Technik allein schützt nicht vor Tsunamis
20. Juli 2007
von Alex Flor
Der angehängte Beitrag aus dem Handelsblatt nennt eine Fülle von Problemen, die noch zu bewältigen sind, bevor ein Tsunami-Frühwarnsystem zuverlässig funktionieren kann. Es handelt sich hierbei um solche Probleme, die Wissenschaftler und Techniker gerne als „Herausforderung“ verstehen. Wenig bis keine Beachtung fanden in den deutschen Medien bislang technische Pannen und soziale Probleme, die in Zusammenhang mit dem Frühwarnsystem gesehen werden müssen. Vielleicht würde ja das Image Schaden nehmen, wenn Probleme bekannt werden, für die die deutschen High-Techniker keine Lösung parat haben.
Bereits vor Monaten war in indonesischen und internationalen Medien zu lesen, von Deutschen installierte Messbojen hätten sich von ihrer Verankerung gerissen und seien an Land geschwemmt worden. Es wurden auch Vermutungen laut, dass Edelmetallplünderer dabei nachgeholfen haben könnten, die Bojen zu entfernen.
In einer Meldung von MSNBC News Services vom 18. Juli 2006 heißt es unter anderem: „Indonesia deployed two tsunami buoys last year off Sumatra island, part of a five-year project to install similar detectors all around the world’s largest archipelago.
But when asked how many of them were operational, Prihantoro said: „None.”
„We need at least 22 buoys to cover all of Indonesia. We have received two from Germany and they were deployed months ago. However, both of them are damaged now,” he said.
Both have since been removed from the sea and one of the damaged buoys is sitting in a warehouse in west Sumatra awaiting repairs.“
Anfang Juni 2007 wurde in der vom Tsunami 2004 am schwersten betroffenen Provinz Aceh ein Fehlalarm ausgelöst. Über die nachfolgende Panik erbost zerstörten Anwohner in Lhoknga offenbar mutwillig Teile des noch im Aufbau befindlichen Frühwarnsystems.
Diese Zwischenfälle lassen deutlich werden, dass die eigentliche Herausforderung weit über die Lösung technischer Probleme hinausgeht.
HANDELSBLATT, Donnerstag, 19. Juli 2007
Frühwarnsystem: Warnung vor dem Tsunami
Von Pia Grund-Ludwig
Zweieinhalb Jahre nach der Tsunami-Katastrophe in Indonesien ist das Frühwarnsystem, das Mitarbeiter von acht deutschen Forschungseinrichtungen mit entwickelt haben, in ersten Funktionen einsatzbereit. Bis das System voll einsatzfähig ist, wird es jedoch bis Ende 2008 dauern. Bis dahin gibt es für die Forscher noch eine ganze Menge zu tun.
TÜBINGEN. „Deutlich verbesserte Erdbebenbeobachtungen sind bereits jetzt möglich“, sagt Alexander Rudloff vom Geoforschungszentrum Potsdam. Ziel sei es, mit dem Warnsystem innerhalb von zehn Minuten zu erkennen, ob nach einem Seebeben eine Flutwelle zu befürchten sei, so der Forscher.
Allein von deutscher Seite sind neun Erdbebenstationen installiert worden, fünf weitere sind für dieses Jahr in Vorbereitung. Bis das System Ende 2008 voll einsatzfähig ist gibt es für die Forscher noch eine ganze Menge zu tun. Neben der Optimierung der Technik für die GPS-Bojen, mit denen es anfänglich Probleme gegeben hat, helfen die Forscher den Behörden vor Ort, einen Evakuierungsplan zu erarbeiten. Dabei werden sie unterstützt von Kollegen der Leibniz Universität Hannover. Die Forscher des Franzius-Institut für Wasserbau und Küsteningenieurwesen entwickeln ein Simulationsmodell für die Küstenstadt Padang, mit dem die Auswirkungen eines Tsunami detailliert vorher gesagt werden können.
Die drittgrößte Stadt Sumatras mit rund 800.000 Einwohnern liegt auf der Höhe des Meeresspiegels und in einer Region, die besonders tsunamigefährdet ist. Das Modell für die Stadt soll möglichst genau die Gegebenheiten vor Ort, aber auch mögliche Fluchtwege erfassen. Evakuierungspläne sind bis April 2010 geplant, erste Ergebnisse zur Überflutungsdynamik bereits für nächstes Jahr. Der Zeitplan ist für die Hannoveraner Forscher eine Herausforderung: Weder gibt es die notwendigen Geodaten, noch wissen die Forscher detailliert genug Bescheid über die sozialen, ökonomischen und verkehrstechnischen Bedingungen in der Stadt.
Bei der Erhebung der Geodaten setzen sie auf Hightech aus der Weltraumforschung. „Wir fliegen unter anderem mit einer hochauflösenden Stereokamera über die Stadt, die am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin-Adlershof entwickelt wurde und nehmen damit die Infrastruktur sowie allgemeine Geodaten auf“, erläutert Projektleiter Torsten Schlurmann. Die Kamera erfasst die Gebäude, Verkehrsinfrastruktur, aber auch Flüsse und Kanäle mit einer Höhenauflösung von nur wenigen Dezimetern und erzeugt daraus dreidimensionale Bilder.
Anhand dieser genauen Kartierung wollen die Forscher bestimmen, wie sich das Wasser in der Stadt ausbreiten würde. Die nächste Aufgabe ist es herauszufinden, wie sich die Welle auf dem Meer ausbreitet: „Dazu müssen wir auch die Beschaffenheit des Meeresbodens vor der Küste ermitteln“, so Schlurmann weiter. Mit speziellen Echoloten wird die Küstenzone in einer Tiefe zwischen zwei und 300 Metern und einer Breite von bis zu 20 Kilometern erfasst.
Diese Geoinformationen müssen zusammenfließen mit dem Wissen darüber, wie sich die Menschen in der Stadt im Katastrophenfall bewegen würden. Dies abzubilden ist Aufgabe eines Wissenschaftlerteams um Kai Nagel vom Institut für Land- und Seeverkehr der TU Berlin: „Wir wollen herausfinden, wo sich wie viele Menschen zu bestimmten Tageszeiten in der Stadt aufhalten und wohin sie sich bei einer Warnung flüchten können“, beschreibt Nagel die Aufgabe.
Um angemessen und vor allem schnell genug zu reagieren, wird das gewonnene Wissen zu fünf Szenarien verdichtet. Die werden dann sehr genau verschiedene Situationen – an bestimmten Wochentagen, des nachts oder während Feiertagen – beschreiben.
Solche Modelle könnten auch für unsere Region sinnvoll sein, sagt Schlurmann. „Sie funktionieren auch für Sturmflutwarnungen.“ Aber das sei noch ein Tabuthema. Es gehe ihm nicht um Horrorszenarien. Aber mit dem Klimawandel sei ein Punkt erreicht, an dem man sich mit den Auswirkungen der Erderwärmung beschäftigen und nachhaltige Vorsorgeprogramme entwickeln müsse. Es gehe darum, die Gesellschaft über potenzielle Schäden zu informieren und individuelle Anpassungsstrategien abzuleiten, sagt der Forscher. <>