Osttimor: Fretilins Sieg hält sich in Grenzen
Neues Deutschland, 07. September 2001
Friedliche Wahlen als erster Schritt in eine friedliche, eigenständige Zukunft
Von Martin Ling
Offiziell wird das Wahlergebnis in Osttimor erst am kommenden Montag verkündet. Fest steht, dass der Sieg der Revolutionären Front für die Befreiung Osttimors (Fretilin) weit weniger deutlich ausfiel als erwartet. Die gewählte Verfassunggebende Versammlung soll nun die Weichen für einen eigenständigen Staat und eine friedliche Zukunft stellen.
Die Osttimorer sind immer für eine Überraschung gut. Eigentlich waren nach der inoffiziellen Bekanntgabe des Wahlsieges von Fretilin große Jubelfeiern erwartet worden, doch die blieben bisher aus. »Wir hätten erwartet, dass es heute Demonstrationen gibt, dass die Leute auf der Straße sind, dass aufgeregt das Ergebnis diskutiert wird«, zeigte sich die als Wahlbeobachterin in Osttimor weilende Monika Schlicher gegenüber ND überrascht. »Aber all das ist überhaupt nicht passiert. Die Fretilin hat auch dazu aufgerufen, dass es ruhig bleibt. Allerdings wird es am Montag eine Feier geben, weil dann das offizielle Wahlergebnis bekannt gegeben wird«, so die Sprecherin der Berliner Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia! weiter. Nach den letzten Angaben hat Fretilin 57 Prozent der Stimmen gewonnen – bei einer Wahlbeteiligung von beeindruckenden 91 Prozent. Mit 55 von 88 Sitzen in der verfassunggebenden Versammlung ist die Fretilin zwar eindeutig dominierend – die erwarteten 80 Prozent der Stimmen und eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Versammlung wurden jedoch deutlich verfehlt. Ein überraschendes Ergebnis, das laut Schlicher von vielen begrüßt wurde. Befürchtungen, dass bei einem zu eindeutigen Ergebnis der Pluralismus zu leiden gehabt hätte, hört man in der Hauptstadt Dili häufiger. Der eigentliche Gewinner der Wahl ist die Demokratische Partei, die auf Platz zwei rangiert. Sie hat sieben Sitze für die Verfassunggebende Versammlung bekommen und liegt noch vor der Sozialdemokratischen Partei, die als zweitstärkste Kraft eingeschätzt wurde. »Die Demokratische Partei setzt sich aus der so genannten zweiten Generation des Widerstands zusammen – das sind jüngere Leute, die den Studentenwiderstand und die Demonstrationen organisiert haben«, beschreibt Schlicher den Neuling unter den Parteien. »Dadurch hat die Partei sehr starken Zulauf bekommen, auch aus der Fretilin, weil diese Partei der jüngeren Generation wenig Raum gibt und bis heute in der Führung von Leuten dominiert wird, die 1976 den Widerstand geleistet haben, aber nicht heute«, fügt Schlicher hinzu.
Für die Ruhe in Dili gibt es einen weiteren Grund. Das Land gedenkt der Toten die vor genau zwei Jahren den indonesischen Milizen zum Opfer fielen, nachdem die Osttimorer sich in einem Referendum eindeutig für die Unabhängigkeit ausgesprochen hatten. In den Abendstunden verwandeln sich die Straßen in ein Meer aus Kerzen in einer Stadt die damals in Schutt und Asche gelegt wurde. »Die Aufarbeitung dieser Ereignisse ist den Menschen ein wichtiges Anliegen, Gerechtigkeit sehen sie als einen ganz wesentlichen Schritt in eine demokratische Zukunft«, betont Schlicher. Allerdings gebe es auch sehr viele Probleme mit der Zukunft des Landes, mit dem Aufbau. Problemen, denen sich die Verfassunggebende Versammlung nicht direkt anzunehmen hat. Denn die 88 Mitglieder beraten 90 Tage lang über die Verfassung: Wie häufig wird es Wahlen geben, welches Präsidentensystem wird installiert, wie ist die künftige, eigenständige Regierung zu bilden. Noch ist unklar, ob die Verfassungsgebende Versammlung in ein Parlament übergeht, oder ob es noch einmal gesonderte Parlamentswahlen geben wird. Nachdem die Übergangsregierung aus Osttimorern und der UNO-Übergangsverwaltung UNTAET aufgelöst wurde, hat letztere nun wieder allein das Sagen. Bis auf weiteres.
Die Fretilin hat zwar angekündigt, die Unabhängigkeit zum 28. November auszurufen – wie schon am selben Tag anno 1975. »Das aber wird als nicht realistisch eingeschätzt«, meint Schlicher. »Im Grunde ist das ein ganz schwieriger Schritt, weil damit die UNO die politischen Machtbefugnisse abgibt. Wann dieser Schritt erfolgt, da legt sich im Moment niemand fest – doch eher im Frühling nächsten Jahres als im November«, führt sie aus. »Entscheidend ist nun, wie sich die Verfassung entwickelt und ob man noch einmal eine Übergangsregierung bis zur Unabhängigkeit bildet«, macht Schlicher deutlich. »Im Moment ist Osttimor nicht frei, selbstständig und souverän, sondern unter UNO-Verwaltung«. Der Übergang zur Eigenständigkeit birgt noch einige Fallstricke, doch er wird kommen. <>