Der Gewalt entgegentreten
Indonesien-Information Nr. 2-3, 1998 (Frauen)
Vortrag anlässlich einer Aktion der indonesischen StudentInnen am 7. August 1998 in Münster für die Opfer der organisierten Massenvergewaltigungen bei den Mai-Unruhen in Indonesien
von Marianne Klute
Die Massenvergewaltigungen, die während der Mai-Unruhen in Jakarta geschahen, haben mich erst sprachlos gemacht, so entsetzlich sind sie. Ich lebe seit vielen Jahren in Jakarta, und ich habe die Entwicklung des Landes als stille Beobachterin stets aufmerksam verfolgt. Ich habe das Land und seine Bewohner lieben gelernt. Zwar habe ich manche Entwicklung kritisch betrachtet, doch da ich mich als Gast fühle, habe ich meine Meinung für mich behalten. Zu den Vergewaltigungen kann ich jedoch nicht schweigen, sie sind nicht nur ein Angriff auf Leib, Seele und Menschenwürde der Opfer, sondern sie bedeuten eine Missachtung aller Frauen schlechthin. Und wenn sich bewahrheitet, was sich jetzt allmählich herauskristallisiert, dass Misshandlungen von Frauen, die Vergewaltigungen und die Morde systematisch geplant und strategisch zur Erreichung politischer Ziele eingesetzt wurden, so gehören solche Taten ebenso verurteilt wie Gewalt gegen Zivilbevölkerung im Krieg oder der Einsatz von chemischen, biologischen und Nuklearwaffen.
Ein weiterer Grund, warum ich zu Ihnen spreche, ist die Realität meines persönlichen Lebens in Jakarta. Die Unruhen, die Vergewaltigungen, die Bedrohungen sind nicht vorbei und beschränken sich keineswegs auf Frauen chinesischer Abstammung, ihre Auswirkungen spürt jeder dort Ansässige. Viele Mädchen und Frauen leben zur Zeit in permanenter Furcht, die das Leben vergiftet. Für mich ist das eine neue Erfahrung. Ich habe bisher in Indonesien noch keine Angst gehabt, dass man mich körperlich angreift. Auch nachts bin ich oft ohne Bedenken allein unterwegs gewesen. Das hat sich jetzt geändert. Stellen Sie sich vor, was es bedeutet, wenn wir den Weg zur Arbeit nicht allein bewältigen können, wenn wir nur noch mit Bauchschmerzen einkaufen können oder wenn unsere Töchter noch nicht aus der Schule zurück sind.
Ziel meiner Ansprache ist, den Vergewaltigungs-Opfern in Indonesien zu helfen, sowohl finanziell als auch ideell. Sie sollen wissen, dass sie nicht allein gelassen werden und dass die Welt Gewalt gegen Frauen verurteilt. Die Gruppen in Indonesien, die die Betreuung der Opfer übernommen haben, brauchen unsere Unterstützung und Solidarität. Sie haben einen schweren Stand gegen eine Mauer aus Bedrohungen und aus Schweigen. Umso bewundernswerter ist ihr Engagement und ihr Mut. Solche tragischen Ereignisse bedürfen der Aufklärung und müssen von den Opfern und von der Gesellschaft, dem Volk, aufgearbeitet werden, damit sie die Zukunft nicht belasten.
Mitte Mai in Jakarta
Während der wirtschaftlichen und politischen Krise der vergangenen Monate hatten die Studenten für billigere Lebensmittelpreise, für Reformen, Demokratie und für Suhartos Rücktritt demonstriert. Die Demos verliefen friedlich auf dem Kampus. Am 12. Mai hatten Studenten soeben eine Demonstration beendet und zerstreuten sich auf dem Gelände der Trisakti-Universität. Der Kampus dieser Uni in West-Jakarta liegt zentral, direkt an wichtigen Hauptstraßen und an einer Autobahnbrücke. Plötzlich fielen Schüsse: vier Studenten starben auf dem Kampus. Der Kampus war von Ordnungskräften umstellt, doch die Schüsse kamen nicht von dort, sondern von oben, von der Brücke. Die Todesschützen hatten sich dort hinter Pfeilern verborgen, das war deutlich auf Filmaufnahmen zu sehen, die im indonesischen Fernsehen ausgestrahlt wurden. Diese vier Studenten sind die ersten Märtyrer der Reformasi.
Am Mittwoch und den folgenden Tagen war die Hölle los: Horden von Plünderen durchzogen die Stadt und stürmten die Geschäfte. Steine flogen in Glasfassaden, Türen und Fenster wurden aufgebrochen. Waren jeder Art, Lebensmittel, Kleidung, elektronische Geräte, Maschinen, wurden weggeschleppt oder auf Lastwagen wegtransportiert. Viele Gebäude gingen in Flammen auf und brannten völlig aus, Autos und Motorräder verbrannten, dicker schwarzer Qualm lag über der Stadt. Manche der Rauchsäulen sahen aus wie Atompilze. Über tausend Menschen sind in den Feuern umgekommen. Die Bilder von schwarzverschmorten Leichen, die aus einigen Kaufhäusern gezogen wurden, erschütterten die Welt.
Am Mittwoch verhielt sich das Militär still, griff nicht ein. Erst am Donnerstag fuhren Panzer auf, doch die Unruhen, die Plünderungen und Brände gingen weiter, auch in den Randbezirken und außerhalb der Riesenstadt.
Ich war während der ersten unruhigen Tage in Surabaya. Die Rückkehr nach Jakarta gestaltete sich schwierig, die Flughäfen waren überfüllt, der Weg vom und zum Flugplatz in Cengkareng lebensgefährlich. Überfälle fanden statt, die Reisewilligen wurden ausgeraubt. Trotz der Gefahr musste ich zurück. Erst Samstag Mittag ergatterte ich ein Flugzeug. Schon aus weiter Entfernung war unter der Wolkendecke ein dichtes schwarzes Band aus Ruß zu sehen, das sich Dutzende von Kilometern von Jakarta aus in Richtung Osten erstreckte. Es sah ungeheuer gespenstisch und bedrohlich aus. In der Stadt selbst war es mittlerweile totenstill. Es sah aus wie im Krieg. Glodok, das alte Chinesenviertel, war am schlimmsten getroffen. Nicht nur die großen Einkaufszentren, auch kleine Läden waren völlig zerstört. In den Trümmern wühlten Leute, es stank nach Rauch und Verwesung. Schon bei dieser ersten Fahrt durch die Stadt wurde mir deutlich, dass nur bestimmte Geschäfte angegriffen worden waren. Ganze Straßenzüge sind zu Ruinen geworden, und in der Nachbarstraße ist alles in Ordnung. Verkohlte und zerstörte Gebäude stehen neben unversehrten. Es war eindeutig, dass gezielt vorgegangen worden war. Und an fast jeden verschonten Haus hing ein Schild: „Milik Pribumi“ (Besitz eines Einheimischen) oder sogar: „Milik Pribumi Muslim“.
In der folgenden Woche wagte ich mich kaum aus dem Haus. Busse fuhren nicht, Supermärkte waren geplündert, Häuser verbarrikadiert. Die Schulen, Büros und die meisten Geschäfte hatten geschlossen. Die Versorgung der Bevölkerung war extrem schwierig. Täglich erfuhren wir Neuigkeiten, hörten Horrorgeschichten von unseren Bekannten. Manche rasten vor Angst, als der Mob durch die Straßen rannte, manche flüchteten vor dem Feuer, manche hatten schweres Leid erlebt. Viele waren völlig übernächtigt vom Wacheschieben. Überall standen Panzer, vor Krankenhäusern, vor Supermärkten, in den Wohnvierteln der Reichen, in der Innenstadt.
In der Politik überstürzten sich die Ereignisse. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens forderten nun offen Suhartos Rücktritt, auch solche, die sich früher nicht so geäußert hatten. Die Studenten besetzen das Parlamentsgelände, und nach einigen Tagen Bangen und Furcht vor einem Militärputsch trat Suharto zurück, und eine Ära war zu Ende. In der ersten Zeit danach drehte sich in der Öffentlichkeit alles um Reformen, um neue Freiheiten, um einen demokratischeren Wahlmodus, dann sprach man nur noch von den unermesslichen Reichtümern der Suharto-Familie. Wochen äußerster Anspannung nach zehn Tagen Gewalt und Gefahr – was jedoch im Mai wirklich in Jakarta geschah, wird jetzt erst langsam und mühsam aufgearbeitet.
Großen Anteil an der Aufklärung der Mai-Unruhen hat das Tim Relawan untuk Kemanusiaan, eine seit April bestehende Gruppe Freiwilliger, die sich für Menschlichkeit einsetzt, unter der Leitung des Jesuitenpaters Romo Sandyawan. Zu dem Team gehören Persönlichkeiten und Mitarbeiter von Menschenrechtsgruppen und Frauengruppen. Das Tim Relawan untersuchte die Vorgänge während der Unruhen, inspizierte die zerstörten Häuser, identifizierte die Leichen und besuchte die Geschädigten. Aufgrund der Fakten und Daten kam es zu dem vorläufigen Schluss, dass die Angriffe auf Geschäfts- und Wohnhäuser offensichtlich nach einem immer deutlicher werdenden Muster abgelaufen sind, das sich in immer wieder ähnlicher Weise wiederholte. Gruppen von fremden, gut trainierten und verkleideten Männern auf Lastwagen, in Autos oder auf Motorrädern tauchten in vielen Stadtteilen auf, sowohl in Nord- und West-Jakarta, wo viele Geschäfte sind, die Indonesiern chinesischer Abstammung gehören, als auch in Gegenden mit gemischter Bevölkerung. Kemang, der Stadtteil mit vielen westlichen Ausländern, blieb dagegen unbehelligt oder war gut bewacht. Die Provokateure, manche wurde von Zeugen als Geheimagenten der Armee erkannt, steckten Autoreifen und Holz an, um die Einwohner anzulocken. Mit Rufen wie „Heute gibt es alles umsonst!“ und: „Schlachtet die Chinesen, verbrennt sie, die chinesischen Hunde!“ stachelten sie die Leute an. Sie griffen die Geschäfte an und legten schließlich Feuer, nachdem der Laden ausgeräumt war. An den Plünderungen haben sich viele Arme beteiligt, aber nicht nur Arme, denn die Agitation erreichte auch Angestellte, Hausfrauen und Schüler, Menschen, die seit Monaten unter der Wirtschaftskrise gelitten haben und die Gelegenheit nutzten, etwas mitgehen zu lassen.
Das Tim Relawan sammelte Daten zu den Zerstörungen, Verletzungen und Todesfällen. Bei den Bränden am 13., 14. und 15. Mai sind über 4.000 Geschäfte und 40 Kaufhäuser, aber auch mehr als 1.000 Wohnhäuser angesteckt worden, 1.200 Menschen sind gestorben, wahrscheinlich mehr (heute spricht man von 2.000). Unter den Toten sind nicht nur Verbrannte, auch Erschossene und Vergewaltigte. Und in Jakartas Krankenhäusern lagen hunderte von Frauen und wurden wegen ihrer körperlichen Verletzungen und ihrer seelischen Leiden behandelt.
Anfang Juni erzählte mir eine Kollegin, dass in Glodok Frauen vergewaltigt worden seien. Sie wusste von einem elfjährigen Mädchen, das vor den Augen seiner Familie von mehreren Männern ausgezogen und missbraucht wurde. Lehrerinnen einer katholischen Schule suchten verzweifelt nach Pflegeeltern für elternlose Kinder. Diese Kinder haben ihre Eltern und Geschwister während der Unruhen verloren. Durch mehrere Bekannte erfuhr ich von anderen tragischen Fällen, von Frauen, die aus dem Auto gezerrt wurden und sich nackt ausziehen mussten, von Misshandelten, die in den Flammen umkamen, und nach und nach häuften sich die Nachrichten, dass in bestimmten, meist von Chinesen bewohnten Stadtteilen, eine große Anzahl Mädchen und Frauen vergewaltigt worden war. Doch diese Aussagen, so traurig sie sind, blieben vorerst nur Erzählungen und gingen von Mund zu Mund. In der Presse wurde zunächst von Vergewaltigungen nichts berichtet.
Gewalt gegen Frauen ist in Indonesien noch ein relativ neues Thema. Es gibt seit zwei, drei Jahren eine Reihe von Gruppen, die sich um die besonderen Probleme von Frauen kümmern, z.B. können sich Frauen mit juristischen Fragen an die Vereinigung Indonesischer Frauen für Gerechtigkeit (Asosiasi Perempuan Indonesia untuk Keadilan; APIK) wenden. Frauen können in Frauenhäusern Schutz und Beratung, sowohl juristische als auch psychologische, suchen. Da ich selbst aktives Mitglied einer Frauengruppe bin, halte ich zu einigen der obengenannten Institutionen guten Kontakt, unter anderem auch zu APIK und dem Frauenhaus Mitra Perempuan. Nach den Unruhen kamen plötzlich neue Aufgaben auf die Frauenhäuser und auf das Freiwilligen-Team des Pater Sandyawan zu: immer mehr während der Unruhen misshandelte und vergewaltigte Frauen, Opfer der Unruhen, suchten dort Hilfe, medizinische Betreuung und psychotherapeutische Beratung. Oft bat ein Familienmitglied um Beistand, wenn die Tochter oder die Ehefrau die seelischen und körperlichen Verletzungen nicht ertragen konnte, ja sogar verrückt geworden war. Die Frauen stehen unter Schock, haben ein schweres Trauma erlitten, und es fällt ihnen schwer, über die erlittene Erniedrigung zu sprechen. Sie sind in ihrer Menschenwürde zutiefst verletzt. Verzweifelt wurden zusätzliche Fachkräfte für die psychotherapeutische Betreuung gesucht. Am 5. Juni wusste Rita Kalibonso von Mitra Perempuan schon von dutzenden von Vergewaltigungsopfern, die Hilfe brauchten. Rita hatte den Eindruck, dass ihr längst nicht alle Gewalttaten gegen Frauen bekannt waren, nur die Spitze eines Eisbergs; sie rechnet mit einer hohen Dunkelziffer.
„Du musst vergewaltigt werden, weil du Chinesin bist!“
Das Tim Relawan begann am 10. Juni, die an Frauen begangenen Greueltaten zu untersuchen. Es fand heraus, dass die Täter immer Fremde waren, der lokalen Bevölkerung nicht bekannt. Zeugen berichten, dass es sich um muskulöse, trainierte Männern mit militärisch kurzem Haarschnitt handelte. Sie tauchten plötzlich auf, stachelten die Bevölkerung mit antichinesischen Rufen an, sie drangen in die Ladenhäuser ein und schikanierten die Bewohner. Genauso lauteten die Beschreibungen und die Methoden der Agitatoren und Plünderer. Die Angriffe gegen Frauen fanden hauptsächlich in Nord- und West-Jakarta statt, also dort, wo viele Einwohner chinesischer Abstammung leben, dagegen nicht in den anderen Stadtteilen. Unzählige chinesische Frauen wurden beleidigt und erniedrigt. Manche mussten sich in aller Öffentlichkeit ausziehen. Andere mussten zusehen, wie ihre Läden ausgeraubt wurden. Man rief ihnen zu: „Du musst vergewaltigt werden, weil du Chinesin bist!“ Dann wurden sie missbraucht und manche wurden anschließend ins Feuer geworfen. Aber auch in Privathäusern sind Frauen unter grausamen Umständen vergewaltigt worden, mal von Einzeltätern, oft aber stundenlang von ganzen Banden. Frauen jeden Alters waren die Opfer, auch Großmütter und Kinder. Einige der Opfer sind dem Wahnsinn verfallen, andere haben im Ausland Zuflucht gesucht. Einige Frauen haben Selbstmord begangen. Zu dieser Zeit wusste man, dass 168 Frauen vergewaltigt worden waren, und 20 von ihnen sind gestorben. Es wären sicherlich noch mehr Opfer zu beklagen, doch oft haben Nachbarn und Augenzeugen, darunter viele Muslime, die Bedrohten retten und in Sicherheit bringen können. Donnerstag, der 14. Mai, war der schlimmste Tag: 8 Frauen wurden sexuell schikaniert, eine von ihnen starb. 101 Frauen wurden vergewaltigt, 17 andere wurden nach der Vergewaltigung misshandelt und schwer verletzt, sieben von ihnen starben. Weitere 6 Frauen überlebten ihre Vergewaltigung nicht, weil sie in ihr brennendes Haus geworfen wurden.
Doch man war überzeugt, dass viele sich nicht melden, denn zu groß ist die Schmach, zu groß ist der Schock. Was vorher wie eine üble Begleiterscheinung der Unruhen erschienen war, kristallisiert sich heute als Unrecht großen Ausmaßes heraus. Die Daten zwingen aufgrund der Verletzungen der Opfer, aufgrund ihrer Aussagen und der von Zeugen und Tätern zu der Schlussfolgerung, dass es sich nicht um eine unglückliche Anhäufung von Vergewaltigungen handelt wie so oft in Kriegszeiten, sondern um systematisch organisierte Gewaltakte gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, ausgeführt von Banden, die dem Militär nahestehen oder dem Militär angehören.
Einige Fälle aus der Zeitschrift „Detektif dan Romantika“
Romo Sandy fand in der Kirche einen Mann, der nicht sprechen konnte, er konnte nur aufschreiben, was ihm widerfahren war. Während der Unruhen war seine Frau genau vor seinen Augen von mehreren Männern vergewaltigt worden.
Eine chinesische Studentin war gerade auf dem Heimweg von der Uni, als sie in Grogol von einer Menschenmenge angegriffen wurde. Sie rissen ihr die Kleider vom Leib und schlugen sie gnadenlos.
In West-Jakarta wurde während der Unruhen ein Mädchen vergewaltigt. Die Eltern wurden von einer Gruppe von Leuten festgehalten und mussten zusehen, wie ihr einziges Kind missbraucht wurde. Der Vater ist völlig durchgedreht.
Etwa zehn Leute stürmten in eine Bank in Nord-Jakarta. Sie zwangen die weiblichen Angestellten chinesischer Abstammung, sich auszuziehen und zu tanzen. Eins der Mädchen musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden.
Es gibt eine Menge noch viel schlimmerer Berichte, sie sind zu schrecklich, ich möchte auf weitere Beispiele und allzu genaue Darstellung verzichten. Was jetzt not tut, ist Engagement. Die Überlebenden brauchen Hilfe, die ihnen so weit es möglich ist, vor Ort gewährt wird. Sie müssen medizinisch behandelt werden, sie brauchen eine Psychotherapie. Das Tim Relawan und die Frauenhäuser haben eine Hotline errichtet, denn sie vermuten, dass viele der misshandelten Frauen sich nicht melden. Nach und nach und sehr zögernd rufen vergewaltigte Frauen oder Familienangehörige dort an. Oft wollen sie ihren Namen nicht nennen. Es ist so schwer, über eine Vergewaltigung zu sprechen. Die Opfer haben oft körperliche Schäden erlitten, von Kratzwunden angefangen bis zu schweren Verletzungen der Geschlechtsorgane. Die extreme Angst vor den brutalen Vergewaltigern, die Panik und Todesfurcht können kaum verarbeitet werden. Das Opfer ist aber nicht nur seelisch und körperlich verletzt, es ist auch zutiefst beschämt. Wie soll diese Frau über die Schande sprechen, die ihr angetan wurde? Zu wem soll sie sprechen? Die Vergewaltigung wird als Makel empfunden, man fühlt sich befleckt und beschmutzt, und junge Mädchen sind noch kaum fähig zu begreifen, dass sie selbst völlig ohne Schuld sind. Eine Vergewaltigung kann man nicht vergessen, sie prägt das ganze zukünftige Leben und verhindert auf Jahre eine vertrauensvolle Beziehung zu Männern. Eine deutsche Bekannte, die selbst vor 30 Jahren missbraucht wurde, sagte zu mir: „Es ist wie eine schwere Verbrennungswunde, die Narbe bleibt.“
Diese Gefühle können wir nachvollziehen. Auch in Deutschland wird manche Vergewaltigung verschwiegen, doch in Indonesien kommt zu der persönlichen Scham noch mehr hinzu. Zum einen die Angst vor der Ächtung durch die Gesellschaft, zum anderen ein weitaus weniger entwickeltes Rechtssystem. Auch die Mitmenschen betrachten ein vergewaltigtes Mädchen als mit einem Makel behaftet. Und chinesische Familien fühlen sich als ganze geschändet. Gesetzgebung und Rechtssprechung schützen Frauen nicht. Zwar ist die UNO-Konvention gegen jede Diskriminierung von Frauen schon seit 14 Jahren ratifiziert, doch bisher sind erst einige der entsprechenden Gesetze zum Schutz der Frau verabschiedet. (Juristisch sind die Indonesierinnen noch nicht gleichberechtigt, und Vergewaltigung in der Ehe wird nicht als Delikt betrachtet.) Erschwerend kommt hinzu, dass in Indonesien keine unabhängige Rechtssprechung existiert.
Doch auch wo eine vergewaltigte Frau sich vom Gesetzgeber beschützt fühlen kann, ist für sie die Prozedur der Beweisaufnahme unerträglich. Sie muss mit ihr fremden Beamten reden, sie wird gynäkologisch untersucht, sie muss eventuell vor Gericht aussagen. Das nimmt niemand gern auf sich, umso weniger, wenn kein Vertrauen besteht. Dies ist einer der Gründe, warum den indonesischen Behörden keine Anzeigen vorlagen und die Massenvergewaltigungen von offizieller Seite wochenlang gar nicht zur Kenntnis genommen wurden.
Die Opfer schweigen nicht nur aus persönlicher Scham, sondern auch aus Angst vor Racheakten. Manche Opfer wurden telefonisch bedroht, chinesische Familien werden auch jetzt noch terrorisiert. Unter diesen Umständen ist es verständlich, dass die vergewaltigten Frauen und ihre Familien sich fürchten, um Hilfe zu bitten. Die Mitglieder des Tim Relawan berichten, dass auch sie mehrmals gewarnt wurden, den Opfern zu helfen. Pater Sandyawan fand eine Bombe in seinem Briefkasten. Die Androhungen halten sie nicht von ihrer Arbeit ab, und Ita Nadia von der Frauengruppe Kalyanamitra, die ebenfalls im Tim Relawan mitarbeitet, appellierte daher an die Opfer: „Bitte haben Sie keine Angst, sich an uns zu wenden. Wir garantieren die Anonymität der Opfer und der Informanten.“ /Jakarta Post, 15.6.98/, denn nur die Nichtregierungsorganisationen konnten den missbrauchten Frauen in einer angstfreien und vertrauenserweckenden Atmosphäre beistehen. Nur ihnen wurde das notwendige Vertrauen entgegengebracht, der offiziellen Menschenrechtsorganisation Komnas HAM lange nicht.
Der Appell brachte mehr Resonanz. Im Laufe der letzten Wochen meldeten sich weitere Frauen, die seither medizinisch und psychologisch betreut werden. Das Tim Relawan befragte die Opfer, die Familienmitglieder und Nachbarn, die Zeugen und auch einen der Provokateure. Inzwischen spricht man von über 500 Vergewaltigungen, wobei die Dunkelziffer groß scheint, und das Tim Relawan kommt in seiner Dokumentation mit dem Titel „Early Documentation No. 3“ zu dem Schluss, dass „hunderte von Vergewaltigungen nach dem gleichen brutalen modus operandi“ abliefen und daß es sich um „systematische und organisierte massive unzivilisierte Taten“ handelt, dass also Organisation und Ablauf der Gewaltakte gegen Menschen verblüffend der Organisation der Gewaltakte gegen Gegenstände gleichen, den Plünderungen, Zerstörungen und dem Verbrennen von Häusern.
Die Misshandlungen und Vergewaltigungen chinesischer Frauen liefen nicht nur nach dem gleichen Muster ab, sie sind offensichtlich von langer Hand vorbereitet worden. Eine chinesischstämmige Bekannte erzählte, dass ihr in den Monaten vor den Unruhen mehrfach (!) von verschiedenen Taxifahrern gesagt wurde: „Ihr werdet noch sehen, was euch blüht. Wir warten nur noch auf das Kommando, dann werden wir alle Chinesinnen vergewaltigen.“ /MFS/
„Auch das Verbreiten von Gerüchten ist schon eine Form von Gewalt“
Auch nach dem 15. Mai, im Juni und Juli, gab es noch vereinzelt Vergewaltigungen, die Parallelen aufweisen zu den Maiunruhen. Nicht nur in Jakarta, auch aus Bandung und Solo kommen Meldungen von Gewalt gegen meist chinesische Frauen, die grauenvoll zugerichtet wurden, von Telefonterror und systematischer Angstmache. Einige Becak-Fahrer in Bandung erhielten von Unbekannten den Auftrag, Frauen chinesischer Abstammung gegen Bezahlung zu missbrauchen. Die Menschen armer Stadtteile in Jakarta und Bandung werden zur Zeit zu kriminellen Handlungen, zur Gewalt gegen chinesische Häuser und gegenüber Chinesen aufgewiegelt. Die hier und dort auftauchenden Einzelfälle halten die Angst lebendig, ebenso die indirekten Drohungen, die geschickt unters Volk gestreut werden. Mit den Worten einer Freundin: „Auch das Verbreiten von Gerüchten, die Vergewaltigung androhen, ist schon eine Form von Gewalt gegen Frauen.“ /MFS/ Dass auch nach den Mai-Unruhen und dem Ende der Suharto-Ära noch Gerüchte im Umlauf sind wie vorher, legt den Schluss nahe, dass die gleichen Hintermänner noch immer am Werk sind. Auch der gegenwärtige Terror scheint wie die Trisakti-Morde, die Mai-Unruhen und die Massenvergewaltigungen systematisch geplant zu sein, mit dem Ziel, große Gruppen der Gesellschaft entsprechend aufzuhetzen und die anderen in Angst und Schrecken leben zu lassen.
Die Provokateure haben leichtes Spiel. In Indonesien sind viele Menschen durch die Wirtschaftskrise völlig verarmt und verzweifelt. Es ist so einfach, den Menschen, die kein Einkommen mehr haben, die nicht wissen, ob sie heute etwas zu essen bekommen, die die Hintergründe des wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruchs nicht begreifen, einzureden, dass allein die oft wohlhabenden Chinesen das Land ausgebeutet haben. Irgendjemand muss ja für den Ausverkauf Indonesiens verantwortlich sein. Antichinesische Resentiments sind weitverbreitet und können leicht ausgenutzt werden. Jeder weiß, dass zu den Reichsten der Reichen auch etliche Chinesen gehören. Viele Chinesen sind sehr tüchtig, haben eigene Geschäfte, das erzeugt Neid. Außerdem sind viele Chinesen Christen und keine Muslime. Sie sind die idealen Sündenböcke. Dazu möchte ich ein paar Zeilen aus einem Brief vorlesen, den ich vor ein paar Tagen aus Jakarta erhielt:
Anfang Juli fuhren wie an der Zweigstelle einer BCA-Bank vorbei, einige Angestellte strömten heraus, es war gerade Mittagspause.
F(ahrer): „Die BCA-Angestellten tragen jetzt keine Uniform mehr. Man sagt, wenn man sie an der Uniform als BCA-Angestellte erkennen kann, dann werden sie vergewaltigt.“
Ich: „Was?! Wieso das denn?“
F: „Ja, man sagt, daß die BCA korrupte Geschäfte macht.“
Ich: „Wie, und deshalb sollen die Angestellten vergewaltigt werden? Was hat das miteinander zu tun?“
F: „Ja, die beschäftigen fast nur Chinesinnen und Chinesen, und unsere Leute (gemeint: die Javaner, bzw. einheimischen Indonesier) benachteiligen sie, z.B. beim Gehalt.“
Ich: „Und wenn das alles stimmt, kann man doch trotzdem nicht sagen, jetzt werden zur Strafe alle Frauen vergewaltigt, die dort arbeiten!“
F: „So sagt man aber. Die müssten vergewaltigt werden.“
An dieser Stelle habe ich das Gespräch abgebrochen, weil es mir die Sprache verschlagen hat. Mit kühlem Kopf betrachtet, denke ich, zeigt die Geschichte folgendes:
1. es ist sehr einfach, das Volk, das nie gelernt hat, selbst zu denken, aufzuhetzen. Da jahrzehntelang immer von oben gesagt wurde, was richtig und was falsch ist, konnte sich ein eigenes moralisches Urteil kaum entwickeln. Jetzt wird dem Volk jemand präsentiert, der angeblich an seiner Misere schuld ist und jede Strafe als eine gerechte hingestellt, so dass Grausamkeiten gegenüber diesen Sündenböcken als legitim empfunden werden. Und die einfachen Leute denken auch nicht darüber nach, ob die zu Bestrafenden mit den vermeintlichen Verbrechen überhaupt irgendwas zu tun haben. Hauptsache, man bietet ihnen ein Ventil für ihren Frust.
2. Das beste Ventil für machtlose und frustrierte Männer ist wohl die Beherrschung und der Triumph über eine Frau. Zudem ist Vergewaltigung ein Verbrechen, das sich besonders gut zudecken lässt, da die Opfer so leicht nicht den Mund aufmachen werden.
3. Die beste Garantie, dass Gerüchte auch großflächig verbreitet werden und den erwünschten Einschüchterungseffekt erzielen, ist, sie unter die Fahrer von öffentlichen Verkehrsmitteln (Kleinbusse, Bajajs, Taxis) und Privatautos zu streuen. Das sind nämlich die Leute, die täglich kreuz und quer durch die ganze Stadt fahren, beim Warten Neuigkeiten austauschen und mit vielen Leuten in Kontakt kommen. /MFS/
Wer hat Interesse an der Verbreitung von Angst und Terror? Wer braucht die Chinesen als Sündenböcke, um von eigenen Verfehlungen abzulenken? Wer ist für den Tod der Studenten auf dem Kampus der Trisakti-Universität verantwortlich? Für die Unruhen und Brände? Wer für die Massenvergewaltigungen? Erst wurde der Name nur gemunkelt, nun steht er in vielen indonesischen und internationalen Zeitungen wie Asiaweek und Review: Prabowo, der Schwiegersohn Suhartos und ehemaliger Kommandant der Sondereinheit Kopassus. Wenn sich dies bewahrheiten sollte, dass nicht nur irgendwelche Militärs das Land terrorisieren, sondern die ehemalige Präsidentenfamilie selbst ihre Finger im Spiel hat, dann sind die Massenvergewaltigungen chinesischer Frauen mehr als Gräueltaten, sie sind politische Verbrechen (Machtkämpfe). Und diejenigen, die den Frauen helfen, ein neues Leben anzufangen, spielen ein gefährliches politisches Spiel und riskieren dabei ihr eigenes Leben.
Nach dem Rücktritt Suhartos hat eine neue Phase begonnen. Reformasi und Demokrasi sind die Zauberworte. Die Krankheiten der letzten Jahre: Korupsi, Kolusi und Nepotisme sollen bekämpft werden und aus dem politischen Leben verschwinden. Über Nacht haben die Indonesier neue Freiheiten erhalten. Viele Menschen fühlen sich erleichtert und sind voller Hoffnung. Allmählich kommt heraus, wie das alte Regime seine Gegner unterdrückte: Kritiker landeten im Gefängnis, Oppostionelle verschwanden, das alles war bekannt. Doch jetzt erst mehren sich die Stimmen, die von unzähligen Vergewaltigungen in den aufsässigen Provinzen Aceh, Osttimor und Irian Jaya sprechen.
Gewalt gegenüber Frauen ist ein bewährtes Mittel der Kriegsführung, denken wir nur an das Ende des Zweiten Weltkriegs oder an die ethnischen „Säuberungen“ und gezielten Vergewaltigungen in Bosnien. Ziel und Ergebnis sind immer gleich: ein ganzes Volk wird zutiefst gedemütigt und erniedrigt und lebt in permanenter Angst. Es wird systematisch fertiggemacht, soll sogar ausgelöscht werden. So etwas scheint in Indonesien unvorstellbar zu sein. Dass es trotzdem geschah, erscheint der Zeitung Suara Pembaruan als „Vergewaltigung der Würde Indonesiens“ /Christianto Wibisono; 28.7.98/, als das Ergebnis der pervers gewordenen absoluten Macht, verkörpert durch das Suharto-Regime. Die Zeitungen Jakarta Post und The Straits Times nannten die tragischen Ereignisse der Mai-Unruhen „eine Kombination mentaler Krankheiten, die nicht nur auf latentem Rassismus beruhen, sondern einen Beigeschmack sadistischer und brutaler Politik a la Macchiavelli enthalten, die die politische Kultur der Suharto-Ära geprägt hat“. /Ariel Heryanto/
Während der Suharto-Ära sind zu viele mysteriöse Ereignisse geschehen (G-30S/PKI, Peristiwa Tanjung Priok, Sanggoledo, Timika, Osttimor, Situbondo, 27. Juli 1996), die wie die Trilogie Trisakti-Morde, Mai-Unruhen und Massenvergewaltigungen noch der Aufklärung harren. Eins hängt mit dem anderen zusammen. Die alte politische Kultur übt noch viel Macht aus, und das macht die Arbeit der Menschenrechtsgruppen und der Frauengruppen immer noch sehr gefährlich. Seelisch und körperlich kranke vergewaltigte Frauen und Mädchen zu trösten und medizinisch und psychotherapeutisch zu behandeln, ist nicht allein Gebot der Nächstenliebe und der Menschlichkeit, sondern eine Absage an die alte politische Macht der Unterdrückung.
Sieben Wochen nach den Mai-Ereignissen gab die offiziellen Menschenrechtskommission Komnas HAM erstmals zu, dass es in Indonesien Massenvergewaltigungen gegeben hat, erst nachdem eine Frauendelegation mühsam zusammengetragenes Material über die Vergewaltigungen übergeben hatte. Am Tag zuvor (4. Juli 1998 im TIM) hatte der „Zusammenschluss indonesischer Frauen für Gerechtigkeit und Demokratie“ (Koalisi Perempuan Indonesia untuk Keadilan dan Demokrasi) eine offene Diskussion veranstaltet, an der auch die Gruppe teilnahm, in der ich Mitglied bin. Teilnehmerinnen dieser Diskussion sagten, /laut MFS/:
- „-dass es in den Provinzen Aceh, NTT und Irian Jaya in den letzten zehn Jahren ständig zu Vergewaltigungen der ethnischen Minoritäten durch das Militär gekommen sei; (es fiel die Zahl: tausende);
- – bei den Unruhen im September 1997 in Ujung Pandang habe es ebenfalls Massenvergewaltigungen gegeben;
- – es sei ein Video-Tape über die Vergewaltigungen vom 14. Mai in Umlauf. Dies sei als Beweis dafür zu werten, dass die Aktion geplant war;
- – dass es auch für Angehörige nicht-chinesischer Minoritäten (z.B. Menadonesinnen) in der „Neuen Ordnung“ keine Chancengleichheit gegeben habe, zum einen aufgrund ihrer Abstammung, zum andern aufgrund der christlichen Religion.“
Es wurde in der Diskussion deutlich, dass es sich auch um eine Benachteiligung von nicht-islamischen Staatsbürgern handelt. Das koloniale Prinzip „Teile und herrsche“ habe die Macht stabilisiert. Militärherrschaft ist per se auch Gewaltherrschaft und die Instrumente des Terrors sind männliche Instrumente. Der „Maskulinismus“ ist auch unter den sogenannten Reformern noch lebendig. Nur so lässt es sich erklären, dass die Presse, die Regierung und die Reformer mit vereinten Kräften so lange versucht haben, die Massenvergewaltigungen als Hingespinste abzutun. Nach dem Motto: es ist doch unmöglich, dass ein indonesischer Mann so was tut. Fazit: ein Ende der systematischen Gewalt gegen Frauen könne es nur in einem veränderten System geben. Frauen müssten sich zur Wehr setzen, um nicht weiterhin zum Opfer zu werden. Den Abschluss der Veranstaltung bildete ein gemeinsames Gebet. Die Gebete der Musliminnen, Christinnen, Buddhistinnen, Hinduistinnen und Kong Hu Chu Anhängerinnen unterschieden sich nicht sehr voneinander. Sie alle beteten für die Opfer der Vergewaltigungen, für alle anderen Opfer der Gewaltherrschaft der Neuen Ordnung, für die Kraft, um gegen diese Gewalt anzugehen und für die moralische Erneuerung des ganzen Volkes. Das Schlusswort war: „geht in Frieden und sorgt dafür, dass so etwas nie wieder passiert.“
Die beinahe revolutionäre Bedeutung dieses interreligiösen Gebetes kann man nur erfassen, wenn man weiß, wie heikel das Thema Religion in Indonesien ist, dass die Auseinandersetzung zwischen den Religionen normalerweise nur unter dem Aspekt der gegenseitigen Abgrenzung und teilweise auch Verteufelung läuft. /MFS/
Erst vor zwei Wochen bildete die Regierung auf Druck der Öffentlichkeit eine Sonderkommission, bestehend aus Vertretern des Militärs, zivilen Beamten, Angehörigen von Komnas HAM und einigen Nichtregierungsorganisationen, die sich um die Aufklärung der Vorfälle vom 13.-15. Mai kümmern soll /Kompas, 24.7.98/. Das Team soll drei Monate lang arbeiten. Von Ergebnissen habe ich bis jetzt nichts gehört. Außer diesem Tim Pencari Fakta wurde noch eine unabhängige Kommission gebildet, bestehend aus einigen meistens offiziellen Organisationen, deren Leiterin Saparinah Sadli vom Präsidenten persönlich eingesetzt wurde und ihm direkt verantwortlich ist. Auch die Frau des Präsidenten engagiert sich für die Opfer der Massenvergewaltigungen.
Diese Entwicklungen stimmen hoffnungsvoll, doch wie die heutige Stimmung in Jakarta, in Bandung und in anderen indonesischen Städten zeigt, ist die Angst vor Gewalttaten längst nicht verschwunden, sondern wird vielmehr weiterhin systematisch geschürt. Außer den Chinesinnen fühlen sich viele andere Frauen bedroht. Christinnen aus Menado in Nord-Sulawesi und aus dem Batakland befürchten, dass sich der Terror auch gegen Christen richtet. Javanische und sundanesische Frauen, die dem Islam angehören, leiden nicht weniger unter der gespannten Atmosphäre des Misstrauens und der Gewaltbereitschaft. Sie wissen ja nicht, ob ihr Gegenüber vielleicht ein Vergewaltiger ist. In Jakarta und Bandung lassen sich Gaspistolen und Keuschheitsgürtel ‚korset anti-pemerkosaan‘ gut verkaufen. Es werden sogar mehrere Modelle angeboten wurden, pro Stück für Rp. 100.000, Kombination aus Leder und Stahl. Eine nicht-chinesische Mutter dreier Töchter meinte zu mir: „Es ist so absurd! Kannst du dir vorstellen, dich in sowas hineinzuzwängen? Und was wird ein aufgebrachter Vergewaltiger wohl tun, wenn er am Metallschloss scheitert? Ich denke, er wird der Frau gleich den Hals umdrehen.“
Es wird noch mehr Vergewaltigungen geben in Indonesien, noch mehr Gewalt gegen Frauen. Romo Sandyawan sagt: „Der Gewalt kann man nur mit Gewaltlosigkeit entgegentreten.“ In diesem Satz sind sowohl das Wort „Gewaltlosigkeit“ als auch das Wort „entgegentreten“ gleichermaßen bedeutungsvoll. Allen Opfern organisierter Vergewaltigung zu helfen, unabhängig vom Geschlecht, von der Abstammung, von politischen und religiösen Überzeugungen, ist praktizierte Gewaltlosigkeit, verwirklicht von zwei Gemeinschaftsaktionen (Aksi Kemanusiaan bagi Pelecehan Seksual dan Pemerkosaan und Aksi Kemanusiaan untuk Rawan Pangan) von Therapeuten und Medizinern aus Holland mit dem Tim Kemanusiaan ISJ, den Frauenorganisationen Yayasan Kalyanamitra und Mitra Perempuan und anderen Gruppen, aber ein langer und mühsamer Prozess gegen jegliche Form von Gewalt, wie sie von dem alten Regime verübt wurde, und ein Beitrag zur Überwindung von Trauer und Angst und zur Heilung der Wunden. Die gleiche Bedeutung hat auch das gemeinsame Gebet von 1.000 christlichen und islamischen Studenten in der Innenstadt, ebenso der Gebetsabend der Koalition der Indonesischen Frauen für Demokratie und Gerechtigkeit am 23. Juli, zu dem mehr als 1.000 Frauen kamen. Sie verurteilen jegliche Form der Gewalt, weil Gewalt nicht nur eine persönliche Bedrohung darstellt, sondern auch das Haupthindernis ist auf dem Weg zur Herstellung von Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie in Indonesien. /Kompas, 4.8.98/.
Der Gewalt entgegentreten? Doch man mus ihr entgegentreten, sonst findet die Gewalt noch mehr Opfer. Für viele misshandelte Frauen ist es zu spät. Doch noch warten hunderte auf Hilfe und Trost. Über die Vorfälle zu schweigen heißt, die Opfer lebendig zu begraben.