Osttimor: »Xanana« Gusmão gewinnt die Wahl klar
Neues Deutschland, 17. April 2002
Präsident will »Auge, Ohr und Mund des Volkes« sein
Von Jörg Meier, Dili
Erwartungsgemäß wurde der 55-jährige ehemalige Guerillakämpfer José Alexandre »Xanana« Gusmão am Sonntag zum ersten Präsidenten Osttimors gewählt. Die Wahl war die letzte Hürde, die es zu nehmen galt, bevor die Inselhälfte am 20. Mai in die Unabhängigkeit entlassen wird. Dass Gusmão seinen Herausforderer Francisco Xavier do Amaral schlagen würde, hatte niemand bezweifelt. Amaral, der vor 27 Jahren, in den neun wirren Tagen zwischen der Proklamation eines unabhängigen Osttimor und der indonesischen Invasion schon einmal Präsident der Inselhälfte war, sagte selber: »Ich trete lediglich an, damit die Leute überhaupt eine Wahl haben.« Der eigentliche Machtkampf findet zwischen Gusmão und der Fretilin-Partei statt. Ebenso wie Amaral einst Gründungsmitglied der Fretilin (Frente Revolucionária do Timor-Leste Independente – Revolutionäre Front für ein unabhängiges Osttimor), sonderte sich Gusmão 1987 von der Partei ab und gründete den Dachverband des timorischen Widerstands CNRT, in dem die Fretilin eine tragende Rolle spielte. Im Zuge der Abspaltung von Indonesien organisierten sich viele ehemalige Fretilin-Anhänger in neuen Parteien, um die Belange der einfachen Bevölkerung zu vertreten. Sie kämpfen derzeit aber noch damit, politischen Boden zu gewinnen. In den Herzen vieler Osttimorer existiert die Fretilin weiterhin als Symbol des Unabhängigkeitskampfes und wurde bei den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung im letzten Jahr mit Gusmão, dem zweiten Symbol des Freiheitsbewegung, assoziiert. So war es nicht überraschend, dass die Frente sich mit 64 Prozent der Stimmen 55 von 88 Sitzen in der Versammlung sicherte und auch das Übergangskabinett von Chefminister Mari Alkatiri dominiert. Alkatiri und einige andere Minister lebten in den Jahren indonesischer Besatzung in Moçambique und Portugal. Die islamische Religionszugehörigkeit des Chefministers und seine Bemerkung, er boykottiere die Präsidentschaftswahl, machen ihn im römisch-katholischen Osttimor äußerst unbeliebt. Politiker anderer Parteien werfen der Fretilin Vetternwirtschaft und Korruption vor. So meinte Eusebio Guterres von der PD: »Es wäre eine Katastrophe, wenn Amaral zum Präsidenten gewählt würde, da die Fretilin ihn für ihre politischen Manöver ausnutzen würde.« Und auch Mario Carrascalão, Vorsitzender der PSD, äußerte: »Wenn es der Fretilin gelingt, die Menschen in dem Maße zu beeinflussen, dass sie gegen Xanana stimmen, laufen wir Gefahr, abermals in einer Diktatur zu enden.« Gusmão will als demokratischer Gegenpol zur Fretilin-dominierten verfassunggebenden Versammlung auftreten, die am 20. Mai in das Parlament des nach jahrhundertelanger portugiesischer Kolonialherrschaft, 23 Jahren indonesischer Besatzung und zweieinhalbjähriger UN-Übergangsverwaltung unabhängigen Osttimors umgewandelt wird. Die Schlagwörter seiner politischen Kampagne sind Demokratie, Stabilität, Entwicklung, nationale Einheit und Versöhnung. Da die Verfassung dem Präsidenten, sieht man vom Vetorecht ab, eine mehr repräsentative Rolle zuschreibt, brauchte Gusmão zur Legitimation seines Anliegens einen höheren Wählerzuspruch, als ihn die Fretilin im letzten Jahr hatte. Die am Dienstag bekannt gewordenen Hochrechnungen – das Endergebnis wird für heute erwartet – deuten darauf hin, dass Gusmão die Wahl mit einer überwältigenden Mehrheit von rund 80 Prozent gewonnen hat. Eine solche Mehrheit würde ihm ermöglichen, sein Versprechen einzulösen, »Auge, Ohr und Mund des Volkes« zu sein. Der Weg zur nationalen Einheit bleibt ungeachtet dessen lang und steinig. Viele Osttimorer, die gemeinsam für die Unabhängigkeit kämpften, sind heute untereinander zerstritten. <>