Interview mit Otto Syamsuddin Ishak
Otto Syamsuddin Ishak ist Soziologe an der Universitas Syah Kuala in Banda Aceh und Geschäftsführer von CORDOVA, einer 1990 in Aceh gegründeten Nichtregierungsorganisation (NGO). CORDOVA hat sich zum Ziel gesetzt, auf der Basis von Gleichberechtigung, Umwelt- und Menschenrechten zum Entstehen einer Zivilgesellschaft beizutragen.
Das Gespräch führte Alex Flor von Watch Indonesia! am 12. August 1999 in Berlin
Pak Otto, Sie haben die UN-Subkommission für Menschenrechte in Genf besucht. Was haben Sie dort berichtet?
OS: Ich habe berichtet über die beiden Perioden der militärischen Operationen in Aceh, die erste von 1989 bis zum 7. August 1998, und die zweite von da an bis heute. Ich habe über die Stationen der jeweiligen Operationen und über verschiedene Formen der Gewalt erzählt, die im Rahmen dieser Operationen ausgeübt wurden. Die Reaktion einiger Mitglieder der Subkommission war recht enthusiastisch, sowohl was Aceh im besonderen als auch, was die Menschenrechtsverletzungen in Indonesien im allgemeinen angeht. Es wird darüber einen Bericht geben, der der UN-Vollversammlung vorgelegt wird.
Welche Forderungen sollte eine UN-Resolution stellen?
OS: Das wichtigste wäre, daß die indonesische Regierung aufgefordert wird, die Militäroperationen in Aceh zu beenden, die soviele Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben. Die zweite Forderung wäre, daß baldmöglichst eine Untersuchungskommission nach Aceh entsandt wird, deren Bericht der UN-Vollversammlung im Jahr 2000 vorgelegt werden soll. Weiterhin habe ich darauf gedrungen, daß die internationale Gemeinschaft sich des Problems der Flüchtlinge in Aceh annimmt, deren Lage sich zunehmend verschlechtert.
Die Situation in Aceh verschlechtert sich also weiter? Hat die Aufhebung des militärischen Ausnahmezustandes im letzten Jahr denn keine Verbesserung gebracht?
OS: Die Verschlechterung hat zum einen mit der Flüchtlingssituation zu tun und zum zweiten mit dem Militär, das gerade eine neue sechsmonatige Sonderoperation beginnt, an der ca. 12.000 Soldaten beteiligt werden sollen. Das entspricht ziemlich genau der Zahl der Militärs, die während des Ausnahmezustandes stationiert waren. Die Lage wird sich dadurch in den kommenden Monaten erheblich verschärfen. Um das vorherzusehen muß man sich nur vergegenwärtigen, was seit letztem August bis jetzt schon alles an schweren Menschenrechtsverletzungen begangen worden ist.
Hatte denn die „Reformasi“ in Indonesien gar keine Auswirkungen auf Aceh?
OS: In Aceh sind praktisch keinerlei Hoffnungen auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage mit der Reformasi verbunden. Was wir sehen ist, daß die Aktionen der Reformasi-Bewegung, die von NGOs und Studentenaktivisten in Jakarta und anderswo durchgeführt werden, regelmäßig mit Gewalt beendet werden. Von Reformasi kann auch keine Rede sein, wenn man sich die“horizontalen Konflikte“ anschaut, die in Ost-Timor oder in Ambon herrschen. Hier in Aceh handelt es sich bislang noch um einen „vertikalen Konflikt“, aber die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung steigt ständig an, sowohl die Zahl der Toten als auch der ohne Prozeß Gefangenen und der Verschwundenen.
Sie sprachen vorhin über die Flüchtlinge. Woher kommen sie und wo leben sie jetzt?
OS: Nach unseren Zahlen, Stand 1. August, gibt es derzeit 239.692 Flüchtlinge. Jedesmal, wenn das Militär Operationen durchführt, um in den Dörfern nach Unterstützern der Befreiungsbewegung zu suchen, endet das in Gewalt. Die Bevölkerung flüchtet, um sich vor diesen Übergriffen in Sicherheit zu bringen. Sie finden Zuflucht an öffentlichen Orten, wie z.B. in Schulen, Islamschulen und Moscheen entlang der Hauptverkehrsstraße von Banda Aceh nach Medan.
Worunter leiden die Leute dort am meisten?
OS: Welches Leid die Flüchtlinge erfahren erkennt man schon an der Tatsache, daß bislang 37 Leute in den Camps gestorben sind. Die meisten leiden unter Krankheiten, Atemwegserkrankungen u. dgl. sind z.B. weit verbreitet. Die sanitären Einrichtungen sind völlig unzureichend. Ein weiteres Problem besonders für die Kinder ist die mangelnde Ernährung.
Können das Ausland oder internationale Hilfsorganisationen Hilfe leisten?
OS: Bisher gibt es keine internationale Organisation, die sich speziell dieses Flüchtlingselendes annimmt. Aber die nachbarschaftliche Hilfe innerhalb der Bevölkerung selbst funktioniert recht gut. NGOs und andere Freiwillige helfen dabei die Spenden zu kanalisieren, damit sie bei den Bedürftigen ankommen.
Inwieweit kann eine NGO wie Cordova die politische Entwicklung in Aceh bzw. in ganz Indonesien beeinflussen?
OS: Die Aktivitäten von NGOs wie uns richten sich darauf, die Entstehung einer Zivilgesellschaft zu fördern. Speziell in Aceh fand am 4. und 5. August ein Generalstreik statt, der auf die Initiative von Studenten und NGOs zurückging. Des weiteren versuchen wir politischen Druck auszuüben, z.B. durch Kampagnen gegen die Verletzung der Menschenrechte in Aceh. Wir versorgen auch NGOs im Ausland mit diesen Informationen, damit sie auf ihre jeweiligen Regierungen Einfluß ausüben können, politische Maßnahmen gegen die Regierung Indonesiens zu ergreifen, wie dies z.B. kürzlich durch Erklärungen des britischen Außenministers und des Sprechers des amerikanischen Präsidenten, James rubin, geschehen ist.
Wie beurteilen Sie selbst den Einfluß, den die NGOs haben?
OS: Ob wir Erfolge aufweisen können ist natürlich schwer zu sagen. Aber wir versuchen jedenfalls unser bestes, um auf internationaler Ebene das Bewußtsein für die Menschenrechtsverletzungen und die Situation der Flüchtlinge in Aceh zu stärken, denn die Bevölkerung in Aceh glaubt eine Verbesserung ist nur durch ein Eingreifen des Auslandes bzw. der NGOs im Ausland möglich. Dies hängt sehr stark mit dem Glaubwürdigkeitsverlust zusammen, den die indonesische Regierung in der Bevölkerung Acehs hinnehmen muß.
Gilt das auch für die lokalen Regierungsebenen?
OS: Ja, einschließlich der lokalen Regierung, denn sie wird nur als verlängerter Arm der Regierung in Jakarta gesehen.
Welche Rolle spielen denn die großen gesellschaftlichen Organisationen und die Islamgelehrten (ulama)?
OS: Die gesellschaftlichen Massenorganisationen und die ulama auf den höheren Ebenen beteiligen sich nicht an der Reformbewegung und genießen daher nicht das Vertrauen der Leute. Das Volk setzt deshalb auf die Studenten, auf die Aktivisten der NGOs und auf die lokalen ulama, deren Stellung die Subdistriktebene nicht übersteigt und die dementsprechend geringen Einfluß haben.
Zu den indonesischen Parlamentswahlen im Juni stellten sich einige Parteien, deren Programme Ziele wie Föderalismus, soziale Gerechtigkeit, eine gerechteren Verteilung der Ressourcen usw. enthielten. Gibt es keine Hoffnung in diese Parteien?
OS: Wir wissen, daß Föderalismus z.B. bei PAN (Partai Amanat Nasional, die Nationale Mandatspartei von Amien Rais) auf dem Programm stand. Wir wissen auch, welches Gewicht die Parteien haben, die für Reformen einstehen. So wissen wir auch, daß PAN nach den Wahlen nicht an erster Stelle stehen würde. Es war ausgeschlossen, daß sie stark genug sein würde, um den nötigen Einfluß auf die Regierung zu haben oder eine föderalistische Ordnung durchzusetzen. Von daher war die Wahrscheinlichkeit, eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Aceh zu erzielen äußerst gering. Auch die Chance auf eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes war gering, denn die Parteien, die die Wahlen gewonnen haben, die PDI-P und Golkar, stehen für einen indonesischen Einheitsstaat und dem Prinzip, sämtliche Bewegungen, die auf eine Loslösung von Indonesien gerichtet sind, bekämpft werden müssen. Zweitens propagieren diese Parteien das Modell einer Autonomie. Wenn wir uns aber dieses Modell anschauen, erkennen wir, daß nur 10% des in einer Region erwirtschafteten Einkommens wieder dorthin zurückfließen soll.
Ein Großteil der Bevölkerung in Aceh befolgte den Aufruf von NGOs und Studenten zum Boykott der Wahlen. Aber gibt es denn Alternativen zu diesen Wahlen und dem indonesischen Parlamentarismus?
OS: Die Unterstützung des Wahlboykotts wie auch die rege Teilnahme am Generalstreik sind Anzeichen einer stärker werdenden Zivilgesellschaft. Und da vom Parlament keinerlei Verbesserungen zu erwarten sind, werden sich die Aktionen der Studenten und der NGOs wieder darauf richten mit außerparlamentarischen Mitteln politischen Druck zu erzeugen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für eine politische Lösung des Konfliktes in Aceh?
OS: Wir müssen uns auf die Grundlage besinnen, daß das Volk von Aceh die Wahrung der Menschenrechte fordert, das ist das oberste Prinzip. Aber weil dies nicht gewährleistet ist, sieht sich das Volk gezwungen, die Forderungen höherzusetzen und nun ein Referendum zu fordern. Wenn man den Umfragen glauben darf, dann stehen 80% der Bevölkerung hinter dieser Forderung. Aber es gibt auch andere Optionen, die zwar weniger populär sind, aber dennoch sehr förderlich hinsichtlich der Menschenrechte wären, so zum Beispiel die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission nach südafrikanischem Vorbild.
Bei dem Referendum soll zwischen den Alternativen Unabhängigkeit und Integration entschieden werden, ja?
OS: Ja, es soll gewählt werden zwischen dem Verbleib in Indonesien oder der Unabhängigkeit.
Ist das nicht dasselbe, was die Befreiungsbewegung GAM (gerakan Aceh Merdeka) fordert?
OS: Der Unterschied zur GAM besteht darin, daß es sich bei unserer Kampagne um eine moralische Bewegung handelt, die mit demokratischen Mitteln arbeitet. Das bedeutet eben auch, daß wenn das Referendum scheitert, das Volk dieses Ergebnis akzeptieren muß. Des weiteren handelt es sich hier um eine absolut gewaltfreie Kampagne. Dieser Kampagne liegt der Menschenrechtsgedanke zugrunde, sie ist sogar aus diesem Gedanken heraus geboren. Um das einmal mit der GAM zu vergleichen: die GAM stützt sich mehr auf eine Art Geschichtsromantizismus, um ihre Forderung nach Unabhängigkeit zu begründen. Die GAM verfolgt politische Ziele. Auf der Agenda der GAM steht an fünfter Stelle der bewaffnete Kampf, hinter Lobby, Propaganda und wirtschaftlichem Druck.
Ist die GAM denn überhaupt ein bestimmender Faktor auf der politischen Landkarte Acehs?
OS: In ihrer derzeitigen Verfassung stellt sie einen wichtigen Faktor dar, der für die Zukunft von Aceh und die Lösung des Konfliktes bestimmend sein könnte. Die ausschlaggebenden Kräfte sind die GAM, die Zivilbevölkerung einschließlich der Opfer, die mit einbezogen werden müssen, und der Studenten und als dritte Kraft die tonangebenden Indonesier, hier an erster Stelle das Militär.
Vor zwei Wochen luden einige internationale NGOs zu einer internationalen Aceh-Konferenz nach Bangkok ein. Dort wurde der Grundstein für einen möglichen Dialog zwischen der GAM und der indonesischen Regierung gelegt. Könnte das der Schlüssel für eine politische Lösung sein oder treffen da bestenfalls Dickköpfe aufeinander, die sich nichts zu sagen haben?
OS: Ich denke das Treffen in Bangkok konnte nicht dazu beitragen, das Problem zu lösen, denn es nahm kein Vertreter der indonesischen Regierung daran teil. Nur die GAM war dort vertreten. Auch die Opfer der Menschenrechtsverletzungen waren nicht vertreten. Die Konferenz hat auch keine Optionen auf eine Lösung aufgezeigt. Es wurde nicht über ein Referendum gesprochen und auch nicht über die Einrichtung einer Wahrheitskommission wie in Südafrika.
Wären direkte Gespräche zwischen der Regierung und der GAM denn erstrebenswert?
OS: Ich denke, das wäre ein positiver Schritt, der notwendig ist, um zu einer Lösung zu kommen. Bis jetzt stehen sich die beiden völlig verfeindet gegenüber.
Blicken Sie eher optimistisch oder eher pessimistisch in die Zukunft?
OS: In Hinblick auf die gerade begonnene Militäroperation bin ich natürlich eher pessimistisch. Aber auf der anderen Seite macht die stärker werdende Zivilgesellschaft Acehs Hoffnung darauf, daß sie eines Tages eine Verhandlungsposition einnehmen kann, um sich gegen die Regierung zu behaupten, die weder die Menschenrechte in Aceh noch in Indonesien insgesamt achtet. <>