Und die internationale Gemeinschaft schweigt zu dem Elend
Frankfurter Rundschau, 12. Dezember 2001
In Westpapua werden die Menschenrechte mit Füßen getreten / Carmel Budiardjo und John Rumbiak liefern Augenzeugen-Berichte zur Lage
Von Carmel Budiardjo und John Rumbiak
Den Papuas, die in der östlichen Provinz Indonesiens leben, wird das Recht auf Selbstbestimmung verweigert. Das Volk, das in den sechziger Jahren zum Anschluss an Indonesien gezwungen wurde, wird durch Militär und Polizei unterdrückt und ausgebeutet. Vor einem Monat wurde der höchste Repräsentant der Papuas, Theys Eluay, in einen Hinterhalt gelockt und ermordet. Die FR dokumentiert gekürzt zwei Lageberichte, die Carmel Budiardjo, Mitarbeiterin der indonesischen Menschenrechtsorganisation TAPOL, und John Rumbiak, Mitarbeiter von ELSHAM, einer Menschenrechtsorganisation in Jayapura, der Provinzhauptstadt Westpapuas, kürzlich bei einem Solidaritätstreffen im bayerischen Neuendettelsau vorstellten. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Hans Martin Thimme vom Westpapua-Netzwerk.
Eigentlich war mein Thema „Indonesien und Westpapua“, aber ich möchte das Thema ausweiten. (. . .) Zu Indonesien möchte ich zuerst folgendes sagen: Das Land steht vor zwei ernsthaften Herausforderungen bezüglich seiner Selbstverpflichtung, die territoriale Einheit zu erhalten. Die erste Herausforderung kommt von Aceh im äußersten Westen und die zweite von Westpapua im äußersten Osten. Diese Völker haben beide starke historische Gründe dafür, ihr Verbleiben in der Republik in Frage zu stellen. Sie wurden auch ermutigt durch die Entscheidung der Bevölkerung in Osttimor, die die Integration in die Republik Indonesien abgelehnt hat. Sie wurden in wachsendem Maße durch bittere Erfahrungen fortlaufender Verletzungen der Menschenrechte und durch die über viele Jahre andauernde Verheimlichung der Gewinne aus ihren gewaltigen Bodenschätzen von Jakarta entfremdet.
Krieg in Aceh
Ich möchte etwas zu Aceh sagen. Seit der Präsidentenverordnung vom April diesen Jahres, die gerade vor einigen Tagen für weitere drei Monate verlängert wurde, herrscht in Aceh offener Kriegszustand. Zwar sieht diese „inpres“, wie wir sagen, ein umfassendes Sechs-Punkte-Programm vor, aber der einzige Punkt, der tatsächlich praktiziert wird, ist der Sicherheitspunkt: Man will die GAM (bewaffnete Widerstandsbewegung in Aceh) zerschlagen und die Unterstützung für sie durch das einfache Volk unterbinden. Die Zahl der Toten wird in Aceh seit Beginn dieses Jahres auf 1500 geschätzt, das sind circa fünf Tote täglich, und die meisten von ihnen sind Zivilisten. Wir stellen also fest: Es gibt in Aceh einen äußerst ernsten Krieg – zahllose Verletzungen der Menschenrechte. Kürzlich fand ich einen Satz von John Rumbiak: „Lasst Westpapua nicht zu einem zweiten Aceh werden!“ Ich denke, man muss sich klar machen, dass Aceh der Ort ist, wo die schwerwiegendsten Verletzungen stattfinden, wo die heißeste Kriegsphase jetzt gerade abläuft.
Die Regierungszeit Präsident Wahids: Gescheiterte Reformen
Einige kurze Worte zu dem letzten Präsidenten, nämlich Wahid. Er kam im Oktober 1999 nach einer höchst geschmacklosen Intrige, die Megawati draußen halten sollte, an die Macht. Er war ein reformorientierter Präsident, sein Pluspunkt. Er gab sich Mühe, aber tatsächlich hat er es nicht weit gebracht. Er hatte sich die Reform der Streitkräfte, der TNI, fest vorgenommen und schien auch zunächst damit Fortschritte zu machen, als er General Wiranto wegen des Verdachts der Beteiligung an Verbrechen in Osttimor entließ. Aber zu der Zeit war die TNI zerstritten, sie war verrufen, weil so viele Beschwerden über das öffentlich geworden waren, was die TNI während dieser schrecklichen Zeit, der 32 Jahre währenden Diktatur unter Suharto, getan hatte. Es war Wahid, der den Dialog mit der GAM in Aceh eingeleitet hat. Und es war auch Wahid, der bestimmte Konzessionen für die Menschen in Westpapua festschreiben wollte, indem er andeutungsweise bestätigte, worüber sie sich beschwerten. Er zeigte also eine gewisse Eigeninitiative. Er wollte bestimmte Schritte in Bezug auf Aceh und Westpapua unternehmen. In beiden Fällen wurde dem natürlich energisch und deutlich durch die indonesische Armee, die TNI widersprochen. Und schließlich wurden die Anstrengungen, die gemacht wurden, umgekehrt.
(. . .) Wir wissen heute, dass der sehr erfolgreiche Kongress der Papuas im Mai/Juni letzten Jahres den militärischen Geheimdienst auf den Plan rief, die Sicherheitskräfte insgesamt und gewisse Kernabteilungen der Regierung in Jakarta. Sie planten eine geheime Operation gegen den Auftrieb der Unabhängigkeitsbewegung und setzten sie entsprechend um. (. . .)
Wir wissen auch, dass die Polizei eine besondere Operation begonnen hat, und ich hoffe, sehr bald eine Analyse dazu vorlegen zu können. Es handelt sich auch dabei um geheime Dokumente. Ich kann sagen, dass sich die Polizei ganz wie die Armee benimmt, obwohl die Polizei tatsächlich vor zwei Jahren von der Armee abgetrennt und unter ein ziviles Kommando gestellt wurde. Aber tatsächlich geht es immer noch genauso zu. Man merkt das sofort, wenn man die Dokumente liest. Sie formuliert ihre Vorhaben nicht wie eine Polizei, deren Aufgabe der Schutz der Bevölkerung ist, sondern wie eine Sicherheitseinheit, die zerstören will, was sie die separatistische Bewegung in Westpapua nennt. Es gibt also zwei sehr wichtige, bedeutsame und gefährliche Entwicklungen in Westpapua. Einerseits das, was die Sicherheitskräfte der Armee tun – und was die Polizei tut. Das müssen wir sehr ernsthaft bedenken.
Megawati – Rückkehr zur Militärherrschaft
Nun einige Worte zu Megawati. Man kann sie als konservative Nationalistin beschreiben, die wie ihr Vater der territorialen Einheit Indonesiens verpflichtet ist, aber zugleich, anders als ihr Vater, sehr prowestlich eingestellt ist. Und anders als ihr Vater ist sie als Vorsitzende der PDI-P nicht zuletzt durch ihre starke Verbindung mit den Streitkräften Präsidentin geworden. Ihre Verbindung zur Armee war sehr eng und sehr stark. Das bewirkte ihren Aufstieg, so wurde sie im Jahr 1993 zur Vorsitzenden der PDI gewählt. Und seitdem war sie immer sehr eng mit der Armee verbunden. Die Streitkräfte waren sehr vorsichtig, sich nicht zu offensichtlich an den Bemühungen zur Absetzung Wahids zu beteiligen. Ich will das nicht im Einzelnen darlegen. Sie schienen im Hintergrund zu bleiben, aber tatsächlich haben sie sich während der Zeit Wahids häufig des Ungehorsams schuldig gemacht und dadurch die Position Wahids immer mehr geschwächt. Eindeutig wollten sie die Vernichtung Wahids und sie wünschten, dass Megawati an die Macht kam. Und das ist ja auch so geschehen. Die Ironie des Ganzen ist, dass der Westen nun den Streitkräften gratuliert, weil sie sich so gut benommen haben und einen friedlichen Übergang der Macht von Wahid zu Megawati zugelassen haben. Es war zwar friedlich, aber die Streitkräfte spielten die entscheidende Rolle, um genau dieses Ergebnis zu erreichen. Anders als von ihren Vorgängern – und ich möchte hier auch Habibie nennen, der zu seiner Zeit einige interessante Initiativen einbrachte, zum Beispiel den Anstoß zur Volksabstimmung in Osttimor – wird man von Megawati keine hilfreichen und positiven Initiativen zur Lösung der Konflikte in Aceh und Westpapua erwarten dürfen. Sie wird nichts tun wollen, was sie in Konflikt mit den Streitkräften bringen könnte. Einige Schlüsselpositionen in ihrem Kabinett sind von pensionierten Armeeoffizieren besetzt. Der Innenminister zum Beispiel ist ein scharfer Militär. Sein Amt hat ein besonders wichtige Rolle bei der Entwicklung der Geheimoperationen gespielt. Von ihm kann also nicht das kleinste bisschen an Freundlichkeit gegen Westpapua erwartet werden – eher das Gegenteil.
Autonomie für Westpapua
Nun einiges darüber, wie Jakarta mit Westpapua umzugehen versucht. Man drängt energisch auf eine besondere Autonomie für Westpapua. In Jayapura wurde ein Entwurf erarbeitet, der bestimmte Dinge aufzählte und tatsächlich sagte, dass Westpapua eine eigene Regierung haben sollte und ein „selbst regiertes Gebiet“ werden sollte. Das ist eine recht ungewöhnliche Ausdrucksweise. Westpapua sollte wirklich einen besonderen Status mit eigener Flagge und eigener Hymne bekommen. In diesem Entwurf war sogar von der Möglichkeit die Rede, eine Wahrheitskommission für Westpapua einzurichten, die die Geschichte Westpapuas seit 1963 untersuchen sollte, einschließlich des „Act of Free Choice“ von 1969. Das wurde zwar nicht so gesagt, aber es war deutlich, dass dies gemeint war. Allerdings ist dieser Entwurf nicht das, was nun tatsächlich im Parlament beraten wird. Dieser Entwurf entspricht dem, was man besondere Autonomie nennen könnte. Soweit ich weiß, werden die Flagge und all die anderen Dinge darin nicht zugestanden. Es ist kein Dokument der Zugeständnisse. Jakarta fürchtet, jedes Zugeständnis könnte das ganze Prinzip der territorialen Integrität aushöhlen. Die Papuas könnten auf den Gedanken kommen, dass gesagt wird: „Ja, wir denken dran, Euch in Aussicht zu stellen, dass Euer Status in Indonesien überdacht wird.“ Das aber ist meiner Meinung nach ausgeschlossen. Es ist nicht das, was Megawati wünscht und sicher nicht das, was das Parlament wünscht. Es ist wichtig, das festzuhalten.
Menschenrechte in Indonesien
Megawati hat verschiedene öffentliche Anlässe benutzt, sich für die Verletzungen der Menschenrechte in Westpapua zu entschuldigen. In ihrer Rede vom 16. August sagte sie sogar, die Streitkräfte sollten in Zukunft jede Verletzung von Menschenrechten vermeiden. Sie hat also mit öffentlichen Gesten deutlich gemacht, dass sie an der Frage der Menschenrechte interessiert ist. Aber ich denke, wir brauchen nicht die Worte der Präsidentin, sondern etwas sehr Konkretes und Praktisches. Kürzlich hat Indonesien erklärt, es wolle ein Sondergericht für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Osttimor einrichten. Mir scheint das ein energischer Versuch Jakartas zu sein, insbesondere den Kongress der USA davon zu überzeugen, dass in der Frage der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Osttimor etwas geschieht. Denn (. . .) der Kongress der USA hat vor zwei Jahren einen wichtigen Beschluss gefasst, die so genannte „Leahy Resolution“. Sie besagt, dass das über Indonesien verhängte Waffenembargo so lange bestehen bleibt, bis gewisse Schritte in Richtung auf eine gerichtlichen Verfolgung der Menschenrechtsverbrechen in Osttimor unternommen werden. Derzeit ist dieses Embargo noch in Kraft. Deswegen hat man Megawati wohl geraten, sie solle hier etwas unternehmen, damit das Embargo aufgehoben werden kann. Das ist wohl der Grund für die Ankündigung, man wolle dieses Sondergericht einrichten. Es wird aber nur wenige Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Osttimor behandeln und ist darum sehr wenig zufrieden stellend. Man sieht aber, dass hier eine Geste gemacht wurde, mit der die Regierung Megawatis dem Kongress der USA deutlich machen will, dass die Lage jetzt besser ist. Aber ich glaube nicht, dass wir dies wirklich erleben werden.
Das zweite ernste Problem im Bereich der Menschenrechte ist die Straffreiheit. Hier hat es keinerlei Fortschritte gegeben. Ob es um Verbrechen in Westpapua geht, in Osttimor oder Aceh, die Straffreiheit ist und bleibt unangefochten. Die Streitkräfte sind geschützt davor, dass ihre Verbrechen wirklich vor ein Gericht kommen. Nach meiner Meinung werden wir das sogar in Osttimor erleben.
Das Gerichtswesen ist sehr korrupt, und es wurde völlig unglaubwürdig – wenn das überhaupt noch möglich war, weil es doch schon so lange korrupt war – durch einen Beschluss des Höchsten Gerichtes, die Verurteilung von Tommy Suharto aufzuheben, der in einem Korruptionsfall schuldig gesprochen war. Plötzlich kehrt das Höchste Gericht seinen eigenen Beschluss um und entscheidet auf Freispruch. Das wurde in Indonesien als ein weiteres ernstes Zeichen dafür genommen, wie korrupt das Höchste Gericht ist. Das Gerichtswesen ist unzuverlässig, ob es nun um Fälle der Korruption oder auch um Fälle der Verletzung von Menschenrechten geht. Die Frage der Straffreiheit ist sehr ernst zu nehmen, insbesondere da, wo Menschenrechte in Westpapua und anderswo betroffen sind.
Es gab eine Team der Nationalen Kommission für Menschenrechte, das die Verbrechen in Abepura vom Dezember letzten Jahres untersuchen sollte. Der Ausschuss nannte die Namen von 27 Polizisten, die vor Gericht gestellt werden müssten. Wir warten immer noch darauf, dass der Generalstaatsanwalt etwas gegen die Beschuldigten unternimmt. Der Generalstaatsanwalt ist selbst ein Problem. Megawati hat M. R. Rachman für dieses Amt ausgewählt. Er ist für seine Nähe zum Militär bekannt und ist ein Karrierejurist. Man weiß allgemein, dass er tut, was er kann, um das Militär zu schützen. Ganz sicher hat er das im Fall von Osttimor getan. Niemand kann daher große Dinge von ihm erwarten, in diesem oder jedem anderen Fall.
Für die Menschenrechte ist das eine böse Sache. Menschenrechtsorganisationen machen sich überhaupt Sorgen über die Nationale Kommission für Menschenrechte. Sie soll entsprechend dem Gesetz über Menschenrechte vom Jahr 2000 Untersuchungen über Fälle von Verletzungen der Menschenrechte vornehmen. In Aceh gab es Anfang August ein sehr böses Verbrechen, ein Massaker, in dem 31 Menschen getötet wurden. Jeder, der einen einigermaßen klaren Verstand hat, weiß, dass dies die Sicherheitskräfte getan haben. Aber bis heute war die Nationale Kommission für Menschenrechte nicht in der Lage, eine Untersuchungskommission für diesen besonderen Fall einzurichten – sie hat sich sogar geweigert. Dafür wurde sie heftig kritisiert. Heute sagen die Menschenrechtsorganisationen, die ganze Kommission sollte aufgehoben werden. Sie sollte entlassen werden, weil sie ihren Zweck nicht mehr erfüllt. Man wirft der Kommission sogar vor, dass sie die Straffreiheit stärkt. Das ist wirklich eine sehr ernsthafte Sache.
Verschärfter Sicherheitsdienst
Nun noch ein weiterer Punkt, der auch mit der globalen Krise zusammenhängt. Einer der Leute, die Megawati ernannt hat, ist Generalleutnant Hendro Priono (Hendropriyono; Watch Indonesia!). Er tritt nicht sehr oft in Erscheinung, aber er ist überaus wichtig. Er ist der Chef des Nationalen Sicherheitsdienstes (BIN). Dort werden alle Sicherheitsdienste Indonesiens zusammengefasst. Es handelt sich bei Hendro Priono um einen Offizier, der im Jahr 1989 schwere Grausamkeiten in Lampu (Lampung; Watch Indonesia!) beging, für die er eigentlich vor Gericht gestellt werden sollte. Nun hat er diese außerordentliche Machtstellung. Als Chef des Nationalen Sicherheitsdienstes ist er Mitglied des Kabinetts. Das hat es früher nie gegeben. In der Person von Hendro Priono hat Megawati den Sicherheitsdiensten eine besonders starke Stellung gegeben. In unserem letzten Rundbrief haben wir Prionos Lebenslauf ausführlich dargestellt.
In der gegenwärtigen Weltlage ist Prionos Einfluss noch wichtiger. Als Megawati in Washington mit Bush zusammentraf, es war wohl am 18. September, wenige Tage nach der Tragödie in New York, gehörte auch er zur Delegation. Eine der Entscheidungen, die im Kommuniqué erwähnt wurden, war eine enge Zusammenarbeit der Geheimdienste von Indonesien und den USA. Und das ist in der gegenwärtigen Situation natürlich besonders gefährlich. In der britischen Presse hat es Berichte gegeben, dass Osama bin Laden Stützpunkte in Jakarta und Indonesien hat. Ob das wahr ist, weiß ich nicht. Aber allein die Tatsache, dass so etwas gesagt wird, eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten scharfen Vorgehens beim Aufspüren von Terroristen in Indonesien, die vielleicht etwas mit dem Al-Qaeda-Netzwerk zu tun haben, vielleicht aber auch nicht. (. . .)
(. . .) Wenn man die vielen Dokumentationen über die Menschenrechtsverletzungen in Aceh, in den Molukken und in Osttimor, die wir analysiert haben, miteinander vergleicht, dann kommt man auf vier grundlegende Themen, die auch die immer noch andauernden Menschenrechtsverletzungen in Westpapua bestimmen.
Der Konflikt um das Recht auf Selbstbestimmung
Das erste ist der Konflikt zwischen dem Volk von Papua und dem Staat Indonesien über das Recht auf Selbstbestimmung. Das ist die eigentliche Quelle, die bis heute alle Konflikte in Westpapua nährt. Die Papuas sind der Meinung, ihr Recht auf Selbstbestimmung sei verletzt worden. Aber die internationale Gemeinschaft, die Indonesien unterstützt, behauptet, die Frage der Selbstbestimmung der Papuas sei Vergangenheit. Das fördert ein Klima des Konflikts, das seit den Anfängen in den 60er Jahren bis heute herrscht.
Die Kultur des Militarismus
Das zweite Thema ist die Kultur des Militarismus und der Straffreiheit. Wenn man über die Lage der Menschenrechte in Westpapua spricht, muss man über zweierlei Arten von Rechten sprechen, die bürgerlichen und die politischen Rechte. In Westpapua wurde viele, viele Jahre lang bis heute eine Politik des Militarismus verfolgt. Das hat Auswirkungen für die Menschenrechte im bürgerlichen Bereich, aber auch im Bereich des Sozialen und der Wirtschaft. Der Militarismus war und ist ein Grundproblem, denn der Widerstand der Papuas dagegen wird als subversiv, als gegen das indonesische Gesetz gerichtet gebrandmarkt. Darum fördern die indonesischen Sicherheitskräfte den Militarismus und erklären bestimmte Gebiete Westpapuas, wo die Widerstandsbewegung lebendig ist, zu militärischen Zonen. In diesen Gebieten wird systematisch Krieg gegen die Papuas geführt. Amnesty International schätzt, dass seit 1963 etwa 100.000 Papuas getötet wurden. Meine Organisation denkt, die Zahl sei größer als 100 000. Wir haben das dokumentiert und werden eines Tages die richtige Zahl nennen können. Wir müssen unsere Zahlen erst belegen.
Etwas zum Thema Straffreiheit und Militarismus: Ideologisch gesehen betrachten die Sicherheitskräfte Indonesiens Westpapua als „Übungsfelder für das Töten“ (killing grounds). Das hat auch ein früherer General des indonesischen Geheimdienstes, General Makari in einem Interview der Far Eastern Economic Review im Jahr 1999 so ausgedrückt. Was man damit meint ist, dass Westpapua als ein Ort gesehen wird, wo die Sicherheitskräfte ihre militärischen Theorien üben und umsetzen. Wir können das anhand geschehener Menschenrechtsverletzungen beweisen. Dabei gehen sie folgendermaßen vor: Zunächst wird ein bestimmtes Gebiet zur militärischen Zone erklärt. Damit ist es automatisch für jede Beobachtung von außen geschlossen. Dann werden die Dörfer in diesem Gebiet bombardiert. Danach springen Fallschirmjäger ab, die die Dörfer niederbrennen und jeden, den sie sehen, töten. Nachdem das Militär sah, dass man mit dieser Strategie und Methode in Westpapua durchkommen kann, gingen sie nach Osttimor und Aceh und wendeten sie auch dort an. (. . .)
Darüber hinaus ist für die Ideologie der Sicherheitskräfte Westpapua auch ein Ort, an dem man befördert werden kann. Dort kann man Menschenrechtsverletzungen begehen und dann in Jakarta zur Beförderung in höhere Positionen vorgeschlagen werden.
Ich nenne Westpapua das Eldorado der Sicherheitskräfte. Sie sichern nicht nur die wirtschaftlichen Aktivitäten in Westpapua ab, sie sind auch selbst an den Unternehmen beteiligt und betreiben darüber hinaus ihre eigenen Geschäfte. Das wird im Fall von Freeport ganz deutlich. Im Vertrag zwischen diesem Unternehmen und der Regierung wurde festgelegt, dass die Sicherheitskräfte die Aufgabe haben, den Schutz des Unternehmens zu sichern. Das hat ungeheure Auswirkungen. Oft führt das zum Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung.
So genannte wirtschaftliche Entwicklung
Ein drittes Thema ist, was ich so genannte Entwicklungsmaßnahmen nenne: Transmigration, Bergbau, Holzgewinnung und andere Entwicklungsvorhaben in Westpapua. Die staatlichen Gesetze erkennen die Rechte der Urbevölkerung nicht an. Wenn also über das Recht auf Entwicklung geredet wird, muss man klar sehen: Für die Papuas gibt es keine Entwicklung. Diese Art von so genannten Entwicklungsmaßnahmen kann von den Papuas nur als eine neue Weise des Kolonialismus verstanden werden. Sie werden systematisch unterdrückt. Sie stehen einem Militarismus von Seiten der Indonesier gegenüber, der bürgerliche und politische Rechte missachtet und der sich auch noch von internationalen Geberorganisationen finanzieren lässt – von der Weltbank, der Asiatischen Entwicklungsbank und auch von Regierungen. Es gibt aber kein einziges Gesetz, das die Rechte der Urbevölkerung anerkennt. Diese neue Art von Entwicklungsvorhaben drängt die Papuas an den Rand. Tausende, ja Millionen Hektar Land werden ihnen weggenommen, ihre Umwelt wird systematisch zerstört. Das ist wirklich ein großes Problem für die Papuas, denn ihre Umwelt ist die Heimat ihrer Kultur. Wenn sie zerstört wird, wird das ganze Lebenssystem der Papuas zerstört.
Das Schweigen der internationalen Gemeinschaft
Das vierte Thema ist, was ich das Schweigen der internationalen Gemeinschaft nenne. Es ist ganz deutlich: Das eigentliche Hindernis jeder Kampagne ist die Ausrede von einer staatlichen Souveränität. Jeder Ruf nach Beendigung des Militarismus in Westpapua, nach Beendigung der Verletzungen der Menschenrechte in Westpapua, wird blockiert durch das, was man staatliche Souveränität nennt. Und natürlich auch von wirtschaftlichen Interessen. Das sind die eigentlichen hohen Mauern, die jedes Interesse der internationalen Gemeinschaft an Westpapua verhindern. Jeder glaubt, die Frage des Rechts auf Selbstbestimmung dort sei bereits entschieden. Der Meinung sind die Papuas aber nicht!
Dies sind die vier Gründe, die zu immerfort andauernden Verletzungen der Menschenrechte in Westpapua beitragen.
Die aktuelle Lage
Nachdem ich damit die Grundlagen des Bildes deutlich gemacht habe, möchte ich nun die Aufmerksamkeit auf die aktuelle Lage richten. Wie Carmel bereits ausführte, ist der vorherrschende Eindruck auf internationaler Ebene, dass sich Indonesien unter der Führung von Megawati Sukarnoputri stabilisiert. Das stimmt auch – aber nicht für die Menschen in den Molukken, in Aceh und in Westpapua. Man vergisst zu schnell, dass sie sich schon während ihrer Zeit als Vizepräsidentin – also unter der Führung von Abdul Rahman (Abdurrahman; Watch Indonesia!) Wahids Politik distanzierte und ihre eigene Politik für Westpapua machte. Dabei wurde sie von den Sicherheitskräften energisch unterstützt. Sie machte unmittelbar vor dem Papuakongress Ende Mai 2000 einen Besuch in Westpapua, um die Lage zu erkunden. Sie berichtete darüber in Jakarta und basierend auf ihrem Bericht stellte der Geheimdienst ein streng vertrauliches Papier zusammen. Ihre Erfahrungen vor Ort sind wohl auch offiziell in der beratenden Volksversammlung (MPR) diskutiert worden, die im August letzten Jahres stattfand. So konnte Jakarta schließlich die offizielle Feststellung treffen, dass die Bewegung Westpapuas eine separatistische Bewegung sei, der darum mit Repression zu begegnen sei.
Nach unseren Beobachtungen im Land begann die zusätzliche Stationierung von Truppen in Westpapua im August 2000. Zusätzliche 15.000 bis 20.000 Mann wurden vor allem an der Grenze zwischen Papua Neuguinea und Westpapua stationiert – drei Bataillone. Sie wurden auch zum Schutz der so genannten lebenswichtigen Objekte eingesetzt. Allein im Bereich des Bergbauunternehmens Freeport ist nach unseren Informationen ein Bataillon zum Schutz des Betriebes stationiert. Dazu gehören Spezialeinheiten von KOPASSUS für die Geheimdienstaufgaben, KOSTRAD und sogar Marine und Luftwaffe. Seit dieser Zeit entwickelt die indonesische Regierung ein strategisches Sicherheitssystem, das etwa die Insel Biak am Pazifik zu einem nationalen Luftwaffenstützpunkt erklärt. Es gibt nur zwei Stützpunkte dieser Art in Indonesien, einer ist Madiun und der zweite ist jetzt Biak.
Strategie der Sicherheitskräfte: Provokationen und Morddrohungen
Nun noch etwas zu dem sehr strategischen langfristigen Sicherheitssystem, das jetzt für Westpapua entwickelt wurde. Sicherheitskräfte wurden an Orten in Westpapua stationiert, die als heiß gelten – Orte, wo die Unabhängigkeitsbewegung sehr stark ist. Seit dieser Zeit ist die Zahl der Verhaftungen deutlich angestiegen, was die Situation der Menschenrechte in Westpapua gut veranschaulicht. Seit dieser Zeit hat das Präsidium des Papuarates versucht, einen Dialog mit Jakarta zu beginnen. Aber alle Versuche wurden abgeblockt, und die politischen Aktivisten landeten im Gefängnis. Und wieder ist dies die Methode, nach der sie vorgehen, wie es das streng geheime Papier der Sicherheitskräfte erklärt. Die Polizei in Westpapua hat ihre eigene Strategie entwickelt, um die Bewegung als solche zu treffen. Sie infiltrieren die Bewegung, provozieren Konflikte und können dann die Leute verhaften. (. . .) <>