Indonesien: „Bürgerliche Freiheiten in Gefahr“
Berliner Zeitung, 17. Oktober 2002
Hinnerk Berlekamp
BERLIN, 16. Oktober. „In Indonesien wird der Anschlag auf Bali am vergangenen Wochenende zu einer Einschränkung der gerade erst gewonnenen bürgerlichen Freiheiten führen.“ Diese Sorge äußerte Alex Flor, Sprecher der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia, in einem Gespräch mit der „Berliner Zeitung“. Ähnlich wie in den USA, Deutschland und anderen Ländern nach dem 11. September 2001 werde nun auch in Jakarta die Stunde der Law-and-Order-Fraktion“ schlagen, sagte Flor, der am Mittwoch von einer vierwöchigen Indonesien-Reise zurückkehrte. Für den Sicherheitsminister, den Polizeichef und das Militär sei der Anschlag von Kuta Beach „ein gefundenes Fressen“.
Die Abschaffung des Anti-Subversions-Gesetzes von Diktator Suharto sei einer der großen Fortschritte auf dem Wege zur Demokratisierung Indonesiens gewesen, urteilt Flor. Nun bestehe die Gefahr, dass es wieder hervorgeholt werde. In den nach Unabhängigkeit strebenden Landesteilen wie Aceh oder Westpapua werde dann wieder jeder Regierungsgegner pauschal zum „Terroristen“ erklärt werden können. Die Forderung der Regierung in Jakarta, künftig präventive Verhaftungen vornehmen zu dürfen, habe eine gewisse Berechtigung, räumt der Watch-Indonesia-Sprecher ein, ergänzt aber: „Zugleich wird dadurch der Willkür Tür und Tor geöffnet.“
Islamisten unter Verdacht
Was die Attentäter von Bali betrifft, warnt Flor vor allzu schnellen Schuldzuweisungen, solange keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen. „Sicher sind Bali und vor allem Kuta Beach in Indonesien ein Inbegriff für westlichen Lebensstil und auch für die Verderbtheit der Sitten. Die Wahl des Zieles und auch die Handschrift des Anschlags sprechen daher für Täter aus dem islamistischen Milieu. Doch das Feld der extremistischen Organisationen in Indonesien ist noch weitgehend unerforscht“, gibt Flor zu bedenken.
Zu den Verdächtigen zählt er die Organisation Jemaah Islamiyah, die nach Darstellung der USA und Australiens eng mit dem El-Kaida-Netzwerk von Osama Bin Laden zusammenarbeiten soll. Beweise für diese Verbindungen gebe es aber bisher nicht. Dass auch indonesische Regierungsvertreter mittlerweile El Kaida als Attentäter favorisieren, überrascht Flor nicht. „Die Schuld wird mit Sicherheit im Ausland gesucht werden“, sagt er. Nachdem die Regierung in den Wochen vor dem Anschlag vehement bestritten habe, dass es in Indonesien Terroristen geben könnte, sei dies eine sehr bequeme Lösung, die von eigenen Versäumnissen ablenke.
Verbindungen zum Militär?
Betrachte man die Professionalität des Anschlags und die Art des benutzten Sprengstoffs, kämen als Täter außer Organisationen mit internationalem Hintergrund aber auch Gruppen in Frage, die mit dem Militär in Verbindung stehen, erklärt der Sprecher von Watch Indonesia. In den Jahren nach dem Sturz Suhartos habe das Militär ein Interesse daran gehabt, „für politische Instabilität zu sorgen, um sich selbst als einzige Kraft zu präsentieren, die Ordnung schaffen kann“, erläutert Flor. Daher habe die Armeeführung extremistische Gruppen wie etwa Laskar Dschihad als „nützliche Idioten“ geduldet.
„Ich schließe nicht aus, dass auch andere Gruppen passive oder gar aktive Unterstützung selbst höchster Stellen im Militär genießen“, sagt Flor. Das gelte umso mehr auf mittlerer und unterer Ebene, „wo lokale Kommandeure Sicherheit gegen Bargeld verkaufen. Schutzgeld ist für sie einfach eine fantastische Einnahmequelle.“ <>