Waffenstillstand für einen Monat?
13. Januar 2001
(Der folgende Artikel erschien in leicht gekürzert Version im Neuen Deutschland, 13./14. Januar 2001, Indonesien: Säbelrasseln in Aceh)
von Alex Flor, Watch Indonesia!
Indonesiens Regierung und die Unabhängigkeitsbewegung GAM haben ein neues Waffenstillstandsabkommen vereinbart. Die bisher gemachten Verlautbarungen beider Seiten lassen jedoch deutlich werden, dass man von einer friedlichen Beilegung des Konfliktes weit entfernt ist. Die Bewohner der Unruheprovinz im Norden Sumatras befürchten eine neue Eskalation der Gewalt.
Die Tinte auf dem in der Schweiz ausgehandelten Abkommen war noch nicht trocken, da hatten beide Seiten schon unterschiedliche Interpretationen parat. Amni Marzuki, ein Sprecher der bewaffneten Bewegung Freies Aceh, GAM, erklärte, die von Indonesiens Verteidigungsminister Mahfud in den Vertragstext interpretierte Wandlung der GAM von einer militanten Bewegung zu einer nur noch mit politischen Mitteln agierenden Organisation, sei falsch. Die bewaffneten Einheiten seien integraler Bestandteil der GAM. Gleichwohl sei eine Niederlegung der Waffen denkbar, wenn auch das indonesische Militär diesen Schritt vollziehe, so Marzuki.
Der Keim für gegenseitige Vorwürfe des Vertragsbruchs scheint bereits gelegt und es ist nur eine Frage der Zeit, bis das druckfrische Waffenstillstandsabkommen von der Realität neuerlicher gewaltsamer Auseinandersetzungen überholt wird. Beobachter in Aceh rechnen damit bereits in wenigen Tagen, falls die Sicherheitskräfte an ihren Plänen festhalten, die Gangart gegen den bewaffneten Widerstand zu verschärfen. Die Leidtragenden solcher Operationen werden wie immer in der Zivilbevölkerung zu suchen sein. Nach Zahlen des Aceh Human Rights Care Forum, die zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2000 vorgelegt wurden, waren 676 der 841 Todesopfer, die von Jahresbeginn bis zum 7.12.2000 zu beklagen waren, Zivilisten. Auf Seiten von Polizei und Armee gab es 124 Todesopfer und auf Seiten der GAM 41. Bis Jahresende hatte sich die Gesamtzahl der Opfer auf 960 erhöht. Das bedeutet eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um das Zweieinhalbfache: 1999 wurden insgesamt 393 Tote gezählt.
Unbeeindruckt von den Nachrichten aus der Schweiz, stockten viele Bewohner Acehs diese Woche auf den Märkten ihre Lebensmittelvorräte auf. Niemand weiß, ob das kürzlich von Verteidigungsminister Mahfud mit markigen Worten für nächste Woche angekündigte harte Durchgreifen gegen den Widerstand noch Bestand hat oder ob diese Äußerungen nur das übliche taktische Säbelrasseln vor einer neuen Verhandlungsrunde waren. Mahfud hatte erklärt, es werde keine Verlängerung der Humanitären Pause geben, die am 15. Januar ausläuft. Die Humanitäre Pause war eine im Mai letzten Jahres ausgehandelte Waffenruhe, die in erster Linie dazu dienen sollte humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und die notleidende Bevölkerung zu ermöglichen. Das Abkommen ist völlig gescheitert. Während der Humanitären Pause wurden 545 Leute getötet – eine dramatische Zunahme gegenüber vergleichbaren Zeiträumen vor Inkrafttreten des Abkommens – und humanitäre Hilfe wurde nicht intensiviert. Im Gegenteil mussten laufende Projekte abgebrochen werden, nachdem Mitarbeiter der britischen Hilfsorganisation OXFAM von Polizeikräften tätlich angegriffen wurden. Am 7. Dezember wurden gar drei freiwillige Helfer der von Dänemark unterstützten Hilfsorganisation für Folteropfer RATA kaltblütig erschossen.
Neben der Humanitären Pause läuft am 15. Januar auch ein kürzlich von der Polizei gestelltes Ultimatum aus, das Waffenbesitzern Straffreiheit zusichert, falls sie bis dahin ihre Waffen an öffentlichen Sammelstellen abgeben. Umstrittenen Angaben zufolge sollen auf den Aufruf hin in Banda Aceh immerhin eine Pistole und 7 Mörser abgegeben worden sein, die aus Beständen des dortigen Museums stammten. Die GAM hatte den Aufruf der Polizei auf ihre Weise beantwortet und ließ verkünden, sie bezahle für jedes bei ihr abgelieferte Gewehr 30 Mio. Rp. (ca. DM 6.600,-). Das Ablaufen der Frist könnte als Vorwand für breit angelegte Razzien dienen, die den neuen Waffenstillstand vom ersten Tag an außer Kraft setzen.
Zur Stunde herrscht nicht nur Unklarheit darüber, durch was sich diese zunächst auf einen Monat Waffenruhe von der gescheiterten Humanitären Pause unterscheiden soll. Es bleibt auch die Frage, ob Militär und Polizei, aber auch die Kämpfer der GAM, gewillt sind, die Waffenruhe einzuhalten. Es ist kein Geheimnis, dass die Armee lieber eine Ausrufung des militärischen Ausnahmezustandes gesehen hätte. Vermutlich musste die Regierung dem Militär gegenüber Zugeständnisse machen, die dieses als Freibrief, mit allen Mitteln für „Recht und Ordnung“ zu sorgen, auslegen kann. Denn nur im Einvernehmen kann sich die Regierung die Kooperation des Militärs sichern, eine reale Kontrolle über dessen mächtigen Apparat hat sie nicht. Als Militär und Polizei Anfang November nach geplantem Vorgehen mindestens 30 Zivilpersonen erschossen, die an einer Massenkundgebung in Banda Aceh teilnehmen wollten, folgte zwar umgehend eine scharfe Verurteilung durch Präsident Abdurrahman Wahid, die aber keinerlei Konsequenzen nach sich zog. Derweil erklärte Abu Sofyan, GAM Kommandeur in Nord-Aceh, ein militärischer Ausnahmezustand würde mit der Massenevakuierung ganzer Dörfer beantwortet werden, um Übergriffen auf die Bewohner vorzubeugen. „Opfer der bewaffneten Auseinandersetzung ist immer die Zivilbevölkerung,“ kommentierte er zynisch diese unverhohlene Drohung Abertausende von Menschen als Flüchtlinge zu instrumentalisieren. Unüberbrückbare Differenzen bestehen in der Frage der Unabhängigkeit. Indonesien erklärt prinzipiell könne man über alles eine Einigung erzielen, aber die Unabhängigkeit oder ein Referendum stünden nicht zur Debatte. Für die GAM dagegen ist genau dies das zentrale und unverzichtbare Anliegen ihres Kampfes. Dessen ungeachtet wurde in der Schweiz vereinbart, die Gespräche im kommenden Monat fortzuführen. Zuvor hatte Indonesien allerdings erklärt, es werde keine einseitigen Verhandlungen mehr mit der GAM geben, sondern stattdessen Gespräche, an denen auch andere gesellschaftliche Gruppen Acehs, wie Geistliche, Wissenschaftler und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen beteiligt würden. Die Beteiligung von Kräften der Zivilgesellschaft entspricht eigentlich einer seit langem gestellten Forderung der Nichtregierungsorganisationen. Das Angebot kommt aber zu einem Zeitpunkt, zu dem diese Kräfte massiv an Einfluss verloren haben und sich zwischen den Polen der beiden Gewalt anwendenden Parteien aufgerieben sehen. Die unaufgeklärten Morde an prominenten Vertretern dieser Gruppe wie etwa dem Menschenrechtler Jafar Siddiq und dem Rektor der islamischen Universität, Prof. Safwan Idris, mahnen zur Vorsicht. Ein falsches Wort am Verhandlungstisch könnte schnell zu neuen Repressalien führen. Weitere Anschläge auf Menschenrechtler und Aktivisten aus dem Umfeld der Gesprächsteilnehmer wären zu befürchten.
Anhang
Jakarta Post Monday, January 22, 2001
No more mediators for Aceh dialog, says Susilo
JAKARTA (JP): A top cabinet official said on Sunday that the government would dispense of third party mediation at the end of the month long moratorium on violence in Aceh on Feb. 15 and engage in dialog directly with the Free Aceh Movement (GAM).
„Starting Feb. 15, the Indonesian government will determine the solution to the Aceh problem and a mediator will not be needed anymore in our dialog and negotiation,“ Coordinating Minister for Political, Social and Security Affairs Susilo Bambang Yudhoyono told journalists on Sunday.
Government representatives and GAM negotiators have been conducting a dialog hosted and facilitated by the Henri Dunant Center for Humanitarian Dialogue in Switzerland.
The results of the talks last year produced a Humanitarian Pause which was extended in September. During talks earlier this month, the Indonesian government refused to extend the accord but both sides agreed to a one-month moratorium on violence starting Jan. 15.
Susilo said here on Sunday that the moratorium would be used to draft a time frame and concept for the upcoming dialog with GAM. „The moratorium on violence is needed because we decided to open dialogs with other factions outside GAM, so we have to determine who will be our dialog partners,“ he added.
Susilo, however, warned that despite the accord, law enforcement operations would continue in Aceh.
Meanwhile in Banda Aceh, representatives of the government and separatist rebels in Aceh have agreed to set up a working committee for the implementation of the moratorium.
Work on the committee would begin at a meeting in Geneva on Feb. 12-14, said a statement signed by government representative Sr. Comr. Ridwan Karim and GAM’s Teungku Nashiruddin bin Ahmed. „
Both sides agreed to form a working committee whose membership will be designated by their respective leaders, with the task of preparing various concepts related to security affairs and democratic consultations,“ the statement said.
In a separate development, Aceh again saw more deaths as a man, identified as Zakaria, was shot dead in Riweuek village, Sakti district in Pidie on Saturday.
Local residents said he was shot after attempted to escape from police custody.
However, Aceh Police spokesman Adj. Sr. Comr. Yatim Suyatmo maintained that no such happening took place on Saturday, and said that the shooting might have been the work of GAM members masquerading as security personnel.