Neue Publikation: Themenheft Demokratie in Indonesien und Timor-Leste 2021
Watch Indonesia! Für Menschenrechte, Demokratie und Umwelt in Indonesien und Osttimor e.V. (Hg.) /
© Watch Indonesia! e.V. 2021
Articles available in English and Bahasa Indonesia:
- A. Satrio “Has the Pandemic Exposed the Weakness of Indonesian Constitutional Democracy”
- TAPOL “West Papua in 2021: the renewal of special autonomy and a new ‘terrorism’ designation indicate a further decline of democracy”
- B. Pereira “Women’s Emancipation and Maubootizmu”
- Mudhoffir and Hadiz “Dominasi Oligarki dalam Demokrasi Indonesai Membuat Pelemahan KPK Tak Terhindarkan”
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Editorial
Weltweit nehmen autoritäre Tendenzen zu und demokratische Systeme geraten unter Druck. Während sich die sog. westliche Welt vielfach als Bastion von Demokratie und Menschenrechten versteht, nimmt auch hier die Zahl derjenigen Länder zu, in denen sich autoritäre Herrschafts- und Regierungsformen durchsetzen und die Bevölkerung ihrer demokratischen Rechte beraubt wird.
In Indonesien und Timor-Leste regt sich derweil Widerstand gegen den Abbau errungener demokratischer Rechte und Prinzipien. Pro-demokratische zivilgesellschaftliche Kräfte und ihre Verbündeten kämpfen um die substantielle Verwirklichung ihrer Demokratien.
Timor-Lestes junge Demokratie ringt mit regierungsinternen Machtkämpfen und instabile Institutionen stellen ein Hindernis für den Aufbau einer widerstandsfähigen und repräsentativen Demokratie dar. Hierarchische Gesellschaftsentwürfe, die das Doppelerbe der portugiesischen Kolonialherrschaft und der indonesischen Besatzung (1975-1999) im Gepäck tragen, erschweren es überdies vor allem Frauen und jungen Menschen, ihr demokratisches Potenzial zu realisieren.
Während sich bisher noch jede indonesische Regierung der Aufarbeitung vergangener Menschenrechtsvergehen verweigert hat, ringen die Opfer und Überlebenden der in der indonesischen Besatzungszeit verübten Gräueltaten weiterhin um Anerkennung und Wiedergutmachung. Insbesondere weibliche Überlebende, darunter solche, die sexualisierte politische Gewalt erfahren haben, sind bis heute mit vielschichtigen Formen von Diskriminierung konfrontiert.
Indonesiens Demokratie, die 1998 nach mehr als dreißig Jahren Diktatur ihren Auftakt fand, erlebt unter der amtierenden Regierung Joko „Jokowi“ Widodos dramatische Rückschritte. Gegen jede zivilgesellschaftliche Regung hält Jokowi auch in seiner zweiten Amtszeit (2019-2024) am Primat der Wirtschaft und seiner Vision von Indonesia Maju (etwa: Vorwärts Indonesien) fest. Mehr und mehr zentrale Errungenschaften der Reformasi werden über Bord geworfen und pro-demokratische Akteur:innen immer weiter an den Rand gedrängt. Zwei Jahre nach seinem erneuten Amtsantritt hat Jokowis Regierung bürgerliche Freiheitsgarantien und demokratische Kontrollmechanismen weiter abgebaut sowie die Rahmenbedingungen für freie und faire Wahlen geschwächt. Das Militär und der Sicherheitsapparat konnten ihren politischen und zivilen Einfluss wieder ausbauen. Auch die Repression gegen die Unabhängigkeitsbefürworter:innen Westpauas haben eine neue Eskalationsstufe erreicht.
Die zivilgesellschaftlichen Hoffnungen auf einen echten Wandel, als dessen Lichtgestalt Jokowi einst galt, schrumpfen damit stetig.
Lebendige Zivilgesellschaften
Doch entgegen aller Widerstände existiert in beiden Ländern eine lebendige und kritische Zivilgesellschaft. Und: In beiden Ländern steht die Bevölkerungsmehrheit hinter einer demokratischen Regierungsform. Ihre Möglichkeiten, an den entsprechenden Aushandlungsprozessen teilzunehmen und Regierungspolitiken zu beeinflussen, indessen fallen besonders in Indonesien weit hinter ihre Erwartungen und die gemachten Versprechen zurück.
Dennoch weigern sich viele Menschen – Menschenrechts- und Demokratieverteidiger:innen, Journalist:innen, Wissenschaftler:innen, indigene Interessenvertreter:innen, Feminist:innen und LGBTIQ+ u.v.a. –, autoritäre Politiken einfach hinzunehmen, seien sie auf der Regierungsebene wirkmächtig oder gesellschaftlich verankert. Sie widersetzen und organisieren sich, liefern kritische Analysen, schmieden transnationale oder interessenübergreifende Allianzen und entwickeln auch auf der gesellschaftlichen Ebene wirkende Gegenprogramme. Dazu gehören neue Formen der Selbstorganisation von Arbeiter:innen, genauso wie Initiativen junger Menschenrechtsverteidiger:innen und Aktivist:innen, verkrustete autoritäre Strukturen aufzubrechen und eigene Wege in der Aufarbeitung begangener und Verhinderung künftiger Menschenrechtsvergehen zu beschreiten.
In diesem Heft spiegeln sich eine Vielzahl dieser pro-demokratischen zivilgesellschaftlichen Positionen und Ansätze. Darin begegnen sich politikwissenschaftliche und aktivistische Perspektiven. Dass sich ein beträchtlicher Anteil der Beiträge mit Militarisierung und dem Einfluss von Oligarchien und Eliten auseinandersetzt, ist kein Zufall. Sind dies doch die Kernstücke der zunehmend autoritären Regierungsführung in Indonesien, die sich in so unterschiedlichen Arenen wie Umweltschutz, Verfassungsfragen und dem Management der COVID-19-Krise, legislativen Prozessen oder dem Umgang mit den Unabhängigkeitsbestrebungen Westpapuas ausspielen.
Was tun?
Angesichts der Herausforderungen für Demokratien und deren Verteidiger:innen weltweit und den globalen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen – nicht zuletzt durch die Klimakrise und aggressive Akkumulationsregime – bedarf es einer verantwortungsvollen internationalen Politikgestaltung. Möglichkeiten, auf eine Stärkung beider Demokratien hinzuwirken und positive Ansätze zu unterstützen, gibt es genug.
Indonesien wird 2022 den Vorsitz der G20 übernehmen, die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Seit Januar 2020 ist das Land für drei Jahre im UN-Menschenrechtsrat vertreten. Es ist einer der wichtigsten Wirtschafts- und Handelspartner und der größte bilaterale Entwicklungspartner Deutschlands. In den 2020 verabschiedeten Leitlinien zum Indo-Pazifik identifiziert die Bundesregierung Indonesien als einen von fünf strategischen Partnern in der Region. Sicherheitspolitische Zusammenarbeit und der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen, zu der auch neue Freihandelsabkommen mit der EU gehören, stehen im Mittelpunkt.
Timor-Leste gilt der EU als Partnerland in der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Die EU, nach Australien der zweitgrößte Geber von Entwicklungshilfe in Timor-Leste, hat sich verpflichtet, den strategischen Entwicklungsplan 2011-2030 von Timor-Leste zu unterstützen, der darauf abzielt, auf der Grundlage eines raschen, integrativen Wachstums Timor-Leste bis 2030 in ein Land mit mittlerem Einkommen zu verwandeln.
Vor diesem Hintergrund stünde es der Bundesregierung wie auch Wirtschaftsvertreter:innen und ihren europäischen Pendants dieser multi- oder bilateralen Partnerschaften gut, den globalen Niederschlag des (interessen)politischen Handelns für die Bevölkerungen „anderswo“ in die Rechnung des eigenen Demokratieverständnisses aufzunehmen.
^1 Auswärtiges Amt, auswaertiges-amt.de, 01.09.2020 https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2380500/33f978a9d4f511942c241eb4602086c1/200901-indo-pazifik-leitlinien–1–data.pdf
Wir wünschen allen Leser:innen eine informative und interessante Lektüre.Berlin im Dezember 2021
Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung durch die Stiftung Umverteilen; die Stiftung Nord-Süd-Brücken und Brot für die Welt Inlandsförderung erstellt.
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