Produktion unter Polizeischutz
Energie – Macht – Hunger
Dossier von Misereor in Zusammenarbeit mit der Redaktion Welt-Sichten, November 2009
Konflikte um indonesisches Palmöl
Marianne Klute
Die Energie- und Klimapolitik der EU hat in Indonesien einen beispiellosen Ansturm auf Land für Ölpalmplantagen ausgelöst. Folgen sind die Vernichtung der letzten Regenwälder, massive Änderungen von Landnutzung und Machtverhältnissen und nicht zuletzt die Verarmung und Marginalisierung von Millionen von Menschen.
Schon vor dem Agroenergie-Boom war Indonesien Weltmarktführer bei der Herstellung von Palmöl, zusammen mit dem Nachbarstaat Malaysia. 90 Prozent der Weltproduktion von Palmöl entfallen auf diese beiden Staaten. Dabei ist Palmöl erst im vergangenen Vierteljahrhundert zum wichtigen Rohstoff in industriellen Lebensmitteln, Seifen und Kosmetika geworden.
Indonesien steigerte von 1985 bis 2005 die Anbauflächen für Ölpalmen von 0,6 Millionen auf 5,6 Millionen Hektar, mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur. Seit der asiatischen Wirtschaftskrise (1997/98) ist Palmöl einer der Sektoren, der – anfangs auf Anraten des Internationalen Währungsfonds – massiv ausgebaut wird. 2005, vor Beginn des Agroenergie- Booms, wurden schon 5,6 Millionen Hektar Fläche für Ölpalmplantagen genutzt. Auf die globalen Entwicklungen hin zu erneuerbaren Energien – und besonders auf die EU-Zielvorgaben für Agrokraftstoffe – reagierend, hat Indonesien seit 2006 Palmöl zum Zugpferd des makroökonomischen Wachstums erkoren. Das Landwirtschaftsministerium will die Palmölproduktion in den kommenden zwanzig Jahren auf das 43-fache steigern, durch die Verbesserung der Produktivität und durch eine massive Expansion der Anbauflächen um 20 Millionen Hektar.
Sumatra, auf das heute drei Viertel aller Ölpalmplantagen entfallen, wird zum Industriezentrum der Palmölbranche ausgebaut, mit Ölmühlen, Raffinerien, Agrokraftstoff- („Bio“- Diesel-)fabriken und Häfen. Alle erreichbaren Gebiete Kalimantans werden mit Ölpalmen bepflanzt; insgesamt sind dort zehn Millionen Hektar vorgesehen. In West-Papua sollen sieben Millionen Hektar Wald verschwinden, fast die Hälfte des letzten großen Urwaldgebietes der Erde.
Darüber hinaus setzt man auf die Expansion des Anbaus von Zuckerrohr, Jatropha, Cassava und Sago in ähnlicher Größenordnung. Die ehrgeizigen Pläne lösten eine beispiellose Investitionswelle und Landnahmen aus. Innerhalb von drei Jahren sind die Ölpalmplantagen von 5,6 Millionen auf 8 Millionen Hektar angewachsen.
Die Erfahrungen mit der indonesischen Palmölindustrie zeigen, dass die Unternehmen allein auf Sumatra viermal mehr Wald abgeholzt und abgebrannt als bepflanzt haben, und in Kalimantan und West-Papua zehnmal mehr. Indonesische Umweltorganisationen betrachten die Palmölindustrie daher als eine treibende Kraft bei der Vernichtung des Tieflandregenwaldes.
Nach dem Kahlschlag wird zur Urbarmachung Feuer gelegt. Das Umweltnetzwerk WALHI (Friends of the Earth Indonesia) schätzt, dass 80 Prozent aller Waldbrände des letzten Jahrzehnts von Plantagenunternehmen gelegt wurden. Dann muss mit Kanälen entwässert werden, woraufhin der Boden austrocknet und an der Luft oxidiert. Die Folge sind permanente CO2-Emissionen. Eine Folge von globaler Bedeutung sind die ungeheuren Mengen von Kohlendioxid, die durch die Waldbrände und Entwaldung, besonders der Torfgebiete, frei werden. Indonesiens Waldbrände katapultieren den Staat auf Platz drei auf der Liste der Staaten mit den höchsten Emissionen, nach den USA und China.
Neue Konzessionen werden meist in Regenwald und bevorzugt in Torfwald vergeben, nach dem Ende des Sumatra-Tieflandregenwaldes nun in Kalimantan und Papua. Die Idee, Palmöl als erneuerbare Energie zu betrachten, die einen positiven Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen liefert, wird so durch die indonesische Praxis konterkariert.
Ölpalm-Megaplantagen sind keine kleinbäuerlichen Betriebe. Angezogen von den hohen Profiten steigen große indonesische Konzerne in das Palmölgeschäft ein, insbesondere solche mit engen Verbindungen zur politischen Elite. Dazu gehören die Wilmar-Gruppe, Sinar Mas, Bakrie Sumatera Plantations, Raja Garuda Mas und Medco Energi.
Neue gesetzliche Regelungen bereiten den Schritt Indonesiens zum weltweit führenden Palmölproduzenten vor. Zu nennen sind kontroverse Verordnungen mit negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen, beispielsweise ein Erlass zur Landnahme, der Enteignung und Vertreibung vereinfacht, oder Erlasse, die Plantagen in Naturschutzgebieten und auf Torfböden erlauben.
Die Planungen sind eingebunden in Gesamtkonzepte im Sinne von Entwicklung, Industrialisierung und Modernisierung, verknüpft mit sicherheitspolitischen Zielen. Die Küstenregionen werden als Industriegebiete ausgebaut und die Grenzregionen als militärische Sicherheitspuffer aus Ölpalmplantagen. Sicherheitskräfte, auch das Militär und die Polizei, sorgen für den Schutz der Plantagen.
Eine der großen Gefahren für den Staat ist die mit den Großprojekten verbundene Korruption. Genehmigungen können gekauft, die politische und militärische Elite finanziell beteiligt, Bürgermeistern die Zustimmung „versüßt“ werden. Bevor die ersten Palmölsetzlinge die Baumschule verlassen, haben sich in Indonesien die Wirtschaftsstrukturen verändert. Auf der Strecke bleiben der Aufbau einer Demokratie und die Menschenrechte.
Ölpalmen, in Megaplantagen für den Export angebaut, benötigen sehr viel Land. Laut Aussage der Rechtshilfeorganisation LBH (Lembaga Bantuan Hukum) haben bis 2006 schon mehr als neun Millionen Menschen ihr Land und damit ihre Existenz an Palmölkonzerne verloren. Extrapoliert man dieses Ergebnis auf die Zukunft, steht Indonesien vor kaum zu bewältigenden sozialen Umwälzungen. Die Anzahl landloser Menschen ohne Möglichkeit, die Grundbedürfnisse zu befriedigen, steigt dramatisch.
Das indonesische Umweltnetzwerk WALHI gibt die Anzahl vom Wald abhängiger Menschen mit 45 Millionen an. Hinzu kommen weitere 55 Millionen Menschen, die partiell von Waldprodukten leben. Indigene und Subsistenzbauern, die direkt von den Investitionen in die Agroindustrie betroffen sind, machen somit mehr als ein Drittel der Bevölkerung Indonesiens aus. Da ihr Leben eng mit dem Wald verbunden ist, verlieren sie mit ihrer Lebensgrundlage auch ihre Identität, wenn sich keine neuen Perspektiven eröffnen. Besonders betroffen sind die Dayak-Völker in Kalimantan, die Papua und die Waldnomaden auf anderen Inseln.
Ohne Konsultation mit der Bevölkerung setzen die Unternehmen die Landnahme durch. Traditionelle Landrechte gelten gegenüber der in der Verfassung und in Gesetzen verankerten Verfügungsgewalt des Staates über Land, Wasser und ihre Ressourcen wenig. Die Betroffenen sind gezwungen, ihr Land und ihren Wald abzugeben. Im Gegenzug können sie vielleicht Palmöl-Kleinbauern werden, auf Kleinplantagen am Rande einer Kernplantage. Dafür müssen sie einen Kredit in Höhe von mehreren tausend Euro aufnehmen. Sie verlieren ohne Entschädigung ihr Land, geraten selbst in die Schuldenfalle und in vollständige Abhängigkeit. Nach dem Absturz der Palmölpreise 2008 gerieten viele in extreme Armut, und es kam zu Selbstmorden.
Heute zählen wir Tausende von Konflikten um bereits bestehende Plantagen. Der Agroenergie-Boom beschert Indonesien mehr Konflikte in neuen Dimensionen. Denn der Widerstand wächst. Nach dem Ende der Suharto- Diktatur versuchen nun viele, an ihre traditionell verbürgten Landrechte zu gelangen. Wenn Eingaben, Proteste oder Prozesse ergebnislos sind, greifen die Menschen auch zu Gewalt und zerstören die Plantagen.
Die Vielzahl an Konflikten auf bestehenden Plantagen lässt für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Die Frage der Landrechte wird ohne Agrarreform und ohne internationalen Schutz der Menschenrechte nicht zu lösen sein. Von der Palmölindustrie leben heute etwa zwei Millionen Menschen. Die anvisierte Expansion kann theoretisch fünf Millionen Arbeitsplätze schaffen. Im Gegenzug würden dreißig und mehr Millionen Menschen von ihrem Land vertrieben. Das Argument, Palmöl bringe Arbeitsplätze und Entwicklung, ignoriert die Tatsache, dass viel mehr Existenzen vernichtet werden.
Indigene sind selten Palmöl-Kleinbauern oder Plantagenarbeiter. Ihre Art der Landwirtschaft wird von Regierungsvertretern und Wirtschaftsbossen als „unproduktiv“ bezeichnet.
Sie werden als rückständig betrachtet, als Menschen ohne Arbeitsethik und nicht in der Lage, einen geregelten Arbeitstag durchzuhalten. Die Palmölkonzerne bevorzugen daher Transmigranten von außerhalb, etwa verarmte Landlose aus Java. Bei zehn Millionen Hektar Neuplantagen in Kalimantan müssten fünf Millionen Menschen von anderen Inseln migrieren. In West-Papua wird die eine Million indigener Papua zu einer bedrohten Minderheit im eigenen Land.
Das Transmigrations-Programm der Suharto- Diktatur – in seinem Rahmen waren Hunderttausende von landlosen Armen auf die so genannten Außeninseln umgesiedelt worden – lebt wieder auf, mit vermutlich ähnlichen Problemen wie den bisherigen: Druck auf den Wald und andere Naturressourcen – Konflikte, die blutig ausarten können. Die Indigenen, die bisher vom Wald und seinen Produkten leben, drohen zu verelenden. Sie werden „Geister auf unserem Land“*. <>
* “Geister auf unserem Land“ ist der Titel eines Buches der indonesischen Umweltorganisation Sawit Watch (Palmöl Watch).
Marianne Klute ist Mitarbeiterin von Watch Indonesia! und verantwortlich für den Bereich Umwelt.
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