Offener Brief

Verschwindenlassen und Folter in Indonesien

Heidelberg/Berlin, den 1. Mai 1998

Sehr geehrter Herr Dr. Kinkel,

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Klaus_Kinkel

nervös geworden reagiert das Regime Suharto neuerdings mit bislang eher unüblichen Repressionsmaßnahmen: Aktivisten der Demokratiebewegung verschwinden auf scheinbar mysteriöse Weise von der Bildfläche. Politische Gefangene werden gefoltert.

In einer beispiellosen Verhaftungswelle sind seit Anbeginn des Jahres in Indonesien über 370 Aktivisten während friedlicher Proteste verhaftet worden, mehr als 20 werden vermißt. Das Militär und die Polizei streiten jede Verantwortung für das Verschwindenlassen der Leute rundweg ab, obgleich kein Zweifel mehr daran bestehen kann, daß sich die Vermißten – sofern sie noch am Leben sind – in Gewahrsam des Militärs befinden. Ein erschütterndes Zeugnis über die dort angewandten Folterpraktiken gab der Studentenaktivist Hendrik Sirait, der 1996 nach gleichem Muster wie die jüngsten Opfer entführt und gefoltert worden war, im April vor der UN-Menschenrechtskommission in Genf sowie vergangene Woche in Bonn auf der Tagung „Versprochen-Verletzt-Gefordert“ des Forums Menschenrechte.

Indonesien befindet sich zur Zeit in einer schweren Wirtschaftkrise, deren Ursachen vor allem im politischen Bereich zu suchen sind. Diese Krise wird sich ohne politische Reformen nicht lösen lassen. Die politischen Strukturen und insbesondere das Versagen der Kontrolle der Exekutive hat nicht nur Monopolbildung, Korruption und Vetternwirtschaft, sondern auch Menschenrechtsverletzungen und immense Demokratiedefizite möglich gemacht.

Die indonesische Regierung hat in den letzten Monaten zunehmend das Vertrauen ihrer Bevölkerung verloren. Mehr und mehr Menschen setzen sich aktiv für einen friedlichen Machtwechsel und für politische, sprich demokratische, und wirtschaftliche Reformen ein. Diese Menschen sind in Gefahr und brauchen dringend Unterstützung. Verängstigt durch die Repression des Militärs erwarten die Menschen vom Ausland nicht Hilfsprogramme und Kredite an ihre korrupte Regierung, sondern ein deutliches Zeichen der Solidarität.

Wir halten es für unerträglich, wenn ein demokratischer Staat wie die Bundesrepublik angesichts der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in einem Land, dessen Präsidenten der Bundeskanzler als einen persönlichen Freund bezeichnet und dessen Vizepräsident erst vor kurzem das Großkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen bekam, der Bevölkerung diese Solidarität verweigert. Ein „kritischer Dialog“ mit den Machthabern kann dafür kein Ersatz sein.

In den letzten Wochen sind einige der „verschwundenen“ Aktivisten wiederaufgetaucht. Sie machten einen stark traumatisierten Eindruck und waren nicht bereit, zu erzählen, wohin sie wochenlang verschwunden waren.

Einer von ihnen ist Pius Lustrilanang, Mitglied der Pro-Demokratie-Gruppe ALDERA und des Bündnisses SIAGA (Solidarität Indonesiens mit Amien Rais und Megawati Sukarnoputri). Er verschwand am 4. Februar und tauchte am 3. April wieder auf.

Pius Lustrilanang hat nun sein Schweigen gebrochen und am 27. April auf einer für Journalisten öffentlichen Sitzung der Nationalen Menschenrechtskommission KOMNAS HAM in Jakarta ausgesagt: die letzten Wochen wurde er in einem geheimen Folter- und Befragungszentrum des Militärs festgehalten, zusammen mit weiteren politischen Aktivisten, die zum Teil noch dort festgehalten werden, zum Teil bereits wieder aufgetaucht sind. Sie alle werden bzw. wurden in fensterlosen, videoüberwachten Zellen festgehalten. Pius Lustrilanang wurde mit Elektroschocks gefoltert, geschlagen und sein Kopf unter Wasser gedrückt. Für den Fall, daß er aussagen werde, hatten ihn seine Folterknechte mit dem Tode bedroht. „Ich gehe ein sehr hohes Risiko ein,“ sagte Herr Lustrilanang,“und möchte die Gesellschaft bitten, mich zu unterstützen und ich möchte die anderen Opfer dazu ermutigen, ebenfalls auszusagen.“

Unmittelbar nach seiner Aussage tauchte Herr Lustrilanang unter und verließ umgehend das Land, um sein Leben in Sicherheit zu bringen. Er kam am Dienstag wohlbehalten in Amsterdam an.

Vertreter der Nationalen Menschenrechtskommission äußerten sich sehr besorgt über diese Praktiken, die darauf abzielen, Terror und Schrecken zu verbreiten. „Diese Verhaftungen sind illegal und wenn es so weitergeht, wird Indonesien kein Rechtsstaat werden.“ Nach Überzeugung der Kommission wurden die Verschwundenen von „gut organisierten Gruppen“ entführt. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß damit das Militär gemeint ist, doch das Militär direkt beim Namen zu nennen könnte selbst die Mitglieder der staatlichen Kommission in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Den indonesischen Medien wurde mit Klagen gedroht, sollten sie es wagen, das Militär in Verbindung mit den Entführungen zu bringen. Gleichzeitig machte ein Militärsprecher deutlich, daß die wiederaufgetauchten Verschwundenen mit keinerlei besonderer Rücksichtnahme aufgrund des hohen Medieninteresses rechnen könnten.

Hier ist dringend das Handeln der internationalen Staatengemeinschaft gefordert, damit dieser Praxis Einhalt geboten wird.

Wir möchten Sie eindringlich bitten, bei der indonesischen Regierung vorstellig zu werden und die Praxis des Verschwindenlassens, der Folter und der willkürlichen Verhaftungen deutlich zu verurteilen. Bitte setzen Sie sich für die sofortige Freilassung der Verschwundenen sowie der „regulär“ Verhafteten sowie für eine lückenlose Aufklärung und für die Bestrafung der Täter ein.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Alex Flor & Monika Schlicher


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