„Die Wahlen waren in keinster Weise friedlich“
16. September 2007
Interview mit Tiago Sarmento, Law Program Officer der Asia Foundation und ehemaliger Direktor von JSMP (Judicial System Monitoring Programme), geführt von Monika Schlicher, Dili, Osttimor
Watch Indonesia!: Während des Wahlkampfes und der Wahlen blieb es nach außen hin vergleichsweise ruhig. Zu den befürchteten massiven Ausschreitungen kam es dann doch noch, nachdem die Fretilin (die bisher über fast 2/3 der Parlamentsmandate verfügende Partei unter Führung von Ex-Premier Mari Alkatiri, Anm. WI!) sich um den Sieg betrogen sah und die neue Regierung nicht anerkennt. Wie beurteilen Sie den Wahlverlauf?
Tiago Sarmento: Der Wahlkampf war in keinster Weise friedlich. Als Osttimorese kann ich nur sagen, wir haben uns bedroht gefühlt und wir waren in ständiger Anspannung. Besonders die Menschen in den ländlichen Gebieten bekamen den Druck, der von den Parteien ausgeübt wurde, zu spüren und waren nicht frei in ihrer Wahlentscheidung.WI!: Läuft diese Einschüchterung so subtil ab, dass sie unterhalb des Radars der internationalen Wahlbeobachtermissionen passiert?
TS: Ja, manches läuft subtil ab, anderes sehr direkt. Vor allem aber verstehen viele der internationalen Wahlbeobachter nicht das politische und kulturelle Umfeld, in dem sie sich bewegen und schätzen vieles falsch ein. Nehmen wir ein drastisches Beispiel: Im Distrikt Viqueque, wo ich auch herkomme, wurde ein Wahlkampfhelfer des CNRT (National Congress for the Reconstruction of East Timor; die von Ex-Präsidenten und neuem Premierminister Xanana Gusmão vor einigen Monaten gegründete Partei, deren Kürzel Assoziationen zum früheren Widerstandsrat weckt, Anm. WI!) von einem Fretilinanhänger getötet. Die Bevölkerung hat dies als klares Signal verstanden, „wenn ihr nicht Fretilin wählt, ist es das, was euch blüht“. Die Partei hat in Viqueque ihr bestes Ergebnis erzielt (59,9%, gefolgt vom CNRT mit 12,6%, Anm. WI!). Schauen Sie sich die Zerstörungen in Viqueque nach der Regierungsbildung an, bis heute ist der Distrikt nicht wieder zur Ruhe gekommen und die Ausschreitungen flammen immer wieder auf.
WI!: Arbeiten alle Parteien mit Druck und Einschüchterung, um sich Wählerstimmen zu sichern? Und wie ist die hohe Wahlbeteiligung zu erklären?
TS: Ich würde nicht sagen alle Parteien, aber doch die meisten. Die Parteien trauen der Bevölkerung nicht, indem sie drohen und Ängste schüren, wollen sie sicherstellen, dass die Bevölkerung sie wählt. Alle Parteien haben in den Distrikten die meisten Stimmen gewonnen, aus denen ihre Führung stammt und wo der Sitz des Familienclans ist. Die Bevölkerung ist zur Wahl gegangen, weil sie dazu aufgefordert wurde.
WI!: Welche Rolle spielen die verschiedenen Kampfsportgruppen?
TS: Einige der Kampfsportgruppen sind mit Parteien affiliiert und sie sind von den politischen Führern benutzt worden. Die Gruppe Colimau 2000 hat auf Xananas Ansinnen hin in der Krise 2006 die Petitioners (abtrünnige Soldaten der regulären Armee, Anm. WI!) unterstützt, dann wurde sie fallen gelassen. Heute sagen sie, sie seien manipuliert worden und sind nun ganz auf Seiten der Fretilin.
WI!: Was ist von der neuen Regierung unter Führung von Xanana Gusmão in Sachen Umgang mit der belasteten Vergangenheit zu erwarten und wie wird man mit den Verbrechen der Krise 2006 verfahren?
TS: Wir erwarten ganz allgemein nicht sehr viel von der neuen Regierung. Ich denke, es wird kein follow up zum Abschlussbericht der Wahrheitskommission geben und erst recht keine Fortsetzung der Strafverfolgung für die schweren Verbrechen von 1999. [Der ehemalige Außenminister, Interims-Premier und nun neu gewählte Präsident] José Ramos-Horta und Xanana setzen ganz auf die bilaterale Wahrheit- und Freundschaftskommission mit Indonesien. Die Bevölkerung möchte wissen, wer verantwortlich für die Krise 2006 ist. Der Bericht der UN-Untersuchungskommission hat einigen Aufschluss gegeben. Unsere politische Elite fürchtet diesen Bericht und seine Empfehlungen sehr, weil letztlich alle in die Krise involviert waren und man gegenseitig um die Verfehlungen der anderen weiß. Meiner Meinung nach haben Xanana und Kreise um ihn diese Krise sehr aktiv herbeigeführt.
WI!: Sie meinen Xanana hat die Krise nicht einfach benutzt, sondern sie von Anbeginn vorangetrieben, zum Beispiel indem er die Petitioners ermutigt hat mit ihrem Protest fortzufahren? Hat das Ausland dabei eine Rolle gespielt, namentlich Australien?
TS: Zunächst, ich glaube nicht, dass Australien da mitgemischt hat. Xanana hat von Anbeginn Leutnant Salsinha und die Petitioners benutzt, gleichfalls Major Alfredo Reinado. Heute haben sie längst ihre Dienste getan und sehen sich im Abseits. Aber beide Männer wissen um die Schwächen von Xanana, also wird man eine Einigung suchen und die liegt sicher nicht in einer strafrechtlichen Aufarbeitung. Der Prozess gegen Railos (Vincente da Conceiςão, Kommandant einer Gruppe von Zivilisten, die von Ex-Innenminister Rogerio Lobato illegal bewaffnet wurde. Er hatte 2006 die Tätigkeit seiner Gruppe öffentlich gemacht und die Auftraggeber benannt. Anm. WI!) ist ausgesetzt. Railos hat 2006 die Seiten gewechselt und sich unter die Fittiche von Xanana begeben. Dafür ist er mit einem Posten beim CNRT belohnt worden, und sicherlich nicht nur damit.
WI!: Wenn alle in die Krise involviert waren, warum hat Ramos-Horta dann die UN gebeten, eine Untersuchung durchzuführen? Nun stehen die Empfehlungen im Raum.
TS: Ich denke, dass Ramos-Horta nicht gänzlich wusste, was hinter den Kulissen gespielt wurde. Unser Oberstes Gericht hat nun die Artikel 1 und 7, Paragraf 1 des vom alten Parlament verabschiedeten Amnestiegesetzes für nicht verfassungskonform erklärt. Ich gehe davon aus, dass das neue Parlament diese Artikel entsprechend ändern wird und das Gesetz über kurz oder lang in Kraft treten wird. Zu viele Mitglieder der AMP (Alliance of the Parliament Majority) sind in die Krise 2006 involviert. Allein zwei oder drei Parlamentarier des CNRT, zum Beispiel auch der ehemalige Polizeipräsident Paulo Martins, finden sich auf der Liste des UN Untersuchungsberichtes, der empfiehlt Strafverfahren gegen sie einzuleiten. <>