Menschenrechtler warnt vor Eskalation des Molukken-Konflikts

KNA, 14. Juli 2000

knaKöln. Vor einem Übergreifen des Molukken-Konflikts auf andere Regionen Indonesiens hat der indonesische Menschenrechtler Munir gewarnt. Sollte die Gewalt zwischen Christen und Muslimen auf dem Archipel anhalten, drohe sie auf Sulawesi, eine der Hauptinseln des Staates, überzugreifen und völlig außer Kontrolle zu geraten, sagte der Vertreter der Menschenrechtsorganisation «KontraS» aus Jakarta am Freitag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Köln. In Poso auf Sulawesi seien in den vergangenen Wochen bereits über 150 Menschen bei Religionskonflikten ums Leben gekommen. Die Lage in der Hauptstadt der Molukken verglich Munir mit jener von Beirut zur Zeit des Libanonkrieges. Ein großer Teil der Häuser sei beschädigt oder zerstört, die Kirchen und Moscheen abgebrannt. Die Menschen hätten sich aus Furcht vor weiterer Gewalt in ihren Stadtvierteln verbarrikadiert.

Munir machte Teile des indonesischen Militärs, die der alten Herrschafts-Elite von Ex-Präsident Suharto nahe stehen, für den Konflikt verantwortlich. Hintergrund der Auseinandersetzungen seien nicht Religionskonflikte, sondern ein Herrschaftskampf in der politischen und militärischen Führung des Landes. Durch die Unruhen wolle das Militär seinen Einfluss stärken, seine Macht rechtfertigen und weitere Gelder loseisen. Die Gefahr einer Ausweitung des islamischen Fundamentalismus im Gefolge des Konflikts sieht Munir derzeit nicht. Trotz des Eingreifens von mehr als 2.000 Kämpfern der islamistischen «Laskar Jihad»-Gruppe sei die Mehrheit der Muslime auf den Molukken gegen Gewalt.

Ost-Timor

Zur Beilegung der Auseinandersetzungen, denen bislang mehr als 4.000 Menschen zum Opfer gefallen sind, sei Druck auf die Regierung notwendig, das Militär unter Kontrolle zu bringen, so der Menschenrechtler. Zugleich solle das Militär entschiedener für den Konflikt verantwortlich gemacht werden. Auch müssten die Verantwortlichen im indonesischen Militär für die Gewalt in Ost-Timor unbedingt vor Gericht gestellt werden. Dies würde nach Munirs Ansicht die Militärs in die Schranken weisen. Der indonesische Präsident Abdurrahman Wahid versuche zwar, die Demokratie sowie eine Lösung der Molukken-Krise durchzusetzen; ihm fehle es aber an Macht, so der KontraS-Vertreter. Von einer militärischen UN-Intervention riet Munir ab. Die UNO werde von Indonesiern mit dem Westen und dadurch mit dem Christentum identifiziert. Ihr militärisches Eingreifen könnte deshalb in der heiklen Situation zu weiterem Druck auf die christliche Minderheit in Indonesien führen.

WORTLAUT:

«Wie Beirut zur schlimmsten Zeit»

Menschenrechtler Munir über Hintergründe des Molukken-Konflikts

Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen auf den indonesischen Molukken haben bislang mehr als 4.000 Tote gefordert. Knapp eine Million Menschen sind inzwischen vor den Ausschreitungen geflohen. Ende Juni rief die Regierung den Notstand aus. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach am Freitag mit dem indonesischen Anwalt Munir in Köln über Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten des Konflikts. Munir, der Muslim ist, gehört der Menschenrechtsorganisation «KontraS» an.

KNA: Herr Munir, wie ist die derzeitige Lage auf den Molukken?

Munir: In der Hauptstadt Ambon ist ein großer Teil der Häuser beschädigt oder zerstört. Die Moscheen und Kirchen wurden niedergebrannt. Die einzelnen Religionsgruppen haben sich aus Angst vor neuer Gewalt in ihren Wohnvierteln verbarrikadiert oder sind geflohen. Man könnte es mit Beirut zu den schlimmsten Zeiten des Libanonkriegs vergleichen.

KNA: Was sind die Hintergründe des Konflikts?

Munir: Nachdem Suharto vor zwei Jahren abgetreten war, kam es zu Studentendemonstrationen in verschiedenen Teilen des Landes. Diese richteten sich insbesondere gegen den Einfluss des Militärs, das bis heute in großen Teilen der alten Herrschaftselite anhängt. Das Militär versuchte nun, mit einer Desinformationskampagne die Studentenbewegung zu spalten. Es wurde behauptet, der Protest würde von christlichen Studenten gesteuert. Diese Desinformation zeigte zwar auf Kalimantan und Sulawesi keine Wirkung, aber auf den Molukken. Denn wegen der Zwangsumsiedlungen von Muslimen auf die bis dahin mehrheitlich von Christen bewohnte Inselgruppe unter Suharto herrschten hier bereits Spannungen vor.

Dennoch war allen Konfliktparteien zunächst klar, dass hier eine Auseinandersetzung von außen geschürt wird. Inzwischen hat sich die Lage geändert. Das Militär ist jetzt Teil des Konflikts, da die Soldaten auf Seiten der Christen oder der Muslime stehen. Deshalb glauben die Leute, dass das Militär den Konflikt nicht mehr kontrollieren beziehungsweise verhindern kann. Inzwischen machen die Gruppen sich gegenseitig für die Gewalt verantwortlich und verüben Racheakte.

KNA: Welches Ziel verfolgt das Militär?

Munir: Es will durch die Gewalt auf den Molukken seinen Einfluss stärken, seine Machtposition rechtfertigen und neue Finanzmittel loseisen. Außerdem soll die Regierung Wahid geschwächt werden.

KNA: Ist der politische Konflikt damit inzwischen vom religiösen überlagert worden?

Munir: Ich glaube nicht, dass es sich wirklich um einen Religionskonflikt handelt. Nicht jeder in der Region hat Probleme mit der Religion. In einigen Gebieten leben die Menschen weiterhin friedlich zusammen, und die Mehrheit der Menschen auf den Molukken ist gegen jede Gewalt. Aber die Religion wird für den Konflikt missbraucht.

KNA: Wie ist dann aber das Eingreifen von mehr als 2.000 Kämpfern der islamischen Fundamentalisten der «Laskar Jihad» zu bewerten?

Munir: Zunächst ist zu sagen, dass mit der Dauer der Auseinandersetzungen auch Leute von außerhalb einbezogen wurden, die sich mit der jeweiligen Religionsgruppe solidarisieren wollten. Dies geschah zunächst durch Geldspenden, mit denen Waffen vom indonesischen Militär gekauft wurden. Dadurch eskalierte der Konflikt weiter. Nach einem größeren Überfall von Christen auf Muslime gingen die Muslime auf Java davon aus, dass ihre Glaubensbrüder nun die Opfer würden. Deshalb wurden Kampfgruppen wie die «Laskar Jihad» aufgestellt. Sie werden von einigen führenden Politikern und Militärs unterstützt, die dabei zum Teil wieder ihre eigenen Interessen verfolgen.

KNA: Könnte es zu einer Radikalisierung des ganzen Islam kommen?

Munir: Ich glaube nicht. Die fundamentalistischen Gruppen in Indonesien sind zwar sehr aktiv, sie bleiben aber in der Minderheit. Die Mehrheit der Muslime ist mit dem Konflikt nicht einverstanden.

KNA: Man spricht aber von insgesamt 4.000 Jihad-Kämpfern, die in einem Lager bei Jakarta ausgebildet wurden.

Munir: Ja, aber allein auf Java leben mehr als 100 Million Menschen.

KNA: Wie könnte der Konflikt gelöst werden?

Munir: Entschiedener Druck auf die indonesische Regierung, sie muss das Militär unter Kontrolle bringen. Außerdem sollten die Militärs entschiedener für den Konflikt verantwortlich gemacht werden. Ansonsten werden sie die Situation weiterhin bestimmen. Wichtig ist ferner, dass die internationale Gemeinschaft darauf drängt, dass die Verantwortlichen auch des indonesischen Militärs für die Gewalt in Ost-Timor vor Gericht gestellt werden. Auch das würde das Militär deutlich in die Schranken weisen.

KNA: Verschiedentlich wurde ein Eingreifen der UNO gefordert…

Munir: Ich würde dieser Forderung nach einem militärischen UN-Einsatz nicht zustimmen. Das könnte in der derzeit heiklen Situation zu weiterem Druck auf die christliche Minderheit in Indonesien führen. Denn für die Indonesier wird die UNO mit dem Westen und damit mit dem Christentum identifiziert. Die UNO gilt deshalb nicht als neutral.

KNA: Ist der Konflikt eine Gefahr für die Einheit des Landes?

Munir: Er könnte sich ausweiten und völlig außer Kontrolle geraten. Der Religionskonflikt spielt etwa auch in Poso auf Sulawesi eine Rolle. Dort gibt es aggressive und militante Muslimgruppen. Hinzu kommt, dass in Manado in Nord-Sulawesi christliche Flüchtlinge aus Ambon und in Süd-Sulawesi Muslim-Flüchtlinge untergebracht wurden. Poso liegt genau in der Mitte. Wenn sich der Konflikt dort ausweitet, könnte er für ganz Indonesien äußerst gefährlich werden. Denn die Region ist sehr groß und hat wesentlich mehr Einwohner als die Molukken. Erst vor kurzem habe ich erfahren, dass bei Auseinandersetzungen in Poso inzwischen mehr als 150 Menschen getötet wurden. Wir dürfen den Konflikt auf den Molukken also nicht isoliert betrachten.

KNA: Welche Rolle spielt Präsident Abdurrahman Wahid?

Munir: Wahid hat gute Absichten und versucht, die Demokratie in Indonesien aufzubauen. Ihm fehlt es aber an Macht und Einfluss, und er hängt von verschiedensten Interessengruppen ab. Er stößt auf starken Widerstand, der gegen die Demokratie ist. Diese Kräfte stehen dem Ex-Regime unter Suharto sehr nahe. In Jakarta scheint man immerhin übereingekommen, den Konflikt entschiedener einzudämmen, da er zu eskalieren droht. Teile des Militärs unterstützten dies. Aber andere versuchen weiterhin, diesen Konflikt für sich zu nutzen.

KNA: Wie kann den Menschen auf den Molukken geholfen werden?

Munir: Wenn überhaupt, dann sollte man vor allem Sachspenden geben. Geldspenden drohen von beiden Seiten für weitere Waffenkäufe missbraucht zu werden. Es sei denn, man gibt das Geld der katholischen Kirche oder der moderaten Muslimgruppe Nahdlatul Ulama (NU), deren Vorsitzender Wahid ist. Sie sind nicht Teil des Konflikts und bemühen sich nach Kräften um Vermittlung.

Interview: Christoph Scholz (KNA)


Munir war zum Zeitpunkt des Interviews Gast von Watch Indonesia!


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