Buchtipp: Klemens Ludwig: Osttimor – Der zwanzigjährige Krieg
Deutsche Welle, 13. Januar 2003
Osttimor kämpft bis heute für sein Recht, über seinen politischen Status selbst entscheiden zu können. Der lange und blutige Kampf war in der Weltöffentlichkeit fast vergessen. Dank des Nobelkomitees ist das Interesse neu erwacht. Das Buch leistet kompetente, souveräne Aufklärungsarbeit zum Thema Osttimor. Ludwig klärt über die Entstehung des Konflikts auf.
Im Dezember 1996 verlieh das norwegische Nobelpreiskomitee in Oslo den Friedensnobelpreis an Bischof Carlos Belo und an José Ramos Horta. Die beiden Männer wurden damit für ihr jahrzehntelanges Engagement für ihre Heimat Osttimor geehrt, jenen Teil der Insel Timor im Pazifischen Ozean, der vor 22 Jahren von Indonesien gewaltsam eingenommen wurde.
Osttimor kämpft bis heute für sein Recht, über seinen politischen Status selbst entscheiden zu können. Der lange Kampf um die Unabhängigkeit, bei dem fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung der Insel gewaltsam ums Leben kam, also etwa 200.000 Menschen, war in der Weltöffentlichkeit fast vergessen.
Lange schafften es die indonesischen Besatzer, mit dem Bambusvorhang die teils subtile, teils offen-brutal geführte Unterdrückung Osttimors zu verstecken. Doch plötzlich, dank des Nobelkomitees, schaut die Welt wieder auf die kleine Insel im Archipel zwischen Indonesien und Australien.
Kompetente, souveräne Aufklärungsarbeit
Diesem neu entfachten Interesse an Osttimor trägt ein Buch Rechnung, das sich sehr gründlich mit dem Problem Osttimor-Indonesien beschäftigt und es auf knapp 160 Seiten so lang wie nötig, aber so kurz, knapp und klar wie möglich beleuchtet. Der bei Rowohlt erschienene Band „Osttimor – der zwanzigjährige Krieg“, herausgegeben von Klemens Ludwig, einst langjähriger Asienreferent der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, versammelt Aufsätze von Ludwig selbst und anderen Osttimor-Kennern.
Um es vorwegzunehmen: Das Buch leistet kompetente, souveräne Aufklärungsarbeit zum Thema Osttimor. Ludwig porträtiert beide Nobelpreisträger und er klärt über die Entstehung des Konflikts auf. Von der Nelkenrevolution in Portugal 1974, durch die der einstige Kolonialherr seinen Anspruch auf Osttimor verlor, über die Proklamation der Unabhängigkeit Osttimors durch die gewählte Linkspartei und Unabhängigkeitsbewegung Fretilin 1975, bis zur prompt folgenden indonesischen Invasion im selben Jahr.
Das Buch informiert weiter über den erbittert geführten Guerillakrieg der Fretilin gegen die indonesischen Besatzer, bis hin zum Massaker von Santa Cruz 1991: Bei einem Trauerzug von etwa 2.000 Timoresen auf einem Friedhof hatten indonesische Soldaten ohne Vorwarnung in die Menge gefeuert und bis zu 500 Menschen getötet.
Deutsche Gratwanderung
Der Rüstungsexperte Rainer Kahrs informiert in Ludwigs Buch gründlich über das deutsch-indonesische Verhältnis. Im Vordergrund steht dabei die schwierige und viel kritisierte deutsche Gratwanderung zwischen handfesten Industrie-Interessen, vor allem im Rüstungs- und Waffengeschäft, und der Anmahnung der Menschenrechte.
Kritik übt Kahrs vor allem an Bundeskanzler Helmut Kohl, der Indonesiens Staatspräsident Suharto ausdrücklich zu seinen „Freunden“ zählt. Als Kohl im Oktober 1996 Indonesien besuchte und bei dieser Gelegenheit plötzlich auch Bischof Belo zu sehen wünschte, ließ dieser ihn sitzen. Monika Schlicher schreibt dazu: „Man kann davon ausgehen, dass er sich nicht zum schmückenden Beiwerk eines damit rundum gelungenen Kanzlerbesuchs machen lassen wollte. Man kann nicht beides zugleich haben: gute wirtschaftliche Beziehungen pflegen und konsistente Menschenrechtspolitik gegen dieses System durchsetzen wollen. Doch dies versucht die Bundesregierung seit Anbeginn des Osttimor-Konflikts, und damit steht sie exemplarisch für die Mehrheit der Staaten in dieser Welt.“
Freiheit im Jahre 2000?
Außerordentlich glücklich ist der Aufsatz von Klemens Ludwig über „Kultur, Mythologie und Alltag“ in Osttimor. Durch die Schilderungen des ursprünglichen Glaubens der Osttimoresen – die heute zu 80 Prozent Katholiken sind – ihrer Bräuche, Sitten und Mythen, taucht der Leser wirklich ein in die kleine Insel.
Dieser Blick hinter die kulturelle Kulisse der Einheimischen trägt sehr zum Verständnis des aktuellen Konflikts bei, auch wenn ein direkter Bezug nicht unmittelbar einsichtig ist. Ein weiterer Pluspunkt des von Klemens Ludwig herausgegebenen Buches ist ein verhalten optimistischer Beitrag von Ramos Horta persönlich über „Perspektiven für ein unabhängiges Osttimor“.
Horta schreibt in seinem Beitrag sogar: „Inzwischen erlaube ich mir auch Visionen einer selbstbestimmten Zukunft. Ich bin davon überzeugt, dass wir im Jahre 2000 frei sein werden.“
Das Buch Kompakt
Klemens Ludwig: Osttimor – Der zwanzigjährige Krieg Verlag: Rowohlt, 1996 ISBN: 3499222078