„Militär hat Schuld“
taz, 11. September 2000
Rechtsanwalt Munir
Munir nahm kürzlich auf Einladung von Watch Indonesia! an der Konferenz „Conflicts and Violence in Indonesia“ an der Humboldt-Universität Berlin teil. Am Rande der Tagung interviewte ihn Sven Hansen von der taz:Der 35-jährige Anwalt Munir, der wie viele Indonesier nur einen Namen hat, arbeitet im angesehenen Rechtshilfeinstitut YLBH in Jakarta und bei der Organisation Kontras, die das Schicksal von Verschwundenen und Gewaltopfern aufzuklären versucht. Auf den Molukken sind seit Januar 1999 bei Unruhen zwischen Christen und Muslimen über 3.000 Menschen umgekommen. Zehntausende sind geflohen. Kürzlich ist die Gewalt wieder aufgeflammt.
Der indonesische Menschenrechtsanwalt Munir über den Konflikt auf den Molukken und die Rolle des Militärs
taz: Was steckt hinter der Gewalt zwischen Christen und Muslimen auf den Molukken?
Munir: Das Militär versucht sich durch den Konflikt auf den Molukken, der nur oberflächlich religiös ist, vor den Auswirkungen der gesellschaftlichen und politischen Reformen zu schützen und sich zugleich eine neue Legitimität zu verschaffen. Das Militär will so seine Macht konsolidieren und zeigen, dass die Regierung den Konflikt nicht lösen kann. Inzwischen haben die Generäle noch ein weiteres Interesse: Durch den Konflikt wollen sie die Ermittlungen gegen sich wegen der Gewalt in Osttimor im vergangenen Jahr stoppen. Ein weiterer Grund des Konflikts auf den Molukken sind Interessensgegensätze lokaler Politiker und Geschäftsleute.
Haben Sie Beweise für die Schuld des Militärs?
Wir sind bei unseren Untersuchungen auf Beweise gestoßen, wie das Militär beide Konfliktparteien mit Waffen versorgt, provoziert und angeheizt hat. Schon vergangenes Jahr habe ich den damaligen Militärchef Wiranto gefragt, warum das Militär beide Seiten unterstützt. Er erwiderte, er könnte seine Männer nicht stoppen, die von den Molukken stammten, und es fehle das Geld, um sie in andere Regionen zu versetzen. Das ist eine Lüge, mit der das Militär mehr Geld bekommen will, und zeigt das Interesse des Militärs an dem Konflikt. Bei Gesprächen mit den Beteiligten in dem Konflikt wurde uns gesagt, das Militär würde sie beraten. Uns wurden konkrete Namen genannt.
Wie verhält sich die Regierung in dem Konflikt?
Die neue Regierung ist bemüht, den Konflikt zu stoppen. Aber ihr Problem ist, dass sie auf das Militär angewiesen ist, das andere Interessen hat. Die Regierung hat Schwierigkeiten bei der Durchsetzung ihrer Politik.
Was halten Sie von der Verhängung des zivilen Notstandes?
Diese Maßnahme wurde ergriffen ohne die Ursachen des Konfliktes zu analysieren. Die Verhängung des Notstandes kann nur unter folgenden Bedingungen funktionieren: Erstens muss das Militär kontrolliert und die in den Konflikt verwickelten Soldaten müssen abgezogen werden. Zweitens muss ein striktes Waffenverbot durchgesetzt werden. Wer dagegen verstößt, gehört eingesperrt. Und drittens bedarf es eines Wiederaufbauprogramms. Bisher sind alle drei Bedingungen nicht erfüllt. Das Militär hat zwar durch den Notstand eine gewisse Kontrolle, aber wie soll so der Konflikt gelöst werden, wenn das Militär das Problem ist?
Es gibt Rufe nach einer internationalen Friedenstruppe, was von Regierungsvertretern sogleich als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen wurde. Kann das Ausland helfen?
Eine internationale Friedenstruppe würde den Konflikt wohl noch auf andere Regionen Indonesiens ausweiten. Internationale Friedenstruppen würden wohl vor allem als Christen wahrgenommen und würden noch den Nationalismus anheizen. Das würde neue Probleme schaffen. Wichtig ist vielmehr, dass die Regierung international unter Druck gesetzt wird, das Militär stärker zu kontrollieren.
INTERVIEW: SVEN HANSEN