„Hausgemachte politische Führungskrise“

derStandard.at, 29. Mai 2006

Osttimor-Expertin Monika Schlicher von der Menschenrechts-Organisation „Watch Indonesia!“ über die Gründe der Gewalt

DerStandardderStandard.at: Was sind die genauen Gründe für die Gewaltwelle in Osttimor?

Schlicher: Wir haben in Osttimor eine hausgemachte politische Führungskrise. Diese ist darauf zurück zu führen, dass Premierminister Mari Alkatiri den Beschwerden der Soldaten kein Gehör geschenkt und rund 600 entlassenen hat. Dadurch kam es zur Zuspitzung der Lage.

Die Soldaten haben vom 24. bis 28. April in Dili demonstriert. Dieser Protest wurde gewaltsam beendet. Dann sind auch Banden aus Dili mit auf den Zug aufgesprungen und haben randaliert. Wobei hier ein wesentlicher Punkt die hohe Arbeitslosigkeit von jungen Männern in Osttimor ist: Aktuelle Zahlen sprechen von 96 Prozent. Das heißt, es gibt in Dili zur Zeit sehr sehr viele Jugendliche, die den ganzen Tag nichts zu tun haben und die sich in Banden organisieren.

Nach der Entlassung der Soldaten hat der Premierminister die Armee zu Hilfe gerufen und Schießbefehl gegeben, zu welchem er eigentlich nicht autorisiert gewesen wäre, weil nur der Präsident darüber entscheiden darf. Daraufhin sind Teile der Armee desertiert und haben sich gegen die Regierung gewandt, weil sie nicht auf ihre Kameraden schießen wollten. Nachdem die entlassenen Soldaten dann auf Dili vorgerückt sind, ist die Lage dann eskaliert.

derStandard.at: Was waren die Anliegen der Soldaten?

Schlicher: Die Soldaten haben sich darüber beschwert, dass ihre Kollegen, die aus den östlichen Gebieten kommen, bei Beförderungen bevorzugt werden. Das Militär ist in Osttimor in den östlichen Gebieten stationiert, um Indonesien mit Militär an der Westgrenze nicht zu provozieren. Die Soldaten haben sich nun darüber beschwert, dass es sie sehr viel Geld kostet, wenn sie im Osten stationiert sind und an freien Tagen zu ihren Familien in den Westen reisen. Im Grunde genommen führten also sehr banale Dinge zur Krise.

derStandard.at: Pro-indonesische Symphathien wie vor der Unabhängigkeit spielen in der aktuellen Situation also keine wesentliche Rolle mehr?

Schlicher: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben aber natürlich bei diesen Banden sehr viele ehemalige pro-indonesische Milizionäre. Diese Leute wurden im Zuge der Unabhängigkeit einfach laufen gelassen. Es wurde auf Versöhnung gesetzt und die juristischen Prozesse wurden eingestellt, ohne die Geschichte aufzuarbeiten. Im Grunde genommen funktioniert der Rechtsstaat in Osttimor heute kaum, was das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz nicht gerade fördert. Heute werden bei diesen Gewalteskalationen alte Rechnungen beglichen.

derStandard.at: Um die Lage wieder zu beruhigen sind ausländische Truppen unter der Führung Australiens im Land. Glauben Sie, dass das das richtige Mittel ist?

Schlicher: Es ist das einzige Mittel, das noch zur Verfügung stand. Der Ruf nach ausländischen Truppen kommt einer Bankrotterklärung der Regierung gleich. Die öffentliche Ordnung ist zusammen gebrochen, Armee kämpft gegen Armee, Armee kämpft gegen Polizei, der Polizeichef ist geflohen, niemand hat mehr Kontrolle: In dieser Situation war es sicherlich richtig, Hilfe von außen zu holen. Denn sonst kann niemand mehr die Bevölkerung schützen.

derStandard.at: Sollte auch UNO-Truppen wieder nach Osttimor zurück kehren?

Schlicher: Im Moment wird in New York überlegt, inwieweit es sinnvoll ist, die UN-Mission wieder mit Militär- oder Polizeikräften zu unterstützen.

derStandard.at: Könnten die Unruhen zum Rücktritt von Premierminister Alkatiri führen?

Schlicher: Es gab heute eine erste Sitzung des Staatsrates mit Präsident Xanana Gusmão und dem Premierminister. Das Ergebnis ist jedoch noch nicht verkündet worden. Es besteht die Möglichkeit, dass Alkatiri zum Rücktritt gezwungen wird, im Moment versucht er aber noch seine Position zu behaupten.

derStandard.at: Worin ist die Rivalität zwischen Gusmão und Alkatiri begründet?

Schlicher: Der Präsident ist beliebt, er ist volksnah, hat eine hohe moralische Autorität und die Leute hören auf ihn. Der Premier ist auf Grund seines Führungsstils, der undemokratisch und zuweilen sehr autoritär ist, beim Volk unbeliebt. Er begnet den Problemen nicht und versucht sie auszusitzen und gerät dadurch immer wieder in Konflikt mit dem Präsidenten.

derStandard.at: Gusmão hat heute zur Ruhe aufgerufen. Wird das Volk auf den Präsidenten hören?

Schlicher: Sein Wort hat Gewicht. Allerdings kommt der heutige Auftritt zu spät. Das hätte er schon vor Tagen machen müssen.

derStandard.at: Was sind die Hauptgründe dafür, dass Osttimor trotz Öl- und Gasvorkommen noch immer das ärmste Land Asiens ist?

Schlicher: Die Einkünfte aus den Öl- und Gasvorkommen fließen noch nicht so recht. Die Bevölkerung lebt zu 80 Prozent von der Landwirtschaft. Es gibt große Probleme im Bildungswesen: Über die Hälfte der Bevölkerung kann weder Lesen noch Schreiben. Das Land hat sich keinen großen Gefallen damit getan, Portugiesisch als Nationalsprache zu wählen, weil es nur sehr wenige sprechen. Das heißt die heranwachsende Generation wird in einer Sprache unterrichtet, die sie nicht versteht. Die Arbeitslosigkeit ist wie gesagt sehr hoch.

In der Landwirtschaft wird mit sehr einfachen Mitteln und wenig Ertrag gearbeitet. Die Familien sind sehr groß, zehn Kinder sind nicht selten, die Hälfte der Bevölkerung ist unter 14 Jahre alt. Die Bevölkerung wird sich auf Dauer also nicht selbst ernähren können und gleichzeitig gibt es keine Arbeitsplätze.

derStandard.at: Was ist der Weg aus der Krise?

Schlicher: Wichtig ist, dass ganz schnell Ruhe und Ordnung wieder hergestellt werden. Das kann nur mit den ausländischen Soldaten passieren. Dazu muss man sich die Frage stellen, ob die derzeitige Regierung überhaupt noch funktionstüchtig ist und wer entlassen werden könnte, damit das Vertrauen der Bevölkerung wieder hergestellt werden kann.

derStandard.at: Was sollte das Ausland tun?

Schlicher: Druck auf die Regierung ausüben, damit sie zu einer politischen Lösung im Dialog zurück kehrt. <>


Tags: , , , , , , ,


Share