„Hört doch einmal ganz tief in euer Herz hinein, versucht zu fühlen, was wir fühlen“ – Appell an die Aktionär*innen von HeidelbergCement
Zur Person:
Gunarti ist Mutter von drei Kindern und Bäuerin, wie ihre Eltern und Großeltern. Gunarti (die wie viele Menschen auf der indonesischen Insel Java nur einen Namen hat) gehört zur indigenen Gruppe der Samin und ist Mitglied des Netzwerkes der Menschen, denen das Kendeng-Gebirge am Herzen liegt (JMPPK). JMPPK setzt sich seit Jahren für den Erhalt des Karstgebirges ein, dass mit seinen unterirdischen Wasserläufen für die lokale Landwirtschaft unverzichtbar ist. Der Bau von Zementfabriken am Kendeng-Gebirge, u.a. geplant von Indocement, dem Tochterunternehmen der deutschen HeidelbergCement, würde den lokalen Kleinbäuer*innen die Existenzgrundlage entziehen. Aus diesem Grund reiste Gunarti 2017 auf Einladung des transnationalen Solidaritätsnetzwerkes Save Kendeng nach Deutschland und appellierte auf der Hauptversammlung von HeidelbergCement an die Aktionär*innen, den zerstörerischen Kurs des Unternehmes nicht zu unterstützen. Da dieser Appell bislang offenbar nicht gefruchtet hat, bekräftigt Gunarti die Bedeutung von Naturschutz und verantwortlichem (Aktionär*innen-)Verhalten in dem folgenden Brief.
Kendeng, 29/05/2020
Ich bete täglich dafür, dass unsere Mutter Erde erhalten bleibt. Und dafür dass Mutter Erde dafür sorgen kann, dass wir erhalten bleiben
Meine Geschwister, wo auch immer ihr seid, möget ihr weiter die Kraft haben, euch dafür einzusetzen, dass unsere Mutter Erde nicht zerstört wird. Dieser Einsatz ist dringend nötig und muss weiter gehen, auch wenn die Formen, wie wir dies ausdrücken und umsetzen, verschieden sind. Es gibt Menschen, denen es möglich ist, sich laut Gehör zu verschaffen. Andere tragen im Stillen etwas dazu bei, dass wir Eins sind. Es braucht keinen bombastischen, keinen hochtrabenden Einsatz für Mutter Erde. Es geht im Kleinen, in einer alltäglichen Lebensweise, die konistent ist. Es geschieht so, wie wir uns um unsere Familie kümmern, wo in unserer Liebe sowohl die Lebenden als auch die Toten einen Platz haben. So hat in der Welt auch lebendes und nicht lebendes seinen Platz und bedarf unserer Liebe.
Mutter Erde verlangt keine großartigen Liebesbeweise von uns. Doch wir sollten ihre Bescheidenheit nicht gering schätzen.
Meine Geschwister in aller Welt, eure Geschwister hier am Kendeng-Gebirge setzen sich nach wie vor mit all ihrer Kraft für Mutter Erde ein. Vor allem zu einer Zeit, in der wir ein neues Familienmitglied namens Corona bekommen haben. Ich wünsche euch allen, dass ihr gesund bleibt! Aber vergesst nicht, dass auch Corona eine Schöpfung der Natur ist und als solches eine bestimmte Aufgabe hat. Corona erinnert uns daran, dass wir die Umwelt schützen müssen. Wenn wir das tun, dann kann Mutter Erde gut für alle Geschöpfe sorgen. Das gilt für die Geschöpfe, die wir sehen und auch für die, die unseren Augen verborgen bleiben.
Das Geschehen der letzten Monate führt uns erneut vor Augen, dass wir nichts sind, ohne die Liebe und den Schutz durch die Natur. Und es ist unsere Pflicht, uns dankbar dafür zu zeigen, dass uns Mutter Erde mit Wasser, Luft und Nahrung, dem Schlüssel zu allem Leben, versorgt.
Wir sollten das Corona-Virus weder hassen noch gering schätzen. Auch etwas, das klein und für unsere Augen nicht sichtbar ist, kann die ganze Welt ins Chaos stürzen. Und das heißt nicht, dass das Virus die Schuld trägt. Oder dass das Virus böse ist. Wir sollten nichts und niemanden als etwas Böses bezeichnen, solange wir nicht selbst durch und durch gut und vollkommen sind. Wir sollten das Virus achten als ein Teil der Schöpfung mit einer besonderen Aufgabe.
Eigentlich sollte dieses Geschehen die Aktionär*innen und Aktionäre von Indocement /HeidelbergCement und anderer Zementunternehmen wach rütteln. Geld zu essen würde euch weder schmecken noch würde es euch nähren. Das, was ihr esst, ist ein Geschenk von Mutter Erde, das die Bauern mit harter Arbeit zu euch bringen. Mit den Gewinnen aus euren Anteilen macht ihr Aktionär*innen anderen Menschen das Leben schwer. Ihr zerstört die Umwelt und ihr zerstört das friedliche Miteinander der Menschen.
Werdet ihr Aktionär*innen für eure Sünden gerade stehen? Hört doch einmal ganz tief in euer Herz hinein, versucht zu fühlen, was wir fühlen. Haben wir euch jemals das Leben schwer gemacht? Haben wir euch, eure Kinder und eure Enkel in ihrer Existenz bedroht? Wir haben das nicht getan. Warum tut ihr uns das an?
Stellt euch vor, eines Tages habt ihr nur noch Geld und eine Fabrik. Aber die Bauern geben euch kein Essen mehr. Und die Erde gibt euch kein Wasser mehr. Womit füllt ihr dann eure Tische? Was wird dann eure Nahrung sein? Werdet ihr, eure Kinder und Enkel euch von Geld ernähren?
Meine Geschwister, niemand von uns kann für sich allein existieren. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, müssen zusammen arbeiten. Niemand sollte versuchen, mächtiger als die Schöpfung zu sein. Niemand sollte andere verletzen, ohne damit zu rechnen, selbst verletzt zu werden.
Meine Geschwister, lasst uns die Natur ehren und erhalten. Mutter Erde will, dass wir in Übereinstimmung mit ihr leben. Dass wir friedlich sind, dass wir zusammen arbeiten, dass wir uns ehren und liebevoll miteinander umgehen. So wie Tiere, Blumen, Bäume, Felsen, Wasser, Feuer, Sonne, Mond und Sterne ein Teil der Natur und in Übereinstimmung mit der Natur sind. Das Große, wie das Kleine, das, was sichtbar ist und das, was unseren Augen verborgen ist, das alles bildet eine Einheit. Das alles ist Schöpfung, ist Natur.
Liebe Aktionär*innen, bitte sorgt euch nicht. Auch ohne ein Zementunternehmen werdet ihr noch genug zu essen haben. Ihr werdet überleben, vorausgesetzt, ihr zerstört die Umwelt nicht, mit dem, was ihr mit euren Anteilen anrichtet.
Lasst uns das pflanzen, was wir zum Leben brauchen. Das, was uns und unsere Kinder gesund erhält. Lasst uns Reis pflanzen, Mais, Kartoffeln und Gemüse. Wir können Teiche anlegen und Fische halten. Wir können Hühner, Enten, Ziegen und Rinder hüten. Wir können Bäume pflanzen und Blumen.
Das ist unsere Art, die Natur zu schützen und uns dankbar gegenüber Mutter Erde zu zeigen.
Genauso wichtig ist das Pflanzen eines guten menschlichen Miteinanders mit allen, die mit uns verbunden sein möchten. Wir pflanzen dieses gute Miteinander für uns, unsere Kinder und Enkel. Wir pflanzen es, damit die Menschen einander in Liebe zugewandt sind. Ein Leben, das eine Bedeutung hat, ist ein liebevolles und hilfsbereites Leben .
Aus der Corona-Pandemie gibt es für uns viel zu lernen. Egal wo wir sind, wir brauchen Wasser und Nahrung. Gebt Acht, meine Geschwister! Hütet euch davor, der Gier nach zu viel Besitz zu verfallen! Wir brauchen nur das Nötigste.
Lasst uns gemeinsam weiter lernen, wie wir gesund und frei von inneren und äußeren Sünden bleiben. So dass wir zu einem Lebensweg finden, der gut, natürlich und zu unserem gegenseitigen Nutzen ist.
DIE ERDE HAT UNS BESCHENKT.
LASST UNS DIE ERDE SCHÜTZEN.
SO DASS DIE ERDE ERHALTEN BLEIBT.
Salam Kendeng Lestari!
(Ewig sei das Kendeng-Gebirge!)
Gunarti
Ein Kommentar
[…] Brief von Gunarti, Bäuerin der indigenen Gruppe der Samin aus Java. Sie ist Mitglied des Netzwerkes der Menschen, denen das Kendeng-Gebirge am Herzen liegt (JMPPK): https://www.watchindonesia.de/20846/hoert-doch-einmal-ganz-tief-in-euer-herz-hinein-versucht-zu-fueh… […]