25. November: Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen – Frauen in Indonesien laufen gegen die Wand
Information und Analyse, 25.11.2020
von Christine Holike
Heute ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. In diesem Jahr fällt die Bilanz für Frauen in Indonesien erneut düster aus. Unter Covid-Bedingungen steigen die Fälle häuslicher Gewalt auch in Indonesien drastisch an. Unterdessen wird die von zahlreichen Frauenorganisationen seit Jahren geforderte Verabschiedung eines Gesetzes gegen sexuelle Gewalt (RUU PKS), das die schwerwiegenden Auswirkungen sexualisiserter Gewalt in den Griff kriegen könnte, unaufhörlich torpediert. Zuletzt wurde der Gesetzentwurf kurzerhand von der Abstimmungsliste 2020 gestrichen. Das Parlament argumentierte, eine Diskussion darüber sei zu schwierig. Wann der Entwurf wieder zur Abstimmung gelangen wird steht in den Sternen. Die kurz bevorstehende Strafrechtsreform (KUHP) indessen, wird nicht zuletzt auch strukturelle Gewalt gegen Frauen begünstigen.
Mehr als jede dritte indonesische Frau zwischen 15 und 65 Jahren ist in ihrer Lebenszeit mindestens einer sexualisierten oder geschlechterbasierten Gewalterfahrung ausgesetzt. Dass Polizei und Justiz die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt im Stich lassen ist eher die Regel als eine Ausnahme. Die Adressierung sexualisierter politischer Gewalt lässt ebenso auf sich warten wie die von Frauenrechtsorganisationen geforderten Verbesserungen des Sexualstrafrechts. Männliche Vorherrschaftsfantasien paaren sich mit einer Kultur der Straflosigkeit. Die wachsende Bedeutung autoritärer Islaminterpretationen tut ihr Übriges.
Die Opfer bleiben auf sich gestellt
Trotz vorhandener Gewaltschutzgesetze sehen sich die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt vom Staat und seinen Institutionen häufig allein gelassen. So erfolgt die Umsetzung des Gesetzes zur Beseitigung von häuslicher Gewalt nur schleppend. Ferner erlaubt die Zusammenstellung des islamischen Rechts (Kompilasi Hukum Islam) weiterhin häusliche Gewalt gegen Frauen. „Victim blaming“ dominiert nicht nur den öffentlichen Diskurs, sondern bestimmt auch die strafrechtliche Verarbeitung relevanter Vergehen durch Polizei und Justiz. Frauen, die den Rechtsweg beschreiten, sehen sich langwierigen und ineffektiven Verfahren ausgesetzt. Gängige informelle Praktiken wie die Zahlung geringer Vergleichssummen oder die Einbindung von Polizist*innen als Schlichter*innen in Vergewaltigungsfällen lassen die Interessen der Opfer nicht selten außen vor.
Indonesische Frauenorganisationen schätzen, dass nahezu 90 Prozent aller geschlechtsspezifischen Gewalttaten nicht zur Anzeige gebracht werden. Dies liegt unter anderem daran, dass die Strafverfolgungsbehörden gemeldete Taten häufig nicht einmal als Anzeige aufnehmen. Dass Frauen bei Publikmachung erlebter Gewalt oftmals Demütigungen ausgesetzt oder im Falle von Vergewaltigung nicht selten in eine Ehe mit dem Täter gezwungen werden, lässt zudem viele Opfer vor einer Anzeige zurückschrecken.
Mangelnder politischer Wille indessen verhindert die Aufarbeitung von geschlechtsspezifischen schweren Menschenrechtsverletzungen im Zuge des Putschs von 1965 und des Aceh-Konflikts sowie der Massenvergewaltigungen während der Maiunruhen 1998.
Schutz vor sexualisierter Gewalt: eine Glaubensfrage?
Nachbesserungen im Strafrecht, die sexualisierte Gewalt adressieren, scheitern nicht selten an einem aus einer komplexen politischen Gemengelage hervorgehenden Widerstand. Besonders wirkmächtig: die Verquickung eines von machtpolitischen Interessen durchzogenen innenpolitischen Klimas, in dem „der Islam“ als Trumpfkarte fungiert, mit männlichen Vorherrschaftsfantasien über den weiblichen Körper. Jüngstes Beispiel hierfür ist die Verabschiedung des Gesetzes gegen sexuelle Gewalt (RUU PKS). Strafrechtlich erfasst werden sollen darin u.a. Vergewaltigung, sexuelle Belästigung, Zwangsprostitution, sexuelle Folter und Sklaverei im häuslichen und öffentlichen Raum wie auch am Arbeitsplatz. Der Entwurf gelangte 2016 auf Drängen von Frauenrechtsorganisationen auf die Regierungsagenda. Seine Verabschiedung scheiterte jedoch erneut im Vorwahlkampf 2019 erneut an der Mobilisierungskraft rechtskonservativer islamischer Kräfte und ist im Sommer 2020 letztlich von der Abstimmungsliste gestrichen worden.
Regionalverordnungen
Eine Reihe von Regionalverordnungen, in der Provinz Aceh seit 2015 ein ganzer Gesetzeskanon, unterstellen das Sexualverhalten und den weiblichen Körper der strafrechtlichen Regulierung nach vermeintlich buchstäblichen Interpretationen der islamischen Quellen oder Lokaltraditionen. Indem sie Geschlechtergrenzen, Heteronormativität und die Rolle der Frau als männlichen Besitz zementieren, symbolisieren die Verordnungen nicht nur strukturelle Gewalt. Strafen wie öffentlich verabreichte Stockhiebe stellen einen Gewaltakt an sich dar. Das Klima der Straflosigkeit, das insbesondere für Vertreter*innen der Staatsmacht und privilegierte Bevölkerungsschichten gilt, bietet darin überdies ein Einfallstor für sexualisierte Gewalt und Erpressung. Arme, lesbische und Trans-Frauen sind dabei einem besonders hohem Risiko ausgesetzt, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden.
Gesetzliche Leerstellen
Bis Dato gibt es weder Gesetze gegen sexuelle Belästigung noch eindeutige strafrechtliche Regelungen zu Vergewaltigung in der Ehe oder Zwangsprostitution. Gesetzlich unzureichend geregelt sind auch Gewalt gegen Hausangestellte, Frühverheiratung und weibliche Beschneidung/Genitalverstümmelung.
i) Die Frühverheiratung von Mädchen ist insbesondere im ländlichen Raum und in von Armut betroffenen Familien ein anhaltendes Problem. Indonesien weist die weltweit achthöchste Zahl an Frühverheiratungen auf. Dabei ist 1% der Mädchen jünger als 15 Jahre. Die Reform des Ehegesetzes im September 2019 stellt eine Verbesserung dar. Mit der Festlegung des Mindestalters auf 19 Jahre mit elterlicher Zustimmung und auf 21 Jahre ohne, bestehen gute Chancen, die Zahl der Kinderverheiratungen zu senken.
ii) Hausangestellte bilden die größte und zugleich verwundbarste Gruppe von indonesischen Arbeitnehmerinnen im In- und Ausland. Aktuell sind es rund 2,6 Millionen, davon etwa 110.000 Kinder unter 18 Jahren. Im Schatten der Privatsphäre ihrer Arbeitgeber*innen erleiden viele von ihnen psychische, körperliche oder sexualisierte Gewalt, bis hin zum Tode. Begünstigt wird dies durch ihre fehlende gesetzliche Anerkennung als Arbeitnehmer*innen.
iii) Bezüglich weiblicher Genitalverstümmelung und Beschneidung ist eine Regression zu beobachten. Seit 2010 ist es medizinischem Personal wieder erlaubt, Beschneidungen an Mädchen vorzunehmen.
Empfehlungen
Abgeordnete des Bundestages sowie die Bundesregierung sollten sich im Dialog mit indonesischen Parlamentarier*innen und Regierungsvertreter*innen dafür einsetzen, dass
- Hausangestellte in das Arbeitsgesetz aufgenommen und ihnen angemessene Arbeitszeiten, regelmäßige Pausen und ein Mindestlohn gewährt werden;
- das IAO-Übereinkommen Nr. 189 ratifiziert sowie das Hausangestelltenschutzgesetz (RUU PRT) rasch verabschiedet wird;
- das gesetzliche Mindestalter für Eheschließungen stringent implementiert wird;
- sexualisierte politische Gewalt angemessene Aufarbeitung erfährt;
- alle diskriminierende Einzelverordnungen aufgehoben werden und der Staat Maßnahmen ergreift, die solcherlei Verordnungen künftig verhindern. Die gerichtlichen Kontrollmechanismen müssen transparenter gestaltet werden und das Innenministerium muss in die Lage versetzt werden, die Verordnungen zu annullieren.
*** Dieser Artikel ist eine leicht überarbeitete und aktualisierte Version eines Beitrags zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen 2019 herausgegebenen Hefts des Bündnis Internationale Advocacy Netzwerke (IAN) mit dem Titel Gewalt gegen Frauen: weltweit bekämpft und doch alltäglich.