Information und Analyse

Im Strudel

Information und Analyse, 05. August 2013

 von Alex Flor

 Osttimor vertreibt Bootsflüchtlinge

 Zu Tausenden sterben boat people in den Strudeln der Weltmeere. Niemand fühlt sich zuständig oder gar verantwortlich. Nun gerät Osttimors Regierung in den Strudel der Flüchtlingspolitik der Nachbarländer.

Seetüchtiges Schiff

„Seetüchtiges“ Schiff in Jakarta

Foto: Alex Flor

Im Juli 2013 verunglückten mindestens zwei Flüchtlingsboote auf dem Weg nach Australien. 13 Leute, darunter ein einjähriger Junge, kamen dabei zu Tode. Ein weiteres Boot strandete für kurze Zeit seeuntüchtig in Osttimor. Die Küstenwache vertrieb die Flüchtlinge in nahe gelegene indonesische Gewässer.

Seit Jahren nutzen Asylsuchende Indonesien als Zwischenstation auf dem Weg nach Australien. Von 2002 bis 2004 erreichten nur drei Boote mit 69 Flüchtlingen australischen Boden. Letztes Jahr kamen nach Angaben des Refugee Council of Australia 17.202 Menschen auf 278 Booten. In Indonesien selbst nahm die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden exponentiell zu: 2008 kamen nur 385, 2009 schon 3.230, 2010 waren es 3.905, 2011 4.052 und 2012 schließlich 7.218. Je länger die Flüchtlinge auf ein Anerkennungsverfahren und eine dauerhafte Lösung warten müssen, desto mehr von ihnen werden versucht sein, sich auf die gefährliche Reise mit einem Boot Richtung Australien aufzumachen, schreibt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR (http://www.unhcr.org/50001bda9.html). Ein 2012 in Osttimor gestrandeter Flüchtling erzählte, er habe zuvor 17 Jahre lang vergeblich auf eine Lösung wartend in einem Lager in Malaysia verbracht – ohne Geld und ohne das Recht, dort zu arbeiten.

Nach Angaben der australischen Einwanderungsbehörde mussten seit Oktober 2009 nicht weniger als 805 Flüchtlinge beim Versuch der Einreise nach Australien ihr Leben lassen. Die 13 jüngsten Opfer sind in dieser Zahl noch nicht enthalten.

Ein Großteil der Bootsflüchtlinge stammt aus Myanmar (Burma), dem Iran, dem Irak, aus Afghanistan und aus Sri Lanka. Es scheint zu einfach, Leute, die alles riskieren, um diese Länder zu verlassen, pauschal als »Wirtschaftsflüchtlinge« zu bezeichnen, und ihnen somit das Recht auf einen Status als Asylsuchende von vornherein abzusprechen. Aber selbst in Fällen, in denen Begriffe wie »Wirtschafts-« oder »Armutsflüchtlinge« zutreffen, muss die Frage erlaubt sein, aufgrund welchen Rechtsverständnisses wohlhabende Staaten solche Menschen einfach auf dem offenen Meer ihrem Schicksal überlassen dürfen? Waren es nicht Staaten des Westens, deren Rhetorik in Zeiten des Kalten Krieges sogar den Erwerb von Bohnenkaffee und Feinstrumpfhosen quasi zum Menschenrecht erhoben hatten? Dr. Antje Mißbach, die in Australien über die Problematik forscht, merkt weiterhin an, dass sich bei der Entstehung der Genfer Flüchtlingskonvention ausgerechnet Australien »mächtig ins Zeug gelegt« habe.

Myanmar (Burma)

Richten wir unser Augenmerk beispielhaft auf Flüchtlinge aus Myanmar (Burma). Auf internationalem Parkett feiert man derzeit die zaghafte demokratische Öffnung des Landes als großen Erfolg. Staaten, Stiftungen und Hilfsorganisationen liefern sich einen nicht immer ganz uneigennützigen Wettstreit darum, wer am meisten zur Konsolidierung des Wandels beitragen kann. Nachdem der viel gepriesene »arabische Frühling« in Ägypten, Tunesien, Libyen und vor allem in Syrien gerade eine gänzlich andere Richtung einnimmt als zunächst erhofft, braucht die Weltgemeinschaft dringend ein paar »gute Neuigkeiten«.

1997 wurde das rohstoffreiche, aber unterentwickelte Myanmar (Burma) Mitglied der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) und ist seither eines der größten Sorgenkinder dieses Staatenverbundes. Das menschenrechtsfeindliche Regime der Militärdiktatur war international nicht repräsentabel. 2005 musste Myanmar (Burma) nach Interventionen der USA, der EU und schließlich auf Druck anderer ASEAN-Staaten auf den turnusmäßig anstehenden Vorsitz der ASEAN und die Ausrichtung des jährlichen Gipfeltreffens 2007 verzichten. Aung San Suu Kyi, die Gewinnerin der vom Regime für ungültig erklärten demokratischen Wahlen von 1990 und Friedensnobelpreisträgerin von 1991 musste derweil die meiste Zeit seit ihrem Wahlsieg im Hausarrest verbringen.

Im April 2011 lockerte das Regime die Zügel. Die Zeichen stehen auf Demokratisierung. Politische Gefangene wurden freigelassen und nach den Wahlen 2012 zog Aung San Suu Kyi ins Parlament ein. Ende gut, alles gut?

Verfolgung der Rohingya

Wie in Indonesien und vielen anderen Staaten, brachten die demokratischen Fortschritte auch unerwünschte Nebenwirkungen mit sich. Nationalistisch und radikal-religiös bedingte Konflikte brachen auf. Für einige westliche Beobachter hat damit auch der scheinbar so friedliche Buddhismus seine Unschuld verloren, denn seit neuestem kennen wir neben christlichen, muslimischen und hinduistischen Fundamentalisten auch gewaltbereite Radikalisten buddhistischen Glaubens. Ihre derzeit prominentesten Opfer in Burma sind die Rohingya, eine muslimische Minderheit. Deren  Herkunft reicht auf Wurzeln in Bangladesh zurück – ein Land, welches viele der Betroffenen, die in zweiter, dritter oder höherer Generation in Burma leben, freilich noch nie gesehen haben.

Rohingya wurden jüngst zu Opfern grausamer Pogrome von Seiten radikal-buddhistischer Burmesen. Der Staat Myanmar (Burma) erkennt ihnen keine staatsbürgerlichen Rechte – und damit keinerlei Schutz – zu, sondern sieht sie als StaatsbürgerInnen von Bangladesh an. Auch die Friedensnobelpreisträgerin und Parlamentsabgeordnete Aung San Suu Kyi zieht es vor, zu diesen Vorkommnissen zu schweigen. In Massen versuchen Rohingya sich daher anderweitig in Sicherheit zu bringen: durch Flucht.

Das gelobte Land Australien und die Mauer um Europa

Zunächst zieht es viele erst einmal nach Malaysia, da es dort bereits eine lebendige Diaspora der  Rohingya gibt. Doch manche kommen auf der Überfahrt schlicht vom Weg ab, andere sehen sich wegen Razzien in Malaysia oder Vertreibung aus Thailand gezwungen, die Weiterreise anzutreten, und wieder andere stellen fest, dass sie als Asylsuchende in Malaysia nicht arbeiten dürfen.

Endziel vieler Flüchtlinge – nicht nur der Rohingya – ist dann Australien: ein Staat in dem ethnische und religiöse Herkunft nur eine untergeordnete Rolle spielen, wenn man es erst mal geschafft hat, dort Fuß zu fassen. Und natürlich ein Staat, in dem es vermeintlich Jobmöglichkeiten und soziale Absicherung gibt, wie sonst nirgendwo in der Region.

Aber Australien fand unter der neuen (alten) Regierung von Kevin Rudd zu einer Flüchtlingspolitik der Nulltoleranz zurück, nachdem Rudd zunächst die »pazifische Lösung« (s.u.) abgeschafft hatte, sich dann aber einem neuen Ansturm von boat people ausgesetzt sah und darauf hin sämtliche politischen Lager von rechts überholte (was zumindest im Straßenverkehr Australiens durchaus erlaubt ist). Kein »illegaler« Bootsflüchtling soll von nun an noch in Australien aufgenommen werden. Unklar bleibt dabei freilich, unter welchen Umständen eine Flucht nach Australien »legal« erfolgen könnte – auch mit sehr viel Geld ganz sicher nicht mit einem Linienflug der Qantas.

In ähnlicher Weise suchen sich die Staaten der EU mittels Frontex (Agence européenne pour la gestion de la coopération opérationnelle aux frontières extérieures; europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen) vor einem angeblich zahlenmäßig nicht mehr zu bewältigenden Ansturm von Flüchtlingen über das Mittelmeer zu schützen. Sie schreckten dabei auch nicht vor Kooperationsabkommen mit Diktatoren wie Libyens Muammar al-Gaddafi zurück und nehmen den Tod von tausenden Mauer-,  Entschuldigung!, ich meinte Meeresflüchtlingen, stillschweigend in Kauf. Es wird vermutet, dass seit 1992 mehr als 10.000 Bootsflüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind – mehr als 40 Mal so viele Menschen, wie nach höchsten Schätzungen in vierzig Jahren an der deutsch-deutschen Grenze ermordet wurden. Wo bleibt der Aufschrei?

Papst Franziskus setzte jüngst immerhin ein deutliches Zeichen der Menschlichkeit, indem er die italienische Insel Lampedusa für einen ersten öffentlichen Auftritt wählte, um dort auf die Verantwortung für das Leben der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Lampedusa ist einer der häufigst frequentierten Ankunftsorte von Bootsflüchtlingen aus Afrika.

Die »pazifische Lösung«

Ungeachtet von Fragen der Menschlichkeit scheint die Reaktion Australiens auf die Bootsflüchtlinge jenseits aller Maßstäbe rationalen Verhaltens. Es steht mitnichten zu befürchten, dass »illegale Flüchtlinge« die Stabilität das Staates oder einer seiner Einrichtungen gefährden könnten. Oppositionssprecher Scott Morrison meint: »Wir brauchen keinen Schutz vor AsylbewerberInnen: sie brauchen [vielmehr] Schutz vor ihren Verfolgern.«

Wenn tatsächlich pro Jahr 25.000 »illegale Einwanderer« Australien erreichen sollten, dann entspräche dies einem Bevölkerungszuwachs von ca. 0,11%. Schwer zu glauben, dass ein hochentwickeltes Land einen solchen »Ansturm« nicht verkraften könnte. Zwischen 2006 und 2009 hat Australien pro Jahr sagenhafte 500.000 Neueinwanderer aufgenommen. Darunter befinden sich ca. 50.000 bis 60.000 zunächst »legal« Eingereiste aus meist westlichen Ländern, die ihr befristetes Visum überziehen und einfach dableiben. Massenhafte Deportationen britischer Overstayers sind nicht aktenkundig,

Es zeigt  sich daran nur eines ganz deutlich: es ist keine Frage der Kapazität, sondern eine Frage des politischen Willens, wie viele und vor allem WELCHE Zuwanderer ein Staat aufnehmen kann! .

Bereits mehrfach praktizierte Australien eine als »pazifische Lösung« bezeichnete Flüchtlingspolitik. Von Australien abhängige Staaten des Pazifikraums wurden dazu genötigt, auf ihrem Territorium Aufnahmelager einzurichten. Die australische Regierung zahlte Zwergstaaten wie Nauru die entstehenden Kosten. Hauptsache, die Flüchtigen erreichten nicht australisches Hoheitsgebiet, um dort ihren Asylantrag stellen zu können.

Papua Neuguinea (PNG) ist nun ein Nachbarland, mit dem Australien kürzlich eine entsprechende Vereinbarung treffen konnte. Wer sich also demnächst voller Hoffnung auf den Weg nach Australien begibt, darf sich nicht wundern, sich kurz darauf in Malaria-verseuchten Sumpfgegenden in PNG wiederzufinden.

Transitland Indonesien: Nepper, Schlepper, Bauernfänger

Indonesien ist das bedeutendste Transitland für Bootsflüchtlinge auf dem Weg nach Australien. Unzählige Menschen hängen hier fest und fristen in Abschiebelagern oder Gefängnissen ein Dasein unter teilweise katastrophalen Umständen, wie Antje Mißbach für Watch Indonesia! berichtete. »In den letzten Jahren haben sich seltsame Kollaborationen zwischen Schmugglernetzwerken und indonesischen Sicherheitskräften herausgebildet. Jeder, so scheint es, will am Menschenschmuggel nach Australien mitverdienen«, schrieb die Wissenschaftlerin weiter (SUARA 3/2010, S. 34).

Ein entschlossenes Vorgehen der indonesischen Behörden gegen Menschenschmuggel lässt somit aus »verständlichen« Gründen auf sich warten. Dennoch ist dem Druck Australiens entsprechend eine zunehmende Zahl von Verurteilungen gegen Menschenschmuggler zu verzeichnen: gewöhnlich arme Fischer und andere Bootsbesitzer, die sich in der Hoffnung auf einen kleinen Zuverdienst bereit zeigten, die waghalsige Überfahrt nach Australien zu riskieren. Mit Entschiedenheit wies Indonesien indes das Ansinnen Australiens zurück, dort abgelehnten Bootsflüchtlingen die Rückkehr nach Indonesien zu ermöglichen, von wo sie ihre Überfahrt angetreten hatten. Indonesien hat die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 bislang nicht unterzeichnet.

Ein Entgegenkommen gegenüber den australischen Wünschen bestand in der Streichung des Iran aus der Liste derjenigen Staaten, deren Bürgerinnen und Bürger bei Ankunft in Indonesien gegen Zahlung von 25 US-$ problemlos ein Visa on Arrival erstehen können. Laut Schätzungen stammte bisher ein Drittel der potenziellen boat people in Indonesien aus dem Iran.

Zu Denken gibt auch die Haltung bestimmter Gruppen muslimischer Hardliner Indonesiens. Gegen die Verfolgung ihrer Glaubensbrüder und -schwestern der Rohingya reagierten sie unter anderem mit lautstarken Protesten und Drohungen gegen die Botschaft von Myanmar. Kurz vor Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan wurde auf einen buddhistischen Tempel in Westjakarta ein Bombenanschlag verübt, bei dem drei Menschen verletzt wurden. Täter und Motiv sind noch unbekannt, doch selbstverständlich sind spontane Mutmaßungen auf radikalislamische Gruppen gerichtet. Über tatkräftige solidarische Hilfe für mittlerweile in Indonesien gelandete Rohingya-Flüchtlinge durch dieselben muslimischen Gruppen liegen uns bis zur Stunde dagegen keinerlei Nachrichten vor. Einige gemäßigtere Muslime sorgten immerhin dafür, dass sich die Rohingya unter vielen anderen Flüchtlingsgruppen beispielsweise in Aceh als bevorzugte Gäste fühlen dürfen. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen aus Myanmar in einem Auffanglager in Belawan, Medan, Nordsumatra, führten jedoch dazu, dass Flüchtlinge auch in Indonesien zunehmend als Problem wahrgenommen werden.

Transitland Osttimor: Deportation unter Todesdrohungen?

2010 unterbreitete Australien Osttimor erfolglos Angebote für die Einrichtung von exterritorialen Flüchtlingslagern. Während Parlamentarier in Dili das Ansinnen überwiegend barsch zurückwiesen, reagierte der seinerzeitige Staatspräsident José Ramos-Horta, der selbst viele Jahre als Exilant in Australien gelebt hat, diplomatisch besonnen. Er lehnte die Einrichtung eines Flüchtlingslagers nicht rundweg ab, sondern knüpfte seine Bereitschaft zu weiteren Gesprächen an bestimmte humanitäre Bedingungen, die gewährleistet – und von Australien finanziert – werden müssten. Australien verwarf daraufhin den Plan einer osttimoresischen Lösung.

Im Gegensatz zu Indonesien gehört Osttimor zu den Unterzeichnerstaaten der UN-Flüchtlingskonvention, sodass hier jenseits moralischer Beurteilungen höhere Maßstäbe anzusetzen sind.

Vor einigen Wochen machten sich flüchtige Rohingyas auf einem nicht seetüchtigen Boot von Indonesien Richtung Australien auf. Unter den 95 Flüchtlingen befanden sich auch schwangere Frauen und Kinder. Das Boot geriet in Seenot. Es gelang aber nahe Viqueque, Osttimor, sicher anzulanden.

Die Auskünfte darüber, was dann geschah, könnten unterschiedlicher nicht sein: Osttimors Außenminister José Luis Guterres ließ die Version verbreiten, dass die Flüchtlinge zu keinem Zeitpunkt um Asyl in Osttimor gebeten hätten. Wunschgemäß habe Osttimors Wasserschutzpolizei dabei geholfen, die defekte Maschine des Boots wieder in Gang zu bringen, um selbiges danach zurück in internationale Gewässer zu begleiten. Gute Reise!

Rafi Yosuf Zaw Win, ein Sprecher der Flüchtlinge, machte gegenüber der Zeitung The Dili Weekly  vom 26.7.13 eine völlig andere Version geltend. Demnach drängten die osttimoresischen Sicherheitskräfte die Flüchtlinge unter Androhung von Waffengewalt dazu, wieder in See zu stechen:  »Entweder ihr verlasst das Land oder wir werden euch erschießen! Ich bat sie, dies nicht auf See zu vollstrecken. Wenn ihr uns töten wollt, dann tut es hier an Ort und Stelle«.

Weiter behauptete Rafi Yosuf Zaw Win, die Gruppe habe in Osttimor um Asyl ersucht. Statt dessen sei sie mit dem Versprechen eines Bootes nach Australien getäuscht und zu einem Hafen geleitet worden, von wo aus sie zunächst auf die indonesische Insel Wetan gebracht wurden. Zwei Tage später, am 13.7.2013 seien die Flüchtlinge von der indonesischen Marine auf die Insel Liran, nahe dem osttimoresischen Atauro, weiter befördert worden. Von dort wurden sie unbestätigten Angaben zufolge zu einem unbekannten Ort, möglicherweise auf Sulawesi, weiter befördert. Humanitäre Organisationen, einschließlich des UN-Flüchtlingshilfswerkes, haben unseren Informationen zufolge derzeit keinen Zugang zu den möglicherweise dringend Bedürftigen.

Osttimoresische Menschenrechtsorganisationen richteten Anfragen an den Präsidenten, den Premierminister und den Ombudsmann ihres Landes, um herauszufinden, was sich hier letzten Monat tatsächlich abgespielt hat. Es ist nicht der erste Fall dieser Art. Bereits im März letzten Jahres strandeten 26 Flüchtlinge aus Myanmar in Osttimor, nachdem ihrem Boot nach Australien das Benzin ausgegangen war. Da keiner von ihnen um Asyl in Osttimor ersuchen wollte, wurden sie schließlich unter Androhung von Deportation, Gefängnis oder anderen Zwangsmaßnahmen unter Druck gesetzt. Ein Kommentar auf der Internetseite von New Matilda brachte zum Ausdruck, was wohl viele Australier denken: Lasst die Leute in Osttimor. Das ist erstens billiger und zweitens fühlen sich diese einfachen Leute dort wohler als in Australien. Hat Osttimor nicht viele junge arbeits- (und kampffähige) Männer verloren, als die Indonesier das Land verließen? »Diese gesunden jungen Männer könnten daran arbeiten, eine neue Zukunft für sich und für Osttimor aufzubauen. Win-win.« (http://newmatilda.com/2012/04/30/burmese-asylum-seekers-timor-limbo).

Prima, wenn die Internetuser im reichen Australien so gut Bescheid wissen, was für den armen Nachbarstaat gut ist. »Über 50 Prozent der 18- bis 30-Jährigen in Osttimor sind arbeitslos«, erklärte unabhängig davon Phillip Müller von der Konrad-Adenauer-Stiftung zur etwa selben Zeit.

Das Tischtuch scheint zerrissen: Osttimors politische Elite

Es gibt zweifelsohne keinen prominenteren osttimoresischen Politiker als den Friedensnobelpreisträger von 1996, José Ramos-Horta. Nach der Unabhängigkeit diente er seinem Land als Außenminister, Premierminister und Staatspräsident. Über zwei Legislaturperioden teilte er sich die Regentschaft über das Land mit dem ehemaligen Widerstandskämpfer Xanana Gusmão. Mal war der eine Präsident und der andere Premierminister. Später wurden die Ämter schlicht getauscht. Es war seinerzeit ein Ausdruck des gegenseitigen Vertrauens und hatte mit Machtspielchen wie dem äußerlich ähnlichen Ämtertausch von Putin und Medjedew in Russland nur wenig gemeinsam.

In der letzten Legislaturperiode wurde jedoch auch deutlich, dass es im ehemaligen Dream Team Xanana und Ramos-Horta zu schweren Brüchen gekommen war. Für Außenstehende wurde der Bruch spätestens bei den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr deutlich, als Ramos-Horta »auf Wunsch vieler UnterstützerInnen« erneut antrat, während sein bisheriger Kompagnon Xanana einem anderen Kandidaten den Vorzug gab.

Ramos-Horta, derzeit als UN-Sonderbeauftragter für Guinea-Bissau tätig, erfuhr von dem Flüchtlingsdrama angeblich erst aus der Presse. Zufällig traf er kurz darauf Außenminister José Luis Guterres auf einer Tagung in Maputo, Mosambik. Es spricht Bände über das Verhältnis der beiden, wenn sich Ramos-Horta unmittelbar nach ihrem Gespräch über die Presse zu Wort meldet.

In einem Beitrag für die Huffington Post verurteilte Ramos-Horta in aller Klarheit den Umgang der Behörden seines Landes mit den Flüchtlingen aus Myanmar. »Wenn sie nirgendwo anders bleiben können, […] darf Osttimor ihnen niemals den Rücken zeigen, wenn Leute vor Hunger oder Kriegen fliehen. Wir selbst waren einst Flüchtlinge [… ]«

Ramos-Horta wäre freilich nicht Ramos-Horta, wenn er bei einer solchen Gelegenheit nicht versuchen würde, sich selbst ins rechte Licht zu rücken: »Wenn ich noch in Osttimor wäre, hätte ich die Regierung darum gebeten, die Flüchtlinge meiner persönlichen Verantwortung zu überlassen. Ich hätte sie eingeladen auf dem kleinen Grundstück meiner Familie zu kampieren. […] Während unserer eigenen Krise der Politik und Sicherheit 2006, als unser Volk aus den Städten flüchten musste, habe ich hunderten von unbekannten Leuten […] Zuflucht auf meinem Grundstück gewährt.  Sie lebten dort über Wochen in relativer Sicherheit«. (http://www.huffingtonpost.com/jose-ramoshorta/rohingya-refugees-east-timor_b_3626204.html?utm_source=Alert-blogger&utm_medium=email&utm_campaign=Email%2BNotifications)

Alle wissen, dass am Ende der Story Ramos-Horta vor eben jenem Grundstück durch Schüsse lebensgefährlich verletzt wurde. Das hatte freilich nicht direkt etwas mit der Aufnahme der Flüchtlinge zu tun. Aber dennoch blieb wohl etwas an Ramos-Horta haften, was nicht zur Nachahmung motiviert.

Zusammenfassung

Australiens Flüchtlingspolitik orientiert sich weder an ernsthaften Problemen der Integrationsfähigkeit, noch an menschenrechtlichen Prinzipien. Australiens Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge bedient in überzogenem Maße vermeintliche fremdenfeindliche Ressentiments in der eigenen Bevölkerung. Diese Politik schürt Konflikte in und zwischen den Nachbarstaaten in Südostasien und dem Pazifik. Behördenvertreter und Schlepper in Indonesien arbeiten Hand in Hand. Was zählt ist Geld. Was nicht zählt sind Menschenleben. Osttimors Behörden versuchen sich auf Kosten des ungewissen Schicksals von Flüchtlingen zusätzliche Probleme mit den mächtigen Nachbarstaaten vom Leibe zu halten.

Leidtragende sind in erster Linie verzweifelte Menschen, die viel Geld und ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, um ihren bisherigen Lebensumständen zu entfliehen und eine bessere Zukunft in Australien zu suchen. Fast eintausend von ihnen verloren dabei in den letzten Jahren ihr Leben.

An die Europäischen Union und ihre Mitgliedsstaaten adressierte Appelle erscheinen leider sinnlos, denn keine Regierung eines EU-Mitgliedsstaates wird es wagen, Australien wegen seiner Flüchtlingspolitik zu ermahnen. Nicht solange Frontex im Mittelmeer Jagd auf boat people macht. Nicht solange fast täglich Bootsflüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Und nicht solange humanitäre Helfer, die Ertrinkenden zu Hilfe eilen, sich in Europa als Schlepper vor Gericht zu verantworten haben.


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