1000 Kerzen für Maftuh Fauzi
22. Juni 2008
Indonesiens Studenten trauern um Opfer der Benzinpreisproteste
von Alex Flor, Jakarta
Benzinpreiserhöhungen
Der 24. Mai war das Datum, zu welchem die Regierung Indonesiens die Subvention des Benzinpreises und anderer Brennstoffe auf Erdölbasis aufgrund der massiv gestiegenen Weltmarktpreise ein weiteres Mal zurückfuhr. Benzin wurde um 30% teurer. Steigende Preise für Grundnahrungsmittel und Konsumgüter sind die Folge. Löhne und Gehälter stagnieren. 49 % der Bevölkerung, das sind ca. 115 Mio Menschen, was der Einwohnerzahl Deutschlands, der Niederlande, der Schweiz, Österreichs und Luxemburg zusammen entspricht, leben von weniger als 2 US Dollar am Tag. Was die Preissteigerungen für das Millionenheer der Armen in ihrem täglichen Kampf ums Überleben bedeuten und welche soziale Sprengkraft damit verbunden ist, kann man sich leicht ausmalen. Indonesien ist kein Einzelfall. Ähnliche Bilder wiederholen sich von Haiti über Nepal bis neuerdings nach China. Dennoch glauben viele Indonesier, ihr Land könnte sich dieser globalen Entwicklung entziehen, wenn die Regierung nur den Mut aufbrächte, sich den Interessen des Auslandes zu widersetzen. Schließlich ist Indonesien im Unterschied zu den meisten anderen betroffenen Staaten ein Erdölproduzent. Der vermeintliche Reichtum an natürlichen Ressourcen ist im Denken vieler Indonesier so fest verankert wie der obligatorische Glaube an einen Gott. Dass Indonesien längst über die eigenen Verhältnisse konsumiert und seit Jahren zum Netto-Ölimporteur geworden ist, will man ebenso wenig wahr haben wie die Import-Abhängigkeit von höherwertigen Erdölprodukten. Es war sicherlich kein Zufall, dass die Regierung just wenige Tage vor der Anhebung der Benzinpreise, die Absicht zum Austritt aus der OPEC bekannt gab. Die Hoffnung, den Kritikern damit das Argument aus der Hand zu nehmen, Indonesien verfüge über genügend Erdöl um die eigene Bevölkerung billig versorgen zu können, spielte beim Timing dieses Schrittes zweifelsohne eine Rolle. Denn die Angst der Regierung sitzt tief: Subventionsstreichungen und Preissteigerungen gaben 1998 den Ausschlag für die Protestwelle, welche schließlich Diktator Suharto in die Knie zwang und zum Rücktritt veranlasste.
Polizeiübergriffe auf Protestaktion
Die Angst der Regierung vor ähnlichen Massenprotesten dürfte auch der Grund für das harsche Vorgehen der Polizei auf die Proteste an der UNAS gewesen sein. Es ist das erste Mal seit langem, dass die inzwischen längst an Demonstrationen gewöhnte Polizei in Jakarta derart überreagierte.
Das Thema Benzinpreis ist in aller Munde. Nur mit Mühe gelingt es die Aufmerksamkeit auf andere Themen wie den Streit um das Verbot der Islamsekte Ahmadiyah oder die allgegenwärtige Europameisterschaft abzulenken. Unabhängig von tatsächlichen oder vermeintlichen globalwirtschaftlichen Zwängen ist es sicher legitim und mitunter notwendig, die Regierung an ihre Verantwortung für die arme Bevölkerung zu erinnern. Maftuh Fauzi und seine KommilitonInnen von der Universitas Nasional gehörten zu den ersten, die gegen die neuen Benzinpreise demonstrierten. In der Nacht vom 23. auf den 24. Mai kam es zu Protestaktionen auf dem Campus. Kein Vergleich zu den Bildern, die dieser Tage aus Nepal über die Bildschirme flimmerten, aber auch der Protest an der UNAS war kein ganz friedlicher: Straßen wurden blockiert, Reifen brannten. Als die Polizei anrückte flogen Steine. Die offenbar übernervöse Polizei reagierte mit brachialer Gewalt. Nicht nur, dass sie ebenfalls mit Steinen auf Studenten warf, sie setzte auch Tränengas ein und stürmte anschließend den Campus. Bis 4 Uhr morgens kam es dreimal zu Schlachten zwischen Polizei und Studenten. Es kam zu wüsten Prügelszenen und anderen Misshandlungen seitens der Polizei. 140 Demonstranten wurden vorübergehend festgenommen. Maftuh Fauzi war einer von 31 Studenten, die sich auch eine Woche später noch in Polizeigewahrsam befanden. Dem Vernehmen nach soll es dort zu weiteren Misshandlungen gekommen sein. Maftuh Fauzi hatte bei dem Zusammenstoß an der UNAS einen Schlag auf den Hinterkopf abbekommen. Eine Platzwunde musste genäht werden. Am 18. Juni wurde er aufgrund zahlreicher Beschwerden ins Pertamina-Krankenhaus eingeliefert. Drei Tage später war er tot.
Die Studenten und Aktivisten Jakartas sehen in Maftuh Fauzi einen Märtyrer. Am Freitag rief CCI zu einer Gedenkdemonstration am Kreisverkehr vor dem Hotel Indonesia auf. „1000 Kerzen für Maftuh Fauzi“ lautete das Motto. Etwa eine halbe Stunde später schlossen sich Studenten der UNAS der Aktion an. Die Polizei reagierte mit äußerster Bedachtsamkeit: wohl wissend, dass jeder Uniformierte an diesem Abend nur den Unmut der Demonstranten auf sich ziehen würde, war an dem Kreisverkehr, wo Polizisten an normalen Tagen rund um die Uhr den Verkehr regeln oder Knöllchen verteilen, weit und breit keine Polizei zu sehen. Dennoch – oder gerade deswegen – demonstrierten etwa 1000 Menschen friedlich und diszipliniert mit Kerzen, Blumen und einer Sargattrappe. Wie von selbst beschränkten die Demonstranten ihre Aktion auf die innerste Fahrspur, so dass der Verkehr auf zwei weiteren Spuren weitgehend ungestört passieren konnte. Erst in den späten Abendstunden heizte sich die Stimmung ein wenig auf, so dass auch diese Spuren blockiert wurden und kilometerlange Staus entstanden. Kurz nach 24 Uhr löste sich die Demo ohne weitere Zwischenfälle auf. Sprecher der Kundgebung forderten Polizei und Regierung auf, ihre Verantwortung zu bekennen und die Vorgänge an der UNAS lückenlos aufzuklären. Die nationale Menschenrechtskommission hatte unlängst erklärt, es bestehe Anlass zur Vermutung, dass es an der UNAS zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sei. Der Fall müsse weiter untersucht werden. „Sehr geehrter General SBY, Maftuh Fauzi war nur ein Kind der Nation, der für das Volk Partei ergriff“, lautete ein auf zahlreichen Schildern zu lesender Appell an den Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono (SBY). Die wichtigste Forderung war jedoch die Durchführung einer Autopsie des Leichnams durch ein unabhängiges Expertenteam. Die Diagnose der Ärzte am Pertamina-Krankenhaus hatte die Demonstranten fast mehr erzürnt als die mutmaßliche Ursache in Form des Übergriffs der Polizei. Dem angeblichen Wunsch der Angehörigen, die Leiche ohne vorherige Autopsie auf schnellstem Wege beizusetzen, schenkte vor dem Hotel Indonesia niemand Glauben. Wurde möglicherweise Druck ausgeübt, um Ärzte und Familie zu ihren Äußerungen zu bewegen? Um ihr Ansehen nicht weiter zu gefährden, wäre die Regierung gut beraten, der Forderung nach Aufklärung des Falles oberste Priorität einzuräumen. Die mutmaßlich bittere Wahrheit wäre leichter zu verkraften als der Ruch, dass hier irgend etwas vertuscht werden sollte. Gelingt es der Regierung nicht, ihre Glaubwürdigkeit wieder herzustellen, wird der am Freitag zu hörende Ruf nach Rücktritt in Zukunft noch öfter – und vor allem lauter – zu vernehmen sein. <>