Agrokraftstoffe: Vom Wundermittel zum Desaster
ASTM – Action Solidarité Tiers Monde, 21. August 2007
http://www.astm.lu/article.php3
?id_article=1414&astm_lang=frMenschenrechtsverletzungen, Umweltschäden, wirtschaftliche Nullnummer : der Stern der Agrokraftstoffe sinkt
Von Birgit Engel
259 Kilogramm Weizen braucht ein Mensch, um sich ein Jahr lang zu ernähren – dieselbe Menge, die gebraucht wird, um eine Tankfüllung Ethanol von 100 Litern herzustellen. Ähnlich wie bei den CDM-Projekten, ist die Problematik der Agrokraftstoffe für den Endverbraucher in Europa unsichtbar: Was hier nach umweltverträglicher Energiegewinnung durch Pflanzenölkraftwerke aussieht, führt am anderen Ende der Welt zu Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen, die die bekannten Szenen aus der erdölfördernden Industrie – was ihr Ausmaß betrifft – noch in den Schatten stellen.
Die Herstellung pflanzlicher Kraftstoffe hat in den letzten Jahren zu sehr kontroversen Diskussionen geführt: Zunächst als Königsweg zur ökologischen und nachhaltigen Energieerzeugung hochgelobt, hat sich sehr bald herausgestellt, dass die klimaschädigende Wirkung hier viel höher werden würde als bei den fossilen Brennstoffen. Die Liste der belegten ökologischen und sozialen Konsequenzen von Agrokraftstoffen in den Produktionsländern liest sich wie das Drehbuch eines Films à la «Darwin`s Nightmare»: Die Produktion von Agrokraftstoffen der ersten Generation trägt zur Degradation der Böden und zur Regenwaldabholzung bei, beschleunigt den Abbau der biologischen Vielfalt und seltener Ressourcen, verstärkt die Armut, verschlechtert die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln, verursacht durch verstärkten Pestizideinsatz wie z.B. Paraquat, Vergiftungen bei Plantagenarbeitern, ist verantwortlich für höhere Treibhausgasemissionen und ist zudem keine «kosteneffiziente Option zur Bekämpfung von Kohlendioxidemissionen, selbst wenn effektiv eine Einspaarung erzielt würde».
Zur näheren Erläuterung dieser Konsequenzen sei auf die Studie «Nahrungsmittel als Kraftstoffe?» der EPEA Internationale Umweltforschung GmbH sowie auf die Stellungnahme «Biotreibstoffe für Europa: Klimaschutz auf Kosten Indigener Völker?» der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien verwiesen.
Doch gleichgültig, ob man nun die Position einer Umwelt- und Menschenrechtsorganisation oder die der Wirtschaft einnehmen würde: Mit Agrokraftstoffen kann der gegenwärtige Bedarf im Transport nicht annähernd gedeckt werden. Dabei geht es bei weitem nicht nur um die Reduzierung des privaten Konsums, wie es in der öffentlichen Diskussion gerne propagiert wird. So verbrauchen beispielsweise das Pentagon und die US-Streitkräfte soviel CO2 wie ganz Schweden. Gleichzeitig kann man sich die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll sei, dass die hochsubventionierten Landwirtschaften der EU und der USA Agrotreibstoffe anbauten, anstatt ihre Überproduktion von Nahrungsmitteln zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt zu werfen und damit die Agrarstruktur in Ländern des Südens zu zerstören. Im folgenden werden am Beispiel von Palmöl die Verflechtungen zwischen Produktion und Konsum, die Frage der Treibhausgasemissionen, aktuelle politische Rahmenbedingungen sowie die Problematik einer Zertifizierung erläutert.
Agrokraftstoffe der ersten Generation werden aus nahrungsmittelliefernden Kulturpflanzen hergestellt, hierzu gehören Biodiesel und Bioethanol; vor allem Palm- und Rapsöl werden durch Umesterung in Biodiesel umgewandelt, Bioethanol dagegen entsteht durch die Vergärung von Zucker (aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr) oder Stärke (aus Mais oder Weizen).
Zu Agrokraftstoffen der zweiten Generation gehören beispielsweise aus Zellulose gewonnenes Bioethanol und synthetische Kraftstoffe aus fester Biomasse. Bei der relativ aufwändigen Herstellung werden die kompletten Pflanzen bzw. pflanzliche Abfälle verwendet. Die Forschungen hierzu befinden sich teilweise noch im Entwicklungsstadium. Die zweite Generation erzeugt Kraftstoffe mit hohem Energiegehalt, was den Verbrennungsprozess optimiert und Verbrauch und Schadstoffausstoß niedrig hält. Stroh, Chinaschilf, Kompost: So könnten die in Europa verfügbaren Rohstoffe für BtL (Biomass-to-Liquid) aussehen – was sich zunächst wie eine gute Alternative anhört, relativiert sich mit dem Energieaufwand sehr schnell wieder. Die Herstellung von BtL verbraucht doppelt soviel Energie wie die von fossilem Diesel, wobei ein Wirkungsgrad von maximal 60% erreicht werden kann. Hinzu kommen lange Transportwege der voluminösen Rohstoffe auf der Basis konventioneller Energie und aufgrund der begehrten Energiepflanzenmärkte auch ein immer stärker werdender Konkurrenzdruck. Zudem könnte sich der Anteil gentechnisch veränderter Pflanzen durch die Förderung nachwachsender Rohstoffe erhöhen, da die Vorbehalte gegenüber Energiepflanzen sicherlich nideriger sind als bei Lebensmitteln.
Quellen :
*EPEA Internationale Umweltforschung GmbH: Nahrungsmittel als Kraftstoffe? Eine wissenschaftliche Bewertung von ökologischen und sozialen Auswirkungen von Biokraftstoffen der ersten Generation – Abschlussbericht, Hamburg Mai 2007
*Stefan Lieb (November 2006): Kraftstoff aus Biomüll – Stroh in den Tank, in: mobilogisch!, Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung
Palmöl ist die Nummer eins
Die zahlreichen Anwendungsbereiche in der Nahrungsmittelproduktion und der Industrie haben Palmöl vor Sojabohnenöl in der Pflanzenölproduktion zum weltweit führenden Agrokraftstoff gemacht. Wer bringt schon Produkte wie Margarine, Kosmetika oder Waschmittel mit Palmöl respektive Umweltschädigungen und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in Verbindung? Grund für den Boom sind jedoch nicht die Lebensmittel, sondern der hohe Öl- und damit Energieertrag der Ölpalme pro Fläche, der Palmöl in der Diskussion um nachwachsende Energiequellen zu einer «Goldquelle» für Investoren machte. Ölpalmen erzielen fünffach höhere Erträge als andere Ölpflanzen, da sie ganzjährig geernet werden können und somit im Vergleich zu anderen Monokulturen mit weniger Anbaufläche auskommen. In Indonesien ist die Fläche für Palmölplantagen zwischen 1985 und 2005 um 845% gestiegen. Dreifache Gewinnmöglichkeiten – die Abholzung von Edelhölzern, Holzlieferungen an die indonesische Papierindustrie und die Anpflanzung von Ölpalmen versprachen ein lukratives Geschäft. Trotz massiver Proteste von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, jedoch weitestgehend ignoriert von der internationalen Öffentlichkeit boten Produkte wie Palmöl oder Zuckerrohr neben dem wirtschaftlichen Gewinn bisher unter dem Decknamen einer ökologisch und sozialverträglichen Alternative für fossile Energieträger der Politik auch die vielversprechende Möglichkeit, den Anteil von Agrokraftstoffen im Transportsektor in der Europäischen Union im Rahmen der Maßnahmen zur CO2-Reduzierung im Vergleich zu konventionellen Kraftstoffen bis zum Jahr 2010 auf mindestens 10% zu erhöhen .
Übersicht EU-Politik zu Agrotreibstoffen:
2003 veröffentlichte die Europäische Kommission die erste Direktive zu Agrotreibstoffen mit der Zielvorgabe, den Anteil an Agrokraftstoffen im Transport auf 2% bis 2005 und 5,75% bis 2010 zu erhöhen. Im Dezember 2005 folgte ein «Biomasse Aktionsplan», nachdem die in 2003 festgelegten Ziele nicht erreicht wurden. Die «EU-Strategie für Agrotreibstoffe» vom Februar 2006 definierte sieben Schlüsselbereiche und Maßnahmen zur Förderung der Produktion und des Gebrauchs von Agrotreibstoffen durch die Kommission und die Mitgliedsstaaten. Am 20. Februar 2007 hat der Europäische Rat der Umweltminister das Ziel vereinbart, für die EU bis 2020 die gesamten CO2-Emissionen um mindestens 20% gegenüber 1990 zu senken und sich gleichzeitig eine Zielvorgabe von 20% an Erneuerbaren Energien zu setzen, davon 10% als Mindestgrenze für den Transport. Gleichzeitig versucht die EU, im Rahmen der Diskussion über Kriterien einer nachhaltigen Zertifizierung den Begriff der Nachhaltigkeit vollständig aus den Beschlüssen zu streichen und Agrokraftstoffe künftig in «gute» und «schlechte» zu unterscheiden. Die beiden einzigen Kriterien, die dabei noch im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit stehen, sind die Treibhausgasbilanz und die Auswirkungen auf die Biodiversität in den betreffenden Regionen – soziale Aspekte, Nahrungsmittelsouveränität und -sicherheit, Landkonflikte, Wasser und Böden etc. werden vollständig ausgeklammert. Künftige finanzielle Hilfen der EU wären nach diesen Plänen ab 1% CO2-Ersparnis denkbar.
Einsatz von Palmöl in der EU
Palmöl ist zwar aufgrund seines hohen Schmelzpunktes in Europa noch nicht als Kraftstoff für Dieselautos zugelassen, wird aber zur Stromerzeugung in Kraftwerken eingesetzt – 2005 immerhin mit bereits 1,5 Millionen Tonnen europaweit. Details wie die Tatsache, dass das Palmöl über rund 10.000 Kilometer transportiert und dabei konstant auf 34°C gehalten werden muss, bevor es in (Heiz-)Kraftwerken «umweltfreundlich» verbrannt wird, werden gar nicht erst erwähnt.
Dass es dabei auch um Stromerzeugung direkt vor unserer Haustür geht, zeigt das Beispiel des von Renergie geplanten Biomasse-Kraftwerks im Dillinger Hafen im Saarland. Noch bezieht das Saarland den größten Teil seiner Energie aus der heimischen Steinkohle, Strom, den auch Luxemburg importiert . Im Zuge des Abbaus der saarländischen Kohleindustrie und der Umorientierung zu den Schwerpunkten Informatikdienstleistungen und Tourismus, die sich mit «sauberer», Energie sehr viel besser vermarkten lassen als mit industriellen Altlasten, stellt sich die Frage, ob das neue Biomassekraftwerk in Dillingen künftig auch Strom nach Luxemburg liefern wird. Die derzeit einzige Möglichkeit, den Bau dieses Kraftwerks noch zu stoppen, liegt in einer vom saarländischen Umweltministerium beantragten Änderung des «Erneuerbare-Energien-Gesetzes» auf Bundesebene, nach der schärfere Umweltstandards gefordert werden und nur noch Palmöl aus nachhaltigem Anbau importiert werden darf. Aufgrund steigender Rohstoffpreise könnte damit der Betrieb eines Pflanzenölkraftwerks für die Betreibergesellschaft unrentabel werden. Genau über dieses Erneuerbare-Energien-Gesetz tragen z.B. deutsche Verbraucher einen Teil der Verantwortung für die Zustände in der Palmölgewinnung: Über den EEG-Anteil des Strompreises zahlen alle – ob Normal- oder Ökostromverbraucher – für die Umweltzerstörung mit.
Doch was würde eine Zertifizierung für «nachhaltigen Anbau» bedeuten ? Label wie der «Golden Standard» für nachhaltige CDM-Projekte oder der «FSC» für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung haben in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass diese in erster Linie ein Grundgerüst mit vielen Schwachstellen und Angriffspunkten für Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen, gleichzeitig aber einen Freifahrtschein für die Wirtschaft unter dem positiven Image nachhaltigen Anbaus darstellen. Zertifizierungen sind aus Sicht der Aktion 3. Welt Saar in einer Stellungnahme gegen das geplante Palmölkraftwerk aus mehrfachen Gründen nicht zu vertreten: (a) Zertifizierungsprogramme funktionieren nur gut in Ländern mit einem gesicherten Rechtssystem und einem geringen Korruptionsgrad ; Bedingungen zur Überwachung und Durchführung fehlen meist (b) Das Zertifikat impliziert nicht Faktoren wie die Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion oder anderer Bodenschätze (c) Der Kahlschlag des Regenwaldes geht sehr viel schneller voran, als Zertifizierungen durchgeführt werden können, v.a. gibt es bisher keine Verfahrensvoraussetzungen zur Einbindung indigener Völker in Landrechtefragen.
Die CO2-Freisetzung steigt
Die rund 35 Mio. Tonnen Palmöl, die laut USDA 2005/2006 produziert wurden, verteilten sich zu 80% auf Malaysia, Indonesien und Nigeria, wobei die Erträge in Südostasien bei gleicher Anbaufläche um das Siebenfache höher sind. Kolumbien hat sich in den letzten Jahren an vierte Stelle «hochgearbeitet» und ist in der Palmölproduktion führend in Lateinamerika. Menschenrechtler von Watch Indonesia konstatieren neben der ökologisch verheerenden Vernichtung des Regenwaldes auch eine massive Stadtflucht mit der Folgen zusätzlicher Slumbildungen. Und eines der Hauptziele der Agrokraftstoffe, die Einsparung von CO2 zur Minderung des Treibhauseffektes, wird durch den bei der Abholzung und Brandrodung aus Bäumen und oberen Bodenschichten freigesetzten Kohlenstoff zum Bumerang, wie Abbildung 1 zeigt. Die durch die Produktion von Agrokraftstoffen freigesetzten CO2-Mengen übersteigen langfristig den eingesparten Mineralöl-Kohlenstoffanteil im Verkehr um das Vierfache (Szenarien G + H).
Quelle: EPEA Internationale Umweltforschung GmbH, Hamburg 2007
Die erste Biodiesellieferung von malayischen Palmölplantagen nach Deutschland erfolgte im August 2006 : 60.000 t, gewonnen auf einer Anbaufläche von 12.000 ha, deren Schaffung 10 Mio. t Kohlendioxid produziert hat. Rechnet man die rund 20% Emissionen ab, die in der neugepflanzten Biomasse der Ölpalmen wieder gebunden werden, dauert es inklusive des Energiesaufwandes für die Palmölproduktion und -ernte sowie die Umwandlung in Biodiesel 74 Jahre, bis die Emissionen aus der Flächenkonvertierung neutralisiert sind. Um diesen Wert zu erreichen, müsste die Palmölplantage während dieser 74 Jahre konstant genutzt werden – von CO2-Senken kann also keine Rede sein.
Warten auf die Zertifizierung
Das deutsch-holländische Energie-Unternehmen Renergie lockt seine potentiellen Kunden schon jetzt mit dem Versprechen, in dem laut Planung bis Ende 2008 fertig gestellten Kraftwerk in Dillingen auschlieslich zertifiziertes Palmöl benutzen zu wollen, Palmöl, das vom «Round Table on Sustainable Palm Oil» zertifiziert wurde. Kleines Manko: Diese Zertifikate existieren noch nicht und stehen erst wieder für November 2007 auf der Tagesordnung des nächsten Rundtischgesprächs in Kuala Lumpur.
Der Runde Tisch über nachhaltiges Palmöl (Roundtable on Sustainable Palm Oil, RSPO) ist eine Non-Profit-Organisation, dessen Vorstand unterschiedlichste Mitgliedsorganisationen wie die malaysischen und indonesischen Palmölverbände, Unilever, Cadbury Schweppes, den WWF und The Body Shop vereint. Zu den Zielen des im April 2004 gegründeten RSPO gehört in erster Linie die Förderung des Anbaus und die Verwendung von nachhaltigem Palmöl durch Kooperation und offenem Dialog. Zu diesem Zweck hat der RSPO eine Liste von Kriterien für den nachhaltigen Anbau von Palmöl herausgegeben, die beispielsweise die Identifizierung des Umwelteinflusses aller Arbeitsschritte und Erhaltung von natürlichen Ressourcen und der Biodiversität umfasst. Gleichzeitig verpflichtet sich der RSPO unter anderem dazu, «best practice»-Projekte durchzuführen, sie zu evaluieren und zu verbessern, eine angemessene Aufklärungsarbeit zu leisten sowie private und öffentliche Sponsoren für weitere Aktivitäten zu finden. Die Liste der Mitglieder ist mit Organisationen der gesamten Handelskette breit gefächert : Ölpalmenpflanzer, Banken und Investoren, verarbeitende Industrie, Nahrungsmittel- und Konsumgüterhersteller, Verteiler sowie Umwelt- und soziale Nichtregierungsorganisationen.
Quellen:
– http://www.paraquat.com,
– http://www.rspo.org
– http://www.wikipedia.deDie Zusammensetzung und die Vorgehensweise des RSPO ist vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Interessen gegenüber nachhaltigen und sozialverträglichen Anbaumethoden bei vielen NGOs wie dem Verein «Rettet den Regenwald» umstritten. Ebenso ist die finanzielle Förderung durch private Wirtschaftsunternehmen sowie deren aktive Beteiligung am Vorstand des RSPO äußerst fragwürdig. Unter den Mitgliedern finden sich beispielsweise Unternehmen wie Royal Dutch Shell plc, die in der Vergangenheit in der Erdölförderung in Nigeria vor allem wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen im Gebiet der indigenen Gemeinschaft der Ogoni im Niger-Delta in den Medien waren. Der RSPO bietet hier ein sauberes Image, das man sich für einen Jahresmitgliederbeitrag von 2000,- Euro und die Unterzeichnung eines «code of conduct» erkaufen kann. Bei nachweislichen Verstössen gegen diesen Verhaltenskodex ist ein (langwieriges) Ausschlussverfahren die einzige Konsequenz.
Die zweite Generation von Agrotreibstoffen wartet schon
Den großen Automobilherstellern und den Mineralölkonzernen läuft die Zeit davon – im August 2006 wurde von den im Verband «econsense» organisierten Firmen, u.a. Shell und VW, ein Zertifizierungsverfahren für Agrokraftstoffe gefordert, mit dem eine Art Nachhaltigkeitsindex als Grundlage der Besteuerung etabliert werden soll. Zum gleichen Zeitpunkt war allerdings schon klar, dass in einem solchen Zertifizierungsverfahren die Agrokraftstoffe der ersten Generation bereits auf dem Abstellgleis stehen, nicht nur aufgrund der von der deutschen Bundesregierung zugesagten «besonderen Förderung» der zweiten Generation. Der Wirtschaft geht es hier um Subventionen und Planungssicherheit. Die zweite Generation, in der aus Biomasse reiner Kraftstoff synthetisiert wird, hier in erster Linie BtL und GtL (Biomass-to-Liquid bzw. Gas-to-Liquid), verspricht bessere Ökobilanzen als beispielsweise Raps, dessen Dieselkraftstoff hohen Qualitätsschwankungen unterliegt.. Doch trotz dieser in Europa bereits begonnenen Orientierung zur «zweiten Generation», ist die Produktion von Agrokraftstoffen wie Palmöl weltweit ungebremst.
Fehleinschätzung Jatropha
Jatropha als einer der Rohstoffe für Agrokraftstoffe der zweiten Generation ist eine der wenigen öl- und stärkehaltigen Pflanzen, die für die Ernährung wegen ihrer giftigen Samenkerne nicht geeignet ist, somit also keine Nahrungskonkurrenz darstellt und zudem den Boden vor Erosion schützt. Die geringen Anforderungen an Böden und Nährstoffe sowie die einfache Kultivierung haben sie in den letzen Jahren zu der neuen Wunderpflanze gemacht, die armen Bauern eine neue Einkommensquelle sichern und dabei ganz nebenbei die Energieprobleme der Welt auf nachhaltige Weise lösen soll.
Sicher gibt es funktionierende Projekte wie die Stromversorgung ganzer Dörfer in abgelegenen Regionen von Ghana, Mali, Indonesien und Tansania, die mittels der Verbrennung von Jatrophaöl aus der Region realisiert wurden, doch ist auch völlig klar, wie die weitere Entwicklung hier aussehen wird: Die geringen Ansprüche, die Jatropha an Boden und Nährstoffe stellt, beziehen eine Trockenesistenz mit ein. Fakt ist jedoch, dass in Feldversuchen in Indien der durchschnittliche Ertrag nach fünf Jahren bei 1,1 – 2,75 Tonnen pro Hektar liegt, mit entsprechender Bewässerung jedoch zwischen 5,25 – 12,5 Tonnen pro Hektar, womit Jatropha sehr bald mit Nahrungsmitteln um bewässerte, ertragreiche Böden konkurrieren wird. Durch seine schnelle und kompromisslose Ausbreitung trägt Jatropha zudem zu einem beschleunigten Abbau biologischer Vielfalt bei. Grundsätzlich ist korrekt, dass kleine Bauernbetriebe von der Jatropha-Kultivierung profitieren könnten – würden sie nicht von multinationalen Firmen von ihrem Land vertrieben. In Indien beabsichtigt die Regierung, bis zum Jahr 2012 bis zu 50 Mio. Hektar «Ödland» in Jatropha-Plantagen umzuwandeln. Als Ödland werden hier allerdings auch Waldgebiete und Gemeinschaftsländereien indigener Völker, Hirten und Bauern bezeichnet, deren Lebensgrundlage von diesen Ländereien abhängt.
D1 Oils, der weltweit führende Hersteller von Biodiesel auf Jatropha-Basis, arbeitet derzeit an der Entwicklung ertragreicher Jatropha-Varietäten. Einer der weltweit führenden Jatropha-Forscher, Dr. Sunil Puri von der Indira Gandhi Agricultural University in Raipur, sorgte 2005 mit seinem Wechsel zu D1 Oils und der illegalen Weitergabe von 18 neuen Jatropha-Varietäten an die Firma für einen enormen Wettbewerbsvorteil und dem noch schnelleren Ausverkauf der betroffenen Ländereien.
Lösungen nur vor Ort sinnvoll
Die Studie «Sustainable Bioenergy: A Framework for Decision Makers» der Vereinten Nationen kommt zu dem Ergebnis, dass es in den meisten Fällen sinnvoller ist, Biomasse vor Ort zur Erzeugung von Gas, Wärme und Elektrizität zu nutzen als Treibstoffe für den Verkehr zu erzeugen. Dies sei laut Gustavo Best, Vizepräsident von UN-Energy, zudem auch die kostengünstigste Lösung.
Neben der Reduktion des globalen Energieverbrauchs kann ein sinnvoller Einsatz von Agrotreibstoffen nur in der Verbindung von:
– effizienteren Motoren,
– einer Zertifizierung der gesamtwirtschaftlichen Fläche eines Landes inklusive unabhängiger Kontrollinstanzen,
– einer Auswahl geeigneter Anbaumethoden zur Erhöhung respektive der Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit zur Steigerung der Kohlenstoffbindung,
– einer Förderung von Agrotreibstoffen mit Vorrang der Energie- und CO2-Effizienz
– und dem Aufbau von Genossenschaften zur Förderung kleinbäuerlicher Produktionals Mindestanforderungen funktionieren.
Als Alternative zu Erdöl werden derzeit in den USA der Abbau von Ölschiefer und die Verflüssigung von Kohle schon massiv gefördert – gravierender noch als bei den Agrokraftstoffen besteht hier nicht einmal annähernd die Möglichkeit, klimafreundliche CO2-Werte zu erhalten. Und solange George W. Bush seine verbleibende Amtszeit dazu nutzt, auf der Suche nach Energieautonomie für die USA eine Ethanolallianz mit Brasilien aufzubauen, die mit der Verarbeitung von Mais und Zuckerrohr 70% des Weltmarktes ausmacht , sind die zögerlichen Versuche der Europäischen Union, zu einer Einigung bezüglich «guter» und «schlechter» Agrotreibstoffe zu kommen, ein hoffnungsloses Unterfangen.
Literatur und Weblinks:
– http://www.sr-online.de/nachrichten/740/654188.html
– http://www.sr-online.de/nachrichten/740/661575.html
– http://www.epea.com/documents/Biokraftstoffe%20ZUSAMMENFASSUNG%20-%20Deutsch.pdf
– http://www.askonline.ch/themen/dokumenten/Workshop%20Biotreibstoffe_%20Position%20ask_.pdf
– http://www.rspo.org
– http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/en/envir/92864.pdf
– http://www.germanwatch.org
– http://www.carmen-ev.de
– http://www.globalforestcoalition.org
– http://www.hrev.org
– http://www.a3wsaar.de
– http://www.regenwald.org
– http://www.carbontradewatch.org
– http://www.paraquat.com
– http://www.biofuelwatch.org
– http://www.globaljusticeecology.org
– http://www.grain.org
– http://www.wrm.org.uy
– http://www.corporateeurope.org
– http://www.paraquat.com
– http://www.heise.de/bin/tp/issue/r4/dl-artikel2.cgi ?artikelnr=25675&mode=print– Working Paper «The push for `sustainable `agrofuels (June 2007): Carbon Trade Watch, Transnational Institute/ Corporate Europe Observatory/ Grupo de Reflexión Rural
– Stefan Lieb (November 2006: Kraftstoff aus Biomüll – Stroh in den Tank, in: mobilogisch!, Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung
– natur+kosmos 08/2007
– Gobal Forest Coalition/ Global Justice Ecology ProjectFrom meals to wheels: The social and ecological catastrophe of agrofuels
– WWF European Policy Office: WWF Position on Biofuels in the EU – 6/2007, Brüssel
– Erklärung von Bern (Hrsg.): Fair future! Die Beilage zur «erklärung» – 1/2006, Zürich
– Agrofuels – towards a reality check in nine key areas (June 2007), publishd by Biofuelwatch, Corporate Europe Observatory, Ecologistas en Accion, Econexus, Ecoropa, Grupo de Reflexion Rural, Munlochy Vigil, NOAH (Friends of the Earth Denmark), Rettet den Regenwald, Carbon Trade Watch/ TNI, Watch Indonesia
– Human Rights Everywhere/ Coordination belge pour la Colombie (Hrsg.) : The flow of palm oil Colombia-Belgium/ Europe – A study from a human rights perspective – 2006
– UN-Energy (May 2007): Sustainable Bioenergy – A Framework for Decision Makers
– Seedling: Agrofuels special issue (July 2007), Barcelona
– Informationsstelle Lateinamerika e.V. (ila, April 2007): Agrotreibstoffe, Bonn