Journalismus entlang der roten Linie
Perlentaucher.de – Das Kulturmagazin, 29. November 2007
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Post aus Jakarta
Von Janika Gelinek
Die Jakarta Post hat bis heute den Ruf, eine der kritischsten Stimmen in der Medienlandschaft Indonesiens zu sein. Nicht einfach, wenn man zum Beispiel über Ost-Timor berichten will.
Die Geschichte der Jakarta Post begann ausgerechnet mit den Hitlertagebüchern: An ihrem ersten Erscheinungstag, am 25. April 1983, meldete sie zurückhaltend und erst auf Seite vier: „Hitlers Tagebücher gefunden, Historiker bleiben skeptisch.“ Auch wenn die Zeitung heute, kurz vor dem 25-jährigen Jubiläum, auf ihrer Website zugeben kann, dass diese allerersten acht Seiten einen eher bemitleidenswerten Versuch darstellten, eine englischsprachige Qualitätszeitung zu machen, so hat sie sich doch diese Skepsis gegenüber sensationsheischenden Nachrichten bis heute erhalten. Längst ausgezogen aus dem alten Redaktionsschuppen, ausgestattet nur mit ein paar Schreibmaschinen und ausrangierten Tischen der auf der anderen Straßenseite befindlichen Tagezeitung Kompas, residiert die Jakarta Post immer noch in der Jalan Palmerah Selatan im Westen Jakartas, und hat bis heute den Ruf, eine der kritischsten Stimmen in der Medienlandschaft Indonesiens zu sein.
Als die Jakarta Post mit der bescheidenen Auflage von 5.474 Exemplaren erstmalig erschien, gab es bereits zwei englischsprachige Zeitungen, den Observer und die Indonesian Times, die sich an in Indonesien lebende Ausländer richteten, dabei allerdings sehr mit den Tücken der englischen Sprache kämpften: „Ich versuchte damals, als Ausländerin mit geringen Indonesischkenntnissen, beide Zeitungen zu lesen und mir wurde klar, dass es für mich einfacher war, den Kompas zu entziffern, als das Englisch dieser beiden Zeitungen. Es war völlig unlesbar“, erzählt Maggie Augusta, die 1977 aus Iowa nach Jakarta kam und erste Korrekturleserin der Jakarta Post wurde. Entsprechend ambitioniert war das Ziel der Jakarta Post, die mit dem Segen des damaligen Informationsministers und Suharto-Vertrauten Ali Moertopo von den Verlagshäusern der renommierten indonesischen Zeitungen KOMPAS, Tempo, Suara Karya und Sinar Harapan gegründet wurde. Sie wollte eine Qualitätszeitung sein, deren erste Zielgruppe zwar die in Indonesien lebenden Ausländer war, die es sich aber gleichzeitig zur Aufgabe machte, „ein Fenster für Indonesien zu sein, und zwar ein echtes Fenster, durch das man von draußen nach drinnen, aber auch von drinnen nach draußen sehen konnte“.
So jedenfalls beschreibt es Endy Bayuni, langjähriger Mitarbeiter und seit 2004 Chefredakteur der Jakarta Post. „Wir fanden, dass immer nur Nachrichten hereinkämen, aber nie nach draußen gingen, eine Tendenz übrigens, die immer noch besteht. Aber um gehört zu werden, mussten wir in einer Sprache schreiben, die von den Leute draußen verstanden werden würde.“
Heute leistet sich die Jakarta Post ein neunköpfiges Team englischsprachiger Korrekturleser, die Tag für Tag, Artikel für Artikel sprachliche Mängel in den Artikeln ausbügeln. „Nach der Gründung merkten sie plötzlich, dass ihre Reporter gar nicht gut genug Englisch konnten“, sagt Maggie Augusta, die heute junge Journalisten schult. „Zum Teil landeten Artikel auf meinem Tisch, die weder auf Indonesisch noch auf Englisch abgefasst waren, sondern in einer Art dritten Sprache. Und wir nahmen die Schere und schnippelten irgendwie die Geschichte zusammen.“ Wie bei einer Übersetzung ging es dabei auch darum, nicht nur von einer Sprache in die andere, sondern auch von einer Denkungsart in die andere zu übersetzen: „Die englische Sprache ist linear, als würde man eine Liste machen und dann Punkt für Punkt abarbeiten, indonesisches Denken funktioniert holistisch. Während Westler eine Hand betrachten und sich dann auf die Handfläche oder den Handrücken konzentrieren, drehen Indonesier die Hand um. Deswegen erscheinen manche Satzteile an völlig überraschenden Stellen.“
Dementsprechend beginnt das dreimonatige Training junger Reporter bei der Jakarta Post heute damit, dass beide Sprachen gründlich verglichen werden. „Die Reporter sind alle Indonesier, sie sind indonesisch aufgewachsen und fühlen indonesisch, und sie können schließlich eine andere Sprache verwenden, so als sei es ihre eigene. Dennoch wird man das, was und wie hier geschrieben wird, in keiner einzigen Zeitung in England, den USA oder Australien finden. Ich glaube, die Journalisten der Jakarta Post spiegeln das wieder, wie die Welt eines Tages sein wird. Menschen, die zwei Seiten der Dinge sehen können.“
Ein Blick in den Newsroom gibt ihr schon heute Recht. Die Belegschaft besteht zu gleichen Teilen aus Muslimen und Christen, was nicht nur dafür sorgt, dass sowohl an Idul Fitri, am Ende des Ramadan, als auch zu Weihnachten die Zeitung regulär erscheinen kann. Reporter aus allen Regionen Indonesien gewährleisten eine vielfältige Berichterstattung vom Inselstaat. Und beim letzten Auswahltraining musste eine Männerquote eingeführt werden, um auch das Verhältnis von männlichen und weiblichen Reportern ausgewogen zu halten. Nicht zuletzt soll die 20-prozentige Beteiligung der Arbeitnehmer an der Jakarta Post und die Aufteilung der Geschäftsleitung zwischen vier Geschäftsführern die Unabhängigkeit der Zeitung wahren.
Das alles sind luxuriöse Bedenken blickt man zurück auf die fünfzehn Jahre, in denen die Jakarta Post unter dem Suharto-Regime ums Überleben pokerte. Denn ihr kontinuierlich besser werdendes Englisch erwies sich als subversives Mittel der Regimekritik. Bis zur triumphierend aus allen Nähten platzenden Schlagzeile „I quit“ am 22. Mai 1998, mit der die Jakarta Post Suhartos Rücktritt feierte, wehrte sie sich gegen die Politik von Suhartos New Order. Das war nicht leicht. Denn auch wenn es offiziell keine Zensur gab, nahm die Regierung durch Lizenzvergabe und Lizenzentzug rigoros Einfluss auf die Medien.
„Wir haben versucht, immer genau am Limit entlang zu schreiben“, resümiert Endy Bayuni, „aber weil wir nie genau wussten, wo die rote Linie war, mussten wir jeden Abend bei Redaktionsschluss raten, was noch toleriert werden würde. Wir mussten ständig überprüfen, welcher Laune die Regierung oder das Militär gerade war. Und diese Laune änderte sich ununterbrochen. Es wurde unsere Kunst beim Zeitungmachen, die rote Linie herauszufinden, und wenn die Regierung guter Laune war, sie schnell zu kritisieren.“
Andere Zeitungen, wie Sinar Harapan, blieben bei dieser Unternehmung auf der Strecke, das Wochenmagazin Tempo wurde sogar gleich zweimal geschlossen, aber die Jakarta Post kurvte immer wieder haarscharf aus der Gefahrenzone heraus. Der erste Anruf kam, als die Jakarta Post aus Anlass ihres zehnjährigen Jubiläums ein Seminar über Menschenrechte abhielt und darüber berichtete. Der zweite Anruf kam am 23.05.1997, als die Jakarta Post berichtete, dass der Absturz eines Flugzeugs in Serang, bei der sechs Menschen ums Leben kamen, von der staatlichen PT Industri Pesawat Terbang Nusantara verschuldet worden sei, dessen Vorsitzender der Vizepräsident Jusuf Habibie war. Der Verdacht erwies sich als unbegründet und obwohl die Zeitung schon am Tag darauf eine Berichtigung druckte, wurde sie von Habibie verklagt. „Wir wussten, beim dritten Anruf machen sie uns dicht. Aber auch das war interpretationsfähig. Tempo dachte zum Beispiel, sie hätten erst eine Warnung erhalten, aber laut Regierung waren es schon zwei. So konnte man es nie genau wissen.“
Eine Strategie, diese Anrufe zu umgehen, bestand darin, Nachrichten nicht auf der Titelseite zu bringen. Das Massaker auf dem Tiananmenplatz in Peking 1989 fand seinen Platz auf Seite 2. „Auf der Titelseite stand nur, dass Suharto das und das gesagt hat und dass die Wirtschaft toll läuft. Aber auf Seite 2 standen die Nachrichten. Und alle wussten, dass sie dort nachsehen mussten, wenn sie wissen wollten, was tatsächlich los war“, grinst Bayuni. „Wir wurden Experten im Zwischen-den-Zeilen-Schreiben bis zu dem Punkt, dass wir selbst nicht genau wussten, was wir eigentlich sagten. Aber die Leser begannen automatisch, Dinge miteinander zu verknüpfen, die nicht ausdrücklich da standen.“
Eine weitere Schwierigkeit bestand darin, bestimmte Nachrichten überhaupt lancieren zu können. Bambang Harimurty, mehrfach verklagter Chefredakteur von Tempo, erinnert sich: „Ereignisse, die uns zu heiß waren, schmuggelten wir direkt nach draußen. Kaum wurde in der ausländischen Presse berichtet, rannten wir zur Regierung und fragten, was sie darüber dachten. Natürlich mussten wir ihr Statement dann in einen Kontext einbetten. Solche Geschichten begannen gewöhnlich mit ‚Die Regierung bestreitet, dass‘, und wir konnten endlich unsere Geschichte bringen.“ Der jahrzehntelange Ost-Timor-Konflikt zwischen Unabhängigkeitsrebellen und Militär stellte in diesem Zusammenhang eine besondere Herausforderung dar, weil die ganze Region abgeriegelt war. „Das Militär rief uns an, um uns zu verbieten, über die Zusammenstöße zu berichten, von denen wir gar nichts wissen konnten“, erzählt Bayuni, „und ich saß hier mit meinem Stift und fragte, wo, was, wie viele Tote – und rief Reuters an und fragte, ob sie eine Exklusivgeschichte aus Ost-Timor wollten.“
Resultat dieses Journalismus entlang der roten Linie waren kontinuierlich steigende Abonnementzahlen. Schon Ende der 1980er Jahre hatte sich das Verhältnis von indonesischen und ausländischen Lesern kurzzeitig ins Verhältnis von 65 zu 35 Prozent gekehrt und die Jakarta Post die Reputation einer Zeitung erlangt, in der unabhängig und mutig geschrieben wurde. Nicht immer zu Recht, wie Harimurty findet: „Dadurch dass die Jakarta Post auf Englisch erschien, wurde sie von der Regierung nicht richtig ernst genommen, denn die meisten konnten ohnehin kein Englisch. Außerdem war sie auf der sicheren Seite, weil sie oft Nachrichten brachte, die am Tag zuvor in indonesischen Zeitungen erschienen waren.“
Dennoch hat sich die Jakarta Post heute mit einer Auflage von 40.000 unter den Top Ten der indonesischen Zeitungen platziert. Ihre Leserschaft lebt zum größten Teil in Jakarta, ist indonesisch, männlich, verheiratet, und besser verdienend. „Eine Zeitung für die globalisierte Welt mit Blick nach Westen“, resümiert Harimurty. Seit Anfang 2007 hat die Jakarta Post entsprechend das erste Wochenendmagazin Indonesiens, den Weekender, der einmal im Monat erscheint. Chefredakteur Bruce Emond wehrt sich gegen die Vermutung, es hier mit einem beliebigen Lifestyle-Magazin westlicher Couleur zu tun zu haben: „Es geht uns um das heutige kosmopolitische Jakarta, um Leute mit einem sozialen Bewusstsein und Geld für Freizeitausgaben.“ Entsprechend finden sich neben Mode und Reiseartikeln Titelgeschichten über Personen des gesellschaftlichen Lebens in Indonesien. Und gleich in der ersten Ausgabe wird das Thema Kopftuch-oder-nicht bei den Hörnern genommen. „Das ist ein sehr wichtiges Thema in Indonesien, aber keine andere Zeitung hätte hier je darüber berichtet. Auf Englisch kann man immer noch ein paar mehr heiße Eisen anpacken; zugleich haben wir darauf geachtet, ganz verschiedene Frauen mit ganz verschiedenen Ansichten zu porträtieren.“
Maria Hartiningsih, Redakteurin bei Kompas, stimmt zu: „Die Jakarta Post ist eine der wenigen Zeitungen in Indonesien, die die Dinge beim Namen nennt. Kompas ist noch in der javanischen Ideologie des Suharto-Regimes stecken geblieben, die Dinge nicht zu direkt anzusprechen. Die Jakarta Post hingegen klagt an, sei es den Mord am Menschenrechtler Munir 2004 oder die Gefahren des Klimawandels.“ Doch sieht sie, genau wie Harimurty und Banyuni die Herausforderungen, vor die die indonesischen Medien nach wie vor gestellt sind: „Wir haben zwar eine Demokratie, aber die steht auf wackeligen Füßen. Die Aufgabe einer Zeitung in Indonesien heute ist, das demokratische System zu festigen.“
Seit 1999 gibt es zwar ein Gesetz für Pressefreiheit, das jedoch durch das noch aus der Kolonialzeit stammende Strafgesetz konterkariert wird, dass die Regierung nicht kritisiert werden darf. „Da gibt es definitiv Nachbesserungsbedarf“, sagt Bayuni. Nachholbedarf sieht er auch im Bereich des investigativen Journalismus. „Wir haben nun die Freiheit, aber noch nicht die Expertise und Professionalität, um diese Freiheit ausnutzen zu können. In Indonesien gibt es immer noch soviel Korruption und Politskandale, aber wir müssen besser werden, um dem unter den neuen Bedingungen, auf den Grund gehen zu können.“