Westpapuas Guerillas wollen Unabhängigkeit
Neues Deutschland, 12. Januar 1996
Werden indonesische Eliteeinheiten die Entführung gewaltsam beenden?
Von THOMAS RUTTIG
Mitarbeiter des „World Wildlife Fund for Nature“ (WWF), die am Montag in Irian Jaya (Westpapua) entführt wurden, befinden sich in der Hand der Guerillagruppe „Organisation Freies Papua“ (OPM).
Das bestätigte gegenüber ND der Europa-Sprecher des politischen Flügels der OPM, der Volksfront Westpapuas (WPPF), Ottis Simopiaref. Dem Europa-Sprecher sind allerdings weder die Ziele der Entführung noch Forderungen der Entführer bekannt. Nach Angaben der deutschen Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia sollen die sieben europäischen und sieben indonesischen WWF-Mitarbeiter den Guerilleros auch eher „zufällig“ bei einer militärischen Aktion gegen das Dorf Mapedume im entlegenen Baliem-Tal in die Hände gefallen sein. Alexander Flor von Watch Indonesia glaubt, daß ihnen „keine große Gefahr“ drohe. Die gehe eher von der indonesischen Armee aus, wenn die auf eine „militärische Lösung“ setze und eine Befreiungsaktion starte. Simopiaref bestätigte Meldungen, wonach am Mittwoch 300 Soldaten der Eliteeinheit KOPASSUS in das Gebiet verlegt worden sind.
Die OPM kämpft bereits seit Mitte der 60er Jahre gegen den ihrer Ansicht nach illegitimen Anschluß des 422.000 km2 großen Gebietes an Indonesien. Sie rekrutiert sich aus den örtlichen melanesischen Papua-Völkern. Wie diese sind die laut Simopiaref etwa 500 Guerilleros – die Indonesier schätzen nur 200 – oft nur mit Pfeil und Bogen; bewaffnet. Trotzdem halten sie sich bereits seit 30 Jahren, was vor allem auf eine anhaltende Unterstützung durch die Bevölkerung zurückzuführen ist.
Organisiert sind sie in drei Fronten sowie im Untergrund der Städte, wo sie mehrmals Studentendemonstrationen mobilisierten. Für den WPPF-Sprecher sind militärische Aktionen ohnehin nur „Zeichen des Protests“, weil politische Aktivitäten kaum möglich sind. Allein seit 1977 wurden, OPM-Chef Kelly Kwalik zufolge, von den knapp zwei Millionen Einwohnern Westpapuas 43.000 getötet. Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen waren es seit 1963 sogar 150.000 bis 200.000.
Als Ziel der OPM bezeichnet es Simopiaref, den „historischen Fehler der UNO-zu berichtigen“, die 1969 nach einem sogenannten „Akt der freien Wahl“ die ehemalige niederländische Kolonie West-Irian an Indonesien übergab. Dem war ein Referendum vorausgegangen, an dem aber nur von Indonesien manipulierte Stammesführer teilgenommen hatten. Jetzt will die OPM „politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Selbständigkeit für Westpapua“. Selbst ein demokratisches Indonesien wäre nicht attraktiv. „Wir sind keine Indonesier, wir sind Melanesier“, sagt Simopiaref. Bereits im Juli 1971 rief die OPM in einem eher symbolischen Akt die Unabhängigkeit Westpapuas aus. Sie strebt gleich anderen Parteien der Nachbarländer mit Papua-Neuguinea, Bougainville, den Salomon-Inseln und Vanuatu einen „melanesischen Staatenbund nach EU-Vorbild“ an.
Doch bis dahin ist es noch weit, andere Probleme sind akut. So verkauft die indonesische Regierung die Rohstoffe Westpapuas in großem Stil an ausländische Konzerne. Ende letzten Jahres vergab sie eine Lizenz an die lokale Tochter des US-Bergbaukpnzerns Freeport McMoran, die schon jetzt zweitgrößte Kupfermine der Welt bei Timika um 2,5 Millionen Hektar zu erweitern. Mit der Rodung des in den Augen Jakartas „herrenlosen“ Waldes wird den indigenen Völkern des Gebietes ihre Lebensgrundlage entzogen. „Bei uns ist das wie mit Shell und den Ogonis in Nigeria“, erklärt Simopiaref. „Nur: Über Nigeria wird mehr geredet.“ <>