Ein Nobelpreis macht noch keinen Frieden. Eine Kurskorrektur der indonesischen Politik in Osttimor ist nicht erkennbar

Frankfurter Rundschau, 16. Dezember 1997

Eine Bilanz von Johannes Brandstäter und Monika Schlicher

frankfurter_rundschauAm 7. Dezember 1975 ist Indonesien in Osttimor einmarschiert – vor einem Jahr erhielten der Bischof von Osttimor, Carlos Filipe Ximenes Belo und der Politiker José Ramos-Horta den Friedensnobelpreis. Der Medienrummel ist vorbei, geändert hat sich wenig, wie Johannes Brandstäter vom Diakonischen Werk der EKD und Monika Schlicher, Mitarbeiterin bei Watch Indonesia, in ihrer Bilanz feststellen. Um die Menschen in Osttimor zu unterstützen, rufen das Katholische Missionswerk missio, die Missionszentrale der Franziskaner und Gruppen der Indonesien-AG auf, Postkarten zu Weihnachten an Bischof Belo zu schreiben. Die Aktion richtet sich auch gegen deutsche Waffenlieferungen nach Indonesien. Die Postkarten sind nebst Begleitmaterial zu beziehen über: Watch Indonesia!, Haus der Demokratie, Friedrichstraße 165, 10117 Berlin, Tel./Fax: 030/2044409. (alte Adresse, neu: Planufer 92d, 10967 Berlin, 030/69817938)

Als die Nachricht vom Nobelpreis vor einem Jahr in Osttimor eintraf, waren die Menschen außer sich vor Freude und gingen spontan auf die Straßen. Vergessen war die Angst vor den indonesischen Sicherheitskräften. Die Osttimoresen schöpften aus dem gänzlich unerwarteten Ereignis neue Hoffnung und neues Selbstvertrauen. All die Jahre hatten sie sich von der übrigen Welt vergessen gefühlt, jetzt hingegen würde der internationale Druck auf die indonesische Regierung eine Lösung des blutigen Konfliktes herbeiführen und ihr Leiden endlich ein Ende haben.

Als Bischof Belo am 24. Dezember 1996 von seiner Reise zu den Feierlichkeiten zum Friedensnobelpreis aus Europa wieder nach Osttimor zurückkam, säumten Hunderttausende die Straßen in der Hauptstadt Dili. Von überall her strömten sie herbei und bereiteten ihm einen begeisterten Empfang. Nie zuvor hatte es auf der Insel eine Kundgebung in dieser Größenordnung gegeben. Die Militärs wagten nicht, die Menschenmenge aufzulösen.

„Wir sind noch im Dunkeln, doch in der Zukunft sehe ich Licht“, brachte der Bischof die Stimmung auf der besetzten Insel auf den Punkt. „Sie (die indonesische Regierung) hat sehr ärgerlich auf die Meldung reagiert, aber ich denke, nach und nach werden sie eine Änderung ihrer Einstellung und Politik in Erwägung ziehen und den Kontakt und den Dialog mit den Osttimoresen suchen, um den Konflikt zu lösen.“

Mit der Vergabe des Friedensnobelpreises 1996 an Bischof Belo und an den Diplomaten José Ramos-Horta hat das Preiskomitee die Aufmerksamkeit der Welt auf einen fast vergessenen Konflikt gelenkt. Beide Preisträger bemühen sich seit vielen Jahren um eine friedliche Lösung des Osttimor-Konfliktes und setzen sich für die Wahrung der Menschenrechte ein.

Bischof Belo ist der Führer der katholischen Kirche Osttimors. Die Kirche ist in den letzten 22 Jahren zu einem Ort der Zuflucht für das unterdrückte Volk der Osttimoresen und das wichtigste ihrer wenigen Sprachrohre geworden. Sie konnte ihre Mitgliederzahl seit Beginn des Konfliktes von 20 bis 25 Prozent auf neunzig Prozent der Bevölkerung steigern. Auch die kleine protestantische Gemeinschaft von Christen gewinnt an Zulauf. Bischof Belo hat für seine Diözese eine Kommission Justitia et Pax einberufen, um einen Friedensprozeß zu fördern.

Ramos-Horta ist der Sprecher des Nationalen Widerstandsrats CNRM im Exil, dessen Führer Xanana Gusmão seit 1992 in einem Gefängnis der indonesischen Hauptstadt eine zwanzigjährige Haftstrafe wegen Führung einer Separatistenbewegung und illegalen Waffenbesitzes verbüßt. Der Diplomat Ramos-Horta hat einen Friedensplan für Osttimor vorgestellt. Der Plan sieht zunächst eine begrenzte Autonomie für das besetzte Gebiet vor. Schritt für Schritt sollen dann demokratische Strukturen eingeführt und das Gebiet entmilitarisiert werden. Zuletzt soll sich die Bevölkerung in einem Referendum über die Zukunft ihres Landes frei entscheiden können.

Das Nobelpreiskomitee ergriff in einem Konflikt um nationale Selbstbestimmung Partei. Es nahm zu einem Konflikt Stellung, dessen Lösung erst noch aussteht. Den Preisverleihungen an Mandela und De Klerk, an Sadat und Begin sowie Kissinger und Le Duc Tho waren substantielle Friedensvereinbarungen der Preisverleihung vorausgegangen. Im Osttimor-Konflikt waren dagegen noch nicht einmal ernsthafte Verhandlungen erkennbar. Das Preiskomitee wollte einmal nicht eine Belohnung für erfolgreich getane Arbeit geben, sondern wie bei den Preisverleihungen an den Dalai Lama, an Aung San Suu Kyi oder an Rigoberta Menchu das Weltgewissen aufrütteln und dazu beitragen, einen Konflikt aus einem seit Jahren festgefahrenen Zustand herauszuführen. Ein Jahr nach dem feierlichen Akt in Oslo am 10. Dezember 1996 lohnt es sich, eine erste Bilanz zu ziehen. Die Menschen in Osttimor wehren sich seit 22 Jahren gegen die gewaltsame Einverleibung ihres Landes durch Indonesien. Seit der Invasion am 7. Dez. 1975 sind wahrscheinlich mehr als 200.000 Osttimoresen – ein Drittel der Bevölkerung – an den Folgen des Krieges, durch Terror und Gewaltakte, an Hunger und Krankheit gestorben. Ein Völkermord, vergleichbar dem in Kambodscha unter Pol Pot und seinen Roten Khmer. Nach indonesischer Sichtweise ist die Dekolonisierung der ehemaligen portugiesischen Kolonie Osttimor mit der Integration in die Republik Indonesien als 27. Provinz abgeschlossen. Aus Sicht der Vereinten Nationen gilt der Prozeß der Dekolonisierung als unterbrochen, womit Indonesien das Gebiet völkerrechtswidrig besetzt hält. Die Vereinten Nationen haben die Annexion nie anerkannt, weil sie einen Verstoß gegen das Recht auf Selbstbestimmung darstellt. De jure ist noch immer Portugal die Verwaltungsmacht. Verschiedene Resolutionen des Sicherheitsrats fordern alle Staaten auf, die territoriale Unantastbarkeit Osttimors zu respektieren und sein unveräußerliches Recht auf Selbstbestimmung zu bekräftigen. Trotzdem fehlte es der internationalen Staatengemeinschaft bislang am politischen Willen, die indonesische Regierung zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes zu bewegen. Zwar versucht Indonesien der Welt vorzuspiegeln, die Osttimoresen hätten sich für die Integration entschieden und Normalität sei eingekehrt. Doch der Alltag ist anders: Es herrscht ein Klima der Unterdrückung. Menschen verschwinden, werden willkürlich verhaftet und gefoltert, weil sie sich wehren.

Die offene Auflehnung gegen eine Besatzungsmacht erfordert Mut. An ein Abflauen der Widerstandes ist nicht zu denken. Dominierte bis etwa Mitte der achtziger Jahre der bewaffnete Widerstand der Guerilla, so leisten heute vor allem junge Leute zivilen Widerstand. Traurige Berühmtheit erlangte die Demonstration am 12. November 1991 – die im Massaker vom Santa-Cruz-Friedhof endete. Das Militär schoß ohne Vorwarnung in einen friedlichen Demonstrationszug und tötete mehr als 270 Menschen. Von vielen anderen Teilnehmern fehlt bis heute jede Spur – verschwunden! Nur aufgrund der zufälligen Anwesenheit ausländischer Journalisten, denen es gelang, Filmaufnahmen von dem brutalen Vorgehen des Militärs zu machen und unter großen Schwierigkeiten außer Landes zu bringen, hat die Welt davon erfahren. Weltweit löste das Massaker Betroffenheit aus. Die indonesische Regierung konnte ihre menschenverachtende Politik gegenüber der Bevölkerung von Osttimor national wie international nicht länger verleugnen und vertuschen. Erstmals wagten sich damals auch indonesische Oppositionelle, dem Repressionsapparat zum Trotz, zusammen mit osttimoresischen Aktivisten in der Hauptstadt Jakarta auf die Straße und protestierten gegen die Politik der Regierung und gegen die Verbrechen, die von der Armee in Osttimor begangen werden. Dennoch ist Osttimor in Indonesien auch heute noch ein Tabuthema. Die Bevölkerung hatte von den gelenkten Medien lange Zeit nicht die Wahrheit erfahren. Erst durch das Satellitenfernsehen und die zaghaft entstehende Demokratiebewegung erhält langsam wenigstens eine begrenzte Öffentlichkeit von der Politik der Regierung in Osttimor Kenntnis. „Osttimor wurde lange von vielen als Problem der Regierung gesehen und nicht als ein Problem, das uns alle angeht. Das hat sich grundlegend geändert, seit die indonesische Bevölkerung mehr und mehr Informationen über Osttimor erhält“, betont die Studentenaktivistin Yeni Rosa Damayanti. Die Teilnahme an einer friedlichen Demonstration gegen die Menschenrechtsverletzungen der Suharto-Regierung brachte sie 1994 für zehn Monate ins Gefängnis. Seither ist viel an Aufklärungs- und Informationsarbeit geleistet worden. Der Friedensnobelpreis trägt das seine dazu bei. Für die indonesische Regierung war der Friedensnobelpreis ein herber Schlag ins Gesicht. Entsprechend ungehalten fielen ihre Reaktionen aus. Sie diffamierte Ramos-Horta als politischen Abenteurer und stellte das Urteilsvermögen des Preiskomitees in Zweifel. Der Gouverneur Osttimors schrieb gar einen Beschwerdebrief nach Oslo. Politiker und die gelenkten Medien kritisierten vehement Äußerungen Belos, die der Spiegel zitiert hatte. Bei der Preisverleihung in Oslo wurde deutlich, daß Bischof Belo unter Druck der indonesischen Regierung stand. Der Beantwortung politischer Fragen wich er aus und verwies auf José Ramos-Horta. Erstmals in der Geschichte der Auszeichnung gaben die Preisträger getrennte Pressekonferenzen. Das Nobelkomitee bestätigte, daß Indonesiens Regierung vor den Feierlichkeiten sehr aktiv gewesen sei. Der Botschafter Indonesiens in Norwegen blieb der Preisverleihung fern. Auch in Osttimor trat keine Veränderung ein, im Gegenteil. Bischof Belo beklagte im Sommer 1997, daß sich die Situation sogar noch verschlechtert hat. Die Armee stockte ihre Truppen um 6000 Mann auf und führte verstärkt Operationen durch. Die Meldungen über Verhaftungen rissen das ganze Jahr über nicht ab. Die Situation sei hochexplosiv, berichten die Menschen aus Osttimor. Die Spannungen nehmen massiv zu, alle haben große Angst, bei Razzien in der Nacht werden Leute willkürlich festgenommen und verschleppt. Viele junge Leute suchen Zuflucht im Hinterland und gehen in die Berge.

Am 14. November 1997 drang das Militär in die Universität von Dili ein und eröffnete das Feuer auf Studenten, zwei Tage, nachdem sich die Studenten dort zu einer friedlichen Gedenkfeier für die Toten des Santa-Cruz Massakers vom 12. November 1991 versammelt hatten. Nach unbestätigten Meldungen sollen zwei Studenten ihren Schußverletzungen erlegen sein. Bischof Belo beziffert die Zahl der Verletzten auf 14 bis 16 Studenten, die ins Militärhospital gebracht wurden. Bislang wurde ihnen der Kontakt zu einem Rechtsbeistand und zu humanitären Organisationen verwehrt, so daß großer Anlaß zur Sorge besteht. Bischof Belo wirft dem Militär vor, mit unkalkulierbarer Brutalität vorzugehen. Nach einem Jahr zeigt sich: ein Nobelpreis macht noch keinen Frieden. So heftig wie die indonesische Regierung die Preisverleihung mißbilligte, so sehr wurde sie in Portugal gefeiert. Die ehemalige Kolonialmacht hat sich, nachdem sie es in den ersten zehn Jahren der andauernden Tragödie Osttimors an politischer Initiative hatte mangeln lassen, im Zuge ihrer eigenen Demokratisierung zum Anwalt des osttimoresischen Volkes gewendet.

Auch der Vatikan nahm die Preisverleihung mit Befriedigung auf. Rom erkennt die Integration nicht an und wehrt sich seit Jahren gegen die Bemühungen der indonesischen Regierung, die Diözesen Osttimors der katholischen Bischofskonferenz Indonesiens anzugliedern. Die katholische Kirche Osttimors ist dem Vatikan direkt unterstellt.

Auch in Deutschland verschaffte der Friedensnobelpreis dem bis dahin unbekannten Land kurze Zeit Aufmerksamkeit, die selbst durch die vorangegangenen Medienberichte über das Massaker 1991 nicht erreicht worden war. Die Preisträger suchten den kurz aufflammenden Medienrummel um ihre Personen so gut es eben ging für die Sache ihres Volkes zu nutzen. In Deutschland wurde José Ramos-Horta unmittelbar nach der Preisverleihung von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und der sächsischen Landesregierung empfangen. Süssmuth versprach ihm, sich für eine stärkere Beachtung Osttimors durch den Bundestag einzusetzen. Der Preisträger warb in Bonn um mehr Engagement der deutschen Außenpolitik für sein Land.

Das Diakonische Werk der EKD in Stuttgart, das die Menschenrechtsarbeit Ramos-Hortas seit Jahren unterstützt, rief die Bundesregierung auf, die Vereinten Nationen zu drängen, Wege zur Konfliktlösung durch Verhandlungen stärker zu nutzen: dies sei völkerrechtlich legitim und keine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten. Der Vizepräsident des Diakonischen Werkes, Hans-Otto Hahn, wandte sich gegen den Export von deutschen Waffen nach Indonesien, da sie jede Diplomatie für den Frieden konterkariere. „Wenn wir die Waffenlieferungen fortsetzen, untergraben wir damit das Vertrauen der Osttimoresen und der demokratischen Opposition Indonesiens“, sagte er auf der Pressekonferenz mit Ramos-Horta in Stuttgart.

Bischof Belo wurde nach seiner Auszeichnung von Bundeskanzler Kohl empfangen. Kohl wies auf die Bedeutung einer friedlichen, gerechten und einvernehmlichen Lösung für Osttimor hin. Dies gelte insbesondere für die Einhaltung der Menschenrechte. Es wurde vereinbart, den Dialog fortzusetzen. Belo traf auch mit Außenminister Kinkel und dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Scharping, zusammen. In Aachen bereiteten das Bischöfliche Hilfswerk Misereor und das Internationale Katholische Missionswerk missio dem Bischof am 14. Dezember im Krönungssaal des Rathauses einen würdevollen Empfang. „Man kann keine humanitäre Hilfe leisten, ohne auch die politische Dimension mitzuberühren“, so (der inzwischen verstorbene) Prälat Herkenrath von Misereor. Misereor unterstützt in Osttimor Gesundheits- und Ausbildungseinrichtungen sowie Projekte im Bereich ländliche Entwicklung. „Doch all solche Entwicklungsmaßnahmen stoßen da an ihre Grenzen, wo die Menschen nicht frei sind, und deshalb ist es erste und vordringlichste Aufgabe, daß wir ihnen solidarisch zur Seite stehen in ihrem Bestreben nach Selbstbestimmung.“

Ein Jahr nach der Nobelpreisvergabe beklagt die Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia, daß die freundlichen Worte der Politiker bisher noch nicht erkennbar in stärkeres Engagement zur Lösung des Konfliktes umgesetzt wurden. Die Menschen in Osttimor bräuchten mehr als Glückwünsche zum Friedensnobelpreis. Die deutsche Außenpolitik sei von einer gebührenden Berücksichtigung Osttimors sogar weit entfernt, eine Änderung ihrer Indonesienpolitik nicht festzustellen. Ungeachtet der wachsenden Spannungen in Indonesien und der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Osttimor hält die Regierung an ihrer Rüstungsexportpolitik fest und trägt damit zur Unterstützung der indonesischen Regierungspolitik bei. Alle Aufforderungen auch der Friedensnobelpreisträger, die Rüstungsgeschäfte mit der Suharto-Regierung vorerst einzustellen, wurden bislang übergangen. In London sagte Bischof Belo vor einigen Monaten: „Als Bischof von Osttimor, dessen Bevölkerung schrecklich unter den Einwirkungen von Waffen leidet, die in fernen Ländern gefertigt werden, appelliere ich an Großbritannien und all seine Verbündeten, deren Fabriken eine Vielzahl an Waffen herstellen, die zum Einsatz auf dem Land, zur See und in der Luft verkauft werden, sich der furchtbaren Konsequenzen dieser sogenannten Verteidigungsindustrie bewußt zu sein. Ich bitte Sie inständig, schränken Sie die Bedingungen ein, unter denen der Handel mit solchen Waffen erlaubt ist.“ Die Bundesregierung genehmigt weiterhin Waffenlieferungen an Indonesien und setzt sich damit auch über zahlreiche Vereinbarungen der Westeuropäischen Union und des Europäischen Parlamentes hinweg. Danach sollen alle Mitgliedsstaaten ein unverzügliches Waffenembargo über Indonesien verhängen und militärische Abkommen aussetzen. Die Bundesregierung verweist auf den lediglich empfehlenden Charakter der Beschlüsse. Eigenen Angaben zufolge hat sie von 1986 bis 1996 insgesamt 680 Ausfuhrgenehmigungen nach Indonesien erteilt. Aktuell steht die Lieferung von fünf U-Booten und 15 Patrouillenbooten an. Die ersten beiden U-Boote wurden bereits im September an Indonesien übergeben. Nach den USA und Großbritannien ist Deutschland der drittgrößte Waffenlieferant für Indonesien.

Bei der diesjährigen Sitzung rang sich die UN-Menschenrechtskommission zu einer von den EU-Staaten eingebrachten Resolution zu Osttimor durch. Viele Staaten fühlten sich durch die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Vertreter Osttimors in die Pflicht genommen. José Ramos-Horta hatte zuvor in Genf an die Staatengemeinschaft appelliert, Bischof Belo meldete sich in einem Brief zu Wort und machte die Kommission auf die katastrophale Lage der Gefangenen in Osttimor aufmerksam: die Menschen würden geschlagen und gefoltert, in Wassertanks geworfen und mit Zigaretten malträtiert. Doch vor allem die Tatsache, daß die indonesische Regierung Empfehlungen aus früheren Stellungnahmen nicht umgesetzt und Versprechungen nicht eingehalten hat, dürfte maßgeblich zur Verabschiedung der Resolution geführt haben.

Der Resolutionstext enthält u. a. die Empfehlung an Indonesien, einen ständigen UN-Beobachter in Osttimor zuzulassen und internationalen Menschenrechtsorganisationen freien Zutritt zu gewähren. Des weiteren sollen der UN-Sonderberichterstatter für Folter nach Osttimor eingeladen werden und osttimoresische Gefangene, die allein wegen friedlicher Protestaktionen inhaftiert sind, freigelassen werden. Wie in den Jahren zuvor, hat die indonesische Regierung es bisher unterlassen, den Empfehlungen der Genfer Kommission zu entsprechen. Die internationalen Organisationen und Gremien sind nur dann stark und wirkungsvoll, wenn die in ihnen vertretenen Staaten auch auf nationaler Ebene eine konsequente Politik betreiben. Es ist nicht nur Aufgabe der UN-Menschenrechtskommission, sondern vor allem Aufgabe der Staaten, die diese Resolution miteingebracht haben, in ihren bilateralen Beziehungen zur indonesischen Regierung mit Nachdruck auf die Umsetzung der Empfehlungen zu drängen. Menschenrechtsorganisationen sind gefordert, immer wieder den Finger auf diese nicht vorhandene Kohärenz in der Außen- und Menschenrechtspolitik ihrer Länder zu legen.

Die Außenminister Portugals und Indonesiens führen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen seit 1982 Gespräche zur Lösung des Osttimor-Konfliktes. Bis dato haben diese Gespräche weder nennenswerte Ergebnisse auf der politischen Ebene gebracht, noch haben sie zu einer Verbesserung der Situation der Menschen in Osttimor geführt. Als die neunte Gesprächsrunde im Dezember 1996 auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, glaubten viele, die Gespräche seien endgültig festgefahren.
Doch der neue UN-Generalsekretär Kofi Annan machte gleich nach seiner Amtsübernahme deutlich, daß eine einvernehmliche und friedliche Lösung des Osttimor-Konfliktes hohe Priorität für ihn habe. Zunächst ernannte er, erstmals in der langjährigen Geschichte des Konfliktes, einen UN-Sonderbeauftragten für Osttimor. Der 74jährige frühere pakistanische Diplomat Jamsheed Marker reiste sogleich nach Portugal, Indonesien und Osttimor und führte mit zahlreichen Vertretern aller Seiten Gespräche. Als jugendliche Osttimoresen vor seinem Hotel in Dili demonstrierten und damit versuchten, sich Gehör zu verschaffen, griff das Militär gewaltsam ein und verhaftete 31 Leute. Viele von ihnen wurden im Polizeigewahrsam gefoltert, 19 wurden im September zu einem Jahr Gefängnis wegen Unruhestiftung verurteilt.

Im Juni fand dann die verschobene neunte Gesprächsrunde zwischen den Außenministern Portugals und Indonesiens statt. Damit ist der internationale Friedensprozeß wieder in Gang gekommen. Auf Vorschlag der UN wurde Stillschweigen über den Inhalt der Gespräche vereinbart, um keinem der Gesprächspartner die Möglichkeit zu geben, in der Öffentlichkeit einen Eklat herbeizuführen und die Gespräche so zu sabotieren. Als Ergebnis der Gesprächsrunde wurde bekanntgegeben, daß es neben den Ministergesprächen alle sechs bis acht Wochen Arbeitstreffen auf der Ebene von Osttimorbeauftragten der beiden Außenministerien geben soll. Jamsheed Marker wird diesen Treffen vorsitzen. Die neue Initiative gibt den UN-Beauftragten die Möglichkeit, nach Osttimor zu reisen und mehr und mehr die Osttimoresen mit ihren Anliegen in die Gespräche einzubeziehen.

Kofi Annan waren diese ersten Schritte nicht genug. Er bat den südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela, sein Ansehen und seine guten Beziehungen zum indonesischen Präsidenten Suharto zu nutzen und vermittelnd tätig zu werden. Bei seinem Staatsbesuch in Indonesien im Juni äußerte Mandela gegenüber Suharto den Wunsch, den inhaftierten Widerstandsführer Xanana Gusmão zu treffen. Für alle überraschend ging Suharto auf seinen Wunsch ein: Xanana Gusmão, den die indonesische Regierung als gewöhnlichen Kriminellen hinstellt und der in Armeekreisen als „dreckige Ratte“ bezeichnet wird, wurde aus dem Gefängnis abgeholt und durfte für ein paar Stunden wie ein Staatsgast mit Mandela und Indonesiens Sonderbotschafter für Osttimor, Lopes da Cruz, im Gästehaus von Präsident Suharto dinieren. Erst eine Woche später wurde das sensationelle Treffen bekannt. Die indonesische Politikwissenschaftlerin Dewi Fortuna Anwar vom Institut für Wissenschaften in Jakarta ist der Auffassung, daß Mandela im Rahmen der UN-Friedensgespräche eine informelle, aber strategisch wichtige Rolle spielen könne. Sie verstehe Mandelas Initiative, im Konflikt zu vermitteln, als Ausdruck seiner Dankbarkeit für die von der indonesischen Regierung erhaltende Hilfe. Indonesien hat den Afrikanischen Nationalkongreß in den frühen neunziger Jahren mit zehn Millionen US-Dollar unterstützt.

Xanana Gusmão zeigte sich völlig überrascht von dem Treffen. „Es war eine große Ehre für mich. Präsident Mandela versicherte mir, daß er sich mir sehr verbunden fühlt und meinen Fall verfolge, da wir das gleiche Schicksal teilen. Er war für 27 Jahre im Gefängnis, doch letztlich war seine Bewegung erfolgreich.“ Mandela empfahl denn auch Suharto, den prominenten Gefangenen frei zu lassen. „Wir können keine normalen Verhältnisse in Osttimor schaffen, wenn nicht alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Sie sind diejenigen, die eine Lösung mit herbeiführen müssen“ , begründete er seinen Wunsch. Anschließend lud Mandela José Ramos-Horta, Bischof Belo und den portugiesischen Präsidenten Jorge Sampaio nach Südafrika ein. Im November kam Suharto auf Staatsbesuch. Mandela zeigte sich danach zuversichtlich, wollte aber noch keinerlei inhaltliche Details preisgeben. „Wir machen mit jedem Treffen Fortschritte und wir sind einer Lösung schon näher gekommen.“

Eine schnelle Lösung des Osttimor-Konfliktes war und ist nicht zu erwarten, obwohl der Nobelpreis den Druck auf die indonesische Besatzungsmacht verstärkt hat. Dennoch ist bislang nicht zu erkennen, daß die indonesische Regierung eine Kurskorrektur ihrer Politik in Osttimor auch nur in Erwägung zieht. Zu sehr würde ein schneller Wandel das Selbstverständnis des Militärs treffen, zu unsicher und instabil ist die politische Lage in Indonesien, die Nachfolge von Präsident Suharto ungeklärt. Eine Bedingung für die Lösung des Konfliktes wäre, daß das Inselreich nach dem absehbaren Ende der Suharto-Ära einen Weg in stabile Verhältnisse ohne militärische Repression findet. Die Hoffnung der Menschen in Osttimor, daß sich die Situation entspannt und Dialogbereitschaft das Handeln der indonesischen Regierung und Armee bestimmt, hat sich bislang nicht erfüllt. Der Westen spielt in seiner Propaganda gerne die Karte der Menschenrechte, zumal die Öffentlichkeit mit Zustimmung darauf reagiert, wie die Reaktionen auf den Nobelpreis erneut zeigten. Die Machthaber in Südostasien begegnen der westlichen Menschenrechtsrhetorik mit starker Reserviertheit bis blanker Ablehnung. Um ihre autoritäre Herrschaft zu rechtfertigen, beschwören sie sogenannte asiatische Werte, die in der Praxis die konsequente Unterdrückung der grundlegenden demokratischen Freiheiten wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Organisationsfreiheit bedeuten.

Bisher hat der Westen nur wenig ernsthafte diplomatische Initiative zur Konfliktlösung in Osttimor gezeigt. Offenbar hat er kein Interesse, es sich mit einem wirtschaftlich interessanten Staat wie Indonesien zu verderben. Es bleibt die Aufgabe von Menschenrechtsorganisationen, die Lücke zwischen Worten und Taten, zwischen deklaratorischer und realer Außenpolitik immer wieder aufzuzeigen.

Auch die großen Weltkirchen sind noch nicht als prominente Vermittler in Erscheinung getreten, obwohl ihre Glieder in Osttimor der Bevölkerung als Sprachrohr dienen. Sie könnten noch sehr viel mehr tun, um dem kleinen Land zu einer selbstbestimmten Zukunft zu verhelfen.

Entscheidende Impulse für eine Vermittlung könnten aus der südlichen Welt kommen. Vielleicht hilft Mandela, aus der diplomatischen Sackgasse herauszukommen. Als angesehene und von allen Seiten respektierte Persönlichkeit könnte er eine wichtige Rolle dabei spielen. Ohne ausreichenden internationalen Beistand werden Bischof Belo, José Ramos-Horta und alle anderen, die in Osttimor und auch in Indonesien für Freiheit und Demokratie eintreten, weiterhin jedenfalls einen schweren Stand haben. <>


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