Lebendige Demokratie
Information und Analyse, 07. Oktober 2014
Die drittgrößte Demokratie der Welt begibt sich auf den Weg in eine neue Legislaturperiode
von Alex Flor
Es war erst eine Woche her, dass sich das 2009 gewählte indonesische Parlament (DPR) mit einem Paukenschlag von der Bildfläche verabschiedete. Spät in der Nacht zum Freitag, dem 26.9.2014, beschloss eine Mehrheit der »rot-weißen« Koalition, die im Präsidentschaftswahlkampf den unterlegenen Kandidaten Prabowo Subianto unterstützt hatte, ein Gesetz, welches die Demokratie des Landes um mindestens zehn Jahre zurückwirft, indem es die Direktwahl von RegierungschefInnen auf lokaler Ebene abschafft.
Vor zehn Jahren wurden zum ersten Mal in der Geschichte des Landes BürgermeisterInnen und GouverneurInnen (in etwa vergleichbar mit den MinisterpräsidentInnen und Regierenden Bürgermeistern in Deutschland) direkt vom Volk gewählt. Auch der damalige Kandidat der Partai Demokrat, Susilo Bambang Yudhoyono (SBY), wurde aufgrund ähnlicher gesetzlicher Vorgaben als erster Präsident Indonesiens direkt vom Volk gewählt und fünf Jahre später mit großer Mehrheit im Amt bestätigt. In Jakarta wird dieser Tage lautstark darüber diskutiert, ob die »rot-weiße« Koalition auch die Direktwahl der StaatspräsidentIn wieder abzuschaffen gedenkt. Begründet wurde der Schritt wenig glaubhaft lediglich mit der damit verbundenen Kostenersparnis. Dabei hätte es sogar durchaus diskutable Gründe gegeben, denn gerade die gegenwärtige Situation auf nationaler Ebene zeigt ja deutlich wie die Regierungsfähigkeit darunter leidet, wenn der direkt gewählte Präsident nicht über entsprechende Mehrheiten im Parlament verfügt. Solche grundsätzlichen Überlegungen hätten aber wohl eher gestört, da sie drohten auf das Parlament zurückzufallen. Es zählte alleine der schnelle taktische Erfolg über den neugewählten Präsidenten Joko Widodo.
Das Opferfest
Demokratie kann auch, wie beispielsweise in Deutschland, durch indirekte Wahlen gewährleistet werden. Aber für das indonesische Wahlvolk zählte vor allem, dass es nach vielen Jahrzehnten autokratischer Herrschaft selbst entscheiden konnte, wer an der Spitze der Regierungen aller Verwaltungsebenen stand. Trotz einiger inhärenter Mängel war die Direktwahl somit geeignet, ein demokratisches Bewusstsein im Volk zu verankern: »wir können mitbestimmen!« In einigen Fällen gelang es tatsächlich populäre KandidatInnen zur BürgermeisterIn, zur GouverneurIn oder zuletzt gar zum Präsidenten zu wählen. Zeitlich passend zum islamischen Opferfest, bei dem jedes Jahr unzählige Rinder und Ziegen geschlachtet werden, hat das indonesische Parlament in diesem Jahr beschlossen, ein ganz besonderes Opfer zu bringen: das demokratische Bewusstsein des Volkes soll geschlachtet werden.
Noch-Präsident SBY stellt sich rhetorisch gegen solche Bestrebungen, konnte aber nicht verhindern, dass sich die Fraktion seiner Partai Demokrat im Parlament der Abstimmung entzog und somit der »rot-weißen« Koalition eine klare Mehrheit sicherte. Mittlerweile hat er einen Präsidentenerlass (Perppu) verabschiedet, durch den das neue Gesetz wieder kassiert werden soll. Doch das dient eher der politischen Kosmetik, denn der Perppu muss vom Parlament abgesegnet werden und hat somit wenig Aussicht auf Erfolg.
Bereits kurz zuvor hatten die »Rot-Weißen« ihre Muskeln spielen lassen, indem sie ein Gesetz verabschiedeten, welches bisher geltende Regeln auf den Kopf stellt. Bislang wurde die ParlamentspräsidentIn von der stärksten Fraktion im Haus gestellt, künftig soll er oder sie von den Abgeordneten gewählt werden: auch das ein klarer Affront gegen die Wahlsiegerin PDI-P (Demokratische Partei des Kampfes), der Partei, welcher der neue Präsident Joko Widodo angehört. Die PDI-P verfügt zwar absolut über die meisten Sitze, kann aber derzeit keine parlamentarische Mehrheit hinter sich vereinen. Politische BeobachterInnen kritisieren insbesondere, dass die »rot-weiße« Koalition dieses Gesetz erst zu einem Zeitpunkt zur Abstimmung stellte, als die Mehrheitsverhältnisse der kommenden Legislaturperiode längst feststanden. Es wird somit deutlich, dass auch bei dieser Entscheidung nicht grundsätzliche Überlegungen, sondern kurzfristige Machtinteressen die Antriebsfeder waren. Vergleichbare Regeländerungen wurden auch für die Besetzung der Parlamentsausschüsse (komisi) getroffen.
Ernüchternde Leistungsbilanz
Während das Parlament durch die kurzfristige Verabschiedung der beiden höchst umstrittenen Gesetze unter Beweis stellte, dass es im Zweifelsfall zum schnellen Handeln bereit und fähig ist, erklärte der alte Parlamentspräsident Marzuki Alie (Partai Demokrat), dass es in der vergangenen Legislaturperiode leider nicht möglich war, den gesamten Aufgabenplan abzuarbeiten. Insgesamt seien 126 Gesetze verabschiedet worden, für 129 weitere anhängige Gesetzesvorhaben habe die Zeit nicht gereicht. Für die bereits in diese Vorhaben investierte Zeit bezahlten die BürgerInnen Indonesiens den Abgeordneten leider völlig umsonst ihre Sitzungsgelder, denn es gibt keinen Übergabemechanismus für unerledigte Gesetzentwürfe zwischen dem alten und dem neuen Parlament. Die Arbeit an diesen Entwürfen beginnt also wieder bei Null, wenn sie denn überhaupt noch als wichtig erachtet wird.
Zeigen, wo der Hammer hängt
Am 1. Oktober traf sich das im April 2014 neu gewählte Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung. Unter Leitung der Alterspräsidentin Popong Otje Djundjunan (Partai Golkar) ging es bei dieser Sitzung im Wesentlichen um protokollarische Fragen. Die einzelnen ins Parlament gewählten Parteien waren aufgerufen, bekannt zu geben, welche Fraktion sie im künftigen Parlament darstellen würden, wieviele Mitglieder diese Fraktion präsentieren und wer den Vorsitz dieser Fraktion wahrnehmen würde. Einige Abgeordnete waren jedoch der Meinung, dass vor der anschließenden Abstimmung über die neue ParlamentspräsidentIn erst eine Diskussion über die Änderung der Geschäftsordnung stattfinden müsse. Sie überzogen die Sitzungsleitung mit Zwischenrufen und forderten eine Vertagung der Sitzung. In einer zunehmend turbulenten Sitzung kam der völlig überforderten Alterspräsidentin sogar ihr Sitzungshammer abhanden, sodass ihr sprichwörtlich gezeigt werden musste, »wo der Hammer hängt«.
Ein Video auf Youtube zeigt Ausschnitte aus der konstituierenden Sitzung des Hohen Hauses und gibt auch Leuten, die nicht der indonesischen Sprache mächtig sind, einen wertvollen Einblick in die Lebendigkeit dieser drittgrößten Demokratie der Welt.