Folter in Papua ein minder schweres Vergehen?
Watch Indonesia!, 26. Januar 2011
Indonesiens Präsident bagatellisiert Menschenrechtsverletzungen
von Alex Flor
Über das Internet verbreitete Videos von Folter in Papua sorgten weltweit für Entrüstung und Abscheu. Mit der Handykamera eines Beteiligten aufgenommene Szenen zeigten Praktiken, deren grausamer Höhepunkt die Verbrennung der Genitalien eines indigenen Papua war. Einmal mehr geriet Indonesien ob seiner Menschenrechtspraxis ins Rampenlicht der Kritik.
Mehrere Tatbeteiligte waren schnell identifiziert und mussten sich vor einem Militärgericht verantworten. Menschenrechtsorganisationen und Papua-Solidaritätsgruppen liefen dagegen Sturm und forderten die Eröffnung eines Verfahrens vor dem Menschenrechtsgerichtshof. Ein indonesisches Militärgericht hat nicht die Befugnis, über Menschenrechtsverletzungen zu urteilen, weswegen die mutmaßlichen Täter nur wegen Disziplinarvergehen belangt werden konnten. Diese Woche wurden die Urteile gefällt: acht, neun und zehn Monate Haft. Möglicherweise werden die verurteilten Soldaten in Berufung gehen.
Man muss kein Gegner der indonesischen Regierung, noch gar Sympathisant der Unabhängigkeitsbewegung Papuas sein, um diese Urteile als haarsträubendes Unrecht zu empfinden. Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit, wenn friedliche Aktionen wie das Hissen einer Flagge mit langjährigen Haftstrafen geahndet werden, während Leute, die im Dienst des Staates stehen, vor laufender Kamera Menschen psychisch quälen, foltern und erniedrigen?
Die nationale Menschenrechtskommission Komnas HAM geriet in Kritik, weil ihre Untersuchung des Falles entgegen der Bewertung ihres eigenen lokalen Chapters in Papua zu dem Ergebnis führte, dass es sich bei dem Vorfall nicht um eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung handelte – womit sie der Anklage vor einem Menschenrechtsgerichtshof eine Absage erklärte. Dieser Bewertung schließt sich nun – ohne konkrete Bezugnahme – auch Päsident Susilo Bambang Yudhoyono (SBY) an. SBY wertet die Folter in Papua als eine „mindere Verletzung“ der Menschenrechte, erklärte aber wegen der internationalen Aufmerksamkeit, die dieser Fall erlangte, diesen dennoch entschieden zu verfolgen. Ob SBY dabei an weiter gehende Schritte als das Militärgerichtsverfahren dachte, war seiner Äußerung nicht zu entnehmen. Schließlich brüstete sich SBY im selben Atemzug mit der Behauptung, es habe in Indonesien seit 2004 keine schweren Menschenrechtsverletzungen mehr gegeben.
Bemerkenswert und von den meisten Kritikern übersehen ist an dieser Äußerung, dass der Präsident damit implizit einräumt, dass es zwischen dem Abgang von Diktator Suharto 1998 und seiner eigenen Amtsübernahme 2004 sehr wohl schwere Menschenrechtsverletzungen gegeben hat. In diesen Zeitraum fällt unter anderem der Kriegszustand in Aceh, für den SBY selbst als damaliger Koordinationsminister für Politik und Sicherheit (Menkopolkam) mit verantwortlich zeichnete.
Wann ist Folter (k)eine „schwere Menschenrechtsverletzung“?
Trotz der Schwere des Vergehens befinden sich sowohl Komnas HAM als auch Präsident SBY bis zum Beweis des Gegenteils juristisch auf der sicheren Seite, wenn sie die dokumentierte Folter nicht als schwere Menschenrechtsverletzung bewerten. Denn formaljuristisch zählt in Anlehnung an die Statuten von Rom als „schwere Menschenrechtsverletzung“ nur eine „systematisch begangene“ oder „weit verbreitete“ Verletzung der Menschenrechte. Grausam, aber wahr: eine einzelne Tat – selbst die geplante, quälende Todesfolter an einem Gefangenen – erfüllt juristisch noch nicht den Tatbestand einer schweren Menschenrechtsverletzung. Zwar behauptete unter anderem Restaria Hutabarat, Sprecher der Rechtshilfeorganisation LBH, bei Vorlage eines Berichtes über Folter in Indonesien zum Jahreswechsel, „nach unseren Erkenntnissen wird Folter systematisch angewendet. Sie wird als eine normale Methode angesehen, um an Informationen zu gelangen und Geständnisse zu erzwingen.“ Dennoch bleibt zweifelhaft, ob dieser Vorwurf – wenn er denn gerichtsfest beweisbar ist – ausreichte, um die die strengen Kriterien einer „schweren Menschenrechtsverletzung“ im Sinne des Gesetzes zu erfüllen. Juristen wird möglicherweise interessieren, ob es eindeutige Anordnungen von Vorgesetzten gab, Geständnisse durch Folter zu erzwingen. Das ist nicht ausgeschlossen, aber sicherlich schwer unter Beweis zu stellen.
Folter ist ein Tatbestand, der entsprechend der UN-Antifolterkonvention unter Strafe zu stellen ist. Indonesien hat diese Konvention unterzeichnet und ratifiziert. Dennoch beklagen Menschenrechtler, dass Indonesiens Gesetze die Konvention nur unzureichend umsetzen. “Das Strafgesetzbuch definiert Folter nicht als Verbrechen“, bemängelte Febi Yonesta, Sprecher von Kemitraan (Partnership for Governance Reform) im Juni letzten Jahres bei der Vorstellung eines Untersuchungsberichtes. Noch schwerwiegender als das Fehlen einschlägiger Paragraphen im Strafgesetzbuch ist die Tatsache, dass Soldaten in Uniform in aller Regel nicht dem allgemeinen Strafrecht unterliegen. Begeht ein Angehöriger der Streitkräfte (TNI) ein Verbrechen, droht ihm lediglich ein Verfahren vor dem Militärgericht. Wie im Falle der mutmaßlichen Folterer in Papua beschränkt sich die Anklage dann auf Disziplinarvergehen – mit entsprechend geringen Strafandrohungen.
Menschenrechte in Papua
Es ist kein Zufall, dass sich die im Internet zu begutachtenden Folterszenen nicht in Bandung, Makassar oder Medan ereigneten, sondern im als „Unruheregion“ verschrieenen Papua. Vordergründig begründet sich der Konflikt in Papua auf den politischen Status der mittlerweile aus den beiden Provinzen Papua und Westpapua bestehenden Inselhälfte Neuguineas. Tatsächlich geht es jedoch um ganz andere Dinge, wie Bodenschätze, Landrechte, soziale Entwicklung, kulturelle Identität – und nicht zuletzt um Menschenrechte. Indigene Papua sehen ihre grundlegenden und berechtigten Erwartungen als Staatsbürger Indonesien unzureichend bis gar nicht erfüllt. Armut, Krankheit, Bildungsrückstand, mangelnder Zugang zu Positionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und viele andere Beschränkungen mehr fördern die Unzufriedenheit – und damit eine diffuse Bestrebung nach Unabhängigkeit.
Über das Bekenntnis zu den jüngsten „minderen Menschenrechtsverletzungen“ hinaus muss sich Präsident SBY endlich der Tatsache stellen, dass es in Papua spezifische Probleme gibt. Die Provinzen Papua und Westpapua sind nicht vergleichbar mit den übrigen Provinzen Indonesiens. Diesem Umstand trägt die Regierung in Jakarta durchaus Rechnung, wenn es um Restriktionen geht, die beispielsweise Hilfsorganisationen und Journalisten den Zugang in die Region massiv erschweren. Abseits davon reagiert Jakarta jedoch tendenziell allergisch auf jede Bemerkung, die dazu geeignet ist, Papua in ein besonderes Licht zu rücken. Wohl gibt es zwar ein Sonderautonomiegesetz, aber selbiges stößt in Papua zunehmend auf Ablehnung, weil es für die breite Bevölkerung bislang keine wahrnehmbaren Verbesserungen ihrer Lebensumstände bewirken konnte.
Das Volk in Papua wünscht sich einen „Dialog“ mit Jakarta. Es möchte gehört werden. Die Menschen wollen mit ihren Sorgen und Bedürfnissen ernst genommen werden. Doch schon der Vorschlag eines „Dialoges“ stößt in Jakarta auf Ablehnung, da dieser Begriff impliziert, dass sich hier gleichwertige Partner gegenübertreten. Jakarta dürfte jedoch kaum gewillt sein Delegierte aus der Provinz protokollarisch auf die selbe Stufe zu stellen wie die Vertreter der Zentralregierung. Nationalisten sähen darin den ersten Schritt zur Anerkennung Papuas als eigenen Staat – ein absolutes Tabu. Präsident SBY schlug daher als Alternative vor, eine „konstruktive Kommunikation“ zu führen. An dieser Begriffsdefintion sollte die Verständigung nicht scheitern müssen. Aber die Papua warten bislang vergeblich auf nähere Einzelheiten der vom Präsidenten vorgeschlagenen „konstruktiven Kommunikation“.
Zusammenfassung
- Indonesien muss die Ratifizierung der UN-Folterkonvention konsequent umsetzen und Folter eindeutig als Straftatbestand im Strafgesetzbuch (KUHP) aufführen.
- Von Tätern in Uniform begangene Straftaten müssen vor regulären Gerichten zur Anklage gebracht werden und dürfen nicht länger als bloße Disziplinarvergehen von Militärgerichten verhandelt werden.
- Die Regierung der Republik Indonesien muss im direkten Austausch mit den Betroffenen die spezifischen Probleme in Papua wahrnehmen und angemessen darauf reagieren.
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