JAHRESRÜCKBLICK 2024
WIR WÜNSCHEN ALLEN EINEN WUNDERSCHÖNEN
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Ein weiteres Jahr, in dem eine Hiobsbotschaft die andere jagte, liegt beinahe hinter uns. Die globale krisenhafte Lage, die sich nicht zuletzt in der Renaissance des Autoritarismus spiegelt und die immer deutlicher zutage tretenden zerstörerischen Folgen des Klimawandels bringen nicht nur unermessliches Leid, sondern auch bisherige (politische) Gewissheiten zunehmend ins Wanken. Wie stark und auf welche Weise wir die Einschläge dieser Krisen zu spüren bekommen, hängt sehr davon ab, in welchem Teil der Welt und in welchen Umständen wir leben. Ihre weltpolitischen Dimensionen führen jedoch gleichzeitig vor Augen, wie sehr wir miteinander verwoben sind. Was auch klar ist: ÜBERALL auf der Welt setzen sich Gemeinschaften, Individuen und Organisationen oftmals unter den widrigsten Umständen für Demokratie, einen gerechten Frieden, den Schutz von Menschenrechten und unser aller Lebensgrundlagen ein. So auch in Indonesien.
Im August verhinderten Massendemonstrationen eine Reform des Wahlgesetzes, die ein kurz zuvor erlassenes Verfassungsgerichtsurteil ausgehebelt hätte. Zahlreiche über den Archipel verteilte Initiativen wie das Mosintuwu Institut in Poso auf Sulawesi fördern die Selbstbestimmung von lokalen Gemeinschaften und den Aufbau von wirtschaftlichen, politischen und sozio-kulturellen Gemeinschaftsentwürfen. Damit setzen sie der oftmals staatlich flankierten ungezügelten und zerstörerisch betriebenen Ausbeutung von Rohstoffen eigene Modelle entgegen. Im Januar deckte ein mutiges Recherchekollektiv Wahlmanipulationen im großen Stil auf. Selten und nur wenige dieser Initiativen erreichen internationale Aufmerksamkeit.
In dieser Phase der sich zuspitzenden Konflikte, stehen die Zeichen zunehmend auf Militarisierung. Auch die Sicherung von Märkten und Marktzugängen gewinnt rasant an Prominenz. Indonesien gilt Deutschland und der Europäischen Union dahingehend schon lange als geopolitischer Schlüsselpartner in der Pazifikregion. Sie umwerben das Land seit Jahren mit Anerkennung auf der internationalen Bühne – sei es im Rahmen des UN-Menschenrechtsrats oder der Klimapartnerschaft. Ein umfassendes Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Indonesien steht nach 19 Verhandlungsrunden allem Bekunden nach ebenfalls kurz vor dem Abschluss. Gleichzeitig hat Prabowo Subianto Djojohadikusumo, der seit Oktober amtierende Präsident mit einer Historie an schweren Menschenrechtsverletzungen, über seinen Außenminister Sugiono die BRICS-Mitgliedschaft nun offiziell beantragt und mit Donald Trump als Präsidenten der USA ist die Stabilität des Atlantischen Bündnisses großen Risiken ausgesetzt. All dies lässt befürchten, dass das internationale Commitment zum effektiven Schutz der Menschenrechte noch weiter in den Hintergrund gerät.
In Indonesien verheißen die Ergebnisse der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 14. Februar eine noch weitergehende Aushöhlung der Menschenrechte als bisher. Der überragende Wahlgewinner Prabowo Subianto, der Generalleutnant während der Suharto-Diktatur (1966 -1998) war, ist einer der vermögendsten Menschen des Landes und war 1983 in ein Massaker in Osttimor und in weitere schwere Übergriffe verwickelt. Während sich Prabowo im Wahlkampf als netter Onkel von nebenan präsentierte, machte er gleichzeitig nie einen Hehl daraus, dass er demokratische Verfahren lästig findet. Recherchen unabhängiger Journalist*innen und Wissenschaftler*innen indessen legen nahe, dass Prabowo und sein Vizekandidat Gibran Rakabuming Raka, der älteste Sohn des ehemaligen Präsidenten Widodo nur aufgrund eines Bündels an Manipulationen im Vorfeld der Wahlen ihren überwältigenden Wahlsieg einfuhren. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Straflosigkeit, auch für schwere Menschenrechtsverletzungen, der Proliferation von autokratiefördernden Gesetzesreformen und der Kollusion zwischen Oligarchen, Militär und Politik befürchten Menschenrechtsverteidiger*innen und vulnerable Bevölkerungsgruppen nun ein Durchregieren mit eiserner Faust.
Für diejenigen, deren jahrzehntelange Bemühungen immerhin die Anerkennung des letzten Präsidenten Widodo von zwölf schweren Menschenrechtsverbrechen seit den Massakern von 1965/66 erreicht haben, rücken die Übernahme der politischen Verantwortung oder gar eine juristische Aufarbeitung nun in weite Ferne. Gleich eine Woche nach der Regierungsbildung Prabowos ruderte der ehemalige Justiz- und Menschenrechtsminister Yasonna Laoly zurück und deklarierte, das Verschwindenlassen von Demokratieaktivist*innen der Reformasi-Bewegung im Mai 1998 sei von der Liste der schweren Menschenrechtsverbrechen zu streichen. Sein Nachfolger Supratman Andi Agtas, der Yasonna als guten Freund bezeichnet dessen Programme er weiterführen möchte, hat bisher nicht widersprochen. Er sieht sich der präsidalen Weisung von 2023 über die außergerichtliche Beilegung von schweren Menschenrechtsverletzungen verpflichtet.
Menschenrechtsverteidiger*innen in Indonesien leben weiterhin gefährlich. Landwirt*innen, Stadtbewohner*innen und Indigene, die sich gegen ihre Vertreibung oder die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch industrielle Großprojekte verteidigen, riskieren Leib und Leben. Die Gewalt hat viele Gesichter. Sei es direkte Gewalt durch Sicherheitskräfte im Rahmen von Protesten gegen Demokratieabbau, Vertreibung von angestammten Land oder die Zerstörung der Lebensgrundlagen für ganze Landstriche durch industrielle Großprojekte, allen voran die der Nickel- und Ölpalmindustrie.
In Papua nahm die Gewalt auch 2024 kein Ende. Rassismus, Ausgrenzung und Bedrohung durch staatliche oder staatlich protegierte Kräfte gehören zu den Alltagserfahrungen vieler indigener Papua. Am 17. Juli schossen Unbekannte auf den bekannten papuanischen Menschenrechtsanwalt Yan Christian Warinussy. Einen Tag nach dem Amtsantritt von Prabowo kündigte der Minister für Transmigration an, die Transmigrationsprogramme in Ostindonesien, insbesondere in Westpapua, wieder aufzunehmen, um „[…] die nationale Einheit und das Wohlergehen der lokalen Bevölkerung zu verbessern.“ Dies und die Umwandlung von zwei Millionen Hektar gewohnheitsrechtlich genutztem Land für den Reisanbau im Bezirk Merauke im Rahmen der Strategischen Nationalen Projekte (PSN) lösten Proteste aus, die vielerorts gewaltsam niedergeschlagen wurden. Berichten zufolge gingen Polizeibeamte in den Städten Jayapura und Nabire mit Wasserwerfern, Tränengas, Holzstöcken und Gummigeschossen gegen die friedlich Demonstrierenden vor.
Das Pochen auf globale Solidarität und eine auf Gerechtigkeit bauende Klima-, Wirtschafts- und Außenpolitik erscheint jedes Jahr dringlicher. Insbesondere Gemeinschaften, deren Lebenszusammenhänge und -grundlagen von Raubbau an der Natur und dem Gerangel um Rohstoffe und Märkte massiv bedroht sind, fordern darin eine Neudefinition des Entwicklungsbegriffs. Genauso bleibt die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards von enormer Bedeutung.
Was wir gemacht haben
2024 war ein intensives Jahr, das von bereichernden Begegnungen und Kooperationen getragen war, einem aufregenden Projektstart und vielen, vielen inspirierenden Momenten.
An dieser Stelle möchten wir uns bei Euch, bei allen Mitmacher*innen, Unterstützer*innen und Spender*innen, sehr herzlich bedanken. Ohne Euch wäre das alles nicht möglich!
Die Highlights
Das zweite und letzte Jahr des Projekts „Urbane Transformation sozial und global gerecht gestalten: Zivilgesellschaftliche Handlungsoptionen für klimaneutrale Städte am Beispiel Indonesien“ kulminierte in einer Ausstellung. Begleitet von Informationsveranstaltungen war sie gleich an mehreren Orten zu sehen und stößt auf großes Interesse. Zum Anlass der Hauptversammlung der HeidelbergCement AG protestierten wir im End Cement Bündnis gegen die menschenrechts- und umweltgefährdenden Praktiken des Konzerns. Auch dieses Jahr beteiligten wir uns an einem Gegenantrag, der auf die Nichtentlastung des Vorstands zielte. Mit einer an die Versammlung gerichteten Videobotschaft forderte die JM-PPK (Jaringan Masyarakat Peduli Pegunungan Kendeng – Netzwerk der Menschen, denen das Kendeng-Gebirge am Herzen liegt), zum Stopp der Pläne des Tochterunternehmens PT SMS auf. In einer gemeinsamen Presseerklärung mit dem End Cement Bündnis appellierte unsere Kampagnenkoordinatorin Janty Jie, das Projekt in Pati zu stoppen.
Im Juli übergab Leona Pröpper den Staffelstab als Eine-Welt Promotorin an Nils. Er setzte sich weiter für Menschenrechte in der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit ein. Dabei widmete er sich schwerpunktmäßig dem Comprehensive Economic Partnership Agreement (CEPA).
Im Juli war es endlich soweit: Das trilaterale Städtepartnerschaftsprojekt an an dessen Konzeptionierung wir unter dem Mantel des Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag seit 2020 mitgestrickt haben konnte starten! Als Modellprojekt gedacht, adressiert es Leerstellen in der Gestaltung der Süd-Städtepartnerschaften Berlins, denn ihr Potenzial für die Beantwortung existenzieller Fragen wie z.B. die Bewältigung der Klimakrise, wird bisher nicht ausgeschöpft. Es fehlt u.a. an einem gemeinsamen Rahmen und an zivilgesellschaftlicher Beteiligung. Im Projekt werden zunächst in Tandems mit den Berliner Partnerstädten Windhoek, Mexico-City und Jakarta zivilgesellschaftliche Strukturen aufgebaut, die die Partnerschaften in Zusammenarbeit den jeweiligen Verwaltungen mit Leben füllen. Fulminanter Auftakt war der Projekt Kick-Off im September bei der Delegierte aus allen drei Partnerstädten mit ihren Berliner Pendants zusammenkamen. Leona Pröpper, die das Konzept maßgeblich mitgestaltet hatte, fungiert auf Berliner Seite als Projektkoordinatorin für das Tandem Jakarta-Berlin in dem wir mit WALHI (Wahana Lingkungan Hidup Indonesia/Indonesisches Umweltforum) zusammenarbeiten.
Gemeinsam mit dem Westpapua-Netzwerk und der Stiftung Asienhaus setzten unser 2023 etablierte Veranstaltungsformat #TalkAboutPapua fort. Im Januar stellten zwei Gäste aus Westpapua in Berlin ihre Arbeit vor und diskutierten über zivilgesellschaftliches Engagement in der Region.
Ende Mai trug das mit Asia Justice and Rights entwickelte Projekt „Building Transnational Bridges Between Youth in Indonesia and Germany“ Früchte. Acht junge Menschenrechts-verteidiger*innen aus Indonesien besuchten Berlin, um sich mit dem Thema Erinnerungskultur(en) in Deutschland auseinanderzusetzen und transnationale Netzwerke zu knüpfen. Sie kamen aus allen Regionen Indonesiens, von Aceh bis Papua, wo sie sich jeweils auf vielfältige Weise für eine angemessene Kultur des Gedenkens und Erinnerns an schwere Menschenrechtsverletzungen einsetzen. Das achttägige Programm war dicht gefüllt mit Führungen, Diskussionen und Workshops, die nicht nur die Teilnehmenden, sondern auch das Team dahinter nachhaltig inspiriert haben.
Wie geht es weiter?
Gemeinsam mit Euch / Ihnen, unseren Mitgliedern, mit Aktivist*innen in Indonesien und Deutschland, Förder*innen und Unterstützer*innen möchten wir die Themen, die uns alle bewegen, mit Entschlossenheit weiter vorantreiben.
Im kommenden Jahr haben wir uns vorgenommen, uns verstärkt den Themen Energiewende und Klimapartnerschaften zu widmen sowie dem vergessenen Konflikt in Papua und natürlich den Entwicklungen unter der neuen Regierung in Punkto Menschenrechte und Demokratie. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt dabei mindestens Zweierlei: der Situation von Menschenrechtsverteidiger*innen in Indonesien und der Wachstumsagenda, die auch Prabowo dezidiert vorantreiben möchte, in ihren Wechselwirkungen mit internationalen Interessen. Indonesische zivilgesellschaftliche Positionen und Lösungsansätze deutlicher nach Vorne zu bringen, bleibt darin zentral für uns. Die gegenwärtigen Verwerfungen und Umschichtungen fordern uns gleichzeitig dazu auf, unsere Netzwerke, Strategien und Handlungsansätze zu stärken.
Im Januar starten wir ein Projekt, das die Herausforderungen und Handlungsoptionen für eine global und sozial gerechte Energiewende aus der zivilgesellschaftlichen Perspektive heraus in den Blick nimmt.
Ein ab Mai geplantes Projekt adressiert die Probleme und Perspektiven von indonesischen Palmölarbeiter*innen. Darin werden wir mit dem Netzwerk Transnational Palm Oil Labour Solidarity (TPOLS) zusammenarbeiten. TPOLS vereint verschiedene Gewerkschaften, umweltpolitische Organisationen und Frauenrechtsorganisationen, mit Schwerpunkt in Indonesien, aber auch darüber hinaus.
Neben einer für Herbst geplanten Veröffentlichung, die das erste Regierungsjahr Probowos bilanziert, einer Reihe von Diskussionsveranstaltungen und einem Filmfestival mit neuen Dokumentationen aus Westpapua steht ein transnationales Symposium an. Mit Blick auf Re-Autoritarisierungsprozesse in Indonesien, aber auch in Europa und die aktuellen geopolitischen Umschichtungen möchte es einen Raum für Vernetzung, Information und Strategieentwicklung im Sinne der Stärkung von Menschenrechten, Menschenrechtsverteidiger*innen und globaler Gerechtigkeit bieten.
Das 2024 im Projektverbund mit dem Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag e.V. und den Organisationen Afrika-Rat e.V. und Mexico via Berlin e.V. gestartete Städtepartnerschaftsprojekt geht ins zweite Jahr.
Abschließend noch ein dringender Appell: Die Kürzungen des Berliner Senats betreffen auch Watch Indonesia! Die vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar 2025 und damit eine unklare Haushaltslage bis weit ins erste Quartal, präsentieren zusätzliche Ungewissheiten.
Angesichts der zahlreichen politischen Herausforderungen in Indonesien und der wachsenden Relevanz Indonesiens für die deutsche und europäische Wirtschafts- und (Klima-)Außenpolitik müssen wir unsere Bemühungen jedoch verstärken. Dazu brauchen wir eine solide finanzielle Basis. Um unsere Vorhaben sinnvoll umsetzen zu können, benötigen wir aktuell weitere Mittel als die bisher von kirchlichen Hilfswerken und staatlichen Stellen bewilligten.
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