Ausweisung wegen ungenügender Ausweise?
21. August 2001
Deutsche StudentInnen in Jakarta festgenommen
von Alex Flor
Sechs StudentInnen der Universität Bonn wurden am Samstag, den 18. August 2001, in Jakarta festgenommen. Ihnen droht die Ausweisung aus Indonesien und ein Einreiseverbot für mindestens ein Jahr. Nach Ansicht der Immigrationsbehörde haben die StudentInnen aus der ehemaligen Bundeshauptstadt gegen Einreisebestimmungen verstoßen, da sie lediglich über Touristenvisa verfügten.
Die wenigsten der zahlreichen Pressemeldungen, die seit vorgestern sowohl in Indonesien als auch in Deutschland zu diesem Fall zu lesen waren und von denen einige im Anhang dieser Analyse dokumentiert sind, erlauben einen tieferen Einblick in dessen Hintergründe. Vor allem darf davon ausgegangen werden, dass die betroffenen StudentInnen selbst bis zum Zeitpunkt ihrer Festnahme, nicht die geringste Ahnung hatten, was auf sie zukommen würde und vor allem warum.
Die sechs Verhafteten gehören einer Gruppe von insgesamt 27 Personen an, die als GeographiestudentInnen an einer Exkursion nach Indonesien teilnehmen. Auf dem Programm stehen vielfältige Termine, vom geplanten Besuch einer Station zur Beobachtung von Vulkanaktivität und Erdbebenforschung bei Yogyakarta bis hin zu Erkundigungen über die soziale Lage in den Slums der Hauptstadt Jakarta. Anlaufpunkt für Informationen über die letztgenannte Problematik war am vergangenen Samstag die Nichtregierungsorganisation Urban Poor Consortium (UPC), die sich seit Jahren um das Schicksal marginalisierter Gruppen kümmert. Ein Schwerpunkt der Arbeit von UPC war und ist die Verteidigung der Rechte von Becak-(Fahrradrikscha-) Fahrern. Obgleich in Berlin, der deutschen Partnerstadt Jakartas, Fahrradrikschas als modernes und umweltfreundliches Transportmittel für Touristen im Kommen sind, hält die Stadtverwaltung von Jakarta an einem vor Jahren erlassenen Verbot der Becaks fest, die in ihren Augen unmodern sind und den Verkehr behindern. Ein mit Hilfe von UPC erwirktes Gerichtsurteil, das den Becakfahrern Recht gibt, hält die Provinzregierung Jakartas nicht davon ab, an dem Verbot festzuhalten. Drei Tage vor Ankunft der deutschen Gruppe demonstrierten die Becakfahrer letzten Dienstag daher zum wiederholten Male für ihre Rechte. Im Verlaufe der Demo kam es zu Gewalttätigkeiten, bei denen ein Angehöriger der Polizei zu Tode geprügelt wurde.
Der Vorfall führte dazu, dass UPC als Rechtsbeistand der Becakfahrer ins Visier der Behörden geriet. Die Bonner StudentInnen hatten das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Ihre Anwesenheit bei UPC und lockere Befragungen der Slum-Bevölkerung in der Umgegend von deren Büro erregten die Aufmerksamkeit der Behörden. Der ursprüngliche Vorwurf, die StudentInnen stünden mit der gewalttätigen Demo von letztem Dienstag in Verbindung, ließ sich aufgrund ihrer erst danach erfolgten Einreise nicht halten. Dennoch mag den Behörden daran gelegen sein, die „unter Verdacht stehende“ Nichtregierungsorganisation UPC von jeglichen internationalen Kontakten fern zu halten. Auch psychologische bzw. kulturelle Gründe mögen eine Rolle gespielt haben: indonesischen Beamten fällt es besonders schwer, einen Fehler einzugestehen und damit „das Gesicht zu verlieren“. Daher musste nach der einmal erfolgten Festnahme eine nachträgliche Rechtfertigung gefunden werden. Ein Verstoß gegen Visavorschriften bietet sich bei Ausländern immer an, insbesondere dann, wenn diese lediglich über ein Touristenvisum verfügen.
Von dieser Methode machten die Behörden bereits Anfang Juni erfolgreich Gebrauch, als 30 Ausländer – die meisten davon aus Australien – wegen der Teilnahme an einer Konferenz in Depok, die sich kritisch mit dem Neoliberalismus auseinander setzte, des Landes verwiesen wurden. Die Konferenz wurde gleichzeitig von islamistischen Gruppen und der Polizei, die nie zuvor so deutlich ihre enge Zusammenarbeit unter Beweis gestellt hatten, gestürmt. Während die Islamisten sich auf die indonesischen Konferenzteilnehmer konzentrierten und diese zum Teil krankenhausreif prügelten, ging die Polizei gegen die ausländischen Gäste vor, die schließlich wegen angeblicher Visavergehen des Landes verwiesen wurden. Ausschlaggebend für diese koordinierte Aktion war die Beteiligung der radikalen (aber legalen!) Volksdemokratischen Partei PRD an besagter Konferenz. Die PRD ist in den Augen des wieder erstarkten Staatsapparates nichts anderes als die Neuauflage der verfemten Kommunistischen Partei und muss daher regelmäßig als Sündenbock herhalten, wenn in Indonesien der innere Frieden gefährdet ist.
Die nunmehr erneut zum Vorwand genommene Verletzung von Visavorschriften steht beispielhaft für die Rechtsunsicherheit in Indonesien. Denn die geltenden Visaregelungen sind alles andere als eindeutig. Es ist nicht ersichtlich, wo die Grenze zwischen der Bildungsreise eines interessierten Touristen und einem „Forschungsaufenthalt“ liegt. Benötigt ein Theaterwissenschaftler zum Besuch einer traditionellen Wayang- (Schattenspiel) Vorstellung ein anderes Visum als ein „normaler“ Tourist, der sich für die Kultur des Landes interessiert? Ist bei einem zweimonatigen Urlaubsaufenthalt der spontane Besuch eines wissenschaftlichen Vortrages verboten, weil man nicht über das entsprechende Visum verfügt?
Die anlässlich des vorliegenden Falles der Bonner StudentInnen von offizieller Seite abgegebenen Erklärungen über die geltenden Visabestimmungen jedenfalls sind widersprüchlich und teilweise schlichtweg falsch.
Anhang: Pressemeldungen zum Thema
dpa, 20. August 2001
Deutsche Studenten in Indonesien festgenommen – „Visumsvergehen“ Jakarta
(dpa) – Sechs deutsche Studenten sind kurzzeitig in Indonesien festgenommen und verhört worden. Die Hochschüler von der Universität Bonn hätten die Einreisebestimmungen verletzt, weil sie für ihre Mitarbeit an einem Forschungsprojekt nur mit Touristenvisa ins Land gekommen seien, zitierte die Zeitung „Jakarta Post“ am Montag indonesische Behörden. Nach den Angaben untersuchten die Studenten die Lage in Elendsvierteln der Hauptstadt Jakarta. Die Sechs seien bereits am Samstagabend (Ortszeit) festgenommen und nach einem mehrstündigen Verhör am Sonntagmorgen wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Behörden hätten ihre Pässe konfisziert und die Studenten angewiesen, am Montag zu einer weiteren Befragung zu erscheinen, berichtete die „Jakarta Post“ weiter. Erst in Juni waren 32 ausländische Teilnehmer eines Seminars wegen angeblicher Visums-Vergehen in Jakarta festgenommen worden. Alle wurden wenig später wieder freigelassen, als sich herausstellte, dass ihre Papiere bis auf einen Fall in Ordnung waren.
Jakarta Post, 20 August 2001
Six German students arrested over visa violations
JAKARTA (JP 20.8.): Police arrested six German students who were conducting a demographical survey in a slum area of Karang Anyar in Central Jakarta on Saturday evening for immigration violations, a police spokesman said on Sunday. The students were released at about 10 a.m. the following morning. „They were arrested for immigration violations. They entered Indonesia on tourist visas although the purpose of their visit was to conduct a survey,“ city police spokesman Sr. Comr. Anton Bachrul Alam told The Jakarta Post. He said the six students, who were arrested along with three local people, were taken to the Central Jakarta Police Station for questioning. The foreigners are among a group of 27 students of the University of Bonn who arrived in the city on Friday for a demographical and geographical survey. The six were identified only as Niklas, Ina, Katherine, Marie, Patrick and Martin, while the local people were Horas Siringo-ringo of the Urban Poor Consortium (UPC), Slamet Tompel, a resident of Karang Anyar and Elizabeth, a translator. After they were released, the students were transferred to the immigration office. They were allowed to leave the office within an hour. An immigration officer told the Post they held the students‘ passports and told them to come to the immigration office for further questioning on Monday. The three local people were later released on Sunday afternoon. UPC’s advocacy division head M. Berkah Gumulya criticized the police for the arrest. „It shows that the police tried to halt people’s freedom of expression and union,“ Gumulya told the Post. He said the students were interviewing slum residents when the police came. Some of them were taken to a police truck and some others were taken by taxi to the police station. He said the students were questioned from about 6 p.m. on Saturday until 2 a.m. on Sunday morning „without being given sufficient food and drink“. UPC activists accompanied the students visiting five slum areas in the city’s five mayoralties and also a luxury housing complex in Bumi Serpong Damai, Tangerang, where the German International School and a German center are found. The 27 students are staying at Wisma Karya on Jl. Jaksa, Central Jakarta. When the Post tried to contact them on Sunday night, an employee of the hostel said that the guests were not available. Gumulya revealed the six students were initially charged by the police in connection with a clash between becak (pedicab) drivers and the city’s public order officers, in which a civilian guard was killed. The incident occurred in Central Jakarta on Tuesday, two days before the students‘ arrival in the city. Meanwhile, a researcher from the Indonesian Institute of Science (LIPI) Hermawan Sulistyo admitted that many foreign researchers used tourist visas, since it was difficult to obtain the appropriate visa. „The process could take even up to a year,“ he told the Post. He said researchers were required to get permits from many state institutions, such as the Ministry of Foreign Affairs and the State Intelligence Coordinating Agency (Bakin). In June this year, police arrested 32 foreigners who joined an international seminar on labor in Sawangan, South Jakarta. They were later transferred to the immigration office. But immigration authorities said 31 of them had a short-visit visa, which allowed them to attend the seminar. Only a Pakistani was deported as he held a tourist visa.
Kölner Rundschau online, 20.August 2001
Indonesien: Sechs Bonner Studenten verhaftet
Bonn/Jakarta. Sechs Geographiestudenten der Universität Bonn sind in der indonesischen Hauptstadt Jakarta vorübergehend festgenommen worden. Die Behörden werfen ihnen vor, die Einreisebestimmungen verletzt zu haben.
Nach Mitteilung der Universität Bonn gehören die Festgenommenen zu einer Gruppe von 27 Studierenden, die für ihr Geographie-Examen eine dreiwöchige Exkursion durch den asiatischen Inselstaat unternehmen.
Die sechs Hochschüler befragten am Samstag gemeinsam mit Vertretern einer privaten Organisation Bewohner eines Slums in Jakarta über das Leben in dem Elendsviertel.
Als es wegen der Interviews zu einem Volksauflauf kam, griff die Polizei zu. Ihr Vorwurf: Die Deutschen hätten die Einreisebestimmungen verletzt, weil sie für ihre Arbeit an dem Forschungsprojekt nur mit Touristenvisa ins Land gekommen seien. Die Bonner wurden stundenlang verhört, ihre Pässe eingezogen, bevor sie am Sonntagmorgen (Ortszeit) freigelassen wurden.
Nach Mitteilung von Wolfgang Schmiedecken, dem Geschäftsführer des Geographischen Instituts der Universität Bonn, sei das Forschungsprojekt offiziell angemeldet worden.
Die Universität Bonn und die Deutsche Botschaft in Jakarta haben gegen die drohende Ausweisung der Studenten protestiert. Die übrigen 21 Reiseteilnehmer können ihre Exkursion fortsetzen.
Bonner General-Anzeiger online, 20. August 2001
Bonner Studenten in Jakarta verhört
Uni-Institut bemüht sich um Umwandlung der Visa – Ausweisung vermeiden
Bonn. (ldb) „Den sechs Bonner Studierenden geht es gut. Sie sind alle wieder im Hotel. Aber sie sollen ausgewiesen werden, und wir versuchen nun, das zu verhindern“, sagte Wolfgang Schmiedecken, Geschäftsführer des Geographischen Instituts der Universität Bonn dem GA. Die Nachrichtenticker meldeten am Montag, dass Bonner Studenten in Indonesien festgenommen und verhört worden waren.
Was war passiert? Seit vergangenem Dienstag befinden sich insgesamt 27 angehende Geographen auf ihrer „Großen Exkursion“, die sie vor dem Examen zwei bis drei Wochen lang in einen „anderen Kulturkreis“ führen soll. Vorbereitet war die Tour von einem Studenten, der in Indonesien aufgewachsen ist sowie einem indonesischen Gaststudenten.
Am Sonntag besuchten sie eine Nichtregierungsorganisation, die sich um die Menschen in einem Slumviertel von Jakarta kümmert. Dort sprachen einige Studierende auch Menschen auf der Straße an.
Daraufhin griff die Polizei ein und nahm sechs Studierende fest. Acht Stunden lang habe man sie verhört, so Schmiedecken. Man habe ihnen schließlich vorgeworfen, dass sie mit Touristenvisum eingereist seien. Dahinter vermutet Schmiedecken, der inzwischen mit der Indonesischen Botschaft in Berlin Kontakt aufgenommen hat, aber die Sorge vor neuen Unruhen im krisengeschüttelten Indonesien. Er versucht, die Papiere der Studierenden umwandeln zu lassen, damit sie die Exkursion fortsetzen können.
Netzzeitung, 20. August 2001
Deutsche Studenten aus Indonesien ausgewiesen
Sechs Studenten der Universität Bonn müssen am Dienstag Indonesien verlassen. Sie erforschten ohne Erlaubnis die Armut der Hauptstadt Jakarta.
Sechs deutsche Studenten müssen Indonesien verlassen und dürfen ein Jahr lang nicht mehr einreisen. Der Grund: Sie hatten nur ein Touristenvisum, führten aber wissenschaftliche Untersuchungen durch – und das auch noch zu einem heiklen Thema. Mit Unterstützung einer örtlichen Nicht-Regierungsorganisation hatten sie in einem Elendsviertel von Jakarta Studien über die Armut in der indonesischen Hauptstadt angestellt.
„Dafür braucht nicht nur ein Visum für soziale und kulturelle Angelegenheiten, sondern auch eine spezielle Erlaubnis von den zuständigen Instanzen, ein Empfehlungsschreiben und eine Genehmigung von der Polizei“, betonte der Direktor der Einwanderungsbehörde gegenüber dem Nachrichtenportal „Detikcom“.
Spätestens am Dienstag sollen die Studenten der Universität Bonn das Land verlassen. Das Einreiseverbot von einem Jahr könne auch verlängert werden, drohte die Einwanderungsbehörde. Die Studenten waren am Samstag festgenommen und eine Nacht lang auf einer Polizeistation festgehalten worden. (nz)