May Day oder Mayday in Papua?
Information und Analyse, 07. Mai 2013
von Alex Flor
In Papua werden Demonstranten erschossen. Die Bundesregierung genehmigt Panzerlieferungen.
Weltweit wird der 1. Mai, im englischen Sprachraum als May Day bekannt, als Tag der Arbeit gefeiert. In Indonesiens Hauptstadt Jakarta und vielen anderen Großstädten des Landes wurde der Tag mit Massendemonstrationen gefeiert. Forderungen der ArbeiterInnen richteten sich auf den allgemeinen Mindestlohn und gegen die immer weiter ausufernde Praxis des Outsourcings, bzw. zu Deutsch der Leiharbeit. Im Vordergrund der Medienberichterstattung stand als eine weitere Forderung der diesjährigen Feierlichkeiten der Protest gegen die von der Regierung angekündigten Benzinpreiserhöhungen. Trotz dieser nicht zuletzt als Kritik an seiner Person zu verstehenden Forderung verkündete Präsident Susilo Bambang Yudhoyono (SBY), dass der 1. Mai ab nächstem Jahr auch in Indonesien ein gesetzlicher Feiertag sein werde. Diese offizielle Anerkennung des internationalen Tags der Arbeit bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Erfolg der indonesischen Gewerkschaftsbewegung, die noch immer häufig mit dem Stigma der Gleichsetzung mit der seit 1965 verbotenen Kommunistischen Partei (PKI) zu kämpfen hat.
Der überwiegenden Mehrheit der Papua ist klassische Fabrikarbeit fremd. Es gibt in Papua praktisch keine Industriebetriebe, die mit den Fabriken auf Java oder Batam (Sumatra) vergleichbar wären. Mit Ausnahme von einigen im Bergbau und in Plantagenbetrieben Beschäftigten verspüren die meisten Papua kaum Gemeinsamkeiten mit dem Los von ArbeiterInnen in anderen Teilen Indonesiens, geschweige denn im internationalen Raum.
Die Tatsache, dass von hunderttausenden DemonstrantInnen am 1. Mai kaum jemand auf die Lage in Papua aufmerksam zu machen suchte, dürfte die abhängig Beschäftigten in Papua in ihrer Sicht bestärkt haben, dass man sich in Indonesien einfach nicht für ihr Schicksal interessiert. Die Aktualität von Slogans wie »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« ist generell hinterfragbar – für die Menschen in Papua bleiben sie eine leere Formel. Die Papua sehen sich von Indonesiens Regierung betrogen. Aber auch von indonesischen Gewerkschaften und anderen regierungskritischen Bewegungen Indonesiens fühlen sie sich nicht vertreten.
Gefängnisstrafen für das Aufziehen einer Flagge
Für die indigenen EinwohnerInnen Papuas hat der 1. Mai eine völlig andere Bedeutung. Für sie steht dieses Datum für den Jahrestag der am 1. Mai 1963 – mit Auflagen versehenen – Übergabe einer Interimsverwaltung durch die Vereinten Nationen an die Republik Indonesien. Eine dieser Auflagen war die Durchführung einer Volksabstimmung. Indonesien »erfüllte« diese Auflage 1969 durch die Befragung von 1.054 ausgewählten Repräsentanten des Volkes der Papua. Die Vereinten Nationen erkannten das Ergebnis dieser Abstimmung ungeachtet schwer wiegender Einwände offiziell an. Seither gehört Papua völkerrechtlich zur Republik Indonesien – ein Zustand, den viele unter Verweis auf die manipulierte Volksabstimmung und die immer noch herrschenden Lebensverhältnisse in Papua nicht zu akzeptieren bereit sind.
Wichtige Jahrestage wie der 1. Mai werden daher in Papua regelmäßig mit Protestkundgebungen gefeiert. Häufig wird dabei auch die »verbotene« Morgensternflagge gehisst, die für viele als Symbol der Unabhängigkeit steht. Dennoch gestattete der verstorbene ehemalige Staatspräsident Abdurrahman Wahid die Verwendung der Flagge als »kulturelles Symbol«, solange daneben die rot-weiße Nationalflagge aufgezogen wurde. Die folgenden Regierungen unter Präsidentin Megawati Sukarnoputri und dem amtierenden Präsidenten SBY verfolgten das Aufziehen der Morgensternflagge jedoch wie in den alten Zeiten der Diktatur mit gnadenloser Härte. Etliche politische Häftlinge sitzen derzeit wegen des Aufziehens dieser Flagge im Gefängnis (s. http://www.papuansbehindbars.org/). Kürzlich gerieten gar Fussballfans ins Visier: anlässlich der Übertragung des Länderspiels Spanien-Frankreich wurden 18 Fans festgenommen, weil sie die Flagge Frankreichs schwenkten. Die Informanten des Sicherheitsapparates verwechselten die Trikolore mit der – völlig anders aussehenden – verbotenen Flagge der »Republik« Südmolukken (s. http://groups.yahoo.com/group/ambon/message/51741) .
In einem ähnlichen Streit um die Flagge der ehemaligen militanten Freiheitsbewegung Acehs (GAM) erlaubte jüngst ein höchstrichterliches Urteil die Verwendung dieser Flagge als offizielles Symbol der autonomen Provinz Aceh (Nanggroe Aceh Darussalam). Nach welchen Kriterien unterscheidet Indonesiens Politik und Justiz zwischen den Flaggen Acehs und Papuas?
Mayday für Papua
Im Unterschied zum May Day der Arbeiterbewegung ist Mayday der letzte Funkruf eines sich in höchster Not befindlichen Flugzeuges oder Schiffes. Mayday lautete das letzte Lebenssignal unzähliger Piloten und Funker vor ihrem sicheren Tod.
Es ist nicht überliefert, dass Abner Malagawak (22) und Thomas Blesia (22) noch einen letzten »Funkspruch« absetzen konnten. Beide wurden am 1. Mai 2013 bei einer Demonstration in Sorong, Westpapua, durch Schüsse der Sicherheitskräfte getötet. Drei weitere Personen, Salomina Klaibin (31), Herman Lokden (18), und Andarias Sapisa (24) wurden verletzt.
Eine Gruppe von DemonstrantInnen hatte sich zusammengefunden, um des 50. Jahrestages zu gedenken. Es kam zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Naturgemäß unterscheiden sich die Darstellungen des weiteren Geschehens. Schossen die Sicherheitskräfte von Anbeginn in die Menge? Oder wurden sie selbst von den DemonstrantInnen angegriffen?
In einem ordentlichen Gerichtsverfahren wären Antworten auf diese Fragen und entsprechende Beweiserhebungen von großer Bedeutung. In Papua ist ein freies und faires Verfahren vor Gericht aller Erfahrung nach zu schließen jedoch so gut wie ausgeschlossen. Aber selbst wenn es dazu kommen sollte, und wenn sich im Laufe der Beweiserhebung bestätigen sollte, dass aus der Menge heraus ein Angriff auf die Sicherheitskräfte stattgefunden hat: würde diese Sachlage rechtfertigen, warum am Ende zwei Menschen getötet und drei weitere verletzt wurden? Standen den Sicherheitskräften tatsächlich keine anderen Mittel als die Verwendung scharfer Munition zur Verfügung, um eine mutmaßlich gewaltbereite Demonstration unter Kontrolle zu halten?
Bei einer Flaggenzeremonie in Biak Numfor, an der ca. 50 Leute teilnahmen, sollen etwa zehn Beamte zur Teilnahme gezwungen worden sein. Eintreffende Sicherheitskräfte sollen das Feuer eröffnet haben. Zwei Beamte und ein Demonstrant wurden verletzt. Sechs Leute wurden festgenommen. Und wieder die Frage: stehen gegen eine Menge von 50 Menschen keine anderen Mittel zur Wahl als die Verwendung scharfer Munition?
Auch in Jayapura, Fak-fak, Timika und Nabire gab es Protestkundgebungen anlässlich des 1. Mais. Verschiedentlich wurde die Morgensternflagge aufgezogen. Mehrere Aktivisten wurden festgenommen und müssen sich möglicherweise vor Gericht verantworten. Bei der Demonstration in Jayapura waren Polizeikräfte mit Wasserwerfern und Reizgas in Bereitschaft.
Hochkommissarin für Menschenrechte verurteilt unangemessene Gewalt
»Diese jüngsten Vorkommnisse sind bedauerliche Beispiele für die anhaltende Unterdrückung der Meinungsfreiheit und der unangemessenen Anwendung von Gewalt in Papua«, urteilte Navi Pillay, Hochkommisarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, in einer umgehenden Stellungnahme.
Navi Pillay bemängelte die ungenügende Transparenz bezüglich schwerer Menschenrechtsverletzungen in Papua und forderte Indonesien auf, Journalisten und UN-Beobachtern den ungehinderten Zugang in die Region zu ermöglichen.
Bundesregierung genehmigt Panzerlieferung
Auf schwierige außenpolitische Probleme angesprochen neigt die Bundesregierung dazu, sich hinter Allgemeinplätzen zu verstecken. Anstatt bilateral in Aktion zu treten, unterstützte man entsprechende multilaterale Programme der UN, der Weltbank oder anderer globalen Akteure, verlautbaren offizielle Stimmen in Berlin in solchen Fällen gerne. »Die Bundesregierung unterstützt das Programm mit x Euro und ist damit einer der größten Geldgeber für dieses wichtige Vorhaben«, lautet es in einer typisch nichts sagenden Antwort auf weiter gehende Fragen.
Zur Wirkungserfassung dieser Maßnahme kann die Bundesregierung dann in aller Regel keine Auskunft geben und verweist stattdessen auf die mit der Durchführung betraute multilaterale Organisation. Gleichzeitig sorgt die Bundesregierung dafür, dass sich selbst kleinste Initiativen und Projekte der Zivilgesellschaft an den Maßstäben einer äußerst zweifelhaften Wirkungserfassung zu messen lassen haben.
Einige elementare Indikatoren zur Wirkungserfassung der Bundesregierung müssen lauten:
- unterstützt die Bundesregierung die Stellungnahme der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und wird die Bundesregierung diese Stellungnahme im Kontakt mit der Regierung Indonesiens auf bilateraler Ebene unterstreichen?
- setzt sich die Bundesregierung in anderer Weise mit geeigneten Mitteln für die Wahrung der Menschenrechte in Indonesien, insbesondere in den Provinzen Papua und Westpapua ein?
- welchen konkreten Stellenwert hat das 2011 verkündete Konzept des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) »Menschenrechte in der deutschen Entwicklungspolitik« für die Zusammenarbeit mit Indonesien?
- und – last but not least – wie vereinbart sich die fast gleichzeitig mit den neuerlichen mutmaßlichen schweren Menschenrechtsverletzungen in Papua bekannt gewordene Genehmigung von Panzerexporten durch den Bundessicherheitsrat?