G20-Gipfel im Zeichen der Multikrise – Wo steht Indonesien?
von Christine Holike
Vom 15. bis 16. November treffen sich die Vertreter:innen der G20 Staaten zu ihrem Gipfeltreffen auf Bali. Diese beiden Tage markieren den Höhepunkt der einjährigen G20-Präsidentschaft Indonesiens. Ein Jahr gebrandmarkt von den Auswirkungen der Covid-Krise, Putins Krieg gegen die Ukraine und dem immer deutlicher in den Bereich der Wahrscheinlichkeit rückenden Klimakollaps. Ein Jahr mit zahllosen Fachminister:innenkonferenzen und Fachtagungen, Hinterzimmerverhandlungen und Investitionsabkommen. Ein Jahr, in dem sich der indonesische Regierungschef Joko Widodo, auch „Jokowi“, als Staatsmann von internationalem Format und Botschafter für globale und soziale Gerechtigkeit in einer nachhaltigen Welt zu präsentieren suchte.
Als die G20 im Jahr 1999 inmitten der asiatischen Wirtschaftskrise ins Leben gerufen wurde lag der Schwerpunkt auf der Formulierung von Protokollen zur Gewährleistung der internationalen Finanzstabilität. Den Zusammenbruch des globalen Finanztransaktionszentrums an der US-amerikanischen Wall Street im Jahr 2008 indessen hat es ebensowenig verhindert wie die ökonomische Abwärtsspirale für die überwiegende Merhheit der Weltbevölkerung.
Gleichzeitig prasselt von Anbeginn an eine Welle der Repression auf jedwede zivilgesellschaftliche Kritik nieder. So auch dieses Jahr. Erst am 7. November wurde der Fahrradkorso der Greenpeacegruppe „Chasing the Shadow“ auf dem Weg nach Bali in Probolinggo (Ostjava) von einer Gruppe, die sich als Vertreter:innen von örtlichen Interessen ausgaben, festgesetzt. Bereits während der gesamten Tour durch Java, auf der sie für Klimagerechtigkeit und nachhaltige Energie-Transition warben, trafen sie auf Einschüchterungsversuche, Sabotage und Überwachung von Seiten des Sicherheitsapparates und teils nicht identifizierbaren Personen.
Gemeinsam sind wir stark
„Gemeinsam genesen. Gemeinsam gestärkt hervorgehen“ lautet das Motto des Gipfels. Seit rund einem Jahr ziert es nahezu jede Freifläche in Indonesien. Es klingt vielversprechend. Es klingt hoffnungsvoll. Die Realität indessen, die erfahrbare Wirklichkeit von Milliarden Menschen weltweit spricht eine andere Sprache: Jeder zehnte Mensch auf der Welt ist von extremer Armut betroffen, die globale Armut wächst, soziale Ungleichheit nimmt global zu. Dabei konzentriert sich immer mehr Vermögen und Besitz auf einen immer kleiner werdenden Bevölkerungsanteil. Am stärksten betrifft dies nach wie vor die Bevölkerungen in weiten Teilen Asiens und Afrika. Indonesien stellt dabei keine Ausnahme dar.
Die Hauptthemen „Globale Gesundheitsarchitektur“, „Digitale Transformation“ und „Nachhaltige Energie-Transition“ dienen der Regierung Joko Widodos als Vehikel vor allem von den G7-Staaten und China Zusagen für Investitionen, Finanzhilfen und Technologietransfer zu erhalten. Sein Programm „Indonesia Maju“, etwa „Vorwärts Indonesien“, mit dem er eigenen Verlautbarungen zufolge den Arbeitsmarkt ankurbeln und damit Wohlstand und mehr soziale Gerechtigkeit herstellen sowie den Klimaschutz stärken möchte, setzt auf den massiven Ausbau von Infrastruktur und die Stärkung der Wertschöpfung im eigenen Land. Vor allem letzteres klingt vernünftig und gerecht – nicht zuletzt in Bezug auf lange existierende globale Machtverhältnisse, die vor allem Länder des globalen Südens zu Rohstofflieferanten für die Generierung westlichen Wohlstands degradier(t)en.
Qui bono?
Ein Blick hinter die Kulissen der indonesischen Wirtschafts- und Innenpolitik allerdings schlägt Risse in das internationale Hochglanzfurnier von Jokowis Rhetorik einer gerechten und nachhaltigen Entwicklung. Seine Regierung hat in verschiedenen Regionen mit der Umsetzung sogenannter Nationaler Strategische Projekte (PSN) begonnen und im Zuge dessen durch Landaquisition, die ansässige Bevölkerung quasi enteignet. Der Bau von Kohlekraftwerken, Stauseen, Mautstraßen und Geothermieprojekten sowie das Hauptstadtprojekt werden ungebremst vorangetrieben. Für den Bau vorgeblich sauberer Energieprojekte wie Wasserkraft und Geothermie werden Menschen vertrieben und Tausende Hektar Waldland zerstört. Die Auswirkungen dieser Projekte auf die Umwelt sind für die Bevölkerung bereits jetzt spürbar: Wasserquellen versiegen, Trinkwasser und Luft sind verschmutzt, Ackerland zerstört und Fischgründe vergiftet. Der unlängst verkündete Plan die Nickelindustrie auszubauen, die in Süd- und Zentralsulawesi schon jetzt massive ökologische und soziale Schäden verursacht, lässt nichts Gutes erahnen.
Dies alles geschieht vor dem Hintergrund der voranschreitenden Remilitarisierung von Politik und Bürokratie, der Absicherung von Infrastrukturprojekten durch Sicherheitskräfte, deren enge Verwobenheit mit Politik und Wirtschaft, sprich: mächtigen Oligarchen, kein Geheimnis ist und der zunehmenden Einschränkung der Meinungsfreiheit. Zu letzterem zählen Einschüchterung durch Sicherheitskräfte und der Missbrauch von bestehenden Gesetzen wie das elektronische Informations- und Transaktionsgesetz oder das Blasphemiegesetz.
Während Jokowi also auf der internationalen Bühne glänzt und die Welt der G20 applaudiert und nicht zuletzt Europa um Indonesiens Gunst buhlt, wird die Chance für eine auf Klimaschutz und soziale wie auch globale Gerechtigkeit gerichtete Entwicklung von allen Seiten weiterhin vertan. Indonesiens Regierung hätte in dieser Hinsicht eine wahrhaftige Führungsrolle einnehmen können. Als Repräsentantin eines der an Biodiversität und Naturschätzen reichsten Länder der Erde mit einer Bevölkerung, die bereit ist für die Demokratie einzutreten und einer tragenden Rolle in der ASEAN sowie der Tradition der Blockfreiheit im Rücken, hätte sie alle Voraussetzungen dazu gehabt.