Information und Analyse

Osttimor: “Die Ursachen der Krise von 2006 sind nicht behoben”

09. Juli 2009

Interview mit José Caetano Guterres, Leiter des East Timor Crisis Reflection Network, geführt von Monika Schlicher, Dili, Osttimor

José Caetano

José Caetano

Foto: Marianne Klute

Watch Indonesia!: Osttimor ist auf dem Weg, sich von der tiefen politischen und gesellschaftlichen Krise, in die das Land 2006 gestürzt war, zu erholen. Wie trägt das East Timor Crisis Reflection Network dazu bei?

José Caetano Guterres: Wir führen im ganzen Land Veranstaltungen durch und stellen „Chega!“ vor, den Bericht der nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission (CAVR). Dazu zeigen wir den Film zum Bericht „Der Weg zum Frieden“ (Dalam ba Dame). Noch immer sind die Ergebnisse, vor allem die Empfehlungen, die CAVR ausspricht, im Land wenig bekannt. In der anschließenden Reflektion zeigen wir auf, wie wichtig es ist, aus der Vergangenheit zu lernen, denn genau dies wurde bislang versäumt. Damit ziehen wir dann die Verbindung zur Krise von 2006.

WI!: Dili gleicht einer hektischen, betriebsamen Stadt. Überall herrscht rege Bautätigkeit, die Schmähsprüche an den Häuserwänden sind übermalt und Parkanlagen werden hergerichtet. Die Veränderungen sind beachtlich, man könnte den Eindruck gewinnen, Dili nimmt an einem „Unsere Stadt soll schöner werden“ – Wettbewerb teil. Es ist schön zu sehen, dass die Menschen wieder auf die Straße gehen und Meldungen über gewalttätige Auseinandersetzungen sind rar geworden. Vor allem aber konnten die großen Flüchtlingslager aufgelöst werden, der wohl sichtbarste – äußere – Ausdruck für die Überwindung der Krise. Wenngleich der Prozess der Rückführung der Flüchtlinge noch nicht gänzlich abgeschlossen ist, bleibt die Frage: wie gut und tief greifend sind die Maßnahmen des „National Recovery Programme“, oder andersherum formuliert, ist die Regierung auf dem richtigen Weg?

José Caetano: Die Regierung versucht die Probleme, die durch die Krise entstanden sind, zu lösen, ohne die Ursachen zu beheben. Die Probleme werden nicht bei den Wurzeln gepackt. Die politische Führung räumt eigene Schuld zwar ein, und gesteht, es mangelte ihr an der nötigen Reife. Doch weder hat sie die Verantwortung übernommen, noch gibt es Aufklärung zu den Hintergründen. Sicherheit und Stabilität konnten nur über den Einsatz der ausländischen Sicherheitskräfte erzielt werden. Die Petitioners, die Gruppe der abtrünnigen Soldaten, sind ausbezahlt worden und ins zivile Leben zurück gekehrt. Gleichfalls haben die internen Flüchtlinge Geld erhalten, damit sie aus den Lagern wieder in ihre Stadtviertel zurück kehren und ihre Häuser wieder aufbauen können. Finden sie ihre Häuser besetzt vor, werden die neuen Besitzer ausbezahlt, oder aber man siedelt sich mit der Existenzhilfe woanders an. Es gibt zig Landrechtsprobleme. Viele, die ihre Grundstücke vor 1999 an Indonesier verkauft hatten, machen heute Anspruch geltend. Inzwischen haben sich dort aber andere Osttimoresen niedergelassen, die, zum Teil dann unter dem Deckmantel der Krise von 2006, vertrieben worden sind. Jetzt gehen die Flüchtlinge zurück, ohne dass Gerechtigkeit erzielt wurde, ohne dass diejenigen belangt wurden, die Häuser niedergebrannt haben. Zugleich sind viele Mitglieder der Gemeinden nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Nur, Aufbauhilfe gibt es nur für Flüchtlinge. Das nährt den sozialen Neid und kann den Boden für erneute gewalttätige Auseinandersetzungen bereiten. Die Gemeinden haben keine andere Wahl, als die Flüchtlinge willkommen zu heißen. Sie halten ihren Mund, weil andernfalls Polizei und Militär kommen. Sie haben im Moment nicht die Macht aufzubegehren. Natürlich ist das in den diversen Stadtvierteln unterschiedlich ausgeprägt. „National Recovery“ heißt für mich jedoch, der Bevölkerung zu helfen, die gestörten Beziehungen zum Nachbarn zu heilen.

WI!: Als ein Indiz dafür, dass Osttimor sich positiv entwickelt, wurde jüngst immer wieder das gestiegene Bruttosozialprodukt angeführt. Von welcher Qualität ist dieses Wachstum?

José Caetano: Das Anwachsen des Bruttosozialproduktes basiert zum größten Teil auf dem Geld, welches die Regierung an die diversen Gruppen ausbezahlt hat. Die Flüchtlinge bauen ihre Häuser auf, kaufen sich Mopeds, Autos, Fernseher. Doch was passiert, wenn das Geld verbraucht ist? Ich befürchte, dass die sozialen Spannungen dann wieder zunehmen werden und auch zu neuen Unruhen führen können.

WI!: Gewalttätiges Verhalten hat stark Eingang gefunden in den Alltag der Bevölkerung und auch in der politischen Kultur. Es gibt viele Maßnahmen und Bemühungen lokaler wie auch internationaler NGOs, Wege und Möglichkeiten aufzuzeigen, dem ein anderes Verhalten entgegen zusetzen. Was bedeuten Frieden und Friedensarbeit für dich?

José Caetano: In der Reflektionsarbeit unseres Netzwerkes ist es uns wichtig, den Gemeinden aufzuzeigen, dass unterschiedliche Meinungen und Ideen in einer Demokratie normal sind. Kommt es aber in den Gemeinden zu Gewalt, weil die politische Führung sich bekämpft und die Bevölkerung für ihre Interessen einspannt, so sind die Leidtragenden die Gemeindemitglieder, die sich haben manipulieren lassen. Und was passiert mit Politikern, die Verbrechen begangen haben? Sie stehen über dem Gesetz. Wir brauchen Gerechtigkeit und eine funktionierende Justiz.

Zudem hat der Staat die Auswirkungen der Gewalt in der Vergangenheit auf die Gesellschaft unterschätzt. Das hat für meine Begriffe wesentlich zur Krise 2006 beigetragen. Vor 1999 war Indonesien der Feind, den wir bekämpft haben. Doch wer ist es heute? In der Krise wurden die gewalttätigen Methoden der Milizen von 1999 wiederholt: Häuser wurden abgebrannt, Menschen vertrieben, Straßensperren errichtet und mit Gerüchten Angst geschürt. Die Einstellung zu Gewalt hat sich im unabhängigen Osttimor bisher nicht verändert. Sie hat sich manifestiert; z.B. hat Gewalt Eingang gefunden – in die Familien in Form von häuslicher Gewalt. Diese hat sehr zugenommen.

Um die Krise von 2006 zu überwinden, sollte die Regierung den Ursachen begegnen. Dazu ist ein umfassender Ansatz zur Lösung der komplexen Probleme notwendig. Wir brauchen Arbeitsplätze, wirtschaftliche Entwicklung und Maßnahmen der Rehabilitierung, die allen zu Gute kommen. Der Bericht unserer Wahrheitskommission sollte genutzt werden, um eine gemeinsame Vision eines friedlichen Miteinanders und eine Abkehr von Gewalt zu befördern. Dann wird Frieden möglich. Die bisherigen Bemühungen der Regierung sind nicht nachhaltig – sie zielen nur auf schnelle und sichtbare Ergebnisse.

WI!: Vor zehn Jahren, 1999, haben sich die Osttimoresen mit deutlicher Mehrheit in einem von den Vereinten Nationen durchgeführten Referendum von Indonesien losgesagt. Welche Bedeutung hat 1999 für dich? Was wurde bisher erreicht?

José Caetano: 1999 war ich in Dili. Nach dem Referendum bin ich in die Berge bei Dili geflüchtet. 1999 sollte uns Erinnerung sein an den Kampf für unsere Unabhängigkeit und gleichzeitig Mahnung, den Weg der nationalen Einheit zu beschreiten. Solange wir uns immer wieder mit Gewalt gegenseitig bekämpfen, haben wir nichts aus der Vergangenheit gelernt. Wir haben vor 1999 für eine bessere Zukunft gekämpft. Es ist unsere Aufgabe, zum Aufbau der Nation und zur Entwicklung des Landes beizutragen. So dass eine neue Generation eines Tages in genuinem Frieden leben kann und der alten Generation dafür Danke sagt. <>


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