Indonesisches Militär lässt die Maske fallen – Auch in Jakarta?
dpa, 06. September 1999
Indonesien/Konflikte/Ost-Timor/KORR/
Von Thomas Lanig, dpa
Dili/Singapur (dpa) – Man hätte es wissen müssen. Indonesiens Militär macht sich seit Jahrzehnten brutaler Menschenrechtsverletzungen schuldig – in Ost-Timor, Aceh, Irian Jaya und wo sonst es den Generälen notwendig erschien. Solange der im Westen geschätzte Präsident Suharto in Jakarta regierte, drückte die Weltöffentlichkeit aber gern beide Augen zu, ökonomische und strategische Interessen geboten Zurückhaltung.
Als dann die Vereinten Nationen am 5. Mai mit Indonesien und Portugal den Vertrag über eine Volksabstimmung in Ost-Timor schlossen, übertrug die internationale Gemeinschaft den Generälen sogar die ehrenvolle Aufgabe, den heiklen Übergang in der früheren portugiesischen Kolonie zu begleiten. Und das, obwohl in Ost-Timor seit 1975 mehr als 200.000 Menschen einem Völkermord der Streitkräfte zum Opfer gefallen sind.
Jetzt lassen die Militärs in Ost-Timor die Maske fallen. Am Montag machten sie nach Augenzeugenberichten ganz offen gemeinsame Sache mit den Milizen, die sie bisher eher im Hintergrund bewaffnet und unterstützt hatten. Nach Augenzeugenberichten verfrachteten Soldaten und bewaffnete Schlägerbanden zusammen Tausende von Flüchtlingen auf Lastwagen, um sie ins indonesische West-Timor zu bringen.
„Die Lage ist katastrophal“, sagt die deutsche Entwicklungshelferin Anna Blume, die mit ihren Kollegen von der Hilfsorganisation IFED auf ihre Evakuierung wartet. Als sie am Telefon in Dili von Gräueltaten der Milizen berichtet, knallen in unmittelbarer Nähe Schüsse. „Wir wissen nicht, was mit unseren Leuten passiert ist“, sagt Blume.
Offensichtlich schert sich die Militärführung in Jakarta unter General Wiranto wenig um das internationale Echo auf die Tragödie in Ost-Timor. „Das ist wie in China vor zehn Jahren“, sagt ein Asien-Experte. „Wenn Generäle die Sicherheit des Landes und ihre Interessen bedroht sehen, kümmern sie sich nicht um die Reaktion der Weltöffentlichkeit.“ Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Militärs in Jakarta nichts mehr fürchten, als einen relativ friedlichen Abschied Ost-Timors in die Unabhängigkeit, denn das Beispiel könnte Schule machen – in Aceh, Irian Jaya und anderswo.
Der indonesische Präsident Bacharuddin Jusuf Habibie kommt durch die Rolle des Militärs in Ost-Timor in eine unhaltbare Lage. Denn schließlich hatte er persönlich den Weg zur Volksabstimmung frei gemacht, bei der vor einer Woche fast 80 Prozent der Wahlberechtigten in Ost-Timor für die Unabhängigkeit votierten. „Ich übernehme die Verantwortung“, sagte Habibie am Montag, doch viele Beobachter in Jakarta haben Zweifel, was sein Wort noch wert ist.
In weniger als zwei Monaten wählt Indonesiens Beratende Volksversammlung MPR einen neuen Präsidenten. Noch weiß niemand, wie sich das mächtige Militär in dieser Kraftprobe verhält. Doch einige Indizien sprechen dafür, dass General Wiranto mit einer Präsidentin Megawati Sukarnoputri gut leben könnte. Die Tochter des Republik-Gründers Sukarno hat zwar die Wahlen im Juni eindeutig gewonnen, doch sie gilt als politisch schwach.
Megawati und Wiranto ziehen in Ost-Timor an einem Strang: Sie wollen die 27. Provinz nicht gehen lassen. Für Habibie aber könnte das Desaster in Ost-Timor der politische Todesstoß sein.
dpa tl xx hm