Information und Analyse

Brüchiger Waffenstillstand in Aceh

10. Januar 2005

von Alex Flor

Aceh_Drawing

Kinderzeichnung

Source: http://www.urbanedjournal.org/notes/notes0024.html

Der gestrige Schusswechsel auf einem Gelände, das von der UN in Banda Aceh zur Verteilung von Hilfsgütern genutzt wird, war entgegen ersten Berichten wahrscheinlich keine Auseinandersetzung zwischen den Unabhängigkeitskämpfern der GAM (Bewegung Freies Aceh) und den indonesischen Streitkräften (TNI). Aussagen von Augenzeugen zufolge hatte ein indonesischer Soldat die Nerven verloren und aus noch ungeklärtem Anlass das Feuer eröffnet. Verletzt wurde niemand.

Der Vorfall führte jedoch erstmals die Verletzlichkeit der internationalen Helfer und ihrer humanitären Mission vor aller Augen. Seit Tagen häufen sich Berichte von bewaffneten Zusammenstößen zwischen TNI und GAM, hauptsächlich im nicht von der Flutkatastrophe betroffenen Binnenland. Aber auch in den von ausländischen Hilfstruppen stark frequentierten Küstenregionen und in den Verteilungszentren für Hilfsgüter kommt es vermehrt zu Spannungen. Der von beiden Kriegsparteien einseitig ausgerufene – aber nicht formell vereinbarte – Waffenstillstand wird immer brüchiger. Bereits seit dem 1. Januar kursiert im Internet eine Petition, in der Präsident Susilo Bambang Yudhoyono dazu aufgefordert wird, den selbst erklärten Waffenstillstand einzuhalten <http://www.PetitionOnline.com/Aceh2005/petition.html>.

Nach wie vor herrscht Unklarheit darüber, ob der zivile Notstand in Aceh nach der Öffnung der Provinz für ausländische Helfer und Journalisten weiterhin Bestand hat oder nicht. Indonesiens Militär macht jedenfalls kein Geheimnis daraus, dass es neben der Beteiligung an humanitären Hilfsaktionen seinen Kampf gegen die GAM unvermindert fortführt. Ein Sprecher der TNI, Col. Ahmad Yani Basuki, gab freimütig zu, dass nur zwei Drittel der nach der Flutkatastrophe angekommenen Truppenverstärkungen für Rettungsmaßnahmen eingesetzt werden. Die übrigen würden benötigt, „um die Rebellen davon abzuhalten lebenswichtige Einrichtungen und Hilfsoperationen anzugreifen“ /Laksmana.Net, 5.1.05/. Col. Djazairi Nachrowi, Leiter der Nachrichtenabteilung im nationalen Hauptquartier der Streitkräfte, erklärte sogar rundweg, es gebe überhaupt keinen Waffenstillstand /The Australian, 5.1.05/.

GAM und TNI beäugen sich misstrauisch. In der Vergangenheit warfen sie sich gegenseitig vor, Waffenruhen zur Stärkung der eigenen Kräfte missbraucht zu haben.

Zusammenstöße während der letzten Tage werden von beiden Seiten bestätigt. Nur über den Hergang der Vorfälle gibt es wie immer unterschiedliche Versionen. TNI spricht beispielsweise von Überfallen der GAM auf Hilfsmittelkonvois in Idi Rayeuk, Ost-Aceh, und Malayati, im Distrikt Aceh Besar, aufgrund derer TNI sich gezwungen sah, das Feuer zu eröffnen. Die GAM bestreitet die Überfälle und wirft TNI vor, in den Bergregionen von Idi Rayeuk, in Bireuen, Gandapura und Pasongan Razzien durchgeführt zu haben. Bewohner seien daran gehindert worden, ihre Dörfer zu verlassen, um Angehörige zu suchen oder ihnen Hilfe zu leisten.

Unbestätigten Lageberichten der GAM zufolge kam es des weiteren zu folgenden Zwischenfällen:

„Am 2. Januar 2005, um 20.15 Uhr, gab es einen Waffenkontakt zwischen den Streitkräften der TNA (die Armee der GAM, red.) und Bataillon 312 von Kostrad (strategische Heeresreserve der indonesischen Armee) bei Bayeuen Ranto, Ost-Aceh.

Am 3. Januar, stieß die TNA bei Alue Beurawe, Ost-Langsa, Ost-Acheh, mit Brimob (mobile Einsatzbrigade der indonesischen Polizei) zusammen. Dorfbewohner, die größtenteils Familienangehörige lokaler Mitglieder der GAM waren, flohen in eine Dorfmoschee.

Am 4. Januar, um 14.15 Uhr, erschossen indonesische Marinesoldaten, die in Leuge stationiert sind, bei Matang Glem, Ost-Peureulak, Ost-Aceh, einen Dorfbewohner.

Der Kommandeur des Raider Bataillon 500 mit dem Kodenamen Mahasra 2 gab Funkanweisung an seine Truppen in den Dörfern Karang Inong und Mess Asamera, Ranto, Peureulak, niedrig fliegende Flugzeuge abzuschießen, wenn sie bei Nacht fliegen, da der Verdacht bestehe, dass sie Waffen für die GAM abwerfen würden.“

In weiteren unbestätigten Lageberichten der GAM heißt es unter anderem:

„4. Januar 05, 14.30 Uhr: Darwin bin Yunus, 24, TNA-Soldat aus dem Dorf Paloh Peradi wurde von TNI Truppen bei Alue Krup, Peusangan, erschossen. Feindliche Kräfte besetzen nun die Hügel über Matang Geulumpang Dua, Cot Gapu und Krueng Mané im Distrikt Bireuen.“

„6. Januar 05: Mehr als 50 Kräfte von Brimob führten eine Operation in den Dörfern Gurah, Lambaet, Lamteungoh und Lampageue im Distrikt Peukan Bada durch, wobei sie wild um sich schossen. Es gab keine Toten oder Verletzten.“

„6. Januar 05, 08.30 Uhr: Rahmadi, 20, Landwirt, und Ibrahim, 19, Landarbeiter, beide aus dem Dorf Jambo Reuhat, Bandar Alam, wurden von TNI Soldaten des Kostrad Bataillons 330, das in Blang Rambong, Bandar Alam, stationiert ist, erschossen.

7. Januar 05, 11.00 Uhr:
– Waffenkontakt mit TNI Soldaten bei Paya Pasi, 4 km von der Hauptstraße Aceh-Medan entfernt.
– Abdul Latif ben Rani, 35, Landarbeiter auf der Bumi Flora Plantage, […] , wurde von TNI während einer Operation in der Gegend erschossen.

8. Januar 05, 07.15 Uhr: TNI Soldaten überfielen eine Basis der GAM bei Lueng Angen, 3 km entfernt von der Hauptstraße Banda Aceh-Medan. Um 09.15 Uhr waren dieselben Soldaten in Lhok Tambo, Ranto Seulamat, 6 km von derselben Straße entfernt zugange.“

Die Zeitung „The Australian“ berichtete in ihrer Ausgabe vom Freitag, den 7.1.2005, Journalisten seien ca. 40 km von Banda Aceh entfernt Zeugen einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen TNI und mutmaßlichen GAM Kämpfern geworden. Zunächst seien Schüsse auf Soldaten der TNI abgegeben worden, woraufhin diese Schüsse in die Luft abgaben und versuchten mit einiger Brutalität gegen die Umstehenden der Schützen habhaft zu werden. Ein Kommandeur der Elitetruppe Kopassus forderte die Journalisten auf, zu gehen: „Eure Aufgabe hier ist über die Katastrophe zu berichten, nicht über den Konflikt zwischen TNI und GAM.“

Indonesiens Militär tut sich schwer in seiner neuen Doppelrolle als Hilfsmannschaft und Garant für die Sicherheit. Die gewohnten Fronten von Kritik und Anerkennung geraten durcheinander und sorgen für Verwirrung in der Truppe. Bislang verlässliche Freunde der TNI geben ihrer Anerkennung Ausdruck für die Professionalität, mit der die amerikanischen Soldaten vom Flugzeugträger USS Abraham Lincoln aus die Bevölkerung mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten versorgen. Niemand stellt in Abrede, dass die TNI dieser Aufgabe nicht selbst gewachsen ist. Andererseits geben üblicherweise TNI-kritische Nichtregierungsorganisationen unumwunden zu, dass indonesische Soldaten zurzeit unverzichtbare Hilfe in den Notstandsgebieten leisten. Freiwillige Helfer bemängeln allerdings auch, dass die TNI ihre Koordinationsfunktion missbraucht und Hilfe nur dort zulässt, wo es ihr genehm ist. Hilfsgüter würden vornehmlich in Regionen kanalisiert, die der TNI genehm seien, während die Versorgung von mutmaßlichen Hochburgen der GAM behindert werde.

Nichtregierungsorganisationen berichten von erheblichen Schwierigkeiten bei der Verteilung der Hilfsgüter. Diese stapelten sich auf Flughäfen und anderen Verteilungszentren. Die direkte Ausgabe erfolge nur an Bürger, die einen gültigen Personalausweis in den rot-weißen Landesfarben vorweisen könne. Diese Ausweise wurden erst während der letzten Monate in Aceh eingeführt und nur an solche Bürger ausgegeben, die nicht in Verdacht der Sympathie mit der Unabhängigkeitsbewegung standen. Die rot-weißen Ausweise ersetzen den landesüblichen neutral gehaltenen Personalausweis. Wer nicht über den rot-weißen Ausweis verfügt oder diesen aufgrund der Flutkatastrophe verloren hat, geht leer aus.

Über ähnliche Probleme beklagen sich auch die lokalen Mitarbeiter indonesischer Hilfsorganisationen, die am Flughafen Lieferungen aus Jakarta oder anderen Städten abholen möchten, um sie an die Bedürftigen zu verteilen. Mit der Begründung, man müsse illegalem Verkauf der Güter vorbeugen, werden den Helfern Papiere abverlangt, die sie unter den derzeitigen chaotischen Verhältnissen nur selten vorweisen können. Gleichzeitig wird berichtet, dass Angehörige der TNI Lebensmittel zu Wucherpreisen an die Bevölkerung verkaufen. <>


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