»Ein Dutzend Armeen sind derzeit in Aceh aktiv«
junge Welt, 08. Januar 2005
Interview: Harald Neuber
Seit fast drei Jahrzehnten stehen sich in der nordindonesischen Provinz Militär und Separatisten der »Bewegung Freies Aceh« gegenüber – auch nach der Flutkatastrophe.
Ein Gespräch mit Alex Flor
Alex Flor ist Mitarbeiter der Menschenrechtsgruppe Watch Indonesia!
F: Wie ist die humanitäre Lage in der indonesischen Krisenprovinz Aceh knapp zwei Wochen nach der Flutkatastrophe?Nach wie vor verheerend. Hilfsorganisationen berichten über apokalyptische Zustände. Leider sind nicht alle Unterstützer dieser Situation gewachsen. Es mußten bereits wieder freiwillige Helfer ausgeflogen werden.
F: Hilfsorganisationen haben sich über Behinderungen durch das indonesische Militär in Aceh beklagt. Können Sie das bestätigen?
Hilfe wird zwar in der Stadt Banda Aceh und einigen anderen Orten zugelassen, dessenungeachtet aber versucht das Militär, die Helfer von der Arbeit im Inneren der Krisenprovinz abzuhalten. Offenbar haben die Militärs Angst, daß die Unabhängigkeitsbewegung für ein freies Aceh davon profitieren könnte. Das hat doch zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Verteilung der Hilfe geführt.
F: Sie schreiben in einem Bericht, daß es selbst nach der Flutkatastrophe noch Gefechte zwischen Armee und Rebellen der »Bewegung Freies Aceh« gegeben habe. Woher kam diese Information?
Aus verschiedenen Quellen. Die Fortführung der Militäroperationen ist aber inzwischen gar kein Geheimnis mehr. In einem im Internet veröffentlichen Lagebericht hat die Armee inzwischen offen bekannt, daß es zu weiteren Zusammenstößen gekommen ist. Der Armeechef hat Mitte der Woche bekanntgegeben, daß keineswegs alle in Aceh stationierten Soldaten zu Hilfsmaßnahmen abgestellt sind. Ein Drittel sei weiterhin mit militärischen Aufgabe betraut.
F: Nicht nur das Vorgehen der indonesischen Regierung ist von politischen Interessen bestimmt. Auch US-Außenminister Colin Powell erklärte, mit der humanitären Hilfe das Image der USA in der Region verbessern zu wollen.
Die USA bewegen sich mit 350 Millionen US-Dollar im Vergleich zu anderen Geberstaaten im Mittelfeld. Auf der Konferenz in Jakarta wurde allerdings schon angedeutet, daß Washingtons Beitrag erhöht werden kann. Das artet inzwischen zu einem regelrechten Wettrennen der Staaten aus.
F: Die USA haben allerdings auch 13.000 Soldaten und militärisches Gerät in die Region geschickt. Welche Rückschlüsse läßt das zu?
Nicht nur die USA haben Soldaten geschickt, sondern auch über ein Dutzend andere Staaten. Und in der Tat verfügt das Militär über Gerät, das derzeit sehr gefragt ist, zur Wasseraufbereitung etwa. Die US-amerikanische Truppenpräsenz hat zwei Effekte: Zum einen kann der »humanitäre Nutzen« eines Flugzeugträgers vorgeführt werden. Aber die Hilfe wird auch konkrete Auswirkungen haben, denn 13.000 Soldaten allein aus den USA und aus den anderen Staaten sind natürlich nicht blind dafür, was sich an Land tut. Diese Leute haben einen geschulten Blick für die militärische Lage der lange isolierten Provinz.
F: Sollte humanitäre Hilfe überhaupt von Soldaten übernommen werden?
Auf der einen Seite verfügen Armeen über eine hervorragende Ausrüstung. Auf der anderen Seite ist es klar, daß verschiedene Staaten, auch die Bundesrepublik, mit dem Einsatz eine neue Strategie verfolgen. Immerhin hat auch das Engagement der Bundeswehr mit einem nicht-militärischen Einsatz begonnen, als Anfang der 90er Jahre Bundeswehrsanitäter nach Kambodscha geschickt wurden. Diese Einsätze wurden dann nach und nach bis zum vollen bewaffneten Einsatz gesteigert, wie er derzeit in Afghanistan stattfindet. Die Hemmschwelle für den Einsatz von Militär zu senken, spielt also sicherlich auch bei der Hilfe in Aceh eine Rolle. <>