Fasten gegen den Hunger

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Nord-Süd-Blätter, Pax Christi 3/98

BRENNPUNKT INDONESIEN

Von Alex Flor

Die Asienkrise fordert ihre Opfer. Nach 32 Jahren diktatorischer Herrschaft über das Inselreich Indonesien musste Präsident Suharto im Mai seinen Rücktritt erklären. Für die Bevölkerung besteht jedoch wenig Anlass zu jubeln. Suharto hinterlässt ein Land am Abgrund der Katastrophe. Zunehmende Armut, Versorgungsengpässe und drohende Hungersnöte sowie halbherzige Reformen der neuen Regierung Habibie kennzeichnen den einstigen Tigerstaat.

„Ostasien wurde in den 80er Jahren zum Liebling der internationalen Investoren und leicht zu bekommende Kredite führten zum massiven Anstieg bei der Aufnahme von Dollars. Viele dieser Kredite wurden in Immobilien und an den Börsen angelegt, was zu einer ‚Seifenblasen‘-Wirtschaft führte, die letztlich geplatzt ist,“ erklärte Lee Kuan Yew, Singapurs früherer Premier und nach wie vor die graue Eminenz des Stadtstaates, im Januar vor dem Nationalen Verteidigungsrat Thailands. „Gesellschaften aus dem Privatsektor waren die wichtigsten Kreditnehmer. Aber die Regierungen müssen sich sagen lassen, dass sie es versäumt haben, exzessive Kreditaufnahmen unter Kontrolle zu behalten. In der Tat leisteten sie diesem Prozess Vorschub, indem sie eine Politik betrieben haben, die Euphorie verbreitete. […] Die Gewährung von Krediten war nicht an die Machbarkeit der Projekte gebunden, sondern an persönliche Beziehungen und Vetternwirtschaft. […] Ich glaube, in vieler Hinsicht ist die Ursache der wirtschaftlichen Krise politischer Natur.“

Korruption und Vetternwirtschaft

Lee Kuan Yews Kritik passte auf kein anderes Land der Region besser als auf Indonesien. Mit harter Hand regierte hier seit 32 Jahren Präsident Suharto, der nicht nur wegen zahlloser Menschenrechtsverletzungen im besetzten Osttimor sowie im eigenen Land, sondern nicht zuletzt auch wegen der schamlosen Selbstbereicherung seines Familienclans auf Kosten des Volkes in Verruf geraten war. Mit der Kürzel KKN – Korupsi, Kolusi, Nepotisme (Korruption, Mauschelei und Vetternwirtschaft) beschrieben demonstrierende Studenten und Oppositionelle das Wirtschafssystem unter Suharto. Unterstützung fanden sie ausgerechnet beim Internationalen Währungsfonds (IWF), der ins Land gerufen worden war, nachdem die Asienkrise mit einiger Verspätung, aber um so heftigeren Auswirkungen auch Indonesien ereilt hatte. Neben klassischen „Strukturanpassungen“ wie der Streichung von Subventionen drängte der IWF vor allem auf die Entflechtung von Kartellen und Monopolen sowie die Schaffung von mehr Transparenz in der Wirtschaft. Der Kursverlust der Rupiah um ca. 70 % innerhalb weniger Monate brachte massive Preissteigerungen mit sich. Im Januar kam es zu ersten Versorgungsengpässen, die begleitet waren von Hamsterkäufen und Plünderungen von Läden. Im ganzen Land häuften sich Studentendemonstrationen, deren wichtigste Forderungen die Senkung der Preise für Grundbedarfsmittel, der Rücktritt Suhartos sowie die Durchführung politischer und wirtschaftlicher Reformen waren.

Gewalttätige Unruhen

Nachdem die Regierung die vom IWF geforderte Subventionskürzung für Treibstoffe nicht – wie es möglich gewesen wäre – schrittweise, sondern von einem Tag auf den nächsten in vollem Umfang verwirklicht hatte, überschlugen sich die Ereignisse. Die Maßnahme hatte weitere Preiserhöhungen von bis zu 70 % zur Folge, von denen sämtliche Schichten der Bevölkerung betroffen waren. Anfang Mai kam es zu gewalttätigen Unruhen in der Millionenstadt Medan, dem industriellen Zentrum Nord-Sumatras. Wenige Tage später griffen die Unruhen auch auf die Hauptstadt Jakarta über. Während sich der inzwischen völlig der Realität entrückte greise Präsident auf einer Auslandsreise in Kairo befand, um zu beweisen, dass die Lage zu Hause keinerlei Anlass zur Besorgnis gebe, geriet die Situation in Jakarta und anderen Großstädten völlig außer Kontrolle. Die Studentendemonstrationen hatten längst den Campus verlassen und zogen durch die Innenstädte, wo sie sich mit Gruppen der Opposition und großen Teilen der zunehmend verarmenden Bevölkerung mischten. In Jakarta besetzten Studenten das Nationalparlament. Auf einer Hauptverkehrsstraße unweit der renommierten Trisakti-Universität wurden vier Studenten ohne erkennbaren Grund vom Militär erschossen.

„Schuld sind die Chinesen“

Dagegen sahen die Sicherheitskräfte größtenteils tatenlos zu, wie aufgebrachte Massen ihrem Unmut über teure und knappe Waren erneut durch Plünderungen und Brandschatzungen Luft machten. Wüste Szenen spielten sich ab. Wie bereits zuvor waren Ladenbesitzer chinesischer Abstammung, die zu Sündenböcken für die Krise gemacht wurden, ein bevorzugtes Ziel der Ausschreitungen. Fast 1.200 Menschen kamen bei den Unruhen ums Leben, die meisten von ihnen wurden ein Opfer der Flammen in niedergebrannten Einkaufszentren. Systematische Massenvergewaltigungen an Frauen und Mädchen chinesischer Abstammung waren der traurige Höhepunkt der Ereignisse. Inzwischen häufen sich Hinweise darauf, dass diese Vergehen von Einheiten des Militärs geschürt, begangen bzw. bewusst in Kauf genommen wurden.

Suharto sah sich nun doch gezwungen, seine Reise vorzeitig abzubrechen. Sein Plan, die Lage durch eine Regierungsumbildung in den Griff zu bekommen, scheiterte an der Unterstützung maßgeblicher Minister und Militärs. Am 21. Mai erklärte Suharto seinen Rücktritt und übergab die Amtsgeschäfte an seinen Vizepräsidenten, B.J. Habibie.

Scharlatan Habibie

Habibie, der über exzellente Verbindungen nach Deutschland verfügt und für extravagante kostspielige und unrentable Technologieprojekte bekannt ist, muss nun gegen den Ruf ankämpfen, ein Ziehsohn Suhartos zu sein, mit derselben Anfälligkeit für unsaubere Nebeneinkünfte und Vetternwirtschaft wie sein Vorgänger. Unter Wirtschaftsexperten genießt Habibie ob seiner unorthodoxen Zick-Zack-Theorie bezüglich des Zusammenhangs zwischen Zinsniveau und Inflationsrate den Ruf eines Scharlatans. So kämpft Habibie nun händeringend darum, das Vertrauen der Wirtschaft und der ausländischen Geldgeber wiederzugewinnen, um die Kapitalflucht und weiteren Währungsverfall zügeln und neue Investitionen und Kredite einwerben zu können. Ein eilig verkündetes Reformprogramm kurierte die wildesten Auswüchse der Herrschaft Suhartos. Wichtige Posten in der Politik, im Militär und der Wirtschaft wurden neu besetzt. Einige politische Gefangene wurden freigelassen. Parteien, Gewerkschaften und die Presse genießen größere Freiheiten. Und wahrscheinlich im nächsten Jahr sollen Neuwahlen stattfinden. Grundlegende Veränderungen am System fanden jedoch bislang nicht statt. Weiterhin behält das Militär in allen wichtigen Fragen das Sagen. Die Opposition, die Suharto stürzte, wurde nicht an der Übergangsregierung beteiligt. Konflikte in den nach Unabhängigkeit strebenden Regionen Osttimor und Westpapua sowie Arbeiterstreiks in der Peripherie Jakartas werden weiterhin mit Waffengewalt beantwortet. Mehrere Menschen wurden dabei seit Habibies Machtantritt bereits erschossen.

Habibies Reformen sind daher nicht ausreichend, das für eine Sanierung der Wirtschaft notwendige Vertrauen zu gewinnen. Der Tiger liegt regungslos am Boden, ein Aufschwung ist in weite Ferne gerückt. Schätzungen zufolge werden Ende dieses Jahres ca. 15 Millionen Menschen ihren Job verloren haben. Etwa 3 Millionen Menschen drängen jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt. Fast die Hälfte der 202 Millionen Einwohner Indonesiens wird unter die absolute Armutsgrenze rutschen, die weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung hat. Hinzu kommt die miserable Versorgungslage aufgrund der anhaltenden Dürre, die zu erheblichen Ernteeinbußen geführt hat. Von der einst so stolz verkündeten Fähigkeit, sich selbst mit Reis versorgen zu können, ist Indonesien wieder weit entfernt. In Westpapua (Irian Jaya) verhungerten bereits letzten Winter Hunderte von Menschen. Hungersnöte drohen nun auch in anderen Regionen, einschließlich der hochentwickelten Insel Java. Dort leben schon jetzt viele Arme von nur noch einer Mahlzeit pro Tag. Doch der findige Ingenieur, Präsident Habibie, hat für jedes Problem eine Lösung parat: Wenn alle Indonesier seinem Beispiel folgen würden, entsprechend der Empfehlung des Korans montags und donnerstags zu fasten, dann würden übers Jahr gerechnet 3 Millionen Tonnen Reis gespart – genau die Menge, die ansonsten nach neuesten Prognosen für teure Devisen importiert werden müssten. <>

(Der Autor ist Mitarbeiter von Watch Indonesia! e.V.)


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