Mast- und Schotbruch
Wie die Flotte der DDR nach Indonesien kam
Spiegel online – einestages, 25. Juni 2008
Ein Geschäft mit weitreichenden Folgen: 1992 verkaufte der Bund 39 ehemalige DDR-Armeeschiffe an Indonesien und stellte auch noch einen Millionen-Kredit für deren Modernisierung bereit. Nicht nur bei Bürgerrechtlern stieß der Deal mit Diktator Suharto auf heftige Kritik.
Die Polizisten, die am 29. Mai 1993 am Hafen von Peenemünde im Einsatz waren, hatten nur mit einer kleinen, friedlichen Demonstration gerechnet. Anfangs schien tatsächlich alles seinen normalen Gang zu gehen: Rund 400 Bürgerrechtler hatten sich am Hafenbecken versammelt, um gegen den Verkauf der 39 nahezu schrottreifen Schiffe an Indonesien zu demonstrieren, die hinter ihnen im Hafenbecken seit Jahren vor sich hinrosteten. Es handelte sich dabei um die ehemalige Staatsflotte der DDR.
Die Peenemünder Demonstranten fürchteten, dass die Schiffe aus dem Bestand der Nationalen Volksarmee (NVA) künftig bei Aktionen des indonesischen Militärs zum Einsatz kommen könnten. Das Land wurde zu jener Zeit von dem Diktator Haji Mohamed Suharto beherrscht, der sein Militär regelmäßig einsetzte, um Aufstände seiner politischen Gegner niederzuschlagen. Statt die Schiffe Suharto zu überlassen, sollten sie eher verschrottet werden, so die Forderung der Demonstranten.
Während sie mit Trommeln und Transparenten auf sich aufmerksam machten, tauchten im Hafenbecken plötzlich Schlauchboote auf. Wenig später waren die Schiffe von Hunderten Demonstranten besetzt. Die Polizisten waren zahlenmäßig unterlegen. Sie meldeten das Geschehene lediglich dem Schweriner Innenministerium. Die Schiffsbesetzer, die sich ,Timor und kein Trupp‘ nannten – in Anlehnung an den Roman ,Timur und sein Trupp‘ und die umkämpfte indonesische Provinz Osttimor – blieben zunächst unbehelligt. Zwei Tage später räumte die Polizei die Schiffe und nahm einige Demonstranten fest.
Verkauf trotz internationaler Kritik
,Timor und kein Trupp‘ setzte in den folgenden Monaten seine Proteste fort und wurde dabei unter anderem von der Gesellschaft für bedrohte Völker, WatchIndonesia und den Bundestagsabgeordnete Klaus Kübler (SPD), Elke Leonhard (SPD) und Gesine Lötzsch (PDS) unterstützt. Auch Portugal, zu dessen Kolonien Indonesien einst zählte, intervenierte beim deutschen Verteidigungsministerium. Dem damaligen indonesischen Technologieminister und späterem Staatspräsidenten Bachruddin Yussuf Habibie, aber gelang es, den Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Ludwig-Holger Pfahls, vom Verkauf der Schiffe für 29 Millionen DM zu überzeugen.
Wie marode die Flotte war, zeigte sich, als sie im Mai und Juni 1994 nach Indonesien überführt wurde. Die Teluk Lampung (ehemals „Schwedt“) wäre beinahe in der Biskaya gesunken, weil die Bugklappe dem hohen Wellengang nicht standhielt und abriss. Das Landungsschiff ließ sich nicht mehr manövrieren. Teile der Besatzung mussten evakuiert werden. Es war offenkundig, dass die Flotte einer Modernisierung bedurfte. Das Verteidigungsministerium schätzte die Kosten dafür auf rund eine Milliarde US-Dollar.
Deutsche Kredite für Modernisierung
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) stellte daraufhin der indonesischen Regierung einen Kredit in Höhe von 425 Millionen DM zur Verfügung, abgesichert durch Hermes-Bürgschaften. Die indonesische Regierung wiederum nutzte Entwicklungshilfegelder und kürzte Sozialausgaben, um die Modernisierung der Flotte zu finanzieren.
In Indonesien führte dies zu heftiger Kritik, die Staatspräsident Suharto zu unterdrücken versuchte. Er ließ die drei Zeitungen Tempo, Editor und DeTik, die kritisch über den Kauf berichtet hatten, schließen. Proteste gegen das Geschäft mit den Deutschen wurden von der Polizei niederschlagen.
Die Schiffe kamen schließlich in Indonesien an, wurden repariert und modernisiert. Unter anderem erhielten sie eine hochmoderne, digitale Funkausrüstung von Siemens, die insgesamt 136 Millionen DM kostete.
Die Bundesregierung hatte zwischenzeitlich eine Klausel in die Verträge aufnehmen lassen, wonach die Schiffe nur für den Küstenschutz, die Seewegsicherung sowie die Bekämpfung der Piraterie und des Schmuggels eingesetzt werden dürfen. Doch schon im Oktober 1995 kündigte der damalige Oberbefehlshaber der indonesischen Streitkräfte, General Feisal Tanjung, in einem Interview an, dass die ehemaligen NVA-Schiffe veraltete Landungseinheiten ersetzen sollen, die zur „Überwindung von Störungen von innen“ eingesetzt würden.
Schulden illegitim
2001 und 2003 stellte die Bundesregierung weitere Kredite für neue Schiffsmotoren zur Verfügung. Im Juni 2003 berichtete das ARD-Magazin „Monitor“ über den Einsatz der Schiffe bei innerindonesischen Konflikten. Seit 1999 soll es mindestens vier solcher Einsätze gegeben haben – unter anderem in Osttimor, Papua und Aceh.
Kürzlich ist die Diskussion um die 39 NVA-Schiffe wieder entfacht. Die Nichtregierungsorganisation erlassjahr.de hatte in Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche von Westfalen und dem evangelischen Entwicklungsdienst, den Wiener Völkerrechtsprofessor August Reinisch mit einem Rechtsgutachten zu dem Flottenverkauf beauftragt. Reinisch kommt zu dem Ergebnis, dass das Geschäft weder dem Wohle des indonesischen Volkes gedient habe, noch von ihm gewollt war. Die aus dem Geschäft noch ausstehenden Schulden seien daher illegitim.
Statt einer Rückzahlung der verbliebenen Schulden fordern die Initiatoren des Gutachtens, dass ein Versöhnungsfonds zum Wohle der Opfer der Menschenrechtsverletzungen in Indonesien eingerichtet soll, finanziert aus den noch ausstehenden Zahlungen. <>