„Wir werden hier allein gelassen“
Frankfurter Rundschau, 02. September 1999
Im Gespräch: Beobachter in Osttimor
Nach der weitgehend friedlichen Abstimmung über die Unabhängigkeit in Osttimor am Montag häufen sich nun wieder Gewalttaten pro-indonesischer Milizen. Sie richten sich auch gegen internationale Helfer. Der deutsche Wahlbeobachter in der Provinzhauptstadt Dili, Volker Stapke, kam am Mittwoch gerade aus einem Krisengespräch, als Eva Weikert ihn für die FR per Telefon zum Interview bat. Stapke berichtete, Paramilitärs hätten viele Kollegen festgesetzt. Das Quartier der UN-Mission werde beschossen.
In der vergangenen Nacht und auch jetzt seien Schüsse in Dili zu hören, sagte Stapke. Die Milizen hätten zahlreiche Straßensperren errichtet und kontrollierten die Stadtgrenzen. „Wir kommen aus Dili zurzeit nicht mehr raus“, berichtete Stapke. Er leitet im Auftrag der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia, der katholischen Hilfswerke Missio und Misereor sowie des Diakonischen Werks eine Gruppe deutscher Wahlbeobachter in der ehemaligen portugiesischen Provinz.
Bewaffnete Unabhängigkeitsgegner hätten in der Nacht Häuser von ausländischen Beobachtern belagert und teilweise auch beschossen. Auch während des Gesprächs mit der FR wurde, so Stapke, das Haus der UN-Mission in Dili von pro-indonesischen Milizen beschossen. Nach der Beerdigung eines ihrer Angehörigen hätten zwischen 2.000 und 3.000 Milizionäre das Gebäude umstellt. Unklar sei aber, ob die Schüsse Einheimischen gelten, die vor den Paramilitärs in das UN-Quartier flüchteten, oder aber UN-Mitarbeitern.
„Wir beraten jetzt über eine Evakuierung unserer Leute“, sagte Stapke. Wegen der „erheblich zugespitzten Lage“ verstärkten auch die ausländischen Botschaften die Vorbereitungen zur Evakuierung ihrer Vertreter aus Osttimor. „Die Milizen wollen die westlichen Beobachter ja aus der Provinz raus haben“, erklärte der Indonesien-Experte. Die Unabhängigkeitsgegner werfen ihnen Wahlmanipulation vor. Besonders gegen Australier und Portugiesen richte sich ihr Hass. Am stärksten bedroht seien jedoch die osttimoresischen Mitarbeiter der UN-Mission und die lokale Bevölkerung. Zahlreiche Einheimische seien in die Berge geflüchtet; Milizen hätten viele Dörfer zerstört.
Die Polizei helfe dabei, UN-Gruppen aus den abgeriegelten Städten zu eskortieren. Mehrere Beobachter säßen jedoch noch fest, berichtete Stapke. Zu ihnen bestehe per Funktelefon Kontakt. Den blutigen Übergriffen der Milizen sehe die Polizei jedoch „hilflos“ zu. Auch der indonesische Armee gelinge es nicht, Ausländer und Einheimische zu schützen. „Wir werden hier vollkommen allein gelassen“, beklagte Stapke. Er hoffe, dass seine persönlichen Kontakte zur Armee garantieren, „dass wir hier heil herauskommen“.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Stapke zufolge nicht wie zunächst angkündigt am 7. September, sondern bereits in drei Tagen vorliegen. Es gilt als sicher, dass sich die Mehrheit der Osttimoreser für die Unabhängigkeit entschieden hat. Stapke glaubt, dass die Situation weiter eskaliert: „Ich rechne mit weiteren Toten und Übergriffen der Paramilitärs.“ Zum Chaos trügen auch Gerüchte bei, dass sich angeblich die indonesische Armee aus Osttimor zurückziehe. Zudem seien die Milizenverbände untereinander zerstritten. „Auch wenn das Ergebnis der Abstimmung feststeht, kehrt hier noch keine Ruhe ein“, sagte Stapke.
Angesichts der Kämpfe zwischen Gegnern und Befürwortern der Unabhängigkeit forderte die britische Hilfsorganisation Oxfam in Dili eine UN-Schutztruppe für Osttimor. Die internationale Staatengemeinschaft müsse „äußersten Druck“ auf Indonesiens Regierung ausüben. Paramilitärs hatten Mitarbeiter von Oxfam und der UN am Dienstag zehn Stunden im Gebiet Emera festgehalten.
Zuvor hatte bereits der Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta und der katholische Bischof Carlos Belo eine Friedenstruppe verlangt. Jakarta stellt sich bisher strikt gegen die Stationierung von UN-Blauhelmen. <>