FNF – Indonesien ein Jahr vor den Wahlen
Kurz belichtet, 28. August 2013
von Alex Flor
Einen sehr lesenswerten Beitrag über den Zustand Indonesiens im Vorjahr der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen hat Till Möller für die Friedrich Naumann Stiftung jüngst verfasst. Dass der Autor eingangs die wirtschaftlichen Aussichten des Landes überaus positiv beschreibt, darf aufgrund der Entwicklungen der letzten Tage freilich einmal mehr hinterfragt werden. In einer Information & Analyse hatte sich Watch Indonesia! vor wenigen Tagen ausführlich mit dieser Problematik befasst. Auch die Einschätzung der von Megawati Sukarnoputri, einer Tocher des Staatsgründers, angeführten Partei PDI-P lässt aufhorchen: „Im Gegensatz zu den meisten anderen Parteien Indonesiens verfügt die PDI-P über eine loyale und beständige Stammwählerschaft, die ihr über Jahre hinweg die Treue hält.“ Tatsächlich verlor diese Partei in den 14 Jahren seit den ersten freien Wahlen nach Überwindung der Diktatur ca. ein Drittel ihrer Wählerschaft und darf Umfragen zufolge heute nur noch mit ca. 10-13 % der Stimmen rechnen. Aber was bedeutet schon der Verlust von 2/3 der Wählerinnen und Wähler über einen so langen Zeitraum? Die deutsche F.D.P., welcher die Friedrich-Naumann-Stiftung nahe steht, musste ähnliche Verluste in einem weit kürzeren Zeitraum verschmerzen. Aus dieser Perspektive macht die Anmerkung über die stabile Stammwählerschaft der PDI-P möglicherweise Sinn.
Abseits solcher Nebensächlichkeiten benennt Till Möller einige grundlegende Erkenntnisse, die man leider nicht häufig genug wiederholen kann: „Ganz allgemein stellt die Ideologiefreiheit der politischen Parteien Indonesiens eines der größten Probleme für die noch junge Demokratie des Landes dar, denn durch die Bank gilt, dass nahezu alle Parteien größtenteils an Leitfiguren, nicht aber an Themen oder Ideologien orientiert sind. Die Leitfiguren stehen ihrerseits auch nicht stellvertretend für spezifische politische Ideologien, Inhalte oder gar Visionen einer zukünftigen Entwicklung des Landes, sondern bestenfalls für abstrakte Werte wie Kontinuität, Tradition, oder Durchsetzungsvermögen.
Die Programme der Parteien unterscheiden sich mit wenigen Ausnahmen demnach auch nur geringfügig voneinander. Die Wirtschaft soll gefördert, die Armut bekämpft und Bildung wie Infrastruktur sollen ebenfalls verbessert werden. Die Ziele sind klar. Doch auf welchem Weg man sie erreichen möchte, dazu sagen die Parteiprogramme der zehn Parteien, die zur Wahl 2014 zugelassen sind, nur recht wenig.“Programme und Inhalte werden vom Wahlvolk anscheinend auch nicht erwartet. Man sehnt sich eher nach „starken Führungspersonen“ als nach einem starken System. Charisma, Bekanntheit und nicht zuletzt finanzielle Möglichkeiten bestimmen über Erfolg oder Misserfolg der sich zur Wahl ins Parlament stellenden KandidatInnen. Anlässlich einer kürzlichen internen Diskussion bei Watch Indonesia! zog einer unserer Experten daraus gar den Schluss, dass es im Interesse der politischen Parteien durchaus vernünftig erscheine, wenn sie mit Berühmtheiten aus der Film- oder Schlagerszene ins Rennen ziehen, anstatt mit KandidatInnen, die für eine bestimmte politische Programmatik stehen. Dass es mitunter auch anders gehen mag, zeigt Till Möller am Beispiel des derzeitigen Gouverneurs „Jokowi“: ihm gelang es immerhin durch beherztes Eintreten für seine Standpunkte, insbesondere in Sachen Korruption, den Rang eines Popstars zu erlangen. Sollte sich die alternde Dame Megawati dazu durchringen können auf eigene Ansprüche ihrer Familie zu verzichten und „Jokowi“ zum Präsidentschaftskandidaten zu küren, so wäre dessen Wahl nach derzeitiger Lage fast sicher. Aber noch ist es ein Jahr hin. Ein Jahr, in dem noch viel passieren kann.
Nicht wirklich neu, aber aus der Feder eines deutschen Stiftungsvertreters dennoch erfrischend zu lesen ist auch der Hinweis auf die internationale Wahrnehmung des derzeitigen Präsidenten und seiner Politik: „Es ist bemerkenswert, dass auf internationaler Ebene das Bild Indonesiens als mustergültiges Beispiel von religiöser Toleranz in einem mehrheitlich islamischen Land ebenso wenig wie das Image des scheidenden Präsidenten Schaden zu nehmen scheint.“
Friedrich Naumann Stiftung – Für die Freiheit, Nr. 28 / 2013
http://www.freiheit.org/Aktuelle-Berichte/1804c27270i1p/index.html
Indonesien ein Jahr vor den Wahlen
Rund ein Jahr vor den Präsidentschafts- und acht Monate vor den Parlamentswahlen in Indonesien ist noch weitgehend unklar, wer den wirtschaftlich aufstrebenden Archipel in die Zukunft führen wird, analysiert unser Asien-Experte aus Jakarta.
Von Till Maximilian Möller
Der scheidende Präsident Susilo Bambang Yudhoyono darf nach zwei absolvierten Amtszeiten kein weiteres Mal zur Wahl antreten. Nach dem Sturz des autoritären Herrschers Suharto 1998 und der Phase des politischen und gesellschaftlichen Neuanfangs wird mit der Wahl 2014 die zehnjährige Ära der Präsidentschaft Yudhoyonos zu Ende gehen.
Zieht man bereits jetzt, ein Jahr bevor der neue Präsident feststehen wird, Bilanz, so zeigt sich, dass Indonesien am Scheideweg steht. Die Wirtschafsdaten sind vielversprechend. Das Wachstum liegt bei über sechs Prozent, die beständig abnehmende Staatsverschuldung wird voraussichtlich 2013 nur 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Die im September 2012 veröffentlichte Wirtschaftsstudie des McKinsey Global Institute rechnet sogar mit der Möglichkeit, dass die indonesische Wirtschaft derart an Bedeutung zunehmen könnte, dass sie europäische Industrienationen wie Deutschland und Großbritannien bis zum Jahre 2030 überholen könnte.1
Doch ist Vorsicht gegenüber allzu großem Enthusiasmus geboten. Zunehmend protektionistische Maßnahmen haben die indonesische Wirtschaft im zweiten Quartal 2013 um nur 5,9 Prozent wachsen lassen, es ist das schwächste Wachstum seit 2010. Ausländische Investoren, vor allem in der Öl-, Gas-, und Bergbaubranche kämpfen mit neuen restriktiven Regulierungen. So dürfen ausländische Bergbauunternehmen nach zehn Jahren nur mit 49 Prozent an Joint-Ventures mit indonesischen Firmen beteiligt sein. Die Veredelung von Erz muss ab 2014 innerhalb Indonesiens geschehen, die Ausfuhr von Roherz ist dann nicht mehr erlaubt. Ausländische Banken sind mit ähnlichen Restriktionen konfrontiert. Es stellt sich die Frage, ob dieser ökonomische Nationalismus nur darauf abzielt, heimische Unternehmen vor den Wahlen zu stärken, oder ob es sich um eine dauerhafte Verschlechterung des Klimas für ausländische Investoren handelt. Darüber hinaus müssen, um das wirtschaftliche Potential Indonesiens realisieren zu können, mehrere ernste Probleme, mit denen das Land nach wie vor zu kämpfen hat, dringend gelöst werden (u.a. die Korruption). Gelingt dies in den kommenden Jahren nicht, droht der Trend zu kippen. Dies zu verhindern, wird eine der größten Herausforderungen für die Politik und somit den nächsten indonesischen Präsidenten sein.
Wahljahr 2014 – die zwei Phasen des Wahlkampfes und die möglichen Kandidaten
Im April 2014 wird zunächst die Parlamentswahl stattfinden. Parteien sowie Parteienkoalitionen, die mehr als 20 Prozent der Sitze des Parlaments (oder alternativ 25 Prozent der abgegebenen Gesamtstimmen) gewinnen konnten, dürfen im Anschluss einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl benennen. Dies limitiert die Anzahl der Kandidaten automatisch auf ein theoretisches Maximum von fünf Personen.
Da eine Konstellation, bei der tatsächlich fünf Parteien oder Parteienkoalitionen jeweils exakt 20 Prozent der Sitze erhalten, allerdings sehr unwahrscheinlich ist, wird erwartet, dass bei der zwei Monate nach der Parlamentswahl stattfindenden Präsidentschaftswahl nur drei bis maximal vier Kandidaten antreten werden. Diese Kandidaten stellen sich dann, jeweils gemeinsam mit einem Vizekandidaten, dem indonesischen Volk zur Wahl.
Erhält eines der Kandidatenpaare im ersten Wahlgang über die Hälfte der abgegebenen Stimmen, so steht der neue Präsident fest. Ist dies nicht der Fall, kommt es im zweiten Wahlgang zu einer Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidatenpaaren. So ist gewährleistet, dass der Präsident stets durch eine Mehrheit der Wähler legitimiert ist.
Die Unsicherheit, noch keine genauen Konstellationen aus Kandidaten für das Präsidentenamt sowie das des Vizepräsidenten zu kennen, hält die indonesischen Medien nicht davon ab, bereits jetzt unentwegt darüber zu spekulieren, wer wohl der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin werden könnte. Insbesondere vier Namen werden dabei wiederholt genannt und liegen in der Wählergunst vorne.
Weit vorne in der Popularität der Wähler liegt laut einer aktuellen Studie des Center for Strategic and International Studies (CSIS) der erst 2012 ins Amt gewählte Gouverneur von Jakarta, Joko Widodo, genannt „Jokowi“. 29 Prozent der befragten Indonesier gaben auf die Frage, wen sie sich als nächsten Präsidenten wünschen würden, seinen Namen an. Gab man ihnen die Auswahl zwischen Jokowi und den anderen sechs aussichtsreichsten Kandidaten, erhöhte sich dieser Wert auf 35 Prozent. In einer möglichen Stichwahl zwischen Jokowi und dem in der CSIS-Studie zweitplatzierten General Prabowo Subianto würden sich sogar 47 Prozent der Befragten für Jokowi aussprechen, gegenüber lediglich 22 Prozent Zustimmung für Prabowo.
Trotz dieser hervorragenden Umfragewerte bleibt vorerst jedoch fraglich, ob Jokowi 2014 für die PDI-P (Partai Demokrasi Indonesia Perjuangan; zu Deutsch etwa „Indonesische Demokratiepartei des Kampfes“) zur Wahl antreten wird. Dafür bedürfte es zunächst der Zustimmung durch die Parteivorsitzende, Ex-Präsidentin Megawati Sukarnoputri, die womöglich selbst mit einer Kandidatur liebäugelt, sich diesbezüglich aber noch relativ bedeckt hält. Die Jokowi Volunteers, eine Gruppe von Anhängern Jokowis, haben kürzlich eine „Scheinentführung“ von Megawati angekündigt. Die gestellte Entführung – zu ihrer Aufführung wurde die Öffentlichkeit eingeladen – soll Megawati dazu bringen, eine eventuelle Kandidatur Jokowis zu unterstützen. Der Anführer der Jokowi Volunteers, der bekannte Schauspieler und Regisseur Roy Marten, will darüberhinaus 10 Millionen Unterschriften für eine Kandidatur Jokowis sammeln.
Megawati, Tochter des in breiten Bevölkerungsschichten verehrten Staatsgründers Sukarno, die bereits von 2001 bis 2004 das Präsidentschaftsamt inne hatte, hat aber mit der PDI-P die wohl am besten organisierte und am breitesten aufgestellte Partei des Landes hinter sich. Im Gegensatz zu den meisten anderen Parteien Indonesiens verfügt die PDI-P über eine loyale und beständige Stammwählerschaft, die ihr über Jahre hinweg die Treue hält. Auf Grund ihres Familienhintergrundes und ihrer Zeit als Präsidentin ist Megawati die bekannteste Person in der Politik des Landes – mehr als 93 Prozent der Indonesier kennen sie.
Dass Megawati sich bisher nicht offen zu einer Kandidatur für das Präsidentenamt geäußert hat, dürfte neben taktischen Gründen und der Popularität Jokowis auch zwei weiteren Faktoren geschuldet sein. Zum einen hatte ihr jüngst überraschend verstorbener Ehemann, Taufiq Kiemas – Sprecher der Beratenden Volksversammlung Indonesiens – mehrfach öffentlich erklärt, die 1947 geborene Megawati sei inzwischen zu alt für eine weitere, fünfjährige Amtszeit. Zum anderen haftet ihr das Stigma der Wahlverliererin an. 2001 trat sie das Präsidentenamt an, nachdem Abdurrahman Wahid vom Parlament von diesem Posten enthoben worden war, sowohl 2004 als auch 2009 unterlag sie aber in Wahlen jeweils dem jetzigen Amtsinhaber.
Es wird daher abzuwarten sein, wie groß der innerparteiliche Druck, an ihrer Stelle Jokowi für die PDI-P ins Rennen zu schicken, werden könnte. Der 51-jährige Gouverneur Jakartas, dessen Aussehen und Charisma die indonesische Presse immer wieder zu Vergleichen mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama inspirieren, ist zweifelsohne der Shooting Star der indonesischen Politik.
Als Bürgermeister der javanesischen Stadt Surakarta machte er sich einen Namen, indem er Infrastrukturprobleme beseitigte und regelmäßig mit althergebrachten Traditionen brach. Insbesondere seine kategorische Ablehnung von Korruption sicherte ihm die Bewunderung und Sympathie vieler Indonesier, sodass die PDI-P ihn 2012 zu ihrem Kandidaten um das Amt des Gouverneurs der Hauptstadt Jakarta machte. Jokowi konnte sich entgegen anderweitigen Umfrageergebnissen im Vorfeld der Wahl erfolgreich gegen den Amtsinhaber durchsetzen und regiert seitdem Jakarta. Darüber hinaus gewann er 2012 für sein Engagement in Surakarta den dritten Platz bei den „World Mayor Awards“, ein in der Geschichte Indonesiens einmaliger Erfolg.
Seine geringe Erfahrung auf nationaler Ebene ist anders als vielleicht zu erwarten ein weiterer Vorteil Jokowis, denn wie aus der CSIS-Studie hervorgeht wünscht sich die Mehrheit der Indonesier einen „Außenseiter“, der nicht aus den üblichen, von Klientelismus geprägten Macht-Zirkeln stammt.
Unter denjenigen, deren Kandidatur bereits feststeht, hat der ehemalige Armee-Elite-Soldat der „Kopassus“-Spezialeinheit und Geschäftsmann Prabowo Subianto die besten Umfragewerte. 22 Prozent der Wähler würden ihn in einem Kopf an Kopf-Rennen mit Jokowi wählen, und im Vergleich mit allen anderen Kandidaten liegt er mit einer generellen Zustimmung von gut 16 Prozent deutlich vorne. Wie in Indonesien üblich, ist er der Masse der Menschen vor allem unter seinem Vornamen, Prabowo, geläufig und im März 2013 änderte die von seinen Unterstützern 2008 gegründete Partei Gerindra (Partai Gerakan Indonesia Raya; etwa „Partei der Bewegung Groß-Indonesien“) ihren offiziellen Slogan in: „Gerindra gewinnt, Prabowo wird Präsident“.
Prabowo ist gleichermaßen ein klassischer Vertreter der javanesischen Elite und des alten Regimes Suhartos: Sein Großvater gründete einst die indonesische Privatbank BNI, sein Vater diente unter Suharto als Finanzminister, sein Onkel starb im Unabhängigkeitskampf gegen die niederländische Kolonialmacht und wird seitdem als Held verehrt. Sein jüngerer Bruder Hashim Djojohadikusumo wurde vom Magazin Forbes im Jahr 2012 mit einem geschätzten Vermögen von 750 Millionen US-Dollar zu den vierzig reichsten Indonesiern gezählt.
Dieser Bekanntheitsbonus Prabowos hat allerdings auch eine dunkle Kehrseite – in den 90er Jahren hatte er sich sowohl privat wie auch beruflich ganz auf die Seite Suhartos gestellt und unter anderem eine Tochter des autoritären Herrschers geheiratet. Außerdem war er als Kommandant der strategischen Reserve der Armee gegen Ende des Suharto-Regimes für die Niederschlagung von Aufständen zuständig.
Nach dem Fall Suhartos musste Prabowo unter anderem Entführungen von Regimegegnern zugeben und schied schließlich nach einem verlorenen Machtkampf innerhalb der Armee unrühmlich aus deren Dienst aus. Auch in den Konflikten in Papua und Osttimor waren seine Einsätze stets von Vorwürfen, gegen Menschenrechte verstoßen zu haben, begleitet. Sollte er die Wahl gewinnen, könnte dies zu innen- wie außenpolitischen Spannungen führen. Das Verhältnis des geschassten Ex-Militärs zur mächtigen Armee ist gespalten, die USA hatten ihm bereits einmal bei einer versuchten Einreise das Visum auf Grund von Menschenrechtsverletzungen verweigert.
Nachdem Prabowo sich 2004 erfolglos um die Kandidatur der ehemaligen Suharto-Partei Golkar (Partai Golongan Karya – „Partei funktioneller Gruppen“) beworben hatte, nahm er an der Wahl 2009 als Kandidat seiner eigenen Gerindra-Partei teil, konnte sich auf Grund deren schlechten Abschneidens allerdings nur für das Amt des Vizepräsidenten im Team mit der Spitzenkandidatin Megawati Sukarnoputri zur Wahl aufstellen lassen. Das Paar verlor die Wahl deutlich und Susilo Bambang Yudhoyono konnte seine zweite Amtszeit als Präsident antreten.
Ist Prabowo auch in den meisten direkten Umfragen, die Jokowi nicht mit berücksichtigen, der beliebteste Kandidat für das Präsidentschaftsamt, muss er sich dennoch um das Abschneiden seiner Partei sorgen, die aktuellen Umfragen zu Folge nur auf rund sieben Prozent und somit auf den dritten Platz kommen würde. Dass Prabowo wie 2009 auch eine Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten in Betracht ziehen könnte, gilt hingegen als eher unwahrscheinlich.
Denkbar ist eine Zusammenarbeit von Megawatis PDI-P und Prabowos Gerindra aber. Diese Allianz führte zwar bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen zu keinem Erfolg, aber ausgerechnet bei Jokowis Sieg in den Gouverneurswahlen 2012 in Jakarta war es Prabowos Partei gewesen, die ihm zur Mehrheit verholfen hatte. Sollte Jokowi 2014 zur Präsidentschaftswahl antreten, könnte diese einstige Schützenhilfe sich nun als fatal für Prabowos Chancen auf das Präsidentenamt erweisen.
Ein weiterer Kandidat, der sich eine gewisse Chance auf einen Wahlsieg erhoffen kann, ist der in Umfragen bei knapp sieben Prozent Zustimmung drittplatzierte Aburizal Bakrie, Spitzenkandidat der Partei Golkar. Als schwerreicher Geschäftsmann mit langer politischer Erfahrung und besten Kontakten in höchste Kreise dürfte der ehemalige Koordinierungsminister für die Wirtschaft dennoch eine problematischere Ausgangsposition als seine beiden Hauptkonkurrenten haben.
Schuld daran ist vor allen Dingen der durch Bohrungen einer von der Bakrie-Familie kontrollierten Firma verursachte Ausbruch eines Schlamm-Vulkans nahe der ostjavanesischen Stadt Sidoarjo, der insgesamt geschätzte drei Milliarden US-Dollar Schaden anrichtete. Zwölf Dörfer mit insgesamt knapp 40.000 Einwohnern mussten zwangsevakuiert und umgesiedelt werden und der Schlamm fließt, wenn auch etwas weniger stark als zu Beginn, bis heute. Immer wieder geht in Jakarta das Gerücht um, dass das Vermögen der Bakrie-Familie sich von heute auf morgen in Luft auflösen könnte, würde sie irgendwann zur Zahlung von umfassendem Schadensersatz verpflichtet.
Starker Kandidat, schwache Partei – schwacher Kandidat, starke Partei
Paradoxerweise zeigen Umfragen, dass die Golkar zwar die einzige Partei ist, die sich zumindest eine kleine Hoffnung darauf machen darf bei der Parlamentswahl 2014 die 20 Prozent-Hürde zu überwinden, da sie mit gut 15 Prozent vor PDI-P und Gerindra liegt. Sollte sie die 20 Prozent-Hürde überwinden, könnte Golkar im Alleingang einen Präsidentschaftskandidaten nominieren.
Ihr Kandidat Aburizal Bakrie hat allerdings unabhängig von der Stärke der Partei deutlich schlechtere Chancen, die anschließende Präsidentschaftswahl zu gewinnen als Jokowi/Megawati oder Prabowo, deren Parteien derzeit bei einer Wahl mit 10-13 Prozent, respektive 5-7 Prozent deutlich weniger Stimmen als Golkar erhalten würden. Die Demokratische Partei Yudhoyonos liegt in derzeitigen Umfragen bei 7-10 Prozent der Wählerstimmen. Alle anderen Parteien kommen Prognosen zu Folge jeweils nicht über 5 Prozent.2 Aus diesem Grunde sowie dem getrennten Abhalten der Wahlen von Parlament und Präsident ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass der nächste Präsident für eine Partei angetreten ist, die nicht die stärkste Kraft im Parlament ist.
Ein Faktor, der den Ausgang der Wahl und die Prognose, wie Indonesiens nächster Präsident heißen wird, noch unberechenbarer macht, ist eine Besonderheit, die das indonesische Parlament von seinem deutschen und vielen anderen europäischen Pendants unterscheidet: die Tendenz, Koalitionen zu bilden, die weitaus größer sind als rein rechnerisch notwendig wäre. Die derzeitige Regierungskoalition Yudhoyonos besteht aus sechs Parteien, die zusammen 423 der 560 Sitze des Parlaments halten – ein weiteres Indiz dafür, wie frei von Ideologien die indonesische Politik ist.
Wer für die Demokratische Partei des regierenden Präsidenten Yudhoyono als Spitzenkandidat antreten könnte, ist derweil noch vollkommen ungewiss. Zu sehr halten Korruptionsskandale und interne Machtkämpfe die Partei im Griff. Viele der 2009 als junge Hoffnungsträger für den überragenden Erfolg der Partei mitverantwortlichen Personen mussten in den letzten zwölf Monaten ihre Posten räumen. Dies betraf neben der ehemaligen „Miss Indonesia“ Angelina Sondakh sowohl den Parteivorsitzenden Anas Urbaningrum als auch den Minister für Sport und Jugend, Andi Mallarangeng. Auch wenn denkbar ist, dass die Demokratische Partei sich in der Zeit bis zur Wahl noch rechtzeitig aus dem derzeitigen Tief erholen könnte, so darf sie sich wohl kaum Hoffnung darauf machen, auch nach 2014 den Präsidenten zu stellen.
Die Umfragen zeigen also ein klares Bild: sollte Jokowi tatsächlich antreten, hätte er unabhängig vom Abschneiden der PDI-P die besten Chancen auf das Präsidentenamt. Prabowo Subianto und Megawati Sukarnoputri liegen in der Gunst der Wähler mit einigem Abstand auf Jokowi mehr oder weniger gleich auf, wobei in den meisten Umfragen Prabowo knapp vorne liegt. Aburizal Bakrie hat nur nominell Chancen auf das Amt. Auf Grund des indonesischen Wahlgesetzes wird sich wohl erst nach den Parlamentswahlen im April 2014 endgültig zeigen, welche Kandidatenpaare in welcher Konstellation tatsächlich bei der Wahl um das höchste Amt im Staat konkurrieren werden.
Der einzige Außenseiter, der sich neben den genannten vier politischen Schwergewichten zumindest etwas Hoffnung darauf zu machen scheint, der nächste indonesische Präsident zu werden, ist der als „King of Dangdut“ bekannte Rhoma Irama. Dangdut, eine im Land omnipräsente Art indonesischen Folk-Pops, die traditionelle Rhythmen mit teils arabisch anmutenden Melodien und kecken Texten kombiniert, ist die beliebteste Musikrichtung Indonesiens. Dass nun ausgerechnet der in seiner Karriere allzu oft und gerne von leichtbekleideten Background-Tänzerinnen und Sängerinnen begleitete Irama versucht, die Anhänger der traditionell islamischen Partei PKB (Partai Kengkitan Bangsa – „Nationale Erweckungspartei“) des inzwischen verstorbenen ehemaligen Präsidenten Abdurrahman Wahid, genannt Gus Dur, hinter sich zu vereinen, amüsiert die Presse mehr, als dass man damit zu rechnen scheint, dass Irama eine ernste Chance haben könnte.
Die PKB, die als politischer Arm der größten islamischen Massenorganisation des Landes, der Nahdlatul Ulama, gilt, ist das etwas weniger konservative Pendant zur, mit der anderen großen islamischen Massenorganisation, der Muhammadiyah, verbundenen und gegenwärtig durch Skandale geschwächten PKS (Partai Keadilan Sejahtera – „Gerechtigkeits- und Wohlfahrtspartei“).
Politisch ist Irama gänzlich unerfahren und es ist weitgehend unklar, wie er sich die Zukunft des Landes vorstellt. Lediglich die Besinnung auf islamische Werte und öffentlichen Anstand sind Punkte, die er zu seinen Zielen erklärt hat. Irama ist damit auch ein Stück weit Abbild Indonesiens. Wie das Land, so ist auch er allgemein beliebt, reich, zunehmend islamisch konservativ und dennoch den schönen Dingen des Lebens nicht abgeneigt, politisch aber weitgehend unberechenbar.
Ganz allgemein stellt die Ideologiefreiheit der politischen Parteien Indonesiens eines der größten Probleme für die noch junge Demokratie des Landes dar, denn durch die Bank gilt, dass nahezu alle Parteien größtenteils an Leitfiguren, nicht aber an Themen oder Ideologien orientiert sind. Die Leitfiguren stehen ihrerseits auch nicht stellvertretend für spezifische politische Ideologien, Inhalte oder gar Visionen einer zukünftigen Entwicklung des Landes, sondern bestenfalls für abstrakte Werte wie Kontinuität, Tradition, oder Durchsetzungsvermögen.
Die Programme der Parteien unterscheiden sich mit wenigen Ausnahmen demnach auch nur geringfügig voneinander. Die Wirtschaft soll gefördert, die Armut bekämpft und Bildung wie Infrastruktur sollen ebenfalls verbessert werden. Die Ziele sind klar. Doch auf welchem Weg man sie erreichen möchte, dazu sagen die Parteiprogramme der zehn Parteien, die zur Wahl 2014 zugelassen sind, nur recht wenig.
Zu den neun Parteien, die bereits in der jetzigen Legislaturperiode im Parlament vertreten sind, kommt als Neuling die Partei NASDEM (Partai NASDEM) des Medientycoons Surya Paloh, vormals bei Partei Golkar in Führungsgremien, hinzu. Auch sie ist jedoch nicht von einer klaren inhaltlichen Ausrichtung angetrieben, sondern versucht sich primär als Alternative zur bisherigen Politik zu stilisieren. Dabei setzt man seitens NASDEM offenbar auf den Wunsch breiter Wählerschichten, unverbrauchte und frische Politiker ins Parlament zu wählen, die sich somit von den durch Korruptionsskandale geschwächten althergebrachten Parteien abheben. Der Erfolg der Partei, die in Umfragen bislang auf Grund der 2,5 Prozent-Hürde den Einzug ins Parlament nicht oder nur knapp schaffen würde, wird abzuwarten sein.
Unabhängig vom Ausgang der Wahlen 2014 wird Indonesien sich entscheiden müssen, in welche Richtung sich das Land entwickeln will. Bleibt es wie unter Yudhoyono dabei, dass nötige Reformprozesse immer weiter verschoben werden, so könnten die immer offener zu Tage tretenden gesellschaftlichen Spannungen den Archipel in eine Phase der politischen Instabilität zurückwerfen, die im Extremfalle sogar die positive Wirtschaftsentwicklung beeinträchtigen könnte. Dringend gebraucht würde jedoch ein Signal des Aufbruchs, das diesen Schlüsselstaat, der die größte Volkswirtschaft Südostasiens ist, nicht nur zum Zugpferd der für 2015 geplanten ASEAN-Wirtschaftsgemeinschaft AEC (ASEAN Economic Community), sondern auch zu einer an freiheitlichen Grundwerten orientierten Demokratie fortentwickelt.
Die trügerische Dichotomie von Pancasila und Islam
Die indonesischen Parteien fallen traditionell in eine von zwei Kategorien: nationalistisch (beziehungsweise an der Staatsideologie Pancasila ausgerichtet) oder religiös (im Sinne von islamisch/islamistisch). Folgt man dieser Einteilung, so hat man es hier mit zwei Polen zu tun, zwischen denen sich die indonesische Politik vermeintlich bewegt. Da ist zum einen der nationalistische Flügel, welcher der indonesischen Staatsideologie Pancasila anhängt, zu der sich die meisten im Parlament vertretenen Parteien bekennen.
Pancasila bedeutet wörtlich übersetzt „fünf Prinzipien“ und ist die vom indonesischen Staatsgründer Sukarno formulierte Philosophie des indonesischen Staates. Diese fünf Prinzipien sind der Glaube an den einen und einzigen Gott, eine gerechte und zivile Gesellschaft, die nationale Einheit Indonesiens, eine von Konsensfindung geprägte Demokratie und soziale Gerechtigkeit.
Sie sind der indonesischen Verfassung als Präambel vorangestellt und dienen somit als Leitfaden für die Entwicklung des Landes. Den sich explizit auf die Pancasila beziehenden Parteien stehen die islamischen Parteien gegenüber, die sich primär für eine stärkere Ausrichtung an der islamischen Scharia und eine Rückbesinnung auf islamische Werte einsetzen.
Dieser Dualismus von nationalistischen Partien auf der einen und islamischen Parteien auf der anderen Seite scheint jedoch beständig an Bedeutung zu verlieren, betrachtet man die tatsächliche Politiklandschaft. Die islamischen Parteien, allen voran die strikt islamische Gerechtigkeits- und Wohlfahrtspartei PKS, werden allen Prognosen zu Folge bei der kommenden Parlamentswahl selbst zusammengenommen wohl kaum genügend Stimmen erhalten, um einen eigenen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schicken zu können.
Wohl nirgends wird so deutlich, wie unbedeutend und willkürlich die beiden vermeintlichen Pole inzwischen geworden sind, zwischen denen Analysten die indonesischen Parteien oftmals immer noch verorten, wie bei der Betrachtung des offiziellen Slogans der Demokratischen Partei des scheidenden Präsidenten Yudhoyono – sie bezeichnet sich selbst als „nationalistisch-religiös“.
Wenn sich die indonesische Politik nicht mehr als Wettstreit von Parteien abspielt, die sich eindeutig zwischen den beiden Polen Pancasila und Islam verorten lassen, welche ideologischen Rahmengrößen gibt es dann? Die wohl ehrlichste Antwort lautet, dass es bis auf den in allen gesellschaftlichen Bereichen – vor allen Dingen aber außerhalb der Politik – langsam aber stetig an Bedeutung gewinnenden Islam, zu dem sich etwa 86 Prozent der 240 Millionen Indonesier bekennen, keine solchen Ideologien zu geben scheint.
Waren Kopftücher noch vor zwanzig Jahren eher die Ausnahme in Jakarta, so prägen sie heute das Straßenbild. Die barbusigen Frauen in Sarongs, die Walter Spies in den 40er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts auf Bali malte, würden heute mit einer Gefängnisstrafe auf Grund von „pornoaksi“ rechnen müssen, was wörtlich übersetzt so viel wie „Pornoaktion“ bedeutet. Dieser nur schwammig definierte Bestandteil des indonesischen Antipornografiegesetzes von 2008 stellt sogar bereits das Tragen von Bikinis am Strand in weiten Landesteilen unter Strafe.
Ein Skandal erschüttert die größte islamische Partei PKS – Von Import-Quoten für Rindfleisch und anderer Fleischeslust
Doch trotz einer gesamtgesellschaftlich zunehmenden Bedeutung des Islams tun sich die explizit islamisch orientierten Parteien, allen voran die PKS, bei den Wahlen 2009 mit knapp unter acht Prozent immerhin viertstärkste Kraft, schwer damit, aus dieser Entwicklung Kapital zu schlagen. In Umfragen stürzte die Partei auf knapp die Hälfte des letzten Wertes ab.
Der Hauptgrund für die schlechten Chancen der PKS dürfte ein Vorfall vom Anfang des Jahres sein. Im Januar 2013 war Ahmad Fathanah, ein wichtiger PKS-Politiker und enger Berater des im Zuge des Skandales inzwischen zurückgetretenen damaligen Parteivorsitzenden Luthfi Hasan Ishaaq, von der indonesischen Korruptionsbekämpfungsbehörde KPK (Komisi Pemberantasan Korupsi) in einem Luxushotel verhaftet worden.
Dort hatte er den Vorwürfen der Behörde zu Folge stellvertretend für die Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums ein Bestechungsgeld von etwa 80.000 Euro für die Vergabe von Sondergenehmigungen für den streng reglementierten Import von Rindfleisch entgegen genommen – die PKS hält derzeit das Landwirtschaftsministerium und hatte sich „zum Schutze und zur Stärkung der lokalen Bauern“ dafür eingesetzt, den Import von Rindfleisch durch Einführung einer entsprechenden Quote zu limitieren.
Was das Ganze besonders pikant machte, war die Art und Weise, auf die Fathanah scheinbar umgehend einen Teil dieses Schmiergeldes ausgegeben hat – als die KPK sein Hotelzimmer stürmte, um ihn in Gewahrsam zu nehmen und zu befragen, fand sie ihn dort in Begleitung einer nackten 20-jährigen Studentin vor, der er, wie sich später herausstellte, zuvor etwa 800 Euro zugesteckt hatte. Im Zuge der Affäre räumte der Parteivorsitzende seinen Posten, doch es bleibt abzuwarten, wie viel Vertrauen ihres streng islamisch orientierten Klientels die Partei bis zur Parlamentswahl zurückgewinnen können wird.
Dass die geringe politische Bedeutung der explizit islamisch orientierten religiösen Parteien wie von vielen Analysten angenommen als Indiz für die tiefe Verankerung religiöser Toleranz innerhalb der indonesischen Gesellschaft gewertet werden kann, sollte allerdings ebenso wie die Trennung zwischen nationalistischen und religiösen Parteien hinterfragt werden.
Die meisten Gemeindeverordnungen, die auf lokaler Ebene die Scharia zum für Muslime geltenden Recht gemacht haben, sind nicht etwa von islamischen Parteien, sondern von der als nationalistisch eingestuften ehemaligen Partei Suhartos, der Golkar, eingeführt worden. Bereits das erste Prinzip der Pancasila, der Glaube an den einen und einzigen Gott, nimmt vorweg, dass es sich bei Indonesien unabhängig von Parteilinien um ein tief religiöses Land handelt.
Was nicht passt, wird passend gemacht – kein Platz für religiöse Minderheiten, Atheisten und Lady Gaga
In Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte und religiöser Freiheit steht Indonesien kurz vor dem Ende der Ära Yudhoyono vor massiven Problemen. Der Einfluss islamistischer Fanatiker wächst beständig, allen voran der der „Islamischen Verteidigungsfront“ (Front Pembela Islam – FPI). 2012 konnten sie nicht nur erfolgreich die Absage eines Konzertes der amerikanischen Pop-Sängerin Lady Gaga erzwingen, sondern auch massiven Druck auf die vom Religionsministerium für häretisch erklärte islamische Gruppierung Ahmadiyah ausüben. Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu teils massiven Übergriffen, in einigen Fällen wurden sogar Ahmadis vom Mob zu Tode geprügelt. Auch die Anhänger der Schia, der zweitgrößten islamischen Konfession, gelten in Indonesien als Häretiker. Jüngst wurden hunderte von ihnen aus ihren Dörfern vertrieben, die Polizei sah tatenlos zu. Und obwohl es immer wieder die FPI ist, die zu Hass und Gewalt aufruft, sitzen die Hardliner nach wie vor im staatlichen Gremium indonesischer islamischer Gelehrter (Majelis Ulama Indonesia; MUI).
Schwer haben es auch Anhänger anderer religiöser Minderheiten sowie die (wenigen) Atheisten des Landes. Mehrere christliche Kirchen können ihren Gottesdienst nicht verrichten, da sich die lokalen Behörden weigern, Baugenehmigungen für die teils vor Jahren erbauten Gotteshäuser zu erteilen. Im Falle einer Kirche in dem nahe Jakarta gelegenen Bogor weigert sich die Bezirksregierung beständig, eine solche Genehmigung zu erteilen – und dies trotz der direkten Anweisung des Obersten Verfassungsgerichtes Indonesiens, eine entsprechende Genehmigung umgehend auszustellen.
In dem direkt an Jakarta grenzenden Bekasi gingen die Behörden jüngst noch einen Schritt weiter und planierten Ende März 2013 die Kirche der protestantischen Gemeinde des Volksstammes der Batak. In all diesen Fällen hört man aus der Politik kaum Stimmen, die sich offen für die Verteidigung des Rechtsstaates aussprechen. Zu groß ist wohl die Sorge, islamische Wähler zu verlieren.
Für Atheisten ist das bloße Äußern ihrer Überzeugungen noch problematischer. Ein öffentliches Zweifeln an der Existenz Gottes steht als Blasphemie unter Strafe. Mitte 2012 war Alexander Aan, ein dreißigjähriger Angestellter im Staatsdienst, in West-Sumatra zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Geldstrafe von knapp 8.000 Euro verurteilt worden, nachdem er in einer von ihm gegründeten Facebook-Gruppe an der Existenz Gottes gezweifelt und Comics gepostet hatte, die den Propheten Muhammad beim Geschlechtsakt zeigten.
Als Reaktion auf diese Postings hatte ihn ein wütender Mob angegriffen, woraufhin er in Schutzhaft genommen worden war. Auch in der Untersuchungshaft wurde er von den Mithäftlingen, als diese von dem Grund seiner Inhaftierung erfuhren, weiter geschlagen und misshandelt. Verurteilt wurde Aan schlussendlich jedoch nicht wegen Blasphemie, sondern wegen des Verbreitens von Informationen, die zu religiösem Hass geführt hätten. Von den Angreifern wurde hingegen niemand zur Rechenschaft gezogen.
Dies lässt den Schluss zu, dass der Staat nicht etwa das Recht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung, sondern das der Masse, sich von religiös motiviertem Hass zur Gewalt hinreißen zu lassen, schützt. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung Präsident Yudhoyonos, der vor der UN im September 2012 dafür plädiert hatte, Blasphemie weltweit unter Strafe zu stellen, besonders bemerkenswert. Nicht die Meinungsfreiheit, sondern die Freiheit religiöser Menschen, von abweichenden Meinungen nicht belästigt zu werden, scheint in Indonesien Vorrang zu haben.
Von jedem Indonesier wird erwartet, sich offiziell zu einer von sechs anerkannten Religionen zu bekennen und diese Zugehörigkeit entsprechend in seinem Ausweis eintragen zu lassen. Diese Religionen sind der Islam, Katholizismus und Protestantismus, Hinduismus, Buddhismus sowie Konfuzianismus. Weder für die vielen insbesondere in ländlichen Regionen lebenden Animisten und Anhänger von Naturreligionen, noch Konfessionslose ist in diesem Schema Platz. Betrachtet man eine offizielle Religionskarte Indonesiens, mag man sich wundern, dass in Kalimantan, dem indonesischen Teil der Insel Borneo, anscheinend mehr Hindus leben als auf Bali. Die Erklärung ist einfach: Die dort lebenden Dayak-Stämme folgen ihren eigenen, althergebrachten Traditionen im Stile einer Naturreligion. Da dies jedoch von dem vorgegebenen Raster nicht adäquat wiedergegeben werden konnte, beschloss das Religionsministerium, die Dayak offiziell als Hindus zu klassifizieren.
Es ist bemerkenswert, dass auf internationaler Ebene das Bild Indonesiens als mustergültiges Beispiel von religiöser Toleranz in einem mehrheitlich islamischen Land ebenso wenig wie das Image des scheidenden Präsidenten Schaden zu nehmen scheint. Yudhoyono wurde im Mai 2013 in New York für seine Verdienste um religiöse Toleranz und Religionsfreiheit mit dem „World Statesman Award“ ausgezeichnet.
Von Menschenrechten und militärischen Mordkommandos
Wie wenig Verständnis für das Konzept universeller Menschenrechte in Indonesien allgemein herrscht, zeigt ein anderer Vorfall aus dem März 2013: Ein Mitglied der Kopassus-Eliteeinheit der indonesischen Armee war bei einer Messerstecherei mit vier mutmaßlichen lokalen Kriminellen in einer für Drogengeschäfte berüchtigten Bar der javanischen Stadt Yogyakarta, in der er nebenbei als Türsteher tätig war, ums Leben gekommen. Dank der Bilder einer Überwachungskamera und Zeugenaussagen konnten die vier der Tat verdächtigen Personen kurz darauf verhaftet werden und saßen im Polizeihauptquartier in Untersuchungshaft.
Kurz nachdem die vier Tatverdächtigen aus dem Polizeihauptquartier in ein Gefängnis in der Nähe verlegt worden waren, wurde dieses Gefängnis von elf schwer bewaffneten Männern gestürmt. Die Wachen und die Polizei waren entweder machtlos oder bereits vorab informiert worden, sahen sich in jedem Falle außer Stande einzugreifen. Die elf Männer suchten die Tatverdächtigen, fanden sie und richteten sie vor den Augen der anderen Häftlinge, die sie zum Applaus zwangen, mit mehreren Schüssen hin.
Das im Grunde Offensichtliche bestätigte sich kurz darauf, auch wenn der Kommandant der Kopassus-Einheiten es zunächst bestritt: Es handelte sich um einen Racheakt, ausgeführt von Kameraden des ermordeten Soldaten. Die verantwortlichen Soldaten sind inzwischen bereits ihrerseits in Haft, können jedoch auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Eliteeinheit des Militärs nur von einem Militärtribunal und keinem Zivilgericht verurteilt werden. Dass sie mit der Tat angemessenen Strafen rechnen müssen, ist unwahrscheinlich.
Einer der obersten Generäle von Kopassus erklärte zwar, es werde einen fairen und gerechten Prozess geben, der ehemalige Kommandant der angeklagten Soldaten fügte jedoch umgehend hinzu, es habe sich um einen „Fehler“ gehandelt und er sei stolz auf seine Soldaten, die ehrenvoll gehandelt hätten. Der Korpsgeist der Einheit sei vorbildlich, sie seien „Helden“. Menschenrechtsverletzungen habe es bei der Aktion jedenfalls keine gegeben, lediglich die Rechte des erstochenen Soldaten seien verletzt worden.3
Erstaunlicher als diese bereits befremdliche Einordnung der Geschehnisse ist jedoch, dass die indonesische Öffentlichkeit sich mehrheitlich der Meinung des Kommandanten anschließt. Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist offenbar derart gering und die Frustration über die Taten von Kriminellen, die oft durch Schmiergeldzahlungen an die Polizei ungestraft davonkommen, so groß, dass man diese eigenmächtige „Säuberungsaktion“ des Militärs nicht nur hinnimmt, sondern sogar begrüßt. Experten rechnen damit, dass die Soldaten im Falle einer Verurteilung mit Haftstrafen von etwa drei bis vier Jahren zu rechnen haben.
In Yogyakarta und anderen Städten tauchten kurz nach Bekanntwerden dieses Skandals große Plakate und Spanntücher auf, die das indonesische Militär lobten und Solidarität mit den Tätern forderten. Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass mächtige Kräfte hinter den Kulissen die Meinung der Öffentlichkeit zu beeinflussen versuchen.
Menschenrechtsorganisationen warnen derweil vor einer Rückkehr zu Verhältnissen wie unter Suharto, als das Militär weitgehend ungestört seine Macht ausüben konnte. In einem Jahr, in dem der Film „The Act of Killing“ des amerikanischen Dokumentarfilmers Joshua Oppenheimer über den Mord an mehr als einer Million vermeintlicher wie tatsächlicher Kommunisten in Indonesien 1965/66 auf der Berlinale mit dem Publikumspreis sowie dem Preis der Jury ausgezeichnet worden ist, ist die Entwicklung der Menschenrechtssituation im Land nach wie vor prekär. Wie auch in Bezug auf die anderen geschilderten, mit liberalen Freiheiten verknüpften Problemfelder bleibt die Politik weitestgehend stumm.
Die größten wirtschaftlichen Herausforderungen Indonesiens sind nicht neu. Der Finanzsektor muss ausgebaut, die Infrastruktur dringend entwickelt, Agrar- und Fischerei-Industrie müssen angekurbelt und die oftmals noch mangelhafte Ausbildung indonesischer Arbeitskräfte muss so schnell wie möglich verbessert werden. Fortschritte werden in diesen Bereichen jedoch nur schleppend gemacht, was zwei zusammenhängenden, omnipräsenten Problemen geschuldet ist – der intransparenten und ineffektiven Bürokratie einer-, und der Korruption andererseits.
Es staut sich – von Bürokratiereformen, Energiesubventionen und dem Stillstand auf den Straßen
War es vor einigen Jahren nur die Hauptstadt Jakarta, die nahezu ununterbrochen in einem alles lähmenden Stau versackte, so hat sich das von Indonesiern macet genannte Phänomen des völligen Stillstands auf öffentlichen Straßen dank der landesweit voranschreitenden Urbanisierung inzwischen auch auf viele andere javanesische Städte ausgedehnt. Benzin- und Energie-Subventionen, die prozentual mehr vom indonesischen Haushalt verschlingen als die Ausgaben für Gesundheit, Bildung und den Ausbau der Infrastruktur zusammengenommen, sowie billige Kredite für Autos und Motorräder begünstigen diese Entwicklung.
Eine Erhöhung des künstlich niedrig gehaltenen Benzinpreises um 44 Prozent auf 6.500 Rupien (etwa 50 Eurocent) pro Liter ist soeben vom Parlament beschlossen worden, um den Staatshaushalt signifikant zu entlasten. Derzeit kosten die Energiesubventionen Indonesien jährlich über 30 Milliarden US-Dollar. Um das Risiko von Streiks und Demonstrationen zu verringern, wurde jedoch gleichzeitig ein Programm zur sukzessiven Auszahlung von Bargeld an bedürftige Familien über eine Dauer von fünf Monaten mit einem Gesamtvolumen von etwa 2,8 Milliarden US-Dollar beschlossen.
Der scheidende Präsident hinterlässt nicht nur positive Wirtschaftsdaten, sondern auch eine Vielzahl ungelöster gesellschaftlicher Probleme. In dem vom Regionalbüro Südost- und Ostasien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit herausgegebenen „Freedom Barometer Asia 2012“ kommt Indonesien im „Freiheits-Ranking“ asiatischer Länder nur auf einen mittelmäßigen achten Platz.4 Das Fazit ist auch hier, dass es um die wirtschaftliche Freiheit, trotz Ansätzen protektionistischer Politik, im Allgemeinen recht gut steht. Gesamtgesellschaftlich geben allerdings einige Entwicklungen Anlass zur Sorge und verschlechtern entsprechend die Bewertung Indonesiens.
Nach wie vor ist Korruption in Indonesien omnipräsent. In dem Ranking von Transparency International, die 176 Länder untersuchten und bewerteten, belegte der Archipel Ende 2012 lediglich Platz 118 – in Südostasien wurden mit Vietnam, Laos und Myanmar nur Länder von ökonomisch weit geringerer Bedeutung schlechter bewertet.5
Ob im privaten Leben oder im beruflichen Kontext, kaum eine Auseinandersetzung mit offiziellen Stellen funktioniert ohne das Zahlen von außerplanmäßigen „Gebühren“. Die Gründe hierfür liegen jedoch sehr viel tiefer, als dass man einfach gierigen Beamten die Gesamtschuld zusprechen könnte. Das Problem ist vielmehr systemisch. Selbst wenn Beamte einen notwendigen Schritt ausführen wollen, so können sie dies oftmals auf Grund widersinniger oder schlichtweg unerfüllbarer Bedingungen nicht.
Als ein Beispiel mag die Vergabe von Geburtsurkunden dienen. Schätzungen der Zentralen Statistikbehörde Indonesiens zu Folge haben etwa achtundvierzig Millionen indonesischer Kinder keine Geburtsurkunde, in Jakarta verfügen laut dem Ministerium für Wohlfahrt und Soziales sogar nur rund neun Prozent der Kinder über das Dokument. Beantragen die Eltern die Geburtsurkunde nicht binnen der ersten zwei Monate nach der Geburt des Kindes, so wird das nachträgliche Ausstellen gebührenpflichtig.
Die Gebühr liegt derzeit bei umgerechnet etwa 80 Euro – für viele Eltern in den ärmeren Regionen des Landes entspricht dies einem Monatslohn und ist somit unerschwinglich. Und lassen Sie die Urkunde erst ausstellen, nachdem das Kind bereits mehr als ein Jahr alt ist, so fallen neben diesen Gebühren auch noch weitere Kosten an, da dann das Bezirksgericht eingeschaltet werden muss, wo die Eltern ihrerseits eine Vielzahl von Dokumenten vorlegen müssen, allen voran ihre eigenen Geburtsurkunden. Haben sie diese nicht, geht das Spiel von vorne los und sind die Großeltern der Kinder bereits verstorben, dann stehen die Chancen schlecht.
Gebraucht werden Geburtsurkunden für viele offizielle Angelegenheiten und allen voran für den Schulbesuch. Kinder, deren Eltern sich nicht rechtzeitig um das Ausstellen des Dokuments gekümmert haben, können somit in aller Regel nicht die Schule besuchen. Dass in einem derartigen Bürokratiedschungel Korruption bei aller berechtigten Kritik für die Betroffenen somit Fluch und Segen gleichermaßen ist, liegt auf der Hand.
Sind die Grundregeln einer Bürokratie in sich so widersprüchlich, undurchschaubar und in ihren Konsequenzen brutal, kann man weder den Menschen, die es mit Bestechung versuchen, noch den unterbezahlten Staatsbeamten, die um die missliche Lage nur zu genau wissen und den Antragstellern gerne behilflich sein möchten, einen Vorwurf daraus machen, dass sie diese Regeln zu umgehen suchen. Hochproblematisch wird es jedoch, wenn überfällige Bürokratiereformen immer wieder verschoben und blockiert werden, um die aus der Korruption entstandenen Einnahmequellen nicht versiegen zu lassen. Indonesiens massive Schwierigkeiten in diesem Bereich könnten wohl nur durch eine umfassende Bürokratiereform gelöst werden, die jedoch gegen starke Widerstände von oberster Stelle durchgesetzt werden müsste.
Nationalismus und Religion statt Wissenschaft und Englisch – Schulbildung in Indonesien
Zwei weitere Bereiche, in denen Indonesiens Entwicklungsstand zu den positiven Prognosen von Wirtschaftsanalysten kontrastieren, sind der Bildungs- und Gesundheitssektor. Das indonesische Bildungssystem arbeitet ineffizient und mit geringem Erfolg. Der „Global Index of Cognitive Skills and Education Attainment“ bewertete 2013 vierzig ausgewählte Länder, von denen Indonesien nur auf den letzten Rang kam. Vietnam, Rumänien, Mexiko, Brasilien und Kolumbien schnitten allesamt besser ab.
2012 wurde der Lehrplan für Grundschüler zwar reformiert, doch die Weichenstellung macht für die Zukunft wenig Hoffnung: Die Unterrichtsfächer Englisch und Wissenschaft wurden gestrichen, um Religion und Pancasila mehr Zeit im Stundenplan einräumen zu können. Auslöser und Hintergrund dieser Änderung waren mehrere gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Schülern verschiedener Junior High Schools.
Der ehemalige Komiker Dedi Gumelar, der inzwischen für die PDI-P im Parlament sitzt, hatte die Reformbestrebungen mit der Begründung unterstützt, es sei wichtiger, den Schülern grundlegende Werte wie Höflichkeit und eine Liebe zu ihrer eigenen Kultur beizubringen, als „irrelevante“ Bestandteile des Curriculums beizubehalten, die ohnehin nur zu einer „Verwestlichung“ der indonesischen Jugend beitragen würden.6 Da Indonesier im Schnitt nur 5,8 Jahre zur Schule gehen und die Grundschule sechs Jahre dauert, ist davon auszugehen, dass die meisten Indonesier in Zukunft somit wohl niemals auch nur mit den Grundzügen von Wissenschaft oder Fremdsprachen vertraut gemacht werden. Wie dies den auf Grund des Wirtschaftswachstums immer größer werdenden Mangel an qualifizierten Fachkräften bekämpfen soll, ließ Gumelar ungefragt und unbeantwortet.
Im Human Development Index der Vereinten Nationen kommt Indonesien auf den 121. Platz von 187 Ländern. Gründe für dieses relativ schlechte Abschneiden sind neben den Problemen im Bildungssektor vor allen Dingen die geringe Lebenserwartung und die hohe Kindersterblichkeit. Dabei fällt besonders der Unterschied zwischen der Versorgungssituation in ländlichen Regionen und den deutlich besser bewerteten urbanen Zentren auf. Es wird abzuwarten sein, ob die voranschreitende Urbanisierung Indonesiens auf den Gesundheitssektor einen ähnlichen positiven Einfluss wie auf die Entwicklung der Wirtschaft haben wird.7
Paradoxe Entwicklung: Indonesiens Schwächen sind für die derzeitige wirtschaftliche Stärke mitverantwortlich
Auf der Suche nach Gründen für die Nonchalance, mit der seitens der indonesischen Politik mit den massiven gesellschaftlichen Problemen umgegangen wird, stößt man auf einen Zusammenhang mit protektionistischen Wirtschaftsmaßnahmen, der zunächst erstaunen mag. Es scheint kontraintuitiv, dass ein Land, dessen Wirtschaftsdaten derart solide sind wie die Indonesiens, kein gesteigertes Interesse daran zu haben scheint, bestehende gesellschaftliche Probleme zu lösen oder in die Bildung und Ausbildung sowie die Gesundheit seiner Bevölkerung zu investieren.
Dass vom Parlament stattdessen Quoten eingeführt werden, die den Rindfleischimport limitieren, und man derzeit darüber berät, eine Reform des Kriminalrechtes umzusetzen, die das Zusammenleben von unverheirateten Paaren mit einem Jahr sowie das Praktizieren schwarzer Magie mit fünf Jahren Haft bestraft, wirkt für Außenstehende geradezu bizarr.
Das parallele Auftreten von vermehrter nationalistischer Rhetorik, Protektionismus und dem Erstarken der indonesischen Wirtschaft entbehrt jedoch nicht einer gewissen Logik. Denn gerade das Fokussieren auf den Binnenmarkt und die wenig vernetzte und unterentwickelte Finanzbranche waren es, die im Kontext der Weltwirtschaftskrise dafür sorgten, dass nur eine geringe Abhängigkeit vom Weltmarkt bestand und sich Indonesien so effektiv vor den schlimmsten Folgen abschirmen konnte.
Die Ablehnung von liberalen Werten, wie dem Schutz von Menschenrechten oder Meinungs- und Religionsfreiheit, die von hochrangigen Politikern immer häufiger als „westliche Konzepte“ tituliert werden, muss somit auch im Kontext eines durch den vollzogenen Entwicklungssprung entstandenen neuen Selbstbewusstseins des Landes und seiner Politiker gesehen werden. Das unbeschadete Überstehen der Weltwirtschaftskrise scheint Indonesiens Tendenz zu Alleingängen und damit gleichermaßen die Ablehnung vermeintlich westlicher Konzepte zu validieren – hätte man sich in der Vergangenheit enger an den Westen gebunden, so stünde man zumindest wirtschaftlich heute mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich schlechter da.
Es ist jedoch zu prognostizieren, dass der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin Indonesiens die gegenwärtigen positiven wirtschaftlichen Impulse wohl nur in ein konstantes und nachhaltiges Wachstum weiterentwickeln können wird, wenn die geschilderten gesellschaftlichen Probleme rigoros angegangen werden. Setzt sich stattdessen der Trend zu einer protektionistischeren Wirtschaftspolitik in Kombination mit der Stagnation von notwendigen Reformprozessen fort und orientiert sich das Land nicht an freiheitlichen Grundwerten sondern an einem in zunehmenden Maße konservativen Islam, läuft Indonesien Gefahr politisch instabil zu werden und somit den Enthusiasmus internationaler Investoren mittelfristig herbe zu enttäuschen.
1 Raoul Oberman, Richard Dobbs, Arief Budiman, Fraser Thompson und Marten Rossé: „The archipelago economy: Unleashing Indonesia’s potential“, McKinsey Global Institute. September 2012
2 Die Ergebnisse von Umfragen gehen in Indonesien extrem weit auseinander, sind unzuverlässig und oftmals entweder von Partikularinteressen gesteuert oder fragwürdig ermittelt. Die in diesem Artikel genannten Zahlen sind, soweit nicht anders spezifiziert, Mittelwerte aus diversen publizierten Umfragen, wobei dem indonesischen Meinungsforschungsinstitut LSI und der bereits erwähnten Studie des CSIS besondere Bedeutung beigemessen wurden.
3 “Former Yogya Military Brass ‘Proud’ of Kopassus Jail Killings“, The Jakarta Globe, 10 April 2013; http://www.thejakartaglobe.com/home/former-yogya-military-brass-proud-of-kopassus-jail-killings/584900
4 Miklós Romàndy, Pett Jarubaipoon und Corinna Johannsen: „Freedom Barometer Asia 2012“, herausgegeben vom Regionalbüro Südost- und Ostasien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Online abrufbar unter: http://www.scribd.com/doc/115293393/Freedom-Barometer-Asia-2012
5 Transparency International, „Corruption Perceptions Index 2012“: http://www.transparency.org/cpi2012/results
6 “Indonesian Politician Says Science ‘Irrelevant’ in Elementary School“, The Jakarta Globe, 29 September 2012; http://www.thejakartaglobe.com/education/indonesian-politician-says-science-irrelevant-in-elementary-school/547150
7 Human Development Index, UNDP; http://hdrstats.undp.org/en/countries/profiles/IDN.html
Till Maximilian Möller ist FNF-Programmkoordinator in Jakarta, Indonesien