VN-Expertenkommission fordert Strafverfolgung für Verbrechen in Osttimor 1999
30. Juni 2005
Für die Opfer der Verbrechen in Osttimor ist bisher keine umfassende Gerechtigkeit erzielt worden, da diejenigen, die die größte Verantwortung tragen, weder von dem Ad hoc Menschenrechtsgericht in Jakarta noch vom VN-Sondergericht in Osttimor zur Rechenschaft gezogen wurden, schlussfolgerte eine von Kofi Annan, dem VN-Generalsekretär, eingesetzte Expertenkommission. Die Kommission empfiehlt in ihrem diese Woche vorgelegten Bericht, dass der Sicherheitsrat ein internationales Strafgericht einrichten sollte, falls es Indonesien innerhalb von sechs Monaten versäumt, die Verfahren wieder aufzunehmen und gegen weitere Beschuldigte neu zu eröffnen, und diese mit Hilfe von Rechtsberatern, vorzugsweise aus Asien, nach international anerkannten Standards durchzuführen. Das im Mai 2005 geschlossene Sondergericht in Osttimor solle seine Arbeit wiederaufnehmen und bis 2007 fortsetzen. Die Kommission hatte die Aufgabe, die juristische Ahndung der 1999 in Osttimor begangenen Menschenrechtsverbrechen in Form der Prozesse in Jakarta und Dili zu untersuchen. Es galt zu analysieren, inwiefern die beiden Institutionen effektive Strafverfolgung betrieben haben, und entsprechend Maßnahmen zu empfehlen, wie Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden können. Ein weiterer Aspekt des Mandates war es zu überlegen, wie diese Analyse die Arbeit der zukünftigen Wahrheits- und Freundschaftskommission zwischen Indonesien und Osttimor unterstützen könnte Die Expertenkommission kommt in ihrem 160seitigen Bericht zu dem Ergebnis, dass die Prozesse vor dem Ad hoc Menschenrechtsgericht [in Indonesien] von erheblichen Schwächen gekennzeichnet und unangemessen waren. Der Bericht bemängelt eingehend und detailliert die zahlreichen rechtlichen Fehler und Schwächen des Verfahrens, die er in erster Linie der Staatsanwaltschaft zuschreibt. Insbesondere sei es nicht gelungen, dem Ausmaß der Gewalt und der Systematik der Angriffe auf die Zivilbevölkerung gerecht zu werden. Diese Analyse bestätigt in wesentlichen Punkten ein von Watch Indonesia!, der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Misereor, missio Aachen und dem Diakonischen Werk initiiertes Gutachten, das von Rechtsanwalt Bernd Häusler nach Prozessbeobachtung angefertigt wurde (https://www.watchindonesia.de/5896/justice-for-the-victims?lang=de). Die Kommission bewertet darüber hinaus die verfehlte Auffassung des Gerichts kritisch, es habe sich 1999 um einen gewaltsamen Konflikt zwischen Unabhängigkeitsbefürwortern und -gegnern gehandelt. Sie vertritt den Standpunkt, dass es für das Gericht essentiell gewesen wäre, zu erkennen, dass die Angriffe von Pro-Integrationisten gegen die Zivilbevölkerung ausgeführt wurden. „Die Atmosphäre und der Kontext des gesamten Verfahrens zeigen einen Mangel an politischem Willen in Indonesien, ernsthafte und glaubhafte Anklagen gegen die Beschuldigten zu erheben,“ fasst der Bericht zusammen. Die Expertenkommission legt Indonesien nahe, internationale Unterstützung durch Rechtsexperten zur Stärkung der Justiz und Staatsanwaltschaft zu akzeptieren, die vom VN-Generalsekretär benannt werden sollen. Innerhalb von sechs Monaten sollen dann die Verfahren vor dem Ad hoc-Menschenrechtsgericht wieder aufgenommen und gegebenenfalls neue Verfahren gegen bisher nicht angeklagte Personen, wie zum Beispiel General Wiranto, angestrengt werden. Hierzu empfiehlt die Kommission, der Generalstaatsanwaltschaft in Jakarta relevante Beweismittel und Anklageschriften aus Osttimor zur Verfügung zu stellen, wenn deren sichere Aufbewahrung und ordnungsgemäße Verwendung durch mitreisendes Personal der Anklagebehörde in Osttimor sicher gestellt werden kann. Die Regierung Indonesiens wird des weiteren aufgefordert in einem Bericht an den Generalsekretär der VN zu begründen, welche Fälle zur Anklage gekommen sind und welche nicht. Sollte Indonesien diesen Empfehlungen nicht nachkommen legt die Kommission dem Sicherheitsrat nahe, ein internationales Strafgericht nach Kapitel VII der VN Charta zu etablieren. Mit dem nun vorgelegten Bericht spricht sich zum wiederholten Male eine von den VN eingesetzte Expertenkommission für die Einrichtung eines internationalen Strafgerichts aus. Bereits im Jahr 2000 war eine Untersuchungskommission unter Teilnahme von Bundesjustizministerin a.D. Sabine Leutheusser Schnarrenberger zu denselben Schlüssen gekommen. Bezüglich der Prozesse in Osttimor stellt die Kommission fest, dass die Anklagebehörde und das Sondergericht in Dili nach internationalen Standards verfahren seien und im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beigetragen haben, dass die Vergangenheit strafrechtlich aufgearbeitet wird. Dennoch sei die Bevölkerung von Osttimor darüber enttäuscht, dass das Sondergericht nur Milizionären niederen Ranges habhaft werden konnte. Auch stellt die Kommission fest, dass die Arbeit bei weitem noch nicht abgeschlossen werden konnte. Das Sondergericht in Osttimor litt unter unzureichenden Ressourcen, unzureichender Unterstützung durch die Regierung, die politische Einflussnahme auf den Generalstaatsanwalt genommen hat, und fehlende Kooperation seitens Indonesiens sowie mangelnder Unterstützung seitens der VN. Die Kommission legt dem Sicherheitsrat dringend nahe, das Sondergericht in Osttimor bis zum Juli 2007 mit internationaler Unterstützung so fortzuführen, dass dessen Aufgaben anschließend von der nationalen Justiz übernommen werden können. Dies war auch eine wesentliche Forderung, die Watch Indonesia! bei der diesjährigen Sitzung der VN Menschenrechtskommission in Genf erhoben hatte (http://watchindonesia.org/12367/prosecuting-international-crimes?lang=de). Kritisch äußerten sich die Experten zur Wahrheits- und Freundschaftskommission, deren Mandat und Befugnisse internationalen Menschenrechtsstandards widersprächen und die anhaltende Straflosigkeit beförderten. Eine Analyse von Watch Indonesia! zeigt auf, dass das Statut dieser gemeinsamen Kommission Indonesiens und Osttimors zu einer faktischen Amnestie der Verantwortlichen und zu einer Gefährdung der Zeugen und Opfer führen würde. (https://www.watchindonesia.de/3709/trading-justice-for-friendship?lang=en) Watch Indonesia! unterstützt die Empfehlungen der VN-Expertenkommission und ruft die Bundesregierung dazu auf, sich bei den Regierungen Indonesiens und Osttimors sowie beim Sicherheitsrat der VN für deren Umsetzung stark zu machen. Versöhnung, Gerechtigkeit und gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern sowie Rechtsstaatlichkeit und Vertrauen in die gute Regierungsführung können langfristig nur erzielt werden, wenn die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen von den schwer wiegenden Makeln befreit wird, die der Bericht der Expertenkommission benennt. <>