Indonesische Massenmörder spielen ihre Taten nach

 

Berliner Morgenpost, 12. Februar 2013

 

In Indonesien wird seit 45 Jahren über einen Massenmord geschwiegen. Jetzt hat ein Amerikaner einen Film darüber auf der Berlinale gezeigt.

 

Von Sören Kittel

Anwar Congo zeigt auf einen Tisch und sagt: „Zuerst haben wir den Hals unter das Tischbein gelegt.“ Dann macht er das mit einem Kissen vor, legt es unter das Tischbein. Mit seinem alten Freund Herman Koto setzt er sich dann auf den Tisch und singt gemeinsam ein Volkslied. Das hätten sie früher auch getan, bis derjenige unter dem Tisch tot war.

„Aber mit der Zeit wurde das zu blutig“, sagt er noch. Deswegen habe man angefangen, die Menschen mit Draht zu erwürgen. „Komisch, dass das bisher in keinem Western-Film gemacht wurde, dabei ist es doch so effizient.“ Anwar Congo ist sich keiner Schuld bewusst, das Töten, ja das Massenmorden war gewollt, gesellschaftlich ist es heute noch im Land legitimiert.

Milizen töteten rund eine Million Kommunisten

Nicht nur wegen solcher Szenen ist „The Act of Killing“ eine der unbequemste Filmvorführungen der ganzen Berlinale. Obwohl alle Mord-Szenen nur nachgespielt sind, ist klar: Die Hauptdarsteller spielen das, was sie selbst vor rund 47 Jahren getan haben. Es sind keine Schauspieler, es sind Täter. In den Jahren 1965/66 kam es in Indonesien zu Massenmorden gegenüber Kommunisten, die bis heute nicht aufgearbeitet wurden.

Internationale Wissenschaftler gehen von rund einer Million Todesopfern aus, umgebracht von Milizen, angestachelt und unterstützt vom indonesischen Militär, das noch immer einen großen Einfluss auf die Politik hat. Auch deshalb wurde die Taten nie aufgearbeitet. Obwohl die Nachkommen der Opfer noch immer darunter leiden, wurden die Ereignisse nicht Thema in den Medien – bis zu diesem Film.

Massaker besser in Jeans

Am Montag wurde „The Act of Killing“ im Saal 315 des Asien-Afrika-Instituts der Humboldt-Universität gezeigt, vor einem Publikum, dass sich mit der indonesischen Geschichte auskennt und deshalb seine Wirkung abschätzen kann: Rund 200 Studenten und Dozenten sitzen auf Stühlen, Tischen und dem Fußboden oder stehen auf dem Gang.

Sie sehen eine Dokumentation über die Tätergeneration eines Genozids, die vielen Indonesier im Raum nicken oft, oder halten erschüttert die Hand vor den Mund. In der Version für die Berlinale ist der Film 120 Minuten lang, für diese Universitäts-Vorführung hat der Regisseur Joshua Oppenheimer die „Director’s Cut“-Version herausgeholt, die noch einmal fast eine Stunde länger ist. Darin wird unter anderem ein Teddybär getötet – die Täter stellen so nach, wie sie damals ein Baby ermordeten.

Nach dem Film steht Joshua Oppenheimer vor der Leinwand. Er sagt, dass er fühle, der Film sei in Berlin genau richtig. „Meine Großmutter wurde hier geboren und konnte kurz vor 1933 das Land verlassen.“ Viele seiner Verwandten seien aber im Holocaust umgekommen. „Für mich ist es in Indonesien so, als hätte Hitler gewonnen und jetzt wo Frieden ist, können die Mörder sich mit ihren Greueltaten brüsten.“ Genau das tun sind sie auch in seinem Film, weshalb ihre Sätzen nur schwer aus dem Kopf gehen: „Bei uns gilt nicht die Menschenrechtskonvention von Genf, sondern die Menschenrechtskonvention von Jakarta“ ist einer dieser Sätze. Oder: „Bei blutigen Massakern habe ich immer Jeans getragen, die haben dickeren Stoff, das war praktischer.“

Wenn Täter im Film zu Opfern werden

Das sonst manchmal träge Frage-Antwort-Spiel, das sich nach Panorama-Vorstellungen anschließt, gleicht an diesem Abend eher einer hitzigen Diskussion darüber, was Filme auslösen können. „Ich kenne Geschichten wie diese“, sagt eine indonesische Studentin, „aber wir haben zu Hause nie darüber gesprochen.“

Ein älterer Indonesier bezweifelt, dass der Film wahr sei, weil doch keiner der Täter sich darauf einlassen würde. Eine deutsche Studentin wundert sich, wie bei einigen Szenen überhaupt Zuschauer haben lachen können, ging es doch um gerade um die besondere Darstellung von Gewalt. Doch es ist in der Tat unfreiwillig komisch, wenn im größten Fernsehsender Mördern für ihre Taten zugejubelt wird, oder wenn Täter von damals auf ihre Wirkungsstätten zeigen. „Das Haus dort“, sagt einer der Täter gutgelaunt bei einer Stadtführung, „habe ich das Büro des Blutes genannt.“

Mehrere Hundert Menschen umgebracht

Doch genau das ist das besondere an Oppenheimers Film. Die Darsteller merken erst während der Dreharbeiten, dass sie nicht für einen wirklichen Film gecastet werden, sondern dass sie längst Teil einer Dokumentation über sich selbst sind. „Das ändert ja alles um 360 Grad“, sagt Herman Koto und verbessert sich gleich: „oder um 180 Grad.“

Nur einer, Anwar Congo, hat das gesamte Werk gesehen. Er, der wohl mehrere Hundert Menschen umgebracht hat, hat zugestimmt. Vielleicht auch, weil er am Ende so etwas wie Mitleid oder Reue zeigt. Er wird ganz leise und sieht sich selbst dabei zu, wie er für eine Einstellung das Opfer spielt. Der Draht um seinen Hals wird enger, später sagt er, er könne jetzt nachfühlen, wie das sei, zu sterben. Dann weint er, er, der plötzlich kein Schauspieler mehr ist.

„Die Welt ist nicht wie Star Wars“

Auf der Berlinale wurde der Film zum ersten Mal offiziell gezeigt. Doch in Indonesien gab es bereits 270 Vorführungen – allerdings waren alle inoffiziell. „Ich weiß nicht, ob der Film die Zensur überstehen würde“, sagt Oppenheimer, „aber wenn nicht, dann wäre es illegal, ihn zu zeigen.“ Gegen private Aufführungen aber könne der Staat nichts unternehmen.

Als er im Oktober 2012 Pressevertretern und einer kleinen Gruppe von Filmschaffenden gezeigt wurde, kam es trotzdem zur ersten Wirkung: Im Herbst brachte „Tempo“, ein Magazin ähnlich dem „Spiegel“ in Deutschland, eine Sonderausgabe heraus, die innerhalb eines halben Tages ausverkauft war. Das Thema der Ausgabe waren die Massenmorde von 1965/66 und wie ihre Täter heute dazu stehen. Während Oppenheimers Film nur vom Norden der Insel Sumatra handelt, berichteten die „Tempo“-Redakteure von ähnlichen Geschichten im ganzen Land, in dem rund 280 Millionen Menschen leben. Es kam heraus, dass tatsächlich viele noch hinter ihren Taten von damals stehen – und sich zum Teil durch das Brüsten damit Respekt in ihrer Dorfgemeinschaft verdienen.

„Film bricht wirklich zum ersten Mal das Schweigen“

Die Berliner Indonesien-Experten sind sich einig, dass dieser Film das Potenzial zur Veränderung hat. „Dieser Film bricht zum ersten Mal das Schweigen“, sagt einer in der anschließenden Diskussion. Ob der Filmemacher Joshua Oppenheimer aber ungefährdet in das Land reisen kann, bleibt offen. Auf die Frage an die anwesenden Indonesier, wer glaube, dass das möglich sei, hob sich keine einzige Hand im Saal. „Ich vermisse Indonesien“, sagt er dennoch.

Er woll erst noch sehen, wie sich die Nachricht von den Vorführungen in Berlin langsam nach Indonesien herumspricht. Er sagte in der Humboldt-Universität, dass er froh sei, dass „The Act of Killing“ in Berlin gelaufen sei. Der Film werde am ehesten in Europa von Deutschen verstanden. „Die Deutschen wissen“, sagt er, „dass wir nicht in einer Star-Wars-Welt leben, in der alles schwarz oder weiß ist.“ Mörder könnten auch ganz normale Menschen sein, wie der freundliche Nachbar.


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