Information und Analyse

Christliche Kämpfer aus Amerika und Radikalislamisten in Aceh

12. Januar 2005

von Alex Flor

Indonesiens Militär verschärft die Kontrolle über Hilfsorganisationen. Sie dürfen sich ab sofort nur noch in den zwei besonders schwer von der Flutkatastrophe getroffenen Städten Banda Aceh und Meulaboh frei bewegen. Sämtliche Einsätze außerhalb der beiden Städte bedürfen der Genehmigung und Begleitung durch das indonesische Militär (Tentara Nasional Indonesia – TNI). Begründet wird dieser Schritt von Seiten der TNI offiziell mit drohenden Angriffen der Unabhängigkeitsbewegung GAM (Gerakan Aceh Merdeka – Bewegung Freies Aceh) auf Hilfstransporte und ausländische Helfer.

Als Beleg für die Gefährdung der ausländischen Helfer führt die TNI den Schusswechsel vor zwei Tagen in einem Warenlager der UN in Banda Aceh an. Dies, obgleich der Koordinationsminister für Soziales Alwi Shihab inzwischen erklärte: „Ich verfüge über einen Bericht des Militärs, dem zufolge ein Soldat unter Stress das Feuer eröffnete. Die GAM war daran nicht beteiligt.“

Deutsche Medien beklagen die massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Hilfsorganisationen: Sie berichten einvernehmlich, dass bislang keine konkrete Bedrohung erkennbar sei. Dennoch gibt es kaum eine deutsche Zeitung, die in ihrer heutigen Berichterstattung nicht im gleichen Atemzuge die GAM als „muslimische“, „islamistische“ oder gar – wie Spiegel Online – „radikalislamistische“ Rebellenbewegung beschreibt.

Es sei dahingestellt, auf wessen Äußerungen diese Attribute zurückzuführen sind. Es wäre jedenfalls wünschenswert, wenn sich die Medien, statt voneinander abzuschreiben und sich in der Wortwahl einander zu übertreffen versuchend, auf Fakten und logische Analysen stützen würden. Auch wenn man wenig über die Strukturen der GAM weiß, so ergeben sich doch einige Erkenntnisse aus der nüchternen Betrachtung ihrer Motive, ihrer Interessen und nicht zuletzt auch ihrer Fähigkeiten.

Man muss weder Sympathien mit den Zielen der GAM haben, noch ihre Mittel rechtfertigen. Und man muss auch nicht jeder Äußerung eines GAM-Sprechers Glauben schenken. Es steht außer Frage, dass die GAM – ebenso wie die TNI – aus der Erfahrung der letzten 30 Jahre einige Kenntnisse in psychologischer Kriegsführung und Propaganda erworben hat und somit die Klaviatur der Medienarbeit mit einiger Perfektion beherrscht. Doch die GAM ist eine nationalistische Unabhängigkeitsbewegung, die keine religiösen Ziele verfolgt.

Dass praktisch 100% ihrer Gefolgschaft strenge Muslime sind, macht aus der GAM noch lange keine islamische oder gar islamistische Bewegung. Ebenso gut könnte man behaupten, dass die US-Streitkräfte eine christliche Armee sind. Auch das indonesische Militär, der Feind der GAM, besteht zum überwiegenden Teil aus Muslimen.

Ohne Zweifel ist Aceh eine streng islamisch geprägte Region. Nicht umsonst wird die Provinz in Indonesien auch als die „Veranda Mekkas“ bezeichnet. Einige der in Aceh geltenden kulturellen Werte und Bräuche mögen nur schwer mit dem Weltbild aufgeklärter Westeuropäer vereinbar zu sein – egal ob sie auf der Religion oder auf anderen Traditionen beruhen. Der Stempel des „Islamismus“ wurde Aceh jedoch von außen aufgedrückt. Wohl wissend um die Bedeutung der Religion in Aceh, gewährte die Zentralregierung in Jakarta der Provinz im Rahmen einer „Besonderen Autonomie“ die Anwendung der Scharia. Das Zugeständnis war ein Danaergeschenk. Keine der wesentlichen Kräfte in Aceh hatte nach der Einführung der Scharia verlangt. Und bis heute herrscht Unklarheit darüber, was die Scharia eigentlich bedeutet. Die harten Strafmaßnahmen der Hudud wie Amputation von Dieben oder die Steinigung von Ehebrechern dürfen nicht angewandt werden – es gilt nach wie vor das ganz normale indonesische Strafrecht. Aber im Familien- und Erbrecht beispielsweise gilt nun die Scharia. Keine beeindruckende Neuerung, denn in diesen Rechtsbereichen konnte die Scharia in Einklang mit der nationalen Gesetzgebung schon immer angewandt werden. In der Praxis gestaltet sich die Scharia somit auf Äußerlichkeiten wie das Gebot, ein Kopftuch zu tragen, das in manchen Bezirken zu bestimmten Zeiten streng überwacht wird.

Weder für die moderaten islamischen Massenorganisationen wie Muhammadiyah und Nadhlatul Ulama, noch für islamistische Gruppierungen wie Laskar Jihad, FPI (Front Pembela Islam – Front der Verteidiger des Islam) und MMI (Majelis Mujahidin Indonesia – Rat der indonesischen Islamkämpfer) war der seit Jahrzehnten andauernde Krieg in Aceh jemals ein wichtiges Thema. Sämtliche dieser Gruppen werteten den Konflikt in Übereinstimmung mit der TNI als einen Separationskonflikt ohne religiöse Bedeutung. Im Inneren ereiferten sich Muslime über den vermeintlichen Religionskonflikt auf den Molukken, wohin Tausende freiwilliger Kämpfer der Laskar Jihad entsandt wurden. Außerhalb Indonesiens spielten die Kriege in Bosnien, Afghanistan und Irak sowie natürlich der Dauerbrenner Palästina eine wesentliche Rolle. Dass in Aceh täglich muslimische Glaubensbrüder und –schwestern getötet wurden, interessierte kaum jemanden.

Eine Ausnahme bildeten die Laskar Jihad, die sich als Kriegspartei auf den Molukken zweifelhaften Ruhm erworben hatten. Sie versuchten kurzzeitig auch in Aceh Fuß zu fassen, wurden aber von der ansässigen Bevölkerung regelrecht verjagt. „Wir sind fest im Glauben an Allah, wir benötigen keine Nachhilfe von außen – am allerwenigsten aus Java,“ lautete die unmissverständliche Botschaft.

Die Flutkatastrophe und die daraus bedingte Präsenz tausender US-Soldaten – die Lieblingsfeinde der radikalen Muslime- war für verschiedene islamistische Gruppierungen Anlass einen neuen Anlauf in Aceh zu versuchen. Sowohl FPI, die sich vor allem durch Razzien und Schutzgelderpressung in Lokalen und Nachtclubs in Jakarta einen Namen gemacht haben, als auch MMI, die in Verdacht stehen, mit Al-Qaida in Verbindung zu stehen und für die Bombenattentate in Bali und Jakarta verantwortlich zu sein, entsandten Kräfte nach Aceh. Ein Teil von ihnen soll mit Transportmaschinen des Militärs eingeflogen worden sein.

Die GAM-Führung in Schweden reagierte umgehend mit einer geharnischten Erklärung: „…die Schläger der sogenannten Front zur Verteidigung des Islam (FPI) und der terroristische Rat der Indonesischen Mujahidin (MMI) … sind in Aceh nicht willkommen. Sie wurden niemals vom Volk Acehs unterstützt, noch wurde um ihre Anwesenheit gebeten. Die FPI war involviert in konfessionsbedingten Morde auf den Molukken und in Zentralsulawesi sowie in illegalen Angriffen gegen Nicht-Muslime und andere auf Java und anderen Orten. … MMI, die Dachorganisation von Gruppen wie Laskar Jihad, Laskar Jundullah und FPI wurde 1999 gegründet und steht unter dem Vorsitz des Chefs der terroristischen Vereinigung Jema’ah Islamiyah, Abu Bakar Ba’asyir. Sie hat das explizite Ziel Indonesien in einen nicht-demokratischen fundamentalistisch-islamistischen Staat zu überführen. … Die Aktivitäten und Worte von FPI und MMI stehen in Widerspruch zu den Lehren des Heiligen Korans und der Hadith und widersprechen der Toleranz und dem Glauben der Muslime in Aceh.“

Vielleicht noch bedeutender in punkto Sicherheit der ausländischen Helfer ist die realitätsferne Hoffnung der GAM und ihrer Sympathisanten auf die Rolle des Auslands. Angespornt vom letztlich erfolgreichen Unabhängigkeitskampf der Osttimoresen hegen sie in Aceh die Hoffnung auf eine ähnliche Entwicklung, einschließlich Referendum, UN-Präsenz und Intervention ausländischer Truppen. Glaubensbrüder auf Java reagierten mit völligem Unverständnis darauf, dass die „radikalislamische“ GAM auf Demonstrationen neben der eigenen Flagge auch die Flaggen der UN und der USA mit sich führte. Zumindest letztere diente den Islamisten auf Java in erster Linie als Brennmaterial.

Folgerichtig begrüßt die GAM die Anwesenheit tausender Helfer aus dem Ausland, einschließlich der Militärs, die nach der Flutkatastrophe anreisten. Eine Presseerklärung der GAM trug den Titel „Thank You World“. Es wäre widersinnig, wenn die GAM nun Angriffe auf Ausländer starten sollte.

Das Misstrauen der TNI gegenüber den Hilfsorganisationen und die daraus resultierenden Reglementierungen ist nur durch die Sorge über deren schwindenden Einfluss zu erklären. Fremdenfeindliche Äußerungen eines Sprechers der FPI kommen da gerade recht: „Sie (gem. die Ausländer) kommen hierher und wollen eine Diskothek eröffnen, Das ist ihre Art. Sie wollen eine Bar eröffnen, trinken oder nach Frauen Umschau halten usw. Das wäre ein Problem, denn das ist hier verboten,“ erklärte Almascaty von der FPI. Die Einwohner Acehs selbst zeigen sich dagegen pragmatisch und haben keine Probleme mit der vom Ausland gelieferten Hilfe. Wahrscheinlich sind sie sich auch darüber bewusst, dass Banda Aceh schon seit längerem eine der höchsten Dichten an Bordellen in ganz Indonesien vorzuweisen hatte – Dank der Anwesenheit der TNI.

Das indonesische Militär und Radikalislamisten sprechen dieselbe Sprache. Auf die Anwesenheit australischer Militärs gemünzt meinte FPI-Sprecher Habib Rizieq Shihab: „Wir müssen wachsam sein. Wir wollen kein zweites Osttimor.“ / The Australian, 11.1.05/. Canberra verfolge unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe das Ziel, die Souveränität Indonesiens zu unterminieren. „Sie sollten nicht das islamische Scharia-Recht in Aceh verderben. Wir wissen, dass diese fremden Soldaten gerne Prostituierte mitbringen. Und sie trinken auch gerne Alkohol, was in Aceh streng verboten ist.“

Konsequenz der Beschränkung ist, dass viele Bedürftige außerhalb Banda Acehs und Meulabohs nicht versorgt werden können, während sich in den Verteilungszentren die Hilfsgüter stapeln. Indonesische Organisationen vermelden massive Eingriffe des Militärs, Bedrohungen und tätliche Übergriffe auf freiwillige Helfer. Das Militär versuche derzeit, sämtliche von den Hilfsorganisationen eingerichteten Stationen unter seine Kontrolle zu bringen. Ein Freiwilliger sei gestern ohne erkennbaren Grund vor der Fernsehstation in Banda Aceh von einem Militärangehörigen so heftig ins Gesicht geschlagen worden, dass seine Wunde genäht werden musste.

Geld – und Sachleistungen von Millionen Spendern alleine aus Deutschland erreichen nicht ihr Ziel, weil das indonesische Militär es verbietet. Organisationen wie das Technische Hilfswerk (THW), denen eine hervorragende Arbeit attestiert wird, beklagen sich über erhebliche „bürokratische Behinderungen“, wie kürzlich in den Tagesthemen der ARD berichtet wurde. Viele Hilfsorganisationen – allen voran das Rote Kreuz – sind der Neutralität verpflichtet und können die Dinge nicht ohne weiteres beim Namen nennen. Den politisch Verantwortlichen sollte aber klar sein, dass unter Bürokratie in Aceh, das Militär zu verstehen ist.

Die große Betroffenheit über das Ausmaß der Katastrophe und die Millionen von alleine in Deutschland geleisteten Spenden verpflichten die Bundesregierung dazu, gegenüber Indonesien deutlich zu machen, dass diese Hilfsleistungen für ALLE Einwohner Acehs getätigt wurden.

Der Versuch der indonesischen Streitkräfte, ihre Koordinationsfunktion zur Kontrolle und Lenkung der geleisteten Hilfen zu missbrauchen, ist menschenverachtend und muss auf das Schärfste zurückgewiesen werden.


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