelösten GAM als offizielle Flagge der Provinz einzuführen. Der indonesische Präsident Susilo Bambang Yudhoyono und der Innenminister Gamawan Fauzi protestierten, weil indonesische Gesetze die offizielle Verwendung separatistischer Symbole verbieten. Sie verlangten innerhalb von 14 Tagen die Rücknahme der Entscheidung und eine offizielle Erklärung der acehnesischen Lokalregierung bis Ende 2013. Inzwischen hat man sich auf eine halbjährige Verschiebung der Erklärung der Lokalregierung zur Flaggenfrage geeinigt.
Erfolge und Fortschritte
Der entscheidende Wendepunkt im Aceh-Konflikt war das Friedensabkommen von Helsinki im August 2005. Unter Vermittlung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari erreichten die beiden Konfliktparteien, die GAM und die indonesische Regierung, durch vielerlei gegenseitige Zugeständnisse einen Kompromiss, der sich bisher als tragfähig erwiesen hat. Im Dezember 2008 wurde Ahtisaari hierfür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Eine gewisse Katalysatorfunktion hatte auch der Tsunami vom Dezember 2004. Durch die internationale Katastrophenhilfe und die Präsenz zahlreicher ausländischer Hilfsorganisationen vor Ort rückte der Aceh-Konflikt in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit.
Der politische Wille beider Seiten, sich an die in Helsinki getroffenen Vereinbarungen des Friedensabkommens zu halten, hat bisher maßgeblich zur Stabilisierung der politischen Situation in Aceh beigetragen. Die einst dramatische Lage der Flüchtlinge hat sich in den letzten Jahren fast vollständig entspannt. Die Integration von ehemaligen GAM-Kämpfern in die Gesellschaft geschah weitgehend reibungslos. Ein exemplarisches Beispiel ist GAM-Gründer Hasan di Tiro, der kurz vor seinem Tod im Jahr 2010 nach Aceh zurückkehrte und die ihm zuvor entzogene indonesische Staatsbürgerschaft wieder annahm, die ihm die gegenwärtige indonesische Regierung unter Präsident Susilo Bambang Yudhoyono angeboten hatte.
Die Chancen für eine länger anhaltende Friedenszeit sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Ein wichtiger Grund hierfür sind die im Friedensabkommen festgehaltenen Regelungen zur Autonomie für Aceh. An die dort getroffenen Kompromisse haben sich bisher alle Parteien gehalten. Dazu gehört auch der Verzicht auf die öffentliche Forderung nach vollständiger Unabhängigkeit von Seiten der Acehnesen. Im Gegenzug hat sich das indonesische Militär weitgehend aus der Provinz zurückgezogen; sie war seit Unterzeichnung des Friedensabkommens in keine größeren gewaltsamen Auseinandersetzungen verwickelt. Die Reintegration politischer Häftlinge verlief weitgehend reibungslos. Auch die wichtige Vereinbarung, dass ein Großteil der lokal erwirtschafteten Öl- und Gaseinkünfte der acehnesischen Provinzregierung zur Verfügung gestellt wird, scheint trotz gelegentlicher Unstimmigkeiten eingehalten zu werden.
Dennoch sind die Folgen des langwierigen Konflikts nicht vollständig überwunden. Der jahrzehntelange Krieg sowie Naturkatastrophen, wie der verheerende Tsunami vom Dezember 2004 oder das Erdbeben im Juli 2013, haben viele Menschen traumatisiert und großen ökonomischen Schaden angerichtet. Aceh gehört zu den ärmsten Gegenden in Indonesien. Im Armutsbericht des indonesischen Statistikamts des Jahres 2012 wird Aceh mit einer Armutsrate von rund 20% der Bevölkerung als sechstärmste von 34 Provinzen des Landes aufgeführt.
Probleme und Defizite
Der Aufbau von effizienten staatlichen Institutionen hat einige Forschritte gemacht, wobei jedoch Korruption und Patronagesysteme in der rohstoffreichen Provinz nach wie vor weit verbreitet sind. In einem im globalen Vergleich als sehr korrupt eingeschätzten Land wie Indonesien gilt Aceh als eine der korruptesten Provinzen.
Die Chancen für eine dauerhafte Überwindung des Aceh-Konflikts werden insbesondere von der weiteren politischen und wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Nur bei einer spürbaren Verbesserung des Lebensstandards wird der Frieden nicht bedroht werden. Ein weiterer Faktor ist die Zukunft der Demokratisierung in Indonesien. In den letzten Jahren hat sich unter Präsident Susilo Bambang Yudhoyono die politische Ordnung weiter stabilisiert. Auch ökonomisch wurden große Fortschritte gemacht. Die globale Finanzkrise 2008/09 überstand das Land weitgehend unbeschadet und ist mit seinen stetigen Wachstumsraten nun auch äußerst attraktiv für ausländische Direktinvestitionen. Die Investmentbank Goldman Sachs prognostizierte, dass Indonesien einer der wichtigsten globalen Wachstumsmärkte ist und bis 2020 zu den 15 größten Volkswirtschaften der Erde gehören wird. Probleme wie die mangelhafte zivile Kontrolle über die nationalen Streitkräfte, Defizite in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz, insbesondere gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten, bestehen jedoch weiter fort.
Ein sehr heikler Punkt für den Frieden in Aceh ist die Aufarbeitung der Vergangenheit. Auf Druck des Militärs hat die indonesische Regierung bisher alle Versuche abgeblockt, Menschenrechtsverletzungen in Aceh juristisch zu ahnden. Viele Menschen wollen jedoch, dass die Täter in Uniform nicht straffrei bleiben. Hier ist keine Lösung in Sicht, und das Gerechtigkeitsgefühl der Acehnesen wird weiter verletzt bleiben. Um aus der Sackgasse herauszukommen, sollten alle Festlegungen des Memorandum of Understanding aus dem Jahr 2005 umgesetzt werden, zu dem auch die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen während der Konfliktzeit und übrigens auch die wirtschaftlichen Probleme gehören.
Ein anderer Aspekt, der gerade bei westlichen Beobachtern für einige Kontroversen sorgt, ist die konsequente Implementierung der Sharia´h-Gesetzgebung in Aceh als Teil der regionalen Autonomie. So müssen Frauen eine streng islamische Kleiderordnung einhalten (Kopftuchpflicht und keine Jeans) und dürfen sich nach Einbruch der Dunkelheit nur noch in Begleitung in der Öffentlichkeit zeigen. Zur Abschreckung werden nach wie vor Menschen wegen Alkoholkonsum und Glücksspiel öffentlich ausgepeitscht. Trotz des Widerstands des früheren Gouverneurs Yusuf Irwandi (2006-2011) wurde diese menschenverachtende Rechtspraxis nicht eingestellt. Zusätzlich überwacht weiterhin eine speziell geschaffene Religionspolizei die Einhaltung dieser Regeln.
Aceh hat als autonome Provinz innerhalb Indonesiens nun die Möglichkeit, seinen eigenen Weg zu gehen, in dem die kulturellen und historischen Besonderheiten ausreichend berücksichtigt werden. Für ein Wiederaufflammen des Konflikts mit der Zentralregierung gibt es daher wenig Anzeichen, auch wenn die Flaggeninitiative des Jahrs 2013 für einige Missstimmung in Jakarta sorgte. Die größten Risiken für neue Spannungen mit der indonesischen Zentralregierung gehen daher von einer möglichen Erneuerung von separatistischen Forderungen von Seiten der Partai Aceh aus.
Literatur und Links
»Gunnar Stange/ Patock, Roman/ Großmann, Kristina (2012): Aceh nach Konflikt und Tsunami – Chancen und Herausforderungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 11-12/2012, S. 37-43.«
»International Crisis Group (2012): Indonesia: Averting Election Violence in Aceh, Asia Briefing No. 135.«
»Aspinall, Edward (2011): Aceh’s no win election, in: Inside Indonesia No. 106.«
»Graf, Arndt/ Schröter, Susanne/ Wieringa, Edwin (2010): Aceh. History, Politics and Culture, Singapore: ISEAS.«
»Stange, Gunnar/ Patock, Roman (2010): From Rebels to Rulers and Legislators: The Political Transformation of the Free Aceh Movement (GAM) in Indonesia, in: Journal of Current Southeast Asian Affairs, Vol. 29, No. 1, S. 95-120.«