Torschlusspanik – Die Folgen der Präsidentenwahl in Indonesien erreichen das Militär
05. Oktober 2004
von Ingo Wandelt
Der Befehlshaber der Kostrad ist überraschend in den Ruhestand versetzt worden. Der Chef des Heeresstabes, General Ryamizard Ryacudu, übernimmt kommissarisch die Führung der Kostrad, ein in der Geschichte der Streitkräfte des Landes einmaliger Vorgang.
Der Befehlshaber des mächtigsten Verbandes des indonesischen Militärs, der Strategischen Heeresreserve Kostrad, wurde ohne Vorankündigung in den Ruhestand versetzt. Als Grund gab die Heeresführung das Erreichen der Altersgrenze für Führungsoffiziere von 55 Jahren an. In der Tat hatte Generalleutnant Bibit Waluyo bereits am 5. August diese Grenze erreicht, und deshalb überrascht es umso mehr, dass kein Nachfolger für den mit 30.000 Mann schlagkräftigsten Verband des Heeres bestimmt worden ist. Stattdessen übernimmt der Chef des Heeressstabes, General Ryamizard Ryacudu, kommissarisch die Kostrad-Führung. Ryamizard hatte die Kostrad bereits von August 2000 bis Juni 2002 geführt.
Der Zeitpunkt der Neubesetzung der Kostrad-Führung muss verwundern. Das Überschreiten der Altersgrenze zwingt Heereskommandeure nicht zum sofortigen Ausscheiden aus dem aktiven Dienst. Üblicherweise werden Rotationen von Kommandeuren auf neue Dienstposten zusammengefasst und zu einem gemeinsamen Zeitpunkt ausgeführt. Auch Pensionierungen werden nicht selten über Monate hinausgeschoben, um die so genannte „mutasi“ von oft bis zu einigen Hundert Kommandeuren gemeinsam umzusetzen. Es hätte also keine Eile bestanden. Auch dringliche Neubesetzungen anderer Führungspositionen im Heer stehen zurzeit nicht an. Es hätte ausgereicht, Rotationen bis nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono aufzuschieben.
Die überraschende Maßnahme muss als ein taktischer Schachzug der konservativen Führung der Streitkräfte (TNI) in der Folge der Wahl von Ex-General Yudhoyono zum Präsidenten bewertet werden.
Unter dem vorletzten Präsidenten der Republik Indonesien, Abdurrahman Wahid, hatte eine Gruppe von konservativen Heeresgenerälen die faktische Führung der TNI an sich gerissen: Wahid hatte im November 1999 den Marineadmiral Widodo Adisucipto an die Spitze der Streitkräfte berufen und damit einen in der Militärgeschichte des Landes einmaligen Präzedenzfall geschaffen. Zum ersten Mal saß ein Mann der Marine auf dem Posten des Panglima (Befehlshabers) der TNI, der zuvor eine Domäne des Heeres gewesen war. Protegiert von der damaligen Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri, vermochten es zwei Heeresgeneräle, Endriartono Sutarto und Ryamizard Ryacudu, den Marineadmiral faktisch zu entmachten und die Führungsgeschäfte der Streitkräfte aus dem Hintergrund zu übernehmen. Als Präsidentin erhob Megawati Endriartono zum Panglima TNI und Ryamizard zum Chef des Heeresstabes und band deren Karrieren an ihr politisches Schicksal.
Endriartono Sutarto und Ryamizard Ryacudu sehen mit der Wahl Yudhoyonos das Ende ihrer militärischen Laufbahn gekommen. Beide haben das Militär auf einen ultrakonservativen Kurs eingeschworen, der die weitestgehende Unabhängigkeit der TNI von der Regierung und die unbedingte Erhaltung der Einheit des Landes mit allen zur Verfügung stehenden militärischen Mitteln zum Auftrag hat. Endriartono hatte bereits 2002 die Altersgrenze erreicht und besetzt seine Position über die von der Präsidentin bestimmte außerordentliche Verlängerung seiner Dienstzeit, die im Jahresturnus ausgesprochen werden muss. Es ist unwahrscheinlich, das Yudhoyono den Panglima, mit dem er auf keinem guten Fuß steht, in der Position belassen wird. Ryamizard wird am 21. April 2005 die Altersgrenze erreichen. Obgleich er derselben Jahrgangsklasse der Militärakademie wie Yudhoyono entstammt – er trat gemeinsam mit Yudhoyono in die Akademie ein, musste jedoch ein Jahr „nachsitzen“ und verließ sie erst 1974, ein Jahr nach Yudhoyono – verbindet ihn mittlerweile wenig mit dem neuen Präsidenten. Er ist, auch über seine Familie, an die Präsidentin und ihren Familienclan gebunden und passt nicht in den Führungszirkel Susilos. Seine einzige Aufstiegschance wären die Wiederwahl Megawatis und – als Nachfolger von Endriartono – seine Ernennung zum Panglima gewesen. Damit ist es nun vorbei.
Warum haben Endriartono und Ryamizard keinen neuen Kostrad-Chef bestimmt? Sie hätten die Befugnis gehabt, dies zu tun, und die noch amtierende Präsidentin Megawati hätte ihnen wohl kaum einen Stein in den Weg gelegt. Sie hätten so die Chance gehabt, einen konservativen General aus den Kreisen der Pangdam (Chefs der Territorialkommandos des Heeres) zu ernennen und damit Fakten zu schaffen. Im gleichen Zug hätten sie die Führungsspitze von TNI und Heer mit ihren Gefolgsleuten besetzen können. Sie haben es nicht getan. Der wahrscheinlichste Grund für dieses Versäumnis ist in ihrer festen Überzeugung vom Sieg Megawatis zu sehen, von der sie anscheinend ausgegangen sind. Sie haben keine Vorbereitungen getroffen und müssen nun improvisieren.
Der entscheidende Mann ist Ryamizard Ryacudu. Er hält nun beide wichtigen Heerespositionen – Chef des Stabes und Kommandeur der Kostrad – in seinen Händen und verfügt damit über eine mächtige Verhandlungsposition. Er kann dem neuen Präsidenten und Oberbefehlshaber der Streitkräfte anbieten, ihn zum Panglima TNI zu machen und dafür einen dem Präsidenten genehmen Kostrad-Chef vorzuschlagen. Auch Yudhoyonos Alternativen zur Ernennung eines neuen Panglima werden begrenzt sein. Das Gesetz zur Landesverteidigung von 2002 beschränkt die Kandidaten für den Panglima auf einen ehemaligen, aber noch aktiven Chef eines Teilstreitkräftestabes, also von Heer, Marine und Luftwaffe. Außer Ryamizard (Heer) steht nur der Chef des Marinestabes, Admiral Bernard Kent Sondakh, zur Verfügung. Den Chef der kleinsten Teilstreitkraft, der Luftwaffe, zum Panglima zu ernennen, ist in den Streitkräften undenkbar. Sollte Yudhoyono als Präsident den Mann der Marine zum Panglima bestimmen, steht zu erwarten, dass das Heer erneut der obersten TNI-Führung nicht folgen wird. Ryamizards Position ist so schlecht also nicht, und es ist seine einzige Chance und die seiner konservativen Gesinnungsgenossen, sich in die post-Megawati Ära herüber zu retten. Yudhoyonos Führungsanspruch und Kontrolle über die TNI wären damit erheblich beschränkt. Der neue Präsident wird es schwer haben, die konservative Führungsriege im Militär in den Griff zu bekommen.<>